BT-Drucksache 17/777

Gesetzliche Krankenