BT-Drucksache 17/8516

Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Schrottimmobilien als Vermögensanlage

Vom 30. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8516
17. Wahlperiode 30. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Ingrid Hönlinger,
Daniela Wagner, Cornelia Behm, Harald Ebner, Bärbel Höhn, Memet Kilic,
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Konstantin von Notz, Friedrich Ostendorff,
Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Schrottimmobilien als
Vermögensanlage

Seit den 90er-Jahren werden systematisch minderwertige Immobilien (soge-
nannte Schrottimmobilien) als Vermögensanlage oder Altersvorsorge über
unterschiedliche Vertriebswege verkauft. Bei diesen Schrottimmobilien ist der
Verkehrswert erheblich geringer als der vom Anleger aufgenommene Kredit.
Kommt es zu einem vorzeitigen Verkauf oder der Verwertung der Immobilie,
erleiden Anleger teils existenzbedrohend hohe Verluste. In Deutschland wurden
bereits Hunderttausende Opfer dieser Erwerbermodelle. Die Geschädigten
suchen nach wie vor rechtlichen und staatlichen Schutz.

Die Finanzierung der Immobilienkredite wurde teilweise von namhaften Kredit-
instituten wie der Deutschen Bausparkasse Badenia AG und der früheren Hypo-
Vereinsbank angeboten. Die Verträge wurden oftmals von sogenannten Mitter-
nachtsnotaren beurkundet, die auch kurzfristig und zu ungewöhnlichen Ge-
schäftszeiten bereit standen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der ehemalige
Berliner Senator für Verbraucherschutz Michael Braun.

So entstand ein Vertriebssystem, das Verbraucherinnen und Verbrauchern die
zwingend notwendige Vorbereitungszeit und Prüfmöglichkeit unter Hinzu-
ziehung von externen Experten erschwert und gesetzliche Schutzregeln unter-
läuft.

Stellen betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher fest, dass der Wert der
Immobilie sehr viel niedriger als angenommen ist, wird aus der Geldanlage ein
lebenslanges Verschuldungsproblem. Bisherige gesetzliche Regeln (vgl. Vorbe-
merkung der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/7666) konnten
den Anlagebetrug mit Schrottimmobilien nicht wirksam verhindern. Präven-
tionsmaßnahmen und Initiativen für mehr Verbraucherschutz sind dringend
geboten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die angesprochene Veräußerungspraxis
von Schrottimmobilien im Vergleich zum Stand der Dinge im Januar 2008.
Sind seitdem Neufälle in nennenswerter Anzahl hinzugekommen?

2. Welche Erkenntnisse aus der Praxis von Überwachungs- oder Aufsichtsgre-
mien liegen der Bundesregierung über rechtswidrige geschäftliche Handlun-
gen und Verbraucher und Verbraucherinnen benachteiligende Vertragsab-
schlüsse bei Immobiliengeschäften vor?

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3. Welche Erkenntnisse aus Gerichts- oder Ermittlungsverfahren über rechts-
widrige geschäftliche Handlungen und Verbraucher und Verbraucherinnen
benachteiligende Vertragsabschlüsse bei Immobiliengeschäften liegen der
Bundesregierung vor?

4. Welche Vertriebswege wurden für den Verkauf dieser Anlagemodelle ge-
nutzt?

Welche Finanzunternehmen waren am Vertrieb beteiligt?

5. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um ihr eklatantes
Erkenntnisdefizit zu sogenannten Strukturvertrieben zu beheben (Antwort
der Bundesregierung zu den Fragen 2, 3, 4 und 5 auf Bundestagsdruck-
sache 17/2287)?

6. Mit welcher Begründung wurden im Rahmen des neuen Vermögensan-
lagengesetzes (VermAnlG) die bisherigen Einschränkungen im Anwen-
dungsbereich des Verkaufsprospektgesetzes weitgehend übernommen und
Vermögensanlagen in § 1 Absatz 2 VermAnlG abschließend definiert, so
dass etwa kreditfinanzierte Immobilien (damit auch sogenannte Schrott-
immobilien) vom Anwendungsbereich ausgenommen sind?

