BT-Drucksache 17/9125

Lebenserwartungs-Fonds und ethisches Investment

Vom 23. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9125
17. Wahlperiode 23. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Koch, Dr. Barbara Höll, Matthias W. Birkwald,
Richard Pitterle, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Axel Troost
und der Fraktion DIE LINKE.

Lebenserwartungs-Fonds und ethisches Investment

Im Februar 2012 rückte der Lebensversicherungsfonds „db Kompass Life 3“ der
Deutschen Bank AG in das öffentliche Interesse. Alle drei Fonds der Kompass-
Life-Reihe sammelten über 700 Mio. Euro bei Anlegern ein, bei Kompass Life 3
selbst waren es rund 200 Mio. Euro, verteilt auf circa 10 000 Anleger. Die Lauf-
zeit des Fonds endet im März 2015.

Im Gegensatz zu den sonst üblichen Produkten des Zweitmarkts für Lebens-
versicherungen basiert der Kompass-Life-3-Fonds nicht auf tatsächlichen
Lebensversicherungspolicen, sondern auf synthetischen Zertifikaten, in die der
Fonds – als geschlossener Fonds – investierte.

Die Zertifikate haben eine Gruppe von 500 Personen in den USA, die zwischen
70 und 90 Jahren alt sind, zur Grundlage. Anhand von Sterbetafeln wird nun auf
die noch verbleibende Lebensdauer bzw. auf die Lebenserwartung dieser
Gruppe spekuliert. Die Renditekalkulation hängt von der geschätzten Restle-
bensdauer ab. Dabei zieht man jeweils aktualisierte Gesundheitsdaten heran.
Die Personengruppe wurde diesbezüglich regelmäßig von einem Unternehmen
kontaktiert, das Einblick in die Gesundheitsakten erhielt.

Kurzum, dieser Fonds ist eine makabre Wette auf den Tod: Wer hier investiert,
spekuliert darauf, dass Menschen möglichst früh sterben, je früher, desto besser,
weil dann die Rendite steigt. Wenn die Referenzpersonen länger leben, verdient
die Bank an diesem Produkt.

Die Ombudsstelle beim privaten Bankenverband verurteilte diese Investment-
möglichkeit als nicht vereinbar mit „unserer Wertordnung“ und der Unantastbar-
keit der menschlichen Würde.

Auf Druck der „Öffentlichkeit“ will die Deutsche Bank AG den Fonds vom
Markt nehmen und den Anlegern schriftlich ein Rückkaufangebot vorlegen.

Rund ein Dreivierteljahr nach der Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen
Bundestages zur ökologischen und ethischen Ausrichtung der Finanzmärkte
vom 4. Juli 2011 bietet die Diskussion um Lebenserwartungs-Fonds Anlass, die

Entwicklung ökologischer bzw. ethischer Investments ins Auge zu nehmen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann und wodurch erhielt die Bundesregierung erstmalig Kenntnis über den
Fonds „Kompass Life 3“ und seine Konstruktion?

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2. Welche Haltung in juristischer, ethischer und finanzmarktregulatorischer
Sicht nahm und nimmt die Bundesregierung bezogen auf diesen Fonds, der
auf die Lebenserwartung von Menschen spekuliert, ein (bitte mit Begrün-
dung)?

3. Welche Anlageformen sowie Finanzinstrumente für die Absicherung im
Alter sind der Bundesregierung bekannt, und welche davon hält sie für
volkswirtschaftlich sowie gesamtwirtschaftlich sinnvoll (bitte mit Auflis-
tung der entsprechenden Anlageformen und Finanzinstrumente sowie mit
Begründung)?

4. Welche Anlageformen sowie Finanzinstrumente für die Absicherung im
Alter hält die Bundesregierung für „schädliche Anlageformen“ bzw.
„schädliche Finanzinstrumente“ (bitte mit Auflistung der entsprechenden
Anlageformen und Finanzinstrumente sowie mit Begründung)?

5. Was stellt für die Bundesregierung ein „überschaubares Risiko“ dar, bzw.
welchen Risikobegriff favorisiert die Bundesregierung (bitte mit Begrün-
dung)?

6. Was erachtet die Bundesregierung als für die Verbraucher bzw. Anleger
„verständlich“, „einfach“ und „transparent“ bezogen auf eine Wertpapier-
oder Sparanlage (bitte mit Beispielen)?

7. Welche Position nimmt die Bundesregierung bezüglich der Einführung
einer Art Finanz-TÜV ein, der alle Finanzinstrumente dahingehend unter-
sucht, ob diese gesamtwirtschaftlich sinnvoll, ein überschaubares Risiko
haben und für Verbraucher verständlich sind (bitte mit Begründung)?

8. Inwiefern geht die Bundesregierung davon aus, dass die Stiftung Warentest
diese „TÜV-Funktion“ beim Check von Finanzinstrumenten zukünftig im
Hinblick auf Personalausstattung, entsprechende Fachkenntnisse sowie auf
die geplanten finanziellen Mittel erfüllen kann und wird (bitte mit Begrün-
dung)?

9. Hält die Bundesregierung den Zuschuss über 1,5 Mio. Euro für ausreichend,
insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Vorstand der Stiftung, Huber-
tus Primus, ausführt, es könne passieren, dass die Stiftung Warentest trotz
der Finanzspritze an anderer Stelle sparen muss (vgl. WELT ONLINE vom
5. März 2012, „Verbraucherschützer geißeln neuen Finanz-TÜV“) (bitte
mit Begründung)?

10. Welche Sanktionsmöglichkeiten hat bzw. soll zukünftig die Stiftung Waren-
test erhalten, um ein schädliches Finanzinstrument oder eine schädliche
Anlageform zu kennzeichnen oder gar aus dem Verkehr zu ziehen (bitte mit
Begründung)?

11. Wäre es aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, einer Einrichtung nicht nur
Aufsichtsfunktion, sondern auch die Kompetenz zukommen zu lassen, die
Zulassung bestimmter Finanzinstrumente zu verweigern bzw. bestimmte
Finanzprodukte vom Markt zu nehmen (bitte mit Begründung)?

12. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem Vorschlag, eine eigen-
ständige, unabhängige Verbraucherschutzbehörde zur Regulierung der
Anlageformen und Finanzinstrumente zu schaffen, die in der Struktur von
der Solvenzaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) getrennt ist (bitte mit Begründung)?

13. Sind der Bundesregierung neben Standard Life 3 weitere Fonds mit glei-
chen oder ähnlichen Anlageprinzipien bekannt (bitte nach Name, Anlage-
prinzip, KAG, Fondsgröße, seit wann auf dem Markt, wie viele Anleger

aufschlüsseln)?

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14. Welche Geschäfte bzw. Finanzinstrumente von anderen Banken oder Ver-
sicherungen sind der Bundesregierung bekannt, da laut „SPIEGEL
ONLINE“ vom 5. Februar 2012 „auch andere Institute […] morbide Ge-
schäfte mit Lebensversicherungen“ machen (bitte nach KAG, Name, Struk-
tur, Anlageschwerpunkt, Kosten, Volumen, Anlegerzahl aufschlüsseln)?

15. Wie ist der Zweitmarkt für Lebensversicherungen strukturiert (Anzahl der
Anbieter, größte Anbieter, Fondsvolumen, Umsatz; bitte aktuelle Zahlen),
auf dem reale Lebensversicherungen aufgekauft werden?

16. Welche offenen und geschlossenen Investmentfonds sind der Bundesregie-
rung bekannt, die reale Lebensversicherungen aufkaufen?

Wie sind die Portfolios dieser Fonds strukturiert, wie groß sind die jeweili-
gen Fondsvolumen?

17. Wie gedenkt die Bundesregierung auf die Warnungen der BaFin zu reagie-
ren, dass Anleger beim Verkauf von Lebensversicherungen aufpassen müs-
sen, um nicht auf die zahlreichen unseriösen Ankauf-Offerten mit hohen
Renditeversprechen hereinzufallen (vgl. WirtschaftsWoche online vom
11. März 2012, „Finger weg bei Top-Renditen“) (bitte mit Begründung)?

18. Inwieweit plant die Bundesregierung einen regulatorischen Eingriff, im
Sinne von mehr Transparenz und Offenlegungspflichten bis hin zum Verbot
von unseriösen Angeboten, auf dem grauen Zweitmarkt für Versicherungen
vorzunehmen, weil dieser nicht vom Regulierungsgehalt des Gesetzes zur
Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts
umfasst wird (bitte mit Begründung)?

19. Werden Fonds wie Standard Life 3 auch im Rahmen der staatlich geförder-
ten Altersvorsorge eingesetzt, beispielsweise bei fondsgebundenen Renten-
versicherungen oder Fondssparplänen (bitte mit Begründung)?

20. Werden Lebensversicherungsfonds oder Fonds, die (unter anderem) aufge-
kaufte Versicherungen in ihren Portfolios haben, in der staatlich geförderten
Altersvorsorge eingesetzt (bitte mit Begründung)?

21. Liegen aus Sicht der Bundesregierung Erkenntnisse über einen Prospekt-
und Beratungsfehler vor oder gibt es diesbezügliche Hinweise, weil viele
Anleger des Fonds Kompass Life 3 mittlerweile angeben, gar nicht gewusst
zu haben, in was genau sie investieren?

22. Welche Informationen hat die Bundesregierung dahingehend, ob sich die
Referenzgruppe von 500 Personen freiwillig gemeldet hat, und ob diese
eine Entschädigung bekommen haben, und wie hoch die Entschädigung ge-
gebenenfalls war?

23. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass ein Fondsangebot wie
„db Kompass Life 3“, das auf das frühzeitigere Ableben von Menschen wet-
tet, Anreize zur Tötung von Menschen setzt und damit auch strafrechtlich
sanktioniert werden sollte (bitte mit Begründung)?

24. Stellt ein solcher Fonds aus Sicht der Bundesregierung ebenso wie für die
Ombudsstelle beim privaten Bankenverband einen Verstoß gegen die guten
Sitten und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde dar (bitte mit Be-
gründung)?

25. Ist ein Fonds wie der Standard Life 3 nach Auffassung der Bundesregierung
mit den Grundlinien ethischen Investments vereinbar, auch in Anbetracht
der Tatsache, dass die Bundesregierung nach eigenen Angaben grundsätz-
lich Finanzanlagen, die an ethisch-nachhaltigen Grundsätzen ausgerichtet
sind, begrüßt (bitte mit Begründung)?

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26. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um z. B. Fonds, die gegen die gu-
ten Sitten verstoßen oder andere ethische Grundsätze missachten, gar nicht
erst auf den Markt zu lassen bzw. vom Markt zu entfernen, oder überlässt
sie diese Feststellung eines Verstoßes alleinig den Zivilgerichten?

Welche regulatorischen Maßnahmen hält die Bundesregierung hierfür ge-
eignet, und welche favorisiert sie davon (bitte mit Begründung)?

27. Ist es aus Sicht der Bundesregierung ausreichend, sich darauf zu verlassen,
dass Banken solche Finanzinstrumente nicht auf den Markt bringen oder sie
wieder vom Markt nehmen, wenn sie sich der „einhergehenden Gefahr von
Reputationsverlusten“ bewusst werden (so die Antwort der Bundesregie-
rung auf die Schriftliche Frage 28 des Abgeordneten Harald Koch auf
Bundestagsdrucksache 17/8699) (bitte mit Begründung)?

28. Welchen ethischen, ökologisch-nachhaltigen und/oder sozialen Grundprin-
zipien sollten Investments nach Ansicht der Bundesregierung unterliegen
(bitte mit Begründung)?

29. Sollten diese Prinzipien nach Auffassung der Bundesregierung einheitlich
rechtlich fixiert werden (bitte mit Begründung)?

Wie beurteilt die Bundesregierung z. B. einen Nachhaltigkeitskodex oder
einen Ethikkodex?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Kontext den Verzicht auf
Streumunition?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Kontext den Verzicht auf aus-
beuterische Kinderarbeit?

32. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Kontext Verstöße gegen Kern-
arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)?

33. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Kontext Verstöße gegen öko-
logische Prinzipien (wie in Artenschutzabkommen fixiert oder die Ableh-
nung von Atomenergie)?

34. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Kontext Verstöße gegen so-
ziale Prinzipien sowie demokratische Grundrechte und Menschenrechte?

35. Welche sonstigen, hier nicht aufgeführten, negativen Anlagekriterien bzw.
Maßstäbe hält die Bundesregierung für sinnvoll, und welche für unverzicht-
bar (bitte mit Begründung)?

36. Dürfen Finanzinstrumente, die gegen solcherart Kriterien verstoßen, nicht
auf den Markt gelangen oder müssen unverzüglich vom Markt genommen
werden, oder reicht es aus Sicht der Bundesregierung aus, dass derlei Inves-
titionen nicht mehr als „nachhaltig“ oder „ethisch“ deklariert werden dürfen
(bitte mit Begründung)?

37. Welche positiven Anlagekriterien, wie sie unter anderem das Forum Nach-
haltige Geldanlagen aufführt, hält die Bundesregierung für unverzichtbar
im Zuge der Stärkung nachhaltiger Geldanlagen (bitte einzeln aufführen
und begründen)?

38. Welche Schritte zur Förderung ethischer, ökologischer und/oder sozialer In-
vestments unternahm die Bundesregierung seit der diesbezüglichen Anhö-
rung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 4. Juli 2011?

39. Welche Schritte zur Förderung solcher Investments sind von der Bundesre-
gierung noch geplant, und welche diesbezüglichen EU-rechtlichen Vorga-
ben gilt es noch umzusetzen (bitte mit Begründung)?

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40. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem Ergebnis einer Studie
von „Faktenkontor GmbH“ in Zusammenarbeit mit „Toluna SAS“, wonach
nur knapp 4 Prozent der Bundesbürger ihre Anlagequellen danach aus-
suchen, ob sie ethischen Aspekten entsprechen und beispielsweise ökolo-
gische oder soziale Ziele verfolgen (bitte mit Begründung)?

41. Wie kann nach Meinung der Bundesregierung das lückenhafte Wissen der
deutschen Anleger über nachhaltige und ethische Investments verbessert
werden (vgl. Ecostamp online vom 1. Februar 2012, „Deutsche Anleger
schreiben Nachhaltigkeit noch klein“) (bitte mit Begründung)?

42. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass es dahin-
gehend, was unter „nachhaltiger“ und „ethischer“ Geldanlage verstanden
wird, ganz unterschiedliche Entwicklungen und Sprachgebrauche gibt, und
welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um einer einheit-
licheren Begriffsbildung sowie einheitlichen Anforderungen näherzukom-
men (bitte mit Begründung)?

43. Wie plant die Bundesregierung die Situation zu verbessern, dass Unterneh-
men unterschiedliche Sozial- und Umweltkennziffern anwenden, um Re-
chenschaft über die Auswirkungen ihrer langfristigen Unternehmenspolitik
zu geben, was die konsequente Anwendung ethikbezogener und/oder nach-
haltiger Aspekte bei der Unternehmensbewertung erschwert (bitte mit Be-
gründung)?

44. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung bezüglich der Forderung
nach Verknüpfung der staatlichen Förderung bestimmter Kapitalanlagen
(z. B. Riester-Rente) mit Nachhaltigkeits- bzw. ethischen und sozialen
Standards (bitte mit Begründung)?

45. Inwieweit darf ein Anleger nach Meinung der Bundesregierung darauf ver-
trauen, dass die Fabriken und Branchen, in die er direkt oder vermittelt über
einen Fonds investiert, die gesetzlichen und internationalen Mindeststan-
dards einhalten (bitte mit Begründung)?

46. Was muss in diesem Zusammenhang vom Wertpapierhandelsgesetz und
was vom Anleger selbst bestimmt werden (bitte mit Begründung)?

Berlin, den 23. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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