BT-Drucksache 17/9160

Umfassendes Elbekonzept erstellen

Vom 29. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9160
17. Wahlperiode 29. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Sabine Stüber, Ralph Lenkert,
Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Roland Claus,
Harald Koch, Caren Lay, Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Umfassendes Elbekonzept erstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland wird das in der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
festgelegte Ziel, „ein gutes ökologisches Potenzial und einen guten chemischen
Zustand der Oberflächengewässer“ bis 2015 nicht erreichen. Eine Bewegung in
Richtung einer ökologisch ausgerichteten Flusspolitik ist also dringend gebo-
ten.

Spätestens seit dem Jahrhunderthochwasser 2002 an der Elbe ist klar, dass sich
die Flusspolitik an der Elbe bewegen muss. Jetzt, zehn Jahre nach dem Jahrhun-
derthochwasser, wird nun endlich auf Bundesebene ein breit getragenes Gesamt-
konzept Elbe erarbeitet. Hier kommt es darauf an, möglichst umfassende Rah-
menbedingungen zu schaffen, die die natürliche Entwicklung der Elbe fördern
und dennoch die verschiedenen Nutzungsinteressen einbinden. Elementar wich-
tig ist dabei die Betrachtung der Elbe als Gesamtökosystem. Dazu gehören nicht
nur das Flussbett und der Uferbereich, sondern auch das Einzugsgebiet mit all
seinen unterschiedlichen Nutzungsformen, Lebensraumtypen und Nebenflüs-
sen. Ein Gesamtkonzept Elbe muss also nicht nur wirtschaftliche und ökologi-
sche Interessen in Einklang bringen, sondern auch über Landesgrenzen hinaus
handlungsleitend sein. Die ökologische Durchgängigkeit (Durchgängigkeit des
Gewässers für wandernde Tierarten und Geschiebe) und eine an die natürlichen
Gegebenheiten angepasste Flussbetttiefe der Elbe und ihrer Nebenflüsse können
nur grenzübergreifend abgestimmt werden.

Der Schiffsverkehr auf der Elbe verändert sich. Vor allem Schwer- und Sonder-
transporte und Wassertouristinnen und -touristen sind heute auf der Elbe unter-
wegs. Eine moderne Binnenschifffahrtsflotte auf der Elbe muss sich somit auf
neue Nutzungsansprüche und auf vorhandene Flussgegebenheiten ausrichten.
Schiffsverkehr und Schiffstypen sollen dabei flussangepasst sein. Eine mög-
lichst natürliche Entwicklung ist für die Elbe und ihre Nebenflüsse zu gewähr-
leisten. Das bedeutet auch, einen Elbe-Saale-Kanal darf es nicht geben.
Die Elbe ist eine internationale Wasserstraße und soll es auch bleiben. Aber
eine Flusspolitik auf Kosten der Ökologie ist weder wirtschaftlich noch sozial,
weil sie nicht langfristig angelegt ist. Die unterschiedlichen Nutzungsansprüche
an die Elbe, ihre Nebenflüsse und ihr Einzugsgebiet wie Hochwasserschutz,
Schifffahrt, Tourismus, Natur- und Umweltschutz, Land- und Forstwirtschaft,
Fischerei, Energiegewinnung, Industrie und Siedlung müssen auf der Basis

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einer naturnahen Flussentwicklung berücksichtigt werden. Die Einbeziehung
der Öffentlichkeit vor Ort und Transparenz des Partizipationsprozesses sind da-
bei unerlässlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Rahmen des Gesamtkonzeptes Elbe

• eine enge Zusammenarbeit mit sämtlichen Anrainer(bundes)-Ländern und
eine frühzeitige und transparente Einbeziehung von Anwohnerinnen und
Anwohnern, Natur- und Umweltschutzverbänden sowie Unternehmen, die
die Elbe und ihre Nebenflüsse nutzen, über die Internationale Kommission
zum Schutz der Elbe (IKSE) und die nationale Flussgebietsgemeinschaft
Elbe (FGG Elbe) hinaus bei der Erarbeitung und Umsetzung zu verankern
(z. B. in Form von öffentlichen Foren);

• die Zusammenarbeit in der IKSE auszubauen und die nationalen Maßnah-
menpläne zur Elbe im Sinne des Verschlechterungsverbots der europäischen
Wasserrahmenrichtlinie (Artikel 4 Absatz 1WRRL) in enger Absprache mit
den Bundesländern anzugleichen;

• die Auswirkungen des Klimawandels auf die Elbe und ihre Nebenflüsse zu
untersuchen und die internationale Elbepolitik an den aktuellen Flussbedin-
gungen auszurichten;

