BT-Drucksache 17/8191

Sozialmedizinische und psychologische Gutachten bei Leistungsbeziehenden nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/7924)

Vom 14. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8191
17. Wahlperiode 14. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Dr. Ilja Seifert, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina
Bunge, Heidrun Dittrich, Jutta Krellmann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Kathrin
Vogler, Sabine Zimmerman und der Fraktion DIE LINKE.

Sozialmedizinische und psychologische Gutachten bei Leistungsbeziehenden
nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/7924)

In genannter Antwort (Bundestagsdrucksache 17/7924) auf die Kleine Anfrage
(Bundestagsdrucksache 17/7718) wird ausgesagt, dass die Teilnahme an einer
amtsärztlichen und psychologischen Untersuchung für Leistungsbeziehende
nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch freiwillig sei. Allerdings
wird das Nichterscheinen zum Untersuchungstermin mit einer Sanktion (SGB II)
bzw. einer Sperrzeit (SGB III) geahndet. Außerdem wird auf Rechtsfolgen
infolge einer nicht im „gebotenen Umfang“ erfolgenden Mitwirkung an der
Untersuchung im Beratungsgespräch vor einer Meldeterminaufforderung zur
Untersuchung hingewiesen (vgl. Antwort zu den Fragen 2 bis 4). Zwischen der
Sanktions- bzw. Sperrzeitandrohung und der Freiwilligkeit der Teilnahme an
der Untersuchung sieht die Bundesregierung keinen Widerspruch.

In der Antwort zu den Fragen 10 bis 12 wird ausgesagt: „Da es sich bei den er-
stellten Gutachten mangels Regelungscharakters nicht um Verwaltungsakte
handelt, kann gegen sie auch nicht direkt mit Rechtsbehelfen, wie z. B. Wider-
spruch und Klage, vorgegangen werden. Betroffene Kunden haben aber in jeder
Stufe des Verwaltungsverfahrens die Möglichkeit, eigene Gutachten vorzu-
legen. Sind die Begutachteten mit der auf der Grundlage der Gutachten getrof-
fenen Entscheidung nicht einverstanden, können sie gegen diese Entscheidung
Widerspruch und Klage erheben. Im Rechtsbehelfsverfahren können sie dann
die Gutachten inzident überprüfen lassen, indem sie z. B. eigene Gutachten ein-
holen und als Beweismittel in das Verfahren einbringen.“

In der Antwort zu Frage 9 wird ausgeführt, dass das schriftliche Endprodukt
(z. B. Gutachten) der Einschaltung des psychologischen Dienstes ein internes
Arbeitsmittel für die Fachkraft des jeweiligen Amtes sei und dieses nicht dem
Betroffenen vorgelesen oder ausgehändigt werde. Zu einer möglichen Akten-
und damit auch Gutachteneinsicht wird stattdessen auf den psychologischen

Dienst verwiesen.

Drucksache 17/8191 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie wird in dem Verfahren die Freiwilligkeit der Teilnahme an amtsärzt-
lichen und psychologischen Untersuchungen gewährleistet und dokumen-
tiert?

2. Auf welche Art und Weise wird in den Beratungsgesprächen und der schrift-
lichen Einladung zu Untersuchungsterminen auf die Freiwilligkeit hin-
gewiesen, und wie wird dieser Hinweis in den Akten dokumentiert?

3. Bedeutet der Umstand der Freiwilligkeit der Teilnahme an ärztlichen und
psychologischen Untersuchungen, dass der potenziell für eine Untersuchung
vorzuladende Betroffene bereits im Beratungsgespräch vor der Vorladung
zur Untersuchung bei der jeweiligen Amtsfachkraft sein Nichteinverständnis
zu einer solchen Untersuchung erklären kann?

Folgt aus dieser Erklärung, dass er nicht erscheinen muss und sich auch
keine Sanktion oder Sperrzeit einhandelt, weil er dieser Vorladung zur
Untersuchung erklärtermaßen nicht folgt?

Wenn ja, wie ist diese Nichteinverständniserklärung formsicher und für den
Betroffenen rechtssicher nachweisbar?

4. Wie oft kann der potenziell für eine Untersuchung vorgesehene Betroffene
zu solchen Beratungsgesprächen zwecks Vorbereitung einer Untersuchung
vorgeladen werden, auch wenn er bei jedem Beratungsgespräch der jeweili-
gen Amtsfachkraft erneut sein Nichteinverständnis zu einer solchen Unter-
suchung erklärt?

