BT-Drucksache 17/9305

"Strategische Fernmeldeaufklärung" durch Geheimdienste des Bundes

Vom 5. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9305
17. Wahlperiode 05. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan Korte, Jan van Aken, Herbert Behrens,
Steffen Bockhahn, Christine Buchholz, Annette Groth, Ulla Jelpke, Harald Koch,
Niema Movassat, Jens Petermann, Paul Schäfer (Köln), Dr. Petra Sitte,
Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Katrin Werner und der Fraktion
DIE LINKE.

„Strategische Fernmeldeaufklärung“ durch Geheimdienste des Bundes

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst
(BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) dürfen den elektronischen
Datenverkehr unter anderem im Rahmen der Terrorabwehr durchforsten. Ähn-
liches gilt für das Zollkriminalamt (ZKA), das auch entsprechende nachrichten-
dienstliche Befugnisse hat. Am 25. Februar 2012 berichtete die „Bild“-Zeitung
unter Berufung auf zwei Berichte des Parlamentarischen Kontrollgremiums
(PKGr) des Deutschen Bundestages, dass im Jahr 2010 mehr als 37 Millionen
E-Mails und Datenverbindungen von den deutschen Geheimdiensten überprüft
wurden, weil darin bestimmte Schlagwörter wie „Bombe“ vorkamen. Damit
hätte sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als verfünffacht. Nach PKGr-
Angaben ergaben die Überwachungsmaßnahmen insgesamt nur in 213 Fällen
verwertbare Hinweise für die Geheimdienste.

Das PKGr schreibt in seinem Bericht gemäß § 14 Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes
zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Ge-
setz – G 10) über die Durchführung sowie Art und Umfang der Maßnahmen
nach den §§ 3, 5, 7a und 8 dieses Gesetzes (Bundestagsdrucksache 17/8639),
dass 2010 die Behörden in E-Mails und anderen Kommunikationen nach rund
16 400 Begriffen gesucht hätten. Der größte Teil (rund 13 000) entfiel dabei auf
den Bereich des Waffenhandels; dort wurden auch mit 25 Millionen die meisten
Gespräche und Mail-Konversationen erfasst. Davon wurden letztlich jedoch nur
180 als „nachrichtendienstlich relevant“ eingestuft; „hierbei handelte es sich um
12 E-Mail-, 94 Fax- und 74 Sprachverkehre“, heißt es in dem Bericht. Das PKGr
führt das Verhältnis zwischen Aufwand und Erfolg unter anderem auf das Spam-
Aufkommen zurück: „Die zur Selektion unerlässliche Verwendung von inhalt-
lichen Suchbegriffen, bei denen es sich auch um gängige und mit dem aktuellen
Zeitgeschehen einhergehende Begriffe handeln kann, führt unweigerlich zu ei-
nem relativ hohen Spam-Anteil, da viele Spam-Mails solche Begriffe ebenfalls
beinhalten können“. Es liegt nahe, dass Wörter, Satzteile oder Phoneme gleicher

Bedeutung parallel in mehr als einer Sprache verwendet werden.

Nach Angaben von PKGr-Mitgliedern handle es sich bei der Maßnahme nicht
um eine Rasterfahndung im Telekommunikationsverkehr bestimmter deutscher
Bürger in Deutschland, sondern um eine „strategische Überwachung der gebün-
delten Funkübertragung etwa über asiatischen oder afrikanischen Ländern“.
Deutsche dürften hiervon kaum betroffen sein. Falls doch, gelte für sie prinzi-

Drucksache 17/9305 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

piell der Schutz des Grundgesetzes mit der Pflicht zur sofortigen Datenlöschung.
Über die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Anordnung einschließlich der Ver-
wendung von Suchbegriffen entschieden die im PKGr vertretenen unabhängi-
gen Fachleute (vgl. heise.de vom 27. Februar 2012).

Das PKGr schreibt in seinem Bericht: „Strategische Kontrolle bedeutet, dass
nicht der Post- und Fernmeldeverkehr einer bestimmten Person, sondern Tele-
kommunikationsbeziehungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt, nach
Maßgabe einer Quote insgesamt überwacht werden. Aus einer großen Menge
verschiedenster Gesprächsverbindungen werden mit Hilfe von Suchbegriffen
einzelne erfasst und ausgewertet“. Nach Ansicht der Fragesteller und Angaben
von Experten müssen die Geheimdienste jedoch, wenn sie bestimmte Suchbe-
griffe in E-Mails finden wollen, jede E-Mail filtern. Technisch bedient man sich
hierbei einer „Parsing“ genannten Syntaxanalyse.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit werden neben Internetverkehr, E-Mails, Faxverbindungen, Web-
foren und Sprachverkehren durch deutsche Geheimdienste weitere Kommu-
nikationskanäle im Rahmen der „strategischen Fernmeldeaufklärung“ ausge-
späht?

a) Auf welche Art und Weise wurden die „12 E-Mail-, 94 Fax- und 74
Sprachverkehre“ im Bereich „Proliferation und konventionelle Rüstung“
sowie die „7 Metadatenerfassungen, 17 Webforenerfassungen und 5
Sprachverkehre“ im Bereich „Internationaler Terrorismus“ erhoben (Bun-
destagsdrucksache 17/8639)?

b) Was ist mit der „Metadatenerfassung“ gemeint, und auf welche Art und
Weise wird diese vorgenommen?

c) Welche weiteren sechs Kommunikationsverkehre wurden im „Gefahren-
bereich ‚Illegale Schleusung‘“ neben ausspionierten E-Mails erfasst?

2. Nach welchem technischen Verfahren werden die Kommunikationsverkehre
durchforstet?

a) Trifft es zu, dass der BND, der MAD und das BfV sowie das ZKA hierfür
Software der Firmen trovicor GmbH, Utimaco AG, Ipoque GmbH oder
ATIS UHER einsetzen, und falls ja, um welche konkreten Anwendungen
handelt es sich?

b) Wenn nicht, von welchen Firmen oder welcher Firma stammt die einge-
setzte Software?

c) Handelt es sich dabei um ein Parsing, Tagging, einen Stringvergleich oder
andere Verfahren der Zuordnung von Wortklassen?

d) Wie viele Mitarbeiter sind jeweils mit der Durchführung dieser Maß-
nahme betraut?

3. Ist die eingesetzte Technik auch in der Lage, verschlüsselte Kommunikation
(etwa per Secure Shell oder Pretty Good Privacy) zumindest teilweise zu ent-
schlüsseln und/oder auszuwerten?

4. Wie hoch sind die Kosten für die Kommunikationsüberwachung im Rahmen
der „strategischen Fernmeldeaufklärung“, aufgelistet nach

– den Kosten für die Anschaffung der technischen Ausrüstung,

– den laufenden Kosten für die technische Ausrüstung,

– den Personalkosten und
– den sonstigen Kosten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9305

5. Auf welche Art und Weise werden die „Stichproben“ der „strategischen
Fernmeldeaufklärung“ bestimmt?

a) Was ist mit der „Maßgabe einer Quote“ gemeint, nach der „Gesprächs-
verbindungen“ – laut Bundestagsdrucksache 17/8639 – ausgespäht
werden?

b) Nach welchen Kriterien werden die Rasterungen gemäß dieser „Quote“
vorgenommen?

6. Wie wurden die 16 400 Begriffe, nach denen die Kommunikation durch-
forstet wird, bestimmt?

a) Welche Abteilung ist hierfür jeweils zuständig?

b) Auf welche weiteren Analysen welcher weiteren Behörden oder Institu-
tionen wird dabei zurückgegriffen?

7. Wie viele TK-Verkehre (TK = Telekommunikation) werden bzw. wurden
tatsächlich gefiltert, um auf die angegebenen Zahlen zu kommen (bitte nach
E-Mails, Fax- und Sprachverkehren aufschlüsseln)?

Sofern keine Angabe zur konkreten Zahl möglich sein soll, in welcher
Größenordnung bewegt sich die Zahl?

8. Wurden die tatsächlich gefilterten und/oder erfassten TK-Verkehre proto-
kolliert?

a) Wenn ja, wer ist berechtigt, diese Protokolle auszuwerten, und zu wel-
chem Zweck?

b) Welche Informationen werden protokolliert?

9. Werden bei der „strategischen Fernmeldeaufklärung“ Kommunikationsver-
kehre lediglich von und nach Deutschland ausgespäht?

a) Falls nein, wie viele der überwachten Kommunikationsverkehre bezo-
gen sich auf Verbindungen ins Ausland?

b) Falls ja, wie wird bei der strategischen Auswertung von E-Mails zwi-
schen rein inländischen und Verkehren aus dem und in das Ausland un-
terschieden, insbesondere dann, wenn der E-Mail- oder Weblog-Provi-
der keine „.de“-Adresse verwendet bzw. der Server im Ausland steht?

c) Was versteht die Bundesregierung unter „Webblog-Kommunikation“?

d) Inwieweit wird bei der „Webblog-Kommunikation“ bestimmt, ob es sich
dabei nicht um eine „innerdeutsche“ Kommunikation handelt?

e) Inwieweit werden Kommunikationsverkehre auch nach den Adressen
bzw. Telefonnummern der Absender (Absenderkennung) oder Adressa-
ten (Zielkennung) gefiltert?

10. Inwieweit wird unterschieden, ob ein Kommunikationsverkehr für die wei-
tere Beobachtung oder Strafverfolgung relevant ist?

a) Werden auch firmeninterne Kommunikationsverkehre überwacht, indem
etwa E-Mails zwischen gleichen Domains ausgespäht werden?

b) Inwieweit wird sichergestellt, dass Abgeordnete, Rechtsanwältinnen/
Rechtsanwälte, Journalistinnen/Journalisten oder Diplomaten von den
Spionagemaßnahmen ausgeschlossen werden?