• einen flussangepassten Schiffsverkehr auf der Elbe, besonders zwischen
Hamburg und Lauenburg, mit der Anbindung des Elbe-Seitenkanals, aber
auch im oberen Elbverlauf als Meeresanbindung Tschechiens zu gewährleis-
ten. Dabei ist bei allen Erhaltungsmaßnahmen darauf zu achten, dass Ein-
griffe möglichst naturnah erfolgen und eine weitere Fahrrinnenvertiefung der
Elbe und ihrer Nebenflüsse ausgeschlossen werden kann. Dazu sollen kon-
krete Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Flussbettvertiefung und erhöhter
Fließgeschwindigkeit wie z. B. ein Sohlstabilisierungskonzept und Alter-
nativen zum Bau von Buhnen und Parallelwerken unter Verwendung natür-
licher Materialien entwickelt werden;

• naturverträgliche Hochwasservorsorge durch Auenerhalt bzw. -renaturie-
rung, Deichrückverlegungen und Moorerhalt bzw. -renaturierung und die
Vermeidung von Sedimententnahme bei Unterhaltungsmaßnahmen festzu-
schreiben;

• die ökologische Durchgängigkeit (§ 34 des Wasserhaushaltsgesetzes, WHG)
stromauf- und stromabwärts im Gesamtverlauf der Elbe und ihrer Neben-
flüsse zu überprüfen, zu sichern und wiederherzustellen, weitere Bau- und
Ausbaupläne von Staustufen zu verhindern, und dabei das Staustufenprojekt
in Deˇcíˇn in der Prüfung zur Umweltverträglichkeit, in der IKSE und in
bilateralen Gesprächen abzulehnen, einen Maßnahmenkatalog zur Umset-
zung der ökologischen Durchgängigkeit zu erstellen und auf Grundlage des
Verschlechterungsverbots der WRRL Bauvorhaben stauender Wasserkraft-
anlagen auszuschließen;

• sich kritisch mit dem Bau schwimmender Wasserkraftwerke entsprechend
dem Prototyp „VECTOR“ aus Magdeburg auf der Elbe auseinanderzusetzen,
diese ökologisch und ökonomisch zu bewerten und Forschungsarbeiten zu
ökologischen Folgen solcher „Kraftwerksbojen“ finanziell zu unterstützen;

• die Messung und Erfassung des Gehalts an Polychlorierten Dibenzo- p-
dioxinen und Dibenzofuranen (Dioxinen) und an dioxinähnlichen Poly-
chlorierten Biphenylenen (PCB) im gesamten Elbsediment verbindlich
festzulegen, darüber hinaus die Messung und Erfassung des Dioxin- und

PCB-Gehalts in tierischen Lebensmitteln wie Fisch (v. a. Aal), Schaf- und

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Rindfleisch sowie Milch von Überschwemmungsflächen entlang der Elbe
und ihrer Nebenflüsse ähnlich dem 2009 bundesweit angelegten Monitoring
zur Belastung von Schafleber des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit verbindlich festzulegen;

• einen Fonds einzurichten, aus welchem die Analysekosten zur Erfassung der
Dioxinbelastung tierischer Produkte, die auf flussnahen Flächen produziert
wurden, getragen werden können, wenn keine Verursacherinnen oder Verur-
sacher der Dioxinbelastung unmittelbar festzustellen sind und eine kosten-
freie Beratung für betroffene Betriebe, ähnlich den aus Landesmitteln finan-
zierten Spezialberaterinnen und -beratern der Landwirtschaftskammer in
Niedersachsen, vorzusehen;

• den nach § 38 WHG festgesetzten Gewässerrandstreifen entlang der Elbe
und ihrer Nebenflüsse im Interesse seines Funktionserhalts (Schutz vor stoff-
lichem Eintrag und vor Erosion, Lebensraum, Wasserspeicher) und zum
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Dioxin- und PCB-Eintrag
vom Flusswasser auf ufernahe Flächen auf mindestens 15 Meter auszuweiten
und die Flächen im erweiterten Gewässerrandstreifen als ökologische Vor-
rangflächen nach EU-Agrarförderung ab 2014 anzurechnen;

• einen Flächenfonds einzurichten, der potenzielle Ersatzflächen für die ver-
schiedenen Nutzungsansprüche aus Land- und Forstwirtschaft, Bebauung
und Industrie beinhaltet, um Ausgleichsforderungen für die Flächen im er-
weiterten Gewässerrandstreifen möglichst schnell begegnen zu können;

• die Anbindung der Elbe an die Altarme im Interesse des Hochwasserschutzes
und der WRRL zu fördern;

• ein Landnutzungsmanagement im Einzugsgebiet der Elbe und ihrer Neben-
flüsse in enger Zusammenarbeit mit Ländern, Kommunen und Interessenver-
treterinnen und -vertretern festzulegen und in Landnutzungsplänen und Be-
wirtschaftungsplänen zu verankern;

• den Verkehrsweg Schiene entlang der Elbe vermehrt in den Vordergrund zu
rücken und ein flussangepasstes Verkehrskonzept zu entwickeln sowie fluss-
angepasste Schiffstypen und einen naturverträglichen Tourismus zu fördern;

• ein regelmäßiges Monitoring festzulegen, das die geplanten und bisher
durchgeführten Maßnahmen kritisch und umfassend bewertet und in die Um-
setzung der Ergebnisse einfließen lässt.