5. Kann sich der Betroffene auch den Vorladungen zu solchen Gesprächen ent-
ziehen, die das Ziel haben, eine Untersuchung beratend vorzubereiten, ohne
sich eine Sanktion oder Sperrzeit einzuhandeln?

Wenn ja, wie?

6. Bedeutet der Umstand der Freiwilligkeit der Teilnahme an ärztlichen und
psychologischen Untersuchungen, dass der schriftlich für eine Untersu-
chung vorgeladene Betroffene dem jeweiligen Amt ebenfalls schriftlich sein
Nichteinverständnis einer solchen Untersuchung erklären kann, damit er
sich bei Nichtbefolgung der Vorladung keine Sanktion oder Sperrzeit ein-
handelt, weil er dieser Vorladung zur Untersuchung nicht folgte?

Wie ist diese schriftliche Nichteinverständniserklärung für den Betroffenen
rechtssicher nachweisbar?

Wenn ja, wie oft kann die zuständige Behörde den Betroffenen per Sperr-
zeiten- und Sanktionsandrohung mit Meldeterminen zu ärztlichen oder
psychologischen Untersuchungen schriftlich vorladen, obwohl der Be-
troffene bei jeder Vorladung schriftlich einer Untersuchung nicht zustimmt?

7. Bedeutet der Umstand der Freiwilligkeit der Teilnahme an ärztlichen und
psychologischen Untersuchungen, dass der zum Termin der Untersuchung
vorgeladene Betroffene zwar zum Termin erscheinen muss, wenn er sich
keine Sanktion oder Sperrzeit einhandeln will, jedoch beim Erscheinen dann
persönlich, mündlich eine Untersuchung folgenfrei ablehnen kann?

Wie wird dies rechtssicher dokumentiert?

Wenn ja, wie oft kann die zuständige Behörde den Betroffenen per Sperrzei-
ten- und Sanktionsandrohung mit Meldeterminen zu ärztlichen oder psycho-
logischen Untersuchungen vorladen, auch wenn der Betroffene bereits nach-
weisbar und wiederholt beim Erscheinen zum Termin einer Untersuchung
nicht zustimmte?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8191

8. Was bedeutet konkret die Aussage in der Antwort zu den Fragen 2 bis 4,
dass es eine Rechtsfolge hätte, wenn nicht im „gebotenen Umfang“ an der
Untersuchung teilgenommen wird?

Was beinhaltet der Terminus „gebotener Umfang“, und was ist die Rechts-
folge, wenn nicht im „gebotenen Umfang“ teilgenommen wird (dies bitte
auch vor dem Hintergrund der behaupteten grundsätzlichen Freiwilligkeit
der Teilnahme an der Untersuchung beantworten)?

9. Warum wird der Betroffene auf den psychologischen Dienst zwecks mög-
licher Einsichtnahme in das Gutachten verwiesen, wenn doch das Gut-
achten Bestandteil seiner Akte bei der Agentur für Arbeit bzw. beim Job-
center ist, und er Akteneinsichtsrecht nach den §§ 25 und 83 SGB X hat?

10. Wird den Betroffenen – und aufgrund welcher Rechtsgrundlagen – sowohl
beim ärztlichen Dienst als auch beim psychologischen Dienst vollumfäng-
lich und unmittelbar Einsicht in seine Akte und damit auch in die Gut-
achten über ihn gewährt?

Wenn ja, welche Möglichkeiten hat der Betroffene, sein vollumfängliches
und unmittelbares Einsichtsrecht ohne Aufschub durchzusetzen?

Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage wird diese Einsicht verweigert?

11. Welche Möglichkeiten hat der betroffene Leistungsbeziehende eigene
Gegengutachten zu finanzieren, wenn in den Regelleistungen keine Aus-
gaben dafür vorgesehen sind (bitte ausführliche Aufzählung der Möglich-
keiten und der Rechtsgrundlagen für sozialmedizinische und psychologi-
sche Gutachten getrennt)?

12. Plant die Bundesregierung eine mögliche gesetzliche Regelung für ein
Recht auf Einbringung eines Gegengutachtens vor der Entscheidungs-
findung durch die Behörde, um sowohl die Klageflut als auch die Zahl von
Fehlentscheidungen zu senken?

13. Welche Formen der statistischen Auswertung von amtsärztlichen und
psychologischen Begutachtungen gibt es?

Welche Daten werden erhoben, und welche Ergebnisse zeigen diese statis-
tischen Auswertungen?

Gibt es schriftliche Auswertungen oder Berichte hierzu?

Berlin, den 14. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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