BT-Drucksache 17/8939

Wiedergutmachungsleistungen für italienische Militärinternierte und Opfer von Besatzungsverbrechen in Italien und Griechenland

Vom 8. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8939
17. Wahlperiode 08. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Heidrun Dittrich, Annette Groth, Andrej Hunko, Petra Pau,
Jens Petermann, Raju Sharma, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion
DIE LINKE.

Wiedergutmachungsleistungen für italienische Militärinternierte und Opfer von
Besatzungsverbrechen in Italien und Griechenland

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat im Februar dieses Jahres der Klage der
Bundesrepublik Deutschland gegen Italien wegen Verletzung der Staatenimmu-
nität stattgegeben. Die Bundesregierung war gegen Entscheidungen der italieni-
schen Justiz vorgegangen, die eine Entschädigung von NS-Opfern durch die
Bundesrepublik Deutschland gefordert hatte.

Obwohl unbestritten ist, dass die Menschen, die eine Entschädigung fordern,
Opfer deutscher Besatzungsverbrechen geworden bzw. deren Hinterbliebene
sind, wollte die Bundesregierung ihnen keine Entschädigung gewähren. Sie ver-
wies teilweise auf das Globalabkommen mit Italien aus den 60er-Jahren. Dieses
Abkommen betraf aber nur Personen, die „aus Gründen der Rasse, des Glaubens
oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen“
betroffen waren. Die Menschen, um die es beim Prozess in Den Haag ging,
fielen jedoch nicht unter diese Kategorie, sondern waren entweder als Militär-
internierte ihrer Rechte als Kriegsgefangene beraubt und zur Zwangsarbeit ver-
schleppt, oder Opfer von Geiselerschießungen, Kollektivstrafen und anderen
Verbrechen der deutschen Truppen. Sie blieben bislang von Entschädigungen
ausgeschlossen. Zuerst wurden sie auf einen Zeitpunkt nach einem Friedensver-
trag vertröstet, nach 1990 hieß es, es sei nun zu spät. So sahen sie sich schließlich
gezwungen, ihre Ansprüche vor Gerichten geltend zu machen. Deutsche Ge-
richte wiesen sie zurück, aber in Griechenland und Italien waren sie erfolgreich.

Mit der Klage vor dem IGH ist die Bundesregierung nun jedoch mit ihrer Ent-
schädigungsverweigerung durchgekommen. Der Arbeitskreis Distomo kommen-
tierte, „in Berlin dürften heute die Sektkorken knallen“, da die Bundesregierung
nicht mehr gewärtigen müsse, „für die Verbrechen Nazi-Deutschlands Verant-
wortung übernehmen zu müssen und die Opfer zu entschädigen.“ Die Menschen-
rechtsorganisation Amnesty International bewertet das Urteil als „großen Rück-
schritt für den internationalen Menschenrechtsschutz.“

Aus der Urteilsbegründung wird allerdings deutlich, dass der IGH, ungeachtet

seiner aus formalen Gründen ergangenen Entscheidung, die Entschädigungs-
politik der Bundesregierung kritisch sieht: „Der Gerichtshof betrachtet es als
überraschenden Umstand – und bedauert – dass Deutschland entschieden hat, jeg-
liche Entschädigung“ für bestimmte Opfergruppen zu verweigern (Nummer 99
der Urteilsbegründung). Er geht selbst von einer Entschädigungslücke aus und
regt an, durch weitere Verhandlungen die Angelegenheit zu lösen (Nummer 104).

Drucksache 17/8939 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Entwicklungen hat es seit der Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/6923
vom 6. September 2011) hinsichtlich der Entschädigungsforderungen ita-
lienischer und griechischer NS-Opfer in Italien gegeben?

2. Ergingen seither weitere rechtskräftige Urteile (bitte gegebenenfalls Ent-
scheidungsgründe, Gegenstand der Klage, erkennendes Gericht sowie gege-
benenfalls zugesprochenen Entschädigungssummen nennen)?

3. Wie viele weitere, noch nicht rechtskräftigen Urteile sind seither ergangen
(bitte analog zu Frage 2 beantworten)?

4. Wie viele weitere Klagen sind seither eingereicht worden?

a) Vor welchen Gerichten werden diese verhandelt?

b) Welche Hauptgründe nennen die Kläger dabei (bitte jeweils angeben, um
welches konkrete NS-Verbrechen es geht)?

c) Soweit konkrete Entschädigungsforderungen beziffert sind: Auf welche
Summen belaufen sich diese Forderungen, und in wie vielen dieser Ver-
fahren soll das jeweilige Gericht die Entschädigungshöhe festsetzen?

5. Ist die auf Bundestagsdrucksache 17/6923 (Antwort zu Frage 4) erwähnte
Entscheidung des Kassationsgerichts mittlerweile ergangen, und wenn ja,
was ist ihr Tenor, und was ergibt sich daraus für die Frage der Drittschuld-
nereigenschaft der italienischen Bahnen?

6. Hat die Bundesregierung nach dem Urteil des IGH Gespräche mit der italie-
nischen Regierung geführt hinsichtlich der Umsetzung des Urteils in Italien,
und wenn ja,

a) was genau war Inhalt dieser Gespräche,

b) wann haben diese stattgefunden,

c) welche Regierungsvertreter waren daran beteiligt,

d) welche, auch informellen, Übereinkünfte wurden dabei verabredet, fest-
gestellt oder bestätigt?

7. Welche Schritte will die italienische Regierung nach dem Kenntnisstand der
Bundesregierung unternehmen, um die Entscheidung des IGH umzusetzen?

8. Ist die Bundesregierung bereit, den Hinweis des IGH, es sei eine „matter of
surprise“, dass aus dem deutschen Entschädigungsrecht bestimmte Katego-
rien von NS-Opfern herausdefiniert worden sind, ernst zu nehmen und für
Abhilfe zu sorgen (bitte begründen), und wenn ja, welche Schritte erwägt
sie dabei?

9. Ist die Bundesregierung bereit, zuzugestehen, dass beispielsweise Opfer
von Massakern durch deutsche Truppen bzw. Opferangehörige von den For-
mulierungen des Globalabkommens mit Italien, das sich nur auf Verbrechen
„aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ bezieht,
in der Regel nicht erfasst sind und auch nicht aufgrund anderer Regelungen
von Deutschland entschädigt wurden, und wenn ja, was will sie unterneh-
men, um auch diesen NS-Opfern eine wenigstens symbolische Entschädi-
gung zukommen zu lassen?

10. Ist die Bundesregierung bereit, den NS-Opfern Gespräche über Entschädi-
gungsregelungen oder humanitäre Leistungen anzubieten, und wenn ja, in
welchem Umfang, und wie will sie diese Absicht umsetzen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8939

11. Welche weiteren Konsequenzen sind aus Sicht der Bundesregierung von ihr
selbst sowie von der italienischen Regierung aus dem Urteil des IGH zu
ziehen?

12. Inwiefern hat die Entscheidung des IGH nach Einschätzung der Bundes-
regierung Auswirkungen auf die Tendenz im Internationalen Recht, den In-
dividualrechtsschutz gegen Staatsverbrechen zu stärken?

Berlin, den 8. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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