BT-Drucksache 17/8083

Rechtswidrige Ein-Euro-Jobs

Vom 6. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8083
17. Wahlperiode 06. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Ingrid Remmers,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtswidrige Ein-Euro-Jobs

Das Bundessozialgericht hat in verschiedenen Urteilen (B 14 AS 98/10 R vom
13. April 2011 sowie B 4 AS 1/10 R vom 27. August 2011) festgestellt, dass die
Jobcenter bei rechtswidrigen Ein-Euro-Jobs einen Wertersatz für erbrachte
Arbeit leisten müssen (Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch). Einen der-
artigen Erstattungsanspruch hätten die Ein-Euro-Jobs ausführenden Personen
„jedenfalls“, wenn es an der „Zusätzlichkeit“ der Arbeitsgelegenheit fehle, denn
in diesen Fällen „bedeutet die Arbeitsleistung durch den Hilfebedürftigen immer
auch eine Mehrung fremden Vermögens. (…) Fehlt es an der Zusätzlichkeit in
diesem Sinne (…) ist beim Begünstigten durch die ersparten, aber notwendig ge-
wesenen Aufwendungen zur Erfüllung dieser Aufgabe ein Vermögensvorteil
entstanden.“ Das Jobcenter muss sich als verantwortliche Instanz den Vorteil zu-
rechnen lassen und ist demnach auch für den „Wertersatz“ zuständig. Eventuelle
Vermögensvorteile beim Maßnahmeträger hat der Träger der Grundsicherung
(Jobcenter) mit dem Maßnahmeträger zu klären.

Der Bundesrechnungshof kritisiert seit geraumer Zeit regelmäßig, dass die ge-
setzlichen Fördervoraussetzungen bei einer erheblichen Anzahl von Ein-Euro-
Jobs nicht erfüllt seien. Schätzungen des Bundesrechnungshofs schwanken hier-
bei zwischen der Hälfte bis zu zwei Dritteln aller Ein-Euro-Jobs (vgl. Thie,
Kommentar zu § 16d des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – SGB II, in: LPK
SGB II m. w. N.). Nach diesen Kalkulationen müsste in einer erheblichen
Anzahl von Fällen ein Anspruch auf Wertersatz bestehen. Öffentliche Informa-
tionen hierzu liegen allerdings nicht vor.

Die Urteile werfen zahlreiche Fragen auf, z. B. wie die Bundesregierung auf den
kritisierten Missstand reagiert hat. Insbesondere stellt sich die Frage, wie die
Bundesregierung potenziell von dem Urteil begünstigte Leistungsberechtigte
über ihre Ansprüche informiert und aufgeklärt hat, und welche Schritte sie
unternommen hat, um zukünftig rechtswidrige Ein-Euro-Jobs zu vermeiden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele SGB-II-Leistungsberechtigte haben seit 2005 eine Arbeitsgelegen-
heit mit Mehraufwandsentschädigung
a) angeboten bekommen und
b) absolviert
(bitte Gesamtzahl der Eintritte pro Jahr)?

Drucksache 17/8083 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. In welchen Einsatzfeldern sind diese Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwands-
entschädigung) geleistet worden (bitte Gesamtzahl pro Jahr)?

3. Wie hoch liegen in den Haupteinsatzfeldern die Mindestlöhne in den ein-
schlägigen Tarifverträgen, bzw. welche ortsüblichen Löhne wären in den
Haupteinsatzfeldern zu veranschlagen?

4. Bei welchen Trägern sind diese Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandsent-
schädigung) geleistet worden (bitte nach verschiedenen Gruppen aufglie-
dern, bitte die bundesweit zehn quantitativ wichtigsten Träger explizit be-
nennen)?

