BT-Drucksache 17/9065

Iran: Sanktionsspirale beenden - Kriegsgefahr stoppen - Neuen Anlauf zum umfassenden Dialog wagen

Vom 21. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9065
17. Wahlperiode 21. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der
Fraktion DIE LINKE.

Iran: Sanktionsspirale beenden – Kriegsgefahr stoppen – Neuen Anlauf
zum umfassenden Dialog wagen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die am 23. Januar 2012 von der Europäischen Union (EU) beschlossenen Sank-
tionen gegen Iran behindern eine mögliche Dialoglösung im Atomkonflikt mit
Iran. Ein Weiterdrehen der Sanktionsspirale verschärft den Konflikt. Daraus
kann eine Eskalation der schon bestehenden politischen Spannungssituation bis
hin zu militärischen Auseinandersetzungen folgen. Der Importstopp für ira-
nisches Erdöl und das nahezu vollständige Handelsverbot mit der iranischen
Zentralbank werden die iranische Wirtschaft und damit auch die Bevölkerung,
die schon heute unter einer gigantischen Inflation leidet, massiv treffen. Von den
Sanktionen profitieren vor allem Gruppierungen wie die Revolutionsgarden, die
weite Teile des Schwarzmarktgeschäftes kontrollieren.

Die Verengung auf den Atomkonflikt behindert eine aufrichtige und ergebnis-
orientierte Befassung mit der katastrophalen Menschrechtslage in Iran. Das ira-
nische Regime lässt jedes Jahr hunderte Menschen hinrichten. Politisch Aktive,
Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen und Kunstschaffende werden unter
fadenscheinigen Gründen verhaftet, verurteilt oder mit einem Berufsverbot be-
legt. Frauen sind vor dem Gesetz nicht gleich und von voller gesellschaftlicher
Partizipation ausgeschlossen. Homosexuelle werden mit der Todesstrafe be-
droht. Ethnische und religiöse Minderheiten werden unterdrückt, Wahlen sind
nicht frei und werden manipuliert, die Pressefreiheit ist massiv eingeschränkt,
Korruption behindert den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt.

All dies ist auf der Agenda der Bundesregierung und ihrer westlichen Verbünde-
ten weit nach hinten gerückt. Vor dem Hintergrund der jetzt beschlossenen Sank-
tionen, die sich vor allem negativ auf die Lebenssituation der iranischen Bevöl-

kerung auswirken, verlieren Aufrufe an die iranische Regierung zur Einhaltung
der Menschenrechte von Seiten der Bundesregierung nicht nur jegliche Glaub-
würdigkeit. Die neuen Sanktionen liefern der iranischen Regierung willkom-
mene Vorwände, unter Verweis auf eine äußere Bedrohung die Meinungs- und
Pressefreiheit weiter einzuschränken und oppositionelle Kräfte noch stärker zu
unterdrücken. Insofern leistet die derzeitige Politik des Westens einen negativen
Beitrag zur Menschenrechtssituation im Iran.

Drucksache 17/9065 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Das Recht Irans auf die zivile Nutzung der Atomenergie ist nach dem Atomwaf-
fensperrvertrag unstrittig. Anlass für die neuen Sanktionen ist der letzte Bericht
der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) vom 18. November 2011,
in dem die Wiener Behörde Vermutungen über ein mögliches Atomwaffenpro-
gramm des Iran anstellt. Eigene Hinweise für die Existenz eines aktuellen irani-
schen Atomwaffenprogramms hat die IAEO allerdings nicht. Dies räumte auch
der Direktor der IAEO, Yukiya Amano, am 18. Januar 2012 bei einem Treffen
mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages ein. Lediglich zwei Hinweise
von nationalen Geheimdiensten würden auf mögliche atomwaffenrelevante
Aktivitäten in den letzten Jahren hindeuten. Auch die IAEO kommt in ihrem
Bericht vom November 2011 zu dem Schluss, dass ein mögliches Atomwaffen-
programm Irans Ende 2003 wohl eingestellt wurde. Selbst nach Einschätzung
der US-Geheimdienste verfolgt Iran aktuell kein Atomwaffenprogramm, wie die
„New York Times“ am 24. Februar 2012 berichtete.

Iran hat bis 2003 möglicherweise ein umfangreiches militärisches Atompro-
gramm unterhalten und sich bis heute nicht befriedigend dazu geäußert. Gleich-
zeitig legt Iran den IAEO-Inspektoren weiterhin nicht alle notwendigen Infor-
mationen vor und verweigert bis heute die Anwendung des Zusatzprotokolls des
Atomwaffensperrvertrages, nach dem weit strengere Kontrollen möglich sind.
In den vergangenen Jahren haben es sowohl der Iran als auch der Westen mehr-
fach versäumt, mögliche Kompromisswege anzunehmen.

