BT-Drucksache 17/8104

Gestaffelte Lohnuntergrenzen für junge Beschäftigte

Vom 8. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8104
17. Wahlperiode 08. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Yvonne Ploetz, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Cornelia Möhring,
Ingrid Remmers, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Gestaffelte Lohnuntergrenzen für junge Beschäftigte

Nachdem die CDU auf ihrem 24. Parteitag einen Beschluss fasste, demzufolge
sie die Einsetzung einer von den Tarifparteien getragenen Kommission zur
Festlegung differenzierter Lohnuntergrenzen anstrebt, ist eine weitere Debatte
über deren Ausgestaltung entfacht. Neben branchen- und regionsspezifischen
Lohnuntergrenzen hat der Arbeitgeberpräsident, Dr. Dieter Hundt, auch eine
altersspezifische Differenzierung durch die Kommission gefordert (vgl. Stutt-
garter Zeitung vom 17. November 2011). Die Bundesministerin für Arbeit und
Soziales und CDU-Vizevorsitzende, Dr. Ursula von der Leyen, unterstützte die
Forderung nach einer Ausnahmeregelung und niedrigeren Lohnuntergrenzen
für junge Beschäftigte und verwies auf entsprechende Bestimmungen in den
Niederlanden (vgl. DIE WELT vom 19. November 2011).

Die in diesem Kontext erhobene Behauptung, es bestünde ein Zusammenhang
zwischen allgemeinen Lohnuntergrenzen und einer hohen Jugendarbeitslosig-
keit, hält einer systematischen Analyse jedoch nicht stand. Im europäischen
Vergleich zeigt sich hier ein sehr uneinheitliches Bild. Lohnuntergrenzen haben
demnach keinen großen Einfluss auf die Beschäftigung junger Menschen. So
lag laut Eurostat (Statistisches Amt der Europäischen Union) im September
2011 die Jugendarbeitslosenquote (unter 25) in Italien mit 29,3 Prozent und
Schweden mit 22,4 über dem europäischen Durchschnitt von 21,4 Prozent – in
beiden Ländern gibt es keinen Mindestlohn. In den Ländern mit Mindestlohn
wie Belgien und Luxemburg hingegen lag die Arbeitslosigkeit der Jugendli-
chen mit 17,4 Prozent und 14,7 Prozent deutlich unter dem europäischen
Durchschnitt. Interessant ist zudem ein Blick auf die Länder, in denen alters-
spezifisch gestaffelte niedrigere Mindestlöhne für junge Erwerbstätige gelten.
Auch hier fielen die Quoten mit 21,2 Prozent (Großbritannien) und 8 Prozent
(Niederlande) sehr unterschiedlich aus. Die Jugendarbeitslosigkeit in Frank-
reich wiederum entwickelte sich in der Vergangenheit ebenfalls nicht in einer
beobachtbaren Abhängigkeit zu dem dort geltenden Mindestlohn. So ging sie
zwischen 1996 und 2007 von knapp 28 Prozent auf rund 20 Prozent zurück, ob-

gleich der allgemeine Mindestlohn im gleichen Zeitraum vergleichsweise stark
anstieg.

Diese Beobachtungen führen zu dem Schluss, dass andere Faktoren für die Ent-
wicklung der Jugendarbeitslosigkeit ursächlich sein müssen, beispielsweise die
Struktur des Ausbildungssystems oder die konjunkturelle Situation.

Drucksache 17/8104 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In der Bundesrepublik Deutschland befinden sich junge Beschäftigte seit eini-
gen Jahren zunehmend und überdurchschnittlich in prekären Lebens- und Ar-
beitsverhältnissen wieder. Der Anteil der unter 25-Jährigen in atypischer Be-
schäftigung hat sich binnen zehn Jahren geradezu verdoppelt (vgl. Langhoff/
Krietsch/Starke: Der Erwerbseinstieg junger Erwachsener: unsicher, ungleich,
ungesund, in: WSI-Mitteilungen 7/2010). Auch sind Jugendliche überproporti-
onal von befristeten und niedrigentlohnten Beschäftigungsverhältnissen betrof-
fen. So sank die Zahl junger Menschen mit sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigungsverhältnissen laut Statistischen Bundesamt von 1,2 Millionen im
Jahr 2009 auf 400 000 im Jahr 2010. Die Armutsgefährdungsquote unter den
18- bis 25-Jährigen hat sich bei 23,5 Prozent verfestigt (Berechnungen des
Bundesministeiums für Arbeit und Soziales auf Grundlage der Daten des
Sozio-oekonomischen Panels – SOEP). Gerade junge Erwerbstätige sind daher
auf einen guten Mindestlohn angewiesen. Einer Statistik der Bundesagentur für
Arbeit vom April 2011 zufolge, beträgt der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten
bei den unter 25-Jährigen 48,7 Prozent. Prekäre Arbeits- und Lebenslagen ha-
ben bei jungen Menschen besorgniserregende Auswirkungen auf ihre Zukunft.
Sie erschweren nicht nur die Lebens- und Familienplanungen, sie führen auch
zu andauernd schlechten Einkommensperspektiven und unsteten Beschäfti-
gungskarrieren. Vor diesem Hintergrund sind altersspezifische Ausnahmerege-
lungen bei Lohnuntergrenzen nicht nur als beschäftigungspolitisch unwirksam,
sondern auch sozialpolitisch als ausgesprochen problematisch einzustufen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Folgeneinschätzung nimmt die Bundesregierung in Bezug auf alters-
spezifisch gestaffelte Lohnuntergrenzen vor, wie begründet sie diese, und auf
welche empirischen Vergleichsdaten beruft sie sich hierbei?

2. Welche Argumente sprechen nach Ansicht der Bundesregierung für eine
altersspezifische Differenzierung von Lohnuntergrenzen?

3. Liegen der Bundesregierung empirisch fundierte Analysen vor, welche posi-
tive Beschäftigungseffekte für junge Beschäftigte infolge von niedrigen Be-
rufseinstiegsentgelten belegen?

Wenn ja, welche?

4. Wie erklärt die Bundesregierung die differierende prozentuale Arbeitsmarkt-
beteiligung der unter 25-Jährigen in den EU-Ländern mit altersspezifisch
gestaffelten Mindestlöhnen?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einfluss des dualen Ausbildungssys-
tems in der Bundesrepublik Deutschland auf die im europäischen Vergleich
unterdurchschnittliche Jugendarbeitslosigkeit?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung spezifische Lohnuntergrenzen für ältere
Beschäftigte, die ebenfalls zu den sogenannten Problemgruppen auf dem
Arbeitsmarkt gehören?

7. Sollte ein Mindestlohn nach Ansicht der Bundesregierung für einen alleinste-
henden jungen Vollzeitbeschäftigten unter 25 die Existenz sichern können?

Wie lässt sich nach Ansicht der Bundesregierung die Möglichkeit altersdif-
ferenzierter Bedarfe bei der Existenzsicherung begründen?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die zu erwartenden sozialpolitischen Fol-
gen altersspezifisch gestaffelter Lohnuntergrenzen (bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8104

9. Liegen der Bundesregierung Prognosen über die sozialpolitischen Folgen
altersspezifisch gestaffelter Lohnuntergrenzen vor?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, plant die Bundesregierung, entsprechende sozialpolitische Fol-
genprognosen vorzunehmen bzw. in Auftrag zu geben?

10. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Einführung altersspezi-
fisch gestaffelter Lohnuntergrenzen für junge Beschäftigte zu einer Verfes-
tigung oder zu einem Aufwuchs

a) bei der Armutsgefährungsquote in der Zielgruppe und

b) bei der Beteiligung am Niedriglohnsektor in der Zielgruppe führen

(jeweils bitte begründen)?

11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der unter 25-
jährigen Vollzeitbeschäftigten, die ergänzende Arbeitslosengeld-II-Leis-
tungen erhalten?

Wie hat sich ggf. die Anzahl der unter 25-jährigen Vollzeitbeschäftigten,
die ergänzende Arbeitslosengeld-II-Leistungen erhalten, in den letzten
zehn Jahren entwickelt (bitte nach Geschlecht und nach Bundesländern
aufschlüsseln)?

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die lohnuntergrenzenbe-
dingten Beschäftigungsfolgen für junge Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, die sich im Geltungsbereich der kürzlich evaluierten altersspezi-
fisch undifferenzierten Branchenmindestlöhne befinden (bitte für die ein-
zelnen Branchen erläutern)?

Wie begründet die Bundesregierung die Berücksichtigung bzw. Nicht-
berücksichtigung altersspezifischer Folgeeffekte bei der Evaluation?

Berlin, den 8. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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