Berlin, den 29. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Zustand der Binnenelbe ist nach EU-Klassifikation „mäßig“ bis „unbefrie-
digend“. Das liegt vor allem an der „Veränderung des Quer- und Längsprofils“
und der mangelnden „Strömungsdynamik“ (Umweltbundesamt 2011: „Die
Elbe: Schifffahrt und Ökologie im Einklang?“, S. 4). Bis 2015 ist keine aus-
reichende „Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme und der
direkt davon abhängigen Landökosysteme und Feuchtgebiete“ (WRRL) zu er-
warten. Die bisherige Flusspolitik, welche sich hauptsächlich an den Nutzungs-
interessen Industrie, Land- und Forstwirtschaft, Schifffahrt und Bebauung aus-

richtet, trägt maßgeblich dazu bei. Diese Nutzungsinteressen sind und bleiben

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wichtig, aber einen ebenso großen Stellenwert müssen Hochwasserschutz, Tou-
rismus und Natur- und Umweltschutz einnehmen. Dabei ist ein transparenter
und beteiligungsoffener Prozess nötig. Es braucht eine neue Flusspolitik mit ei-
nem nationalen Rahmenkonzept, das Eckpunkte für einzelne Flusskonzepte be-
inhaltet. Der vorliegende Antrag basiert auf dem weitergreifenden Flussantrag:
„Neue Flusspolitik – Ein ,Nationales Rahmenkonzept für naturnahe Flussland-
schaften‘ schaffen“ der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/9192).
Er konkretisiert die dort genannten Punkte in Bezug auf Elbe und Saale.

Der Schiffsverkehr auf der Elbe ist wichtig. Die Elbe und ihre Nebenflüsse sind
aber nicht nur als Wasserstraße, sondern auch als Flussökosystem langfristig zu
erhalten. Dazu sind verschiedene Anforderungen wie Auenerhalt und -renatu-
rierung, keine weitere Flussbettvertiefung, Moorschutz, Anbindung an die Alt-
arme, und eine ökologische Durchgängigkeit stromauf- und stromabwärts an
der Elbe und ihren Nebenflüssen sowie eine flussangepasste Schifffahrt nötig.

Dass die Elbe auf deutscher Seite ab Lauenburg/Artlenburg stromaufwärts nicht
weiter ausgebaut werden soll, wie es die Eckpunkte für ein Gesamtkonzept Elbe
vom 17. August 2011 der Bundesministerien für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit sowie für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorsehen, ist
ein gutes Zeichen. Es darf aber auch keine weitere Flussbettvertiefung in Unter-
und Außenelbe geben. Hier liegt nach Aussage der Bundesregierung „kein Bau-
recht“ vor (31. Januar 2012, Antwort auf die Schriftliche Frage 93 der Abgeord-
neten Eva Bulling-Schröter, Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache
17/8538). Natürlich sind an diesen Knotenpunkten andere Maßstäbe anzusetzen
als auf dem Rest der Elbe. Allerdings gilt auch hier, weitere ökologische Schä-
den möglichst zu vermeiden.

An einem hochwassergefährdeten Fluss ist der ufernahe Sitz von Chemiefabri-
ken, Sondermüllverbrennungsanlagen und Atomkraftwerken bedenklich. Hier
ist es unerlässlich, Risikovorsorge und umfassendes -management zu betreiben,
das im Ernstfall auch die Wahl eines geeigneteren Standortes mit einschließen
muss. Gemäß der WRRL sind für das Erreichen eines guten Zustandes der Ober-
flächengewässer bestimmte Umweltqualitätsnormen für verschiedene Schad-
stoffe einzuhalten. Die erhöhte Dioxin- und PCB-Belastung des Flusssediments
von Elbe, Mulde und Saale sowie deren Überschwemmungsflächen verlangen
ein spezielles Management.

In allen Planungsprozessen, die mehrere Interessensgruppen betreffen, muss
eine zeitige und umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit und ihrer einzelnen
Interessensgruppen Standard werden. Durch die frühzeitige Einbindung der
Bevölkerung in den Planungsprozess sowie in die Umsetzung können mehr-
heitsfähige Kompromisse durch Interessenausgleiche erreicht werden. Dialog
und Transparenz schaffen Verständnis, etwaige Einschränkungen werden vor
Ort leichter akzeptiert.

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