Die aktuelle Situation im Nuklearstreit mit Iran erinnert auch an den Vorabend
des Krieges gegen Irak 2003. Damals dienten unbelegte Vorwürfe nationaler Ge-
heimdienste über ein angebliches Biowaffenprogramm als eine zentrale Recht-
fertigung für Sanktionen und schließlich eines völkerrechtswidrigen Angriffs-
krieges gegen Irak. All diese Vorwürfe haben sich im Nachhinein als falsch
herausgestellt. Da Geheimdienstinformationen meist nicht unabhängig über-
prüfbar sind, müssen sie immer mit Skepsis bewertet werden.

Mit dem Importstopp für Erdöl und den Zentralbank-Sanktionen ist fast die
höchste Sanktionsstufe erreicht. Sollten diese Sanktionen Iran nicht zum Einlen-
ken bewegen, besteht die Gefahr einer schnellen Eskalation bis hin zum Krieg.
Dessen Folgen für die iranische Bevölkerung, die Freiheitsbewegungen in der
arabischen Welt, die Stabilität des Nahen und Mittleren Ostens, für den is-
raelisch-palästinensischen Friedensprozess sowie für den Weltfrieden wären
verheerend. Die Entsendung zusätzlicher Kriegsschiffe in die Golfregion, die of-
fenen militärischen Drohungen sowohl aus dem Westen wie aus Iran sowie die
antiisraelische Propaganda von Seiten der iranischen Führung verschärfen den
Konflikt weiter und machen einen verheerenden Krieg am Golf immer wahr-
scheinlicher.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass Iran auf den verstärkten Druck mit Kompro-
missbereitschaft reagieren wird. Die friedliche Nutzung der Atomkraft wird in-
nerhalb der iranischen Bevölkerung als unveräußerliches Recht wahrgenom-
men. Westliche Sanktionen stärken daher in Iran die Wahrnehmung, dass die
USA und die EU das Land am technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt
hindern möchte oder mit ihnen sogar einen Militärschlag propagandistisch vor-
bereitet. Das auf Grund der historischen Erfahrungen gewachsene iranische
Misstrauen gegenüber „dem Westen“ wird damit verstärkt. Es erhält auch neue
Nahrung durch die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler und Sabotage-
akte gegen militärische und atomare Einrichtungen, die uneingeschränkt zu ver-
urteilen sind. Die Strafmaßnahmen werden die inneriranischen Reihen eher
schließen. Eine kritische Diskussion über den volkswirtschaftlichen Nutzen
eines Atomprogramms, wie sie in Ansätzen bereits stattgefunden hat, wird
unmöglich, wenn das Programm als eine Frage des nationalen Prestiges und der

Selbstbehauptung wahrgenommen wird.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9065

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. verbindlich zu erklären, dass sich Deutschland in keiner Art und Weise, ins-
besondere auch nicht durch die Einräumung von Überflugrechten, an einer
militärischen Aktion gegen den Iran beteiligen wird und auch in der Organi-
sation des Nordatlantikvertrags (NATO) gegen eine mögliche Beteiligung
der NATO ein Veto einlegen wird;

2. sich in der EU für die Rücknahme der am 23. Januar 2012 beschlossenen, auf
die iranische Öl- und Finanzwirtschaft zielenden Handelssanktionen sowie
aller anderen Sanktionen, die direkt oder indirekt die iranische Bevölkerung
treffen, einzusetzen;

3. im Gouverneursrat der IAEO eine Entscheidung herbeizuführen, nach der
künftig in IAEO-Berichten keine Anschuldigungen aufgenommen werden,
die ausschließlich von nationalen Geheimdiensten stammen und nicht durch
eigene Befunde oder Informationen der IAEO gestützt werden;

4. sich im Rahmen der 5+1-Gruppe für einen Verhandlungsansatz gegenüber
Iran einzusetzen, der aktiv iranische Sicherheitsinteressen aufgreift und Si-
cherheitsgarantien für Iran und Israel beinhaltet; Ziel könnte ein Nichtan-
griffsabkommen zwischen den USA, Israel und Iran sein;

5. sich verstärkt für die Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone im Nahen
und Mittleren Osten einzusetzen und Rüstungsexporte in die Region nicht
mehr zu genehmigen;

6. den suspendierten Menschenrechtsdialog zwischen der Bundesregierung und
Iran wieder aufzunehmen;

7. politische Flüchtlinge aus Iran entsprechend den Anfragen des Hohen Flücht-
lingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) aufzunehmen (Resettle-
ment) und sich gegenüber den Ländern für einen Abschiebestopp in Bezug
auf Iran und eine entsprechende Bleiberechtsregelung für Schutzsuchende
aus Iran einzusetzen und ihr Einvernehmen hierzu zu erklären.

Berlin, den 21. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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