BT-Drucksache 17/8792

Wer Schulden bremsen will, muss Millionäre besteuern

Vom 29. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8792
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, Karin Binder,
Werner Dreibus, Eva Bulling-Schröter, Harald Koch, Ulla Lötzer, Dorothee
Menzner, Michael Schlecht, Sabine Stüber, Johanna Voß, Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

Wer Schulden bremsen will, muss Millionäre besteuern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland nimmt unbeschadet
der Finanz- und Eurokrise weiter zu. Sie ist das Ergebnis einer seit Jahren fort-
gesetzten Umverteilungspolitik von unten nach oben und zugleich eine der
wesentlichen Ursachen für die Krise. Die Kosten der Krise belasten die öffent-
lichen Haushalte immens. Deren Sanierung muss nicht nur aus sozialen, son-
dern auch aus wirtschaftspolitischen Gründen durch eine Erhöhung der Steuer-
einnahmen erfolgen. Letztere wirken umso gerechter und effektiver, je ziel-
genauer die Verursacher der Krise damit belastet werden. Das gilt unter den
Bedingungen, die die ökonomisch unsinnige Schuldenbremse setzt, umso drin-
gender, damit diese nicht zur Zukunftsbremse wird. Daher ist es sowohl ein Ge-
bot der Gerechtigkeit als auch eines zur Bewältigung der Krise, die Eigentüme-
rinnen und Eigentümer der großen Vermögen zur Finanzierung der öffentlichen
Hand heranzuziehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Vermögensteuer als Millionärsteuer
wieder einführt. Als Vermögen werden zum Stichtag 31. Dezember 2012 die
Summe der privaten Geldvermögen und der Verkehrswerte der privaten Immo-
bilien- und Sachvermögen festgestellt. Vom Vermögen werden private Verbind-
lichkeiten abgezogen. Das so ermittelte gesamte Nettovermögen einer Person
(Individualbesteuerung) bleibt bis zu einem Betrag von 1 000 000 Euro steuer-
frei. Das oberhalb von 1 000 000 Euro liegende Vermögen wird mit einem
Steuersatz von 5 Prozent besteuert.

Berlin, den 29. Februar 2012
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/8792 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Laut Berechnungen des Bankenverbands betrug das Nettovermögen (Geld- und
Immobilienvermögen abzüglich Kreditschulden) der privaten Haushalte in
Deutschland im dritten Quartal 2011 rund 8,2 Bio. Euro. Das entspricht fast dem
Vierfachen der deutschen Staatsverschuldung in Höhe von knapp 2,1 Bio. Euro.
Dieses Vermögen ist höchst ungleich verteilt und die Ungleichverteilung
wächst: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
e. V. (DIW Berlin) ist der Anteil des reichsten Zehntels der Bevölkerung allein
im Zeitraum von 2002 bis 2007 um 3,2 Prozentpunkte auf über 61 Prozent an-
gestiegen. Demgegenüber sank der Anteil der untersten 70 Prozent im gleichen
Zeitraum um rund 1,5 Prozentpunkte auf unter 9 Prozent.

Die wachsende Kluft bei der Vermögensverteilung zeigt sich auch bei der
Entwicklung der Zahl der Euro-Vermögensmillionäre in Deutschland. Mit
829 000 Millionären erreichte diese laut dem D.A.CH-Vermögensreport 2011
der Liechtensteiner Valluga AG im Jahr 2010 einen neuen Rekord. Die Millio-
näre verfügten im Jahr 2010 über ein Gesamtvermögen in Höhe von rund 2 200
Mrd. Euro (ohne eigengenutzte Immobilien), was einem Anstieg um 8,8 Pro-
zent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Im Schnitt konnten Millionäre in
Deutschland seit 2003 ihr Vermögen um 8 Prozent pro Jahr steigern, Milliar-
däre sogar um 10 Prozent. Die seit 2008 tobende Finanzkrise hat am Trend der
immer reicher werdenden Superreichen nichts geändert, im Gegenteil, sie hat
ihn sogar beschleunigt.

Die primäre Ursache für die ungleiche Vermögensentwicklung ist die immer
mehr auseinander klaffende Schere bei der Einkommensentwicklung. Laut Be-
rechnungen des DIW sanken die Reallöhne im Zeitraum zwischen 2000 und
2010 insgesamt um über 4 Prozent. Am unteren Ende, bei den ärmsten 10 Pro-
zent der Lohnempfängerinnen und -empfänger sanken sie im selben Zeitraum
sogar um über 19 Prozent. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stie-
gen dagegen im selben Zeitraum jedes Jahr um durchschnittlich 4 Prozent. Preis-
bereinigt nahmen diese über den ganzen Zeitraum um knapp 31 Prozent zu.

Zur wachsenden Ungleichverteilung des Vermögens hat auch die steuerliche
Privilegierung der Reichen beigetragen, nicht zuletzt durch die Aussetzung der
Vermögensteuer seit 1997. Kaum ein Land erzielt bei den vermögensbezogenen
Steuern (Grund-, Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungs- sowie Vermögens-
verkehrsteuern) so geringe Einnahmen wie Deutschland – laut der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) betrug deren
Anteil am Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2009 0,9 Prozent. Das ist gerade mal
die Hälfte des damaligen Durchschnitts der OECD-Länder (1,8 Prozent) und
rund ein Drittel des der EU-27-Länder (2,6 Prozent). Laut einer im Juli 2009
veröffentlichten DIW-Studie könnte die Vermögensteuer schon bei einem Steuer-
satz von 1 Prozent und einem Freibetrag von 500 000 Euro Staatseinnahmen
von 16 bis 21 Mrd. Euro erzielen. Vorsichtig geschätzt, wird bei Umsetzung
des vorliegenden Antrags mindestens ein Steueraufkommen von bis zu 80 Mrd.
Euro erzielt.