7. In welcher Weise leistet das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagen-
vermittler- und Vermögensanlagenrechts einen Beitrag zum Schutz vor
dem Erwerb von Schrottimmobilien, und wenn nicht, warum hat die Bun-
desregierung die Gelegenheit zum Ausbau des Verbraucherschutzes unge-
nutzt verstreichen lassen?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung, dass Immobilien als An-
lageform, wenn sie mit einem einheitlichen Plan und in organisierter Form
an eine Vielzahl von Anlegerinnen und Anleger vertrieben werden, auch
vom Anwendungsbereich des VermAnlG umfasst und der Prospektpflicht
unterliegen sollten (vgl. Peter Mattil, Rechtanwälte Mattil & Kollegen, in
Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Novellierung des Finanzanlagen-
vermittler- und Vermögenanlagenrechts, S. 4)?

9. Warum griff die Bundesregierung den Vorschlag nicht auf, keine abschlie-
ßende Definition von Vermögensanlagen im Sinne des VermAnlG vorzu-
nehmen, um alle Kapitalanlagen erfassen zu können und hierfür die Frei-
heit des Kapitalverkehrs gemäß Artikel 63 ff. Vertrag über die Arbeits-
weise der Europäischen Union (AEUV) heranzuziehen, die den Verkehr
von Geld- und Sachkapital in erster Linie zu Anlage- oder Investitions-
zwecken umfasst, und sodann alle Beratungs- und Vermittlungsdienstleis-
tungen in diesem Zusammenhang dem VermAnlG zu unterstellen (vgl.
Olaf Methner, Kanzlei Baum, Reuter & Collegen, in Stellungnahme zum
Gesetzentwurf zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermö-
genanlagenrechts, S. 3)?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung das Bedürfnis weitergehender gesetz-
licher Vorgaben für die Bereiche der Kreditvermittlung und der Vermitt-
lung von Anlageimmobilien – im Vergleich zu den derzeitigen – vor dem
Hintergrund, dass zu befürchten ist, dass Marktteilnehmer, die nicht die
durch die Novellierung der Finanzanlagenvermittlung eingeführten Min-
deststandards erfüllen, in diese Marktsegmente ausweichen könnten?

11. Hält die Bundesregierung es für notwendig, durch eine gesetzliche Rege-
lung sicherzustellen, dass jede in den Vertrieb von Immobilien oder Immo-
bilienfondsanteilen eingeschaltete Person, die durch Aufnahme kreditrele-
vanter Daten, Überlassung von Vertragsformularen oder auf sonstige Weise
den Abschluss eines Darlehensvertrags zur Finanzierung des Erwerbs vor-
bereitet oder dazu beiträgt, auch als Erfüllungsgehilfe des finanzierenden

Instituts zu qualifizieren ist, wie dies den Rechtsgrundsätzen außerhalb des
bankvertraglichen Verkehrs durchgehend entspricht?

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12. Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus der Kritik, dass die
finanzierende Bank gesetzlich nicht verpflichtet ist, eine persönliche Ana-
lyse der Vermögensverhältnisse des Kunden vorzunehmen und mögliche
Garantiepflichten zu überprüfen?

13. Beabsichtigt die Bundesregierung die Haftung von finanzierenden Online-
banken, die keinerlei eigene Beratung leisten, neu zu regeln?

Ist beabsichtigt, eine Pflichtversicherung für Vertriebsunternehmen und
Vermittler zur Abdeckung des Haftungsrisikos vorzuschreiben?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Effizienz der Aufsichtsstrukturen
und -tätigkeit bei Immobilienmaklern, Kreditvermittlern und sogenannten
Strukturvertrieben als Gesamtaufgabe von Bund und Ländern im Hinblick
auf einen funktionierenden Verbraucherschutz?

15. Welche Kreditinstitute sind der Finanzaufsicht als Finanzierer sogenannter
Schrottimmobilien bekannt, und welche Maßnahmen zum Schutz der Ver-
braucher und Verbraucherinnen hat die Finanzaufsicht ergriffen?

16. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Verbraucherschutzregeln für kredit-
vermittelte Immobiliengeschäfte und die Rechts- und Finanzaufsicht bei
verbundenen Kreditimmobiliengeschäften zu überarbeiten?

17. Welche wissenschaftlichen Studien hat die Bundesregierung zum Verbrau-
cherschutz beim Immobilienkauf, insbesondere zu Erwerbermodellen im
strukturierten Vertrieb und im Grauen Kapitalmarkt, erstellen lassen, bzw.
welche sind ihr bekannt?

18. Welche rechtlichen und tatsächlichen Maßnahmen zum Schutz der Ver-
braucherinnen und Verbraucher bei Immobiliengeschäften hat die Bundes-
regierung seit dem Jahr 2007 auf den Weg gebracht und evaluiert?

19. Welche Evaluation mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung zu dem
im Jahr 2002 neu eingefügten Absatz 2a in § 17 des Beurkundungsgesetzes
(BeurkG) durchgeführt?

20. In welcher Weise hat die Bundesregierung Erfahrungen zu § 17 Absatz 2a
BeurkG gesammelt, die sie zu der Einschätzung führten, der Verbraucher-
schutz sei damit deutlich verbessert (Antwort der Bundesregierung zu Fra-
ge 18 auf Bundestagsdrucksache 16/7666)?

21. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Bundesnotarkammer, dass
§ 17 Absatz 2a BeurkG in zahlreichen Punkten zu Unsicherheiten führt,
und wie bewertet sie die Anwendungsempfehlungen der Bundesnotarkam-
mer vom 28. April 2003, u. a. zu Hinwirkungspflichten des Notars und zur
Zwei-Wochen-Frist?

22. Wie bewertet die Bundesregierung die Effizienz des § 17 Absatz 2a BeurkG
angesichts der auch im Jahr 2011 weit verbreiteten Praxis sogenannter Mit-
ternachtsnotare, Beurkundungen auch kurzfristig vorzunehmen, und durch
die Verwendung von „Kenntnis- und Erhaltens-Klauseln“ und durch klau-
selmäßige „Verzichte auf Verlesen und Beifügen“ diese Vorschrift syste-
matisch zu unterlaufen?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die Organisation der Notaraufsicht an-
gesichts der Stellungnahme der Berliner Notarkammer, die Aufklärungs-
pflicht der Notare „würde gegen die Ihnen auferlegte Neutralitätspflicht
verstoßen…“ (Berliner Morgenpost vom 5. Dezember 2011, „Vorwürfe ge-
gen Braun“)?

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24. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit der Aufsplittung und
jeweils gesonderten Beurkundung von Immobilienkaufverträgen in Kauf-
angebot und Annahme (sogenannte Sukzessivbeurkundungen) und so-
genannte Fernbeurkundungen mittels vollmachtloser Vertreter, und beab-
sichtigt sie eine gesetzliche Neuregelung zum Schutz der Verbraucherinnen
und Verbraucher?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die weit verbreitete Praxis, dass nicht
der Notar, sondern Vertriebsorganisationen den beabsichtigten Vertragstext
beim Immobilienkauf an den Verbraucher übermitteln?

Sollte die Übermittlung des Vertragstextes in der Hand des Notars liegen?

26. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, wie oft und aus
welchen Gründen von der Regelfrist gemäß § 17 Absatz 2a BeurkG abge-
wichen wird, und welche Schlussfolgerung zieht sie daraus?

27. Wie bewertet die Bundesregierung die Einführung einer Vermerkpflicht bei
einer Abweichung von der Zwei-Wochen-Frist gemäß § 17 Absatz 2a
BeurkG, wie sie auch von der Bundesnotarkammer empfohlen wird?

28. Liegen der Bundesregierung Erhebungen vor, aus denen erkennbar wird,
wie oft und wann Notare zur Nachtzeit (21 Uhr bis 6 Uhr) beurkundet
haben?

29. Welche Arbeitsgespräche hat es zwischen der Bundesnotarkammer und dem
Bundesministerium der Justiz zur Beurkundungspflicht gegeben (bitte in
tabellarischer Übersicht Termine, Inhalt und Teilnehmer der Gespräche)?

Berlin, den 30. Januar 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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