5. Welchen Trägern wurden die jeweiligen Personen zugewiesen, und bei wel-
chen Einrichtungen und Betrieben wurden die Betroffenen tatsächlich ein-
gesetzt: Bei wie vielen Trägern stimmen Zuweisungs- und Einssatzstelle
überein, bei wie vielen der zugewiesenen Personen unterscheiden sich die
Zuweisungs- und die Einssatzstelle (bitte pro Kalenderjahr auflisten)?
Wie viele Maßnahmebewilligungsbescheide hat es pro Jahr gegeben, und
wie viele Personen sind pro Jahr in eine Arbeitsgelegenheit eingetreten?

6. Wie viele Personen wurden per jeweiligem Maßnahmebewilligungsbe-
scheid dem jeweiligen Träger zugewiesen (bitte pro Kalenderjahr auflisten:
Maßnahmen mit einer Person, mit zwei bis vier Personen, mit fünf bis
20 Personen, mit mehr als 20 Personen)?

7. Wie hoch waren die gewährten Mehraufwandsentschädigungen (im Durch-
schnitt aller Ein-Euro-Jobs sowie: Anteil der Arbeitsgelegenheiten ohne
Aufwandsentschädigung, Anteil mit weniger als 1 Euro/Stunde, Anteil zwi-
schen 1 und 2 Euro/Stunde sowie Anteil über 2 Euro/Stunde)?

8. Wie viele Wochenstunden umfassten die Ein-Euro-Jobs (im Durchschnitt
aller Euro-Jobs; Anteil bis 20 Stunden/Woche, Anteil zwischen 21 und
30 Stunden/Woche sowie mehr als 30 Stunden/Woche)?

9. Wie hoch waren die Pauschalen für die jeweiligen Träger pro Ein-Euro-Job
(durchschnittlich, wenn möglich ab 2005 pro Kalenderjahr mit Differen-
zierung nach Spannbreiten: bis 100 Euro, 100 bis 200 Euro, mehr als
200 Euro)?

10. An wie viele Leistungsberechtigte wurden Sanktionsbescheide verschickt
a) weil sie sich weigerten, einen Ein-Euro-Job anzunehmen oder
b) weil sie einen Ein-Euro-Job abgebrochen haben
(bitte Angaben jährlich seit 2005)?

11. In wie vielen dieser Fälle wurde die Sanktion
a) nach einem Widerspruch oder
b) nach einer Klage
zurückgenommen (bitte Angaben jährlich seit 2005)?

12. Welche Bedingungen müssen Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandsent-
schädigung) nach Rechtsauffassung der Bundesregierung erfüllen, um
rechtmäßig zu sein – wie konkretisiert die Bundesregierung insbesondere
die Bedingungen „Nachrangigkeit“, „öffentliches Interesse“, „Zusätzlich-
keit“ sowie „Wettbewerbsneutralität“?

13. Auf welche Art und Weise stellt die Bundesregierung sicher, dass die Ar-
beitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung bundesweit überall
den rechtlichen Vorgaben entsprechen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8083

14. Welche Vorgaben und Hinweise (Weisungen, Arbeitshilfen etc.) zur ord-
nungs- und sachgerechten Umsetzung von sogenannten Ein-Euro-Jobs gab
es im Laufe der letzten Jahre von der Bundesregierung (bitte vollständige
Auflistung)?
Welche gab es von der Bundesagentur für Arbeit (bitte vollständige Auflis-
tung)?
Auf welche Weise wurde sichergestellt, dass die Vorgaben auch in den
sogenannten Optionskommunen umgesetzt wurden (bitte vollständige Auf-
listung)?

15. Welche Kenntnisse haben die Bundesregierung und die Bundesagentur für
Arbeit bzw. die Bundesländer aus welchen Quellen (insbesondere Berichte
Prüftätigkeit durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(BMAS) im SGB II, Prüfung der Zugelassenen kommunalen Träger, andere
Kontrollberichte) über die ordnungs- und sachgerechte Umsetzung von so-
genannten Ein-Euro-Jobs?