Drucksache 17/9305 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

11. Auf welche Art und Weise und wie lange wurden bzw. werden die Kom-
munikationsverkehre für die Auswertung gespeichert oder kurzzeitig vor-
gehalten?

a) Auf welche Art und Weise werden gefundene „Treffer“ weiter bearbei-
tet?

b) Wo werden vermeintliche „Treffer“, also Kommunikationsverkehre mit
„verdächtigem“ Vokabular weiter gespeichert, und wer hat darauf Zu-
griff?

c) Wie lange bleiben die TK-Verkehre bei diesem Prozess (ggf. auch nur in
einem temporären Speicher) gespeichert (bitte nach E-Mails, Fax- und
Sprachverkehren aufschlüsseln)?

d) Wie ist der Umgang mit nicht relevanten, aber erfassten TK-Daten?

e) Wie viele der erfassten TK-Verkehre waren unbrauchbar auf Grund von
„Spam“?

12. Inwieweit werden Kommunikationsverkehre auch durch die Auswertung
gesprochener Wörter ausgespäht?

a) Werden Wörter bzw. Satzteile oder Phoneme gleicher Bedeutung parallel
in mehr als einer Sprache als Suchbegriff verwendet?

b) Welche Abteilungen bei BND, MAD und BfV sind zuständig für die Ent-
wicklung von Systemen zur Spracherkennung?

13. Worauf stützt die Bundesregierung die Behauptung, der Anstieg der über-
wachten Kommunikationsverkehre sei dem steigenden Versand von Spam-
E-Mails geschuldet, obschon dieser im fraglichen Zeitraum laut anderen
Statistiken eher zurückgegangen war?

14. In wie vielen Fällen waren die erlangten „Erkenntnisse“ ermittlungsrele-
vant oder trugen wesentlich zur Aufklärung oder Abwehr schwerer Straf-
taten bei?

a) Sofern hierzu keine Statistiken mitgeteilt werden können, in welcher
Größenordnung bewegen sich etwaige „positive“ Ergebnisse?

b) Wie verteilten sich die gefundenen Treffer auf die Kriminalitätsphäno-
mene „Bewaffneter Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland“,
„Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem
Bezug zur Bundesrepublik Deutschland“, „Internationale Verbreitung
von Kriegswaffen“, „Unbefugte gewerbs- oder bandenmäßig organi-
sierte Verbringung von Betäubungsmitteln“, „Beeinträchtigung der
Geldwertstabilität im Euro-Währungsraum durch im Ausland begangene
Geldfälschungen“, „International organisierte Geldwäsche“, „Gewerbs-
mäßig oder bandenmäßig organisiertes Einschleusen von ausländischen
Personen?

15. Durch welche weiteren Maßnahmen nehmen BND, MAD und BfV ihre ge-
setzlichen Aufgaben zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs
wahr?

16. An welchem Ort stehen die vom BND genutzten Informationssysteme bzw.
die zur „strategischen Fernmeldeaufklärung“ genutzte Hardware?

a) Inwieweit greifen Bundesbehörden zur Überwachung von Telekommu-
nikation auf den Verkehr über den Frankfurter Netzknoten DE-CIX
(German Commercial Internet Exchange) zu?

b) Inwieweit arbeiten Bundesbehörden zur „strategischen Fernmeldeauf-

klärung“ auch mit den kommerziellen Telekommunikationsprovidern
zusammen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9305

17. Inwieweit wird für die Überwachung von internationalen Telekommunika-
tionsverbindungen auf die Verbindungsstellen zum Ausland (die soge-
nannte Auslandskopfüberwachung) zugegriffen?

Wie viele „Auslandsköpfe“ werden nach Kenntnis der Bundesregierung
bzw. der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post von wel-
chen Netzbetreibern betrieben?

18. Gilt das Briefgeheimnis aus Sicht der Bundesregierung auch für elektroni-
sche Kommunikation?

Falls ja, wie wird dann die „vorsorgliche“ Spionage elektronischer Kommu-
nikation gegenüber herkömmlichem Briefverkehr abgegrenzt, der ja nicht
anlasslos ausgeforscht wird?

19. Welches sind die im PKGr vertretenen unabhängigen Fachleute?

a) Wer benennt diese Fachleute?

b) Auf welcher Grundlage wurden diese Fachleute ausgewählt?

20. Kann die Bundesregierung anhand ausgewählter „Treffer“ illustrieren, ob
es sich bei der „strategischen Fernmeldeaufklärung“ tatsächlich um ein
sinnvolles Instrument zur Feststellung schwerer Straftaten handelt?

Berlin, den 5. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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