BT-Drucksache 17/7894

Der CDU-Parteitagsbeschluss zu Niedriglöhnen und dessen Konsequenzen für die Regierungspolitik

Vom 24. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7894
17. Wahlperiode 24. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Kathrin
Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Der CDU-Parteitagsbeschluss zu Niedriglöhnen und dessen Konsequenzen
für die Regierungspolitik

Mitte November 2011 fasste der 24. Parteitag der CDU folgenden Beschluss:

„Die CDU hält es für notwendig, eine allgemeine verbindliche Lohnunter-
grenze in den Bereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter
Lohn nicht existiert. Die Lohnuntergrenze wird durch eine Kommission der
Tarifpartner festgelegt und soll sich an den für allgemein verbindlich erklärten
tariflich vereinbarten Lohnuntergrenzen orientieren. Die Festlegung von Ein-
zelheiten und weiteren Differenzierungen obliegt der Kommission. Wir wollen
eine durch Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte
Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn.“

Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen
(CDU), hat angekündigt, schnell an einer Umsetzung der Pläne zu arbeiten und
Gespräche mit der FDP zu führen. Auch andere Kabinettsmitglieder wie der
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert
Röttgen (CDU), fordern, dass der Parteitagsbeschluss „Regierungspolitik
wird“, ihn „noch in dieser Wahlperiode zum Gesetz zu machen“.

Hintergrund für den Beschluss der CDU ist der starke öffentliche Druck, gegen
Niedriglöhne vorzugehen. Laut einer Emnid-Umfrage von Anfang November
2011 befürworten inzwischen 86 Prozent der Deutschen die Einführung eines
allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Das trifft auch mehrheitlich auf die
Anhänger der Union zu.

Entgegen geweckter Erwartungen vor dem Parteitag, will die CDU jedoch kei-
nen allgemeinen Mindestlohn einführen. Das Institut der deutschen Wirtschaft
kommentierte erleichtert: „Die CDU ist von ihrer ursprünglichen Absicht abge-
rückt, eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze einzuführen, die sich am
Branchenmindestlohn der Zeitarbeit orientiert. Nun soll eine Lohnuntergrenze
in solchen Branchen festgelegt werden, in denen es keine Tarifverträge gibt.

Damit geht die Partei nicht über die bestehenden Möglichkeiten hinaus, Lohn-
untergrenzen einzuführen.“ Neben der fehlenden flächendeckenden Wirkung
lässt das CDU-Modell bewusst Lohnuntergrenzen unterhalb des Existenzmini-
mums zu und räumt den Arbeitgebern ein Vetorecht ein.

Gewerkschaften kritisieren den Vorschlag als unzureichend. Der Deutsche Ge-
werkschaftsbund spricht von einem „Mindestlohn light“, von dem „die Niedrig-
lohnbeschäftigten nicht viel zu erwarten haben“. Die IG Metall bezeichnet den

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Vorschlag als ein „Placebo-Instrument“, „weiterhin werden ganz viele Men-
schen in Deutschland von ihrer Arbeit nicht leben können“. Die Gewerkschaft
ver.di fordert „einen allgemein verbindlichen gesetzlichen Mindestlohn, der für
alle Branchen und alle Berufe gilt.“

Nun stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus dem CDU-Parteitags-
beschluss und der Debatte für die Regierungspolitik ergeben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sieht die Bundesregierung das im Beschluss der CDU beschriebene Modell
zur Festlegung einer Lohnuntergrenze als geeignet an, um gegen Nied-
riglöhne vorzugehen, und wie begründet sie ihre Antwort?

2. Welcher politische Handlungsauftrag leitet sich für die Bundesregierung
aus dem CDU-Parteitagsbeschluss ab?

3. Bis wann will die Bundesregierung gegebenenfalls welche Schritte ergrei-
fen?

4. Wären zur Umsetzung gesetzliche Maßnahmen notwendig oder ließen sich
entsprechende Maßnahmen auf dem Wege von Rechtsverordnungen einlei-
ten?

5. Welche Argumente sprechen nach Ansicht der Bundesregierung gegen
einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, der verbindlich für alle
in Deutschland Beschäftigten gilt?

6. Sollte ein Mindestlohn nach Ansicht der Bundesregierung für einen allein-
stehenden Vollzeitarbeitenden die Existenz sichern können, und wie be-
gründet sie ihre Antwort?

7. Teilt die Bundesregierung die Ansicht des Instituts der deutschen Wirtschaft,
dass ein „Stundenlohn von mindestens 7 Euro nicht überall erwirtschaftet
werden kann“, und wie begründet die Bundesregierung ihre Antwort?

8. Wie hoch muss ein Bruttostundenlohn sein, damit alleinstehende Vollzeit-
beschäftigte ein Nettomonatseinkommen erzielen, das oberhalb der derzei-
tigen Pfändungsfreigrenze liegt, bezogen auf eine Wochenarbeitszeit von

a) 38,5 Stunden,

b) 40 Stunden?

9. Wie hoch muss ein Bruttostundenlohn sein, damit alleinstehende Vollzeit-
beschäftigte ein Nettomonatseinkommen erzielen, das oberhalb der Lohn-
armutsgrenze (50 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns) liegt, bezo-
gen auf eine Wochenarbeitszeit von

a) 38,5 Stunden,

b) 40 Stunden?

10. Wie hoch muss ein Bruttostundenlohn sein, damit alleinstehende Vollzeit-
beschäftigte ein Nettomonatseinkommen erzielen, das oberhalb der Be-
dürftigkeitsgrenze von Hartz IV liegt (zugrunde gelegt die ab 1. Januar
2012 geltende monatliche Regelbedarfsstufe 1, die durchschnittlichen Kos-
ten für Unterkunft und Heizung, die Freibeträge bei Erwerbseinkommen)
bezogen auf eine Wochenarbeitszeit von

a) 38,5 Stunden,

b) 40 Stunden

(insofern verfügbare Angaben zur Höhe der Mehr- und Sonderbedarfe be-

stehen, diese bitte mit einbeziehen, andernfalls ohne diese beantworten)?