16. Welche Kenntnisse haben die Bundesregierung und die Bundesagentur für
Arbeit bzw. die Bundesländer aufgrund ihrer Kontrollinstrumente insbeson-
dere hinsichtlich der Verstöße gegen die Bedingungen „öffentliches Inter-
esse“ sowie „Zusätzlichkeit“?

17. Welche Ergebnisse haben die Prüftätigkeiten des Bundesrechnungshofs
hinsichtlich der Umsetzung von Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandsent-
schädigungen) erbracht, insbesondere in Bezug auf Verstöße gegen die
Bedingungen
a) „öffentliches Interesse“ sowie
b) „Zusätzlichkeit“
(bitte die Ergebnisse aller einschlägigen Berichte samt Quellenangabe)?
Wurden die Ergebnisse nach der unterschiedlichen Trägerschaft der Job-
Center differenziert – sogenannten Argen und Optionskommunen – ausge-
wertet?
Lassen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen Trägerschaften der
Jobcenter feststellen?

18. Wie bewertet der Bundesrechnungshof in den jüngsten Berichten die Zuläs-
sigkeit und Kontrolle der Ein-Euro-Jobs im Zeitverlauf?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Berichte des Bundesrechnungshofs
zur Zulässigkeit und Kontrolle der Ein-Euro-Jobs (sofern schriftliche Er-
widerungen durch das BMAS vorhanden, bitte beifügen)?

20. Auf welche Größenordnung schätzt die Bundesregierung im Lichte der
eigenen Kontrollergebnisse sowie der Berichte des Bundesrechnungshofs
die Anzahl rechtswidriger Arbeitsgelegenheiten, insbesondere aufgrund
von Verstößen gegen die Bedingungen
a) „öffentliches Interesse“ und
b) „Zusätzlichkeit“
(wenn möglich, nach Jahren differenzieren)?

21. Wie viele (ehemalige) Ein-Euro-Jobber hätten rechnerisch Anspruch auf
einen Wertersatz für ihre Arbeitsleistung, wenn die jüngsten, vom Bundes-
rechnungshof ermittelten Verstöße auf die Gesamtzahl der Ein-Euro-Jobber
pro Jahr hochgerechnet werden würden (bitte konkrete Zahlen ermitteln)?

22. Auf wie viele Personen schätzt die Bundesregierung aufgrund eigener
Überlegungen die Anzahl der (ehemaligen) Ein-Euro-Jobber, die Anspruch

auf einen Wertersatz für geleistete Arbeit geltend machen können?

Drucksache 17/8083 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

23. Auf welche Größenordnung schätzt die Bundesregierung den in diesen
Fällen zu leistenden Wertersatz
a) pro Person sowie
b) in der Summe für alle betroffenen Personen?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Ausführungen von Jan Gehrken
(Finanzieller Ausgleich bei rechtswidrigen „Ein-Euro-Jobs“, in: Soziale
Sicherheit 12/2010, S. 433 ff.), dass eine Saldierung des Wertersatzes mit
den parallel erbrachten Sozialleistungen nicht zulässig sei, sondern gegebe-
nenfalls durch die Träger der Grundsicherung eine Rückforderung von be-
reits erbrachten Sozialleistungen nach den rechtlichen Vorgaben des SGB II
erfolgen müsste?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Ausführungen von Jan Gehrken
(a. a. O.), dass durch den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründet wird, für die durch
die Jobcenter auch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen?

26. In welcher Höhe müssten die Jobcenter nach den obigen Annahmen
Beiträge an die Sozialversicherungsträger zahlen, und welche Aktivitäten
haben die Sozialversicherungen ihrerseits unternommen, um gegebenen-
falls ihre Ansprüche zu realisieren?

27. Welche Schritte wurden gegenüber den Maßnahmeträgern wegen Ver-
stößen gegen die Zusätzlichkeit oder anderen Rechtsverstößen eingeleitet,
insbesondere, wie viele
a) Rückforderungen und
b) Verfahren
wegen Sozialleistungs- oder Subventionsbetrug wurden gegen die Träger
durch die Träger der Grundsicherung eingeleitet (bitte Angaben jährlich seit
2005)?