Die Konzentration immer größerer Vermögen hat maßlose Spekulation und
überbordende Renditeerwartungen angeheizt. Sie ist damit eine der zentralen
Ursachen für die Finanzkrise. Deren Folgen haben die öffentlichen Haushalte
immens belastet. Laut Eurostat stiegen allein in Deutschland die öffentlichen
Bruttoschulden zwischen 2007 und 2010 von knapp 1,6 Bio. Euro auf fast
2,1 Bio. Euro – das ist ein Anstieg um nahezu ein Drittel innerhalb von drei
Jahren.

Nunmehr soll, nach dem Willen der Bundesregierung, aber auch unter Befür-
wortung zahlreicher, darunter rot-grüner, Landesregierungen, die durch Banken-

rettung und Konjunkturprogramme aufgeblähte öffentliche Verschuldung mit-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8792

tels sogenannter Sparprogramme, d. h. im Klartext Ausgabenkürzungen, abge-
baut werden. Zur Rechtfertigung wird dabei auf die von den Fraktionen der
CDU/CSU, FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grundgesetzlich ver-
ankerte Schuldenbremse zurückgegriffen. Mit dieser hat sich die Bundesrepu-
blik Deutschland über einen relativ eng gesteckten Rahmen hinaus ein Verbot
auferlegt, neue Schulden aufzunehmen. Spar- und Kürzungszwänge sollten so
verfassungsrechtlich festgeschrieben werden. Entsprechend wurden die Gren-
zen der Schuldenbremse festgelegt, so gut wie ohne Berücksichtigung konjunk-
tureller oder anderer wirtschafts- und sozialpolitischer Erfordernisse. Unter
Rückgriff auf den vermeintlichen Sachzwang der Schuldenbremse werden nun
Ausgabenkürzungen begründet, die insbesondere zu Lasten von ärmeren Bürge-
rinnen und Bürgern gehen. Bezieherinnen und Bezieher von geringen und mitt-
leren Einkommen werden so letztlich die Kosten für maßlose Spekulation und
überzogene Renditeerwartungen aufgebürdet.

Damit setzen Bund und Länder ihren falschen Kurs von vor der Krise fort. Die
Ursachen von Finanz- und Eurokrise sowie für die öffentliche Verschuldung
sind nicht auf überbordende Staatsausgaben zurückzuführen. Vielmehr hat die
seit über einem Jahrzehnt praktizierte Steuersenkungspolitik, zugunsten von
Reichen, Vermögenden und großen Unternehmen, Milliardenlöcher in die
öffentlichen Haushalte gerissen. Die mit den Löchern begründeten öffentlichen
Ausgabenkürzungen haben die Binnennachfrage geschwächt, und somit
Wachstum und Beschäftigung gekostet. Im Ergebnis haben sie auch die Haus-
haltslöcher nur vergrößert. Nach Berechnungen des Düsseldorfer Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) würden Bund, Länder und
Gemeinden heute pro Jahr 51 Mrd. Euro mehr an Steuern einnehmen, wenn
noch die Steuergesetze von 1998 gälten.

Aus Schulden können sich die öffentlichen Haushalte aber nicht heraus sparen.
Sie können nur aus ihnen herauswachsen. Wenn die Schuldenbremse nun
herangezogen wird, um Kürzungen im sozialen Bereich durchzuführen und
dringend notwendige Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau zu
blockieren, wird so letztlich wieder nur das Wirtschaftswachstum und die
Sanierung der öffentlichen Haushalte ausgebremst. Die Schuldenbremse wird
so zur Zukunftsbremse.

Doch die Schuldenbremse ist keine Einbahnstraße in Richtung Haushaltssanie-
rung durch Ausgabenkürzungen. Sie kann auch durch Steuermehreinnahmen
eingehalten werden. Die Millionärsteuer ist dafür ideal geeignet: Sie entzieht
den Reichen und Vermögenden Mittel, die diesen damit nicht mehr für die Spe-
kulation auf den Finanzmärkten zur Verfügung stehen. Damit leistet sie zu-
gleich einen Beitrag für mehr Gerechtigkeit: Sie belastet diejenigen, die von der
jahrelangen Umverteilungspolitik von unten nach oben profitiert haben, und die
maßgeblich durch ihr Agieren auf den Finanzmärkten die Finanz- und Euro-
krise verursacht haben. Sie verschafft der öffentlichen Hand die dringend benö-
tigten Einnahmen, um Konjunktur und Beschäftigung anzuregen. Nicht zuletzt
gibt sie dem Staat auch die Möglichkeit, seine Schulden langfristig zu reduzie-
ren. In Deutschland sind die Zahlen eindeutig: Die öffentlichen Schulden fallen
mit knapp 2 100 Mrd. Euro geringer als das Vermögen der Millionäre mit min-
destens 2 200 Mrd. Euro aus. Die Millionärssteuer ist die einzig logische Mög-
lichkeit, die Staatsschulden abzubauen.

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