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11. Wie hoch muss ein Bruttostundenlohn sein, um den Anforderungen der
Europäischen Sozialcharta gerecht zu werden, wonach ein Entgelt mindes-
tens 60 Prozent des Durchschnittsnettolohns betragen soll, bezogen auf
eine Wochenarbeitszeit von

a) 38,5 Stunden und

b) 40 Stunden?

12. Wie hat sich der Niedriglohnsektor in Deutschland in den vergangenen
20 Jahren entwickelt (bitte absolute und relative Zahlen nennen, für aktuelle
Daten notfalls auf die reinen Vollzeitbeschäftigten zurückgreifen)?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklung, und welche
Schlüsse zieht sie daraus?

13. Wie hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland die Zahl und der
Anteil der armutsgefährdeten Erwerbstätigen entwickelt (bitte absolute und
relative Zahlen nennen)?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklung, und welche
Schlüsse zieht sie daraus?

14. Welche Möglichkeiten gibt es bereits heute für einzelne Branchen, Mindest-
löhne festzulegen, und welche Voraussetzungen müssen für die jeweiligen
Verfahren erfüllt sein?

15. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen dem CDU-
Lohnuntergrenzenmodell und dem derzeit möglichen Verfahren nach dem
Mindestarbeitsbedingungengesetz?

16. Welche Branchenmindestlohnverfahren auf nationaler Ebene sind in den
vergangenen 20 Jahren gescheitert bzw. konnten nicht zum Erfolg geführt
werden, und was waren jeweils die Gründe dafür (bitte unterscheiden nach
Tarifvertragsgesetz, Arbeitnehmerentsendegesetz, Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetz, Mindestarbeitsbedingungengesetz, und wenn möglich jeweils
Rahmendaten nennen, d. h. Lohnhöhe, angestrebter Geltungsbereich etc.)?

17. Sieht es die Bundesregierung bei einer möglichen Mindestlohn-Kommis-
sion als notwendig an, dass Arbeitgeber eine Veto-Stimmrecht gegen die
Einführung einer möglichen Regelung erhalten müssen, und wie begründet
sie ihre Antwort?

18. Welche Regelungen könnten nach Ansicht der Bundesregierung greifen für
den Fall, dass sich eine Mindestlohn-Kommission nicht einigen kann?

19. Wie hat sich in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der als allgemeinver-
bindlich erklärten Tarifverträge entwickelt, und welche regionale Reich-
weite haben diese?

Wie viele dieser Tarifverträge betrafen Löhne und Gehälter (bitte unter-
scheiden nach Tarifvertragsgesetz, Arbeitnehmerentsendegesetz, Arbeit-
nehmerüberlassungsgesetz, Mindestarbeitsbedingungengesetz, und wenn
möglich jeweils Rahmendaten nennen, d. h. Lohnhöhe, angestrebter Gel-
tungsbereich etc.)?

20. Wie viele der in den vergangenen 20 Jahren zur Allgemeinverbindlichkeit
vorgesehenen bzw. geplanten Tarifverträge scheiterten an einem Veto der
Arbeitgeberverbände im Tarifausschuss (wenn möglich bitte konkret mit
Jahr und Branche aufführen)?

21. Inwiefern kamen bisher mögliche Allgemeinverbindlichkeitserklärungen
von Vergütungstarifverträgen nicht zustande, weil Arbeitgeber bzw. Fach-

verbände vorweg eine ablehnende Haltung signalisieren?

Drucksache 17/7894 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
22. Wie geht die Bundesregierung mit dem Problem um, dass es allgemein ver-
bindlich erklärte tariflich vereinbarte Lohnuntergrenzen gibt, die auch bei
einer Vollzeiterwerbstätigkeit Nettomonatseinkommen für Alleinstehende
bedeuten, die unterhalb des Existenzminimums liegen?

23. Welche als allgemeinverbindlich erklärten Vergütungstarifverträge (Bund
wie Länder) gibt es derzeit in Deutschland, die unterhalb von 8,50 Euro
Bruttostundenlohn liegen (bitte jeweils konkret mit entsprechenden Vergü-
tungsgruppen sowie Geltungsbereich nennen)?

24. Welche Untersuchungen, Schätzungen bzw. Verfahren liegen der Bundes-
regierung vor, mit denen sich Bereiche eingrenzen ließen, in denen ein
tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert?

25. Welche Branchen und Zweige, in denen keine Branchenmindestlöhne exis-
tieren, weisen eine Tarifbindung von weniger als 50 Prozent, 30 Prozent,
20 Prozent und 10 Prozent auf (bitte auch jeweils die Zahl der dort Be-
schäftigten nennen)?

26. In welchen Branchen, in denen es bisher keine Mindestlohnregelung gibt,
hält die Bundesregierung es für notwendig, Schritte zur Einführung einer
Lohnuntergrenze zu unternehmen (wie sind jeweils die Entlohnungsbedin-
gungen und die Beschäftigtenzahlen)?

27. Welche sind derzeit die 15 Branchen mit den niedrigsten durchschnittlichen
Stundenlöhnen bzw. mit dem höchsten Anteil an Niedriglohnbeschäftigten
(bitte jeweils die durchschnittlichen Stundenlöhne, Beschäftigtenzahlen
und Niedriglohnanteile benennen)?

In welchen dieser Branchen gibt es bereits eine Mindestlohnregelung?

Berlin, den 24. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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