28. Bis zu welchem Zeitpunkt können betroffene Personen rückwirkend gegen
rechtswidrige Ein-Euro-Jobs vorgehen?

29. Welche Rechtsfolgen ergeben sich nach Ansicht der Bundesregierung aus
Verstößen gegen die Bedingungen für die Zulässigkeit von Ein-Euro-Jobs
a) für die Leistungsberechtigten,
b) für die örtlichen Träger der Grundsicherung sowie
c) die Maßnahmeträger?

30. Wie bewertet die Bundesregierung die eingangs zitierten Urteile des Bun-
dessozialgerichts?

31. Welche praktischen Konsequenzen hat die Bundesregierung bislang aus den
Urteilen gezogen in Bezug auf
a) rechtlich verbindliche Vorgaben/Hinweise zur Vermeidung rechtswidri-

ger Ein-Euro-Jobs,
b) die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Ein-Euro-Jobs sowie
c) Erstattung des Wertersatzes an die Ein-Euro-Jobber durch die Maßnah-

meträger als den eigentlichen Nutznießern des Vermögensvorteils?

32. Welche Schritte hat die Bundesregierung in Reaktion auf die Rechtspre-
chung eingeleitet, um sicherzustellen, dass alle einschlägig betroffenen Ein-
Euro-Jobber durch einen Wertersatz entschädigt werden – auch ohne indi-
viduell den Rechtsweg beschreiten zu müssen?

33. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, von Amtswegen syste-

matisch die Rechtswidrigkeit von Ein-Euro-Jobs zu prüfen, und den Betrof-
fenen eine Wertersatzentschädigung zu leisten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8083

34. Welche konkreten einzelnen Schritte empfiehlt die Bundesregierung den
(ehemaligen) Ein-Euro-Jobbern zur Überprüfung ihrer möglicherweise be-
stehenden Ansprüche auf Wertersatz für ihre erbrachte Arbeitsleistung?

35. Wie viele Ein-Euro-Jobber haben bislang einen Wertersatz beantragt, wie
viele sind bislang entschädigt worden, und wie viele davon haben sich
durch einen Rechtsstreit diesen Anspruch erst erkämpfen müssen?

36. Stimmt die Bundesregierung zu, dass ein Wertersatz eine Entschädigung für
immateriellen Schaden und daher analog AGG-Entschädigungen (AGG:
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) anrechnungsfreies Einkommen dar-
stellt (vgl. LSG NRW vom 20. Dezember 2010 – L 19 AS 1166/10 B ER),
und hat sie die örtlichen Träger der Grundsicherung entsprechend angewie-
sen?

37. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Deutschen Gewerk-
schaftsbundes und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-
verbände, die Sozialpartner im örtlichen Beirat verbindlich über die
Einsatzfelder und die konkrete Zulässigkeit von Arbeitsgelegenheiten bzw.
allgemeiner über öffentlich geförderte Beschäftigung vor Ort mitbestim-
men zu lassen, und gegebenenfalls in welcher Form sollte dies geschehen?

38. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass bei Verstoß gegen
die Bedingungen von „öffentlichem Interesse“ sowie „Zusätzlichkeit“
keine rechtsmäßige Arbeitsgelegenheit vorliegt/vorlag und demzufolge die
Ein-Euro-Jobber durch ihre Arbeitsleistung ein reguläres Arbeitsverhältnis
beim Maßnahmeträger begründen/begründet wurde?

39. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass bei Verstoß gegen
die Bedingungen von „öffentlichem Interesse“ sowie „Zusätzlichkeit“
keine rechtsmäßige Arbeitsgelegenheit vorliegt/vorlag und der „Maßnah-
meträger“ – sachlich korrekter dann: der Arbeitgeber – der eigentlich Be-
günstigte des Vermögensvorteil ist/war und folglich für den Wertersatz ver-
antwortlich sein müsste?

Berlin, den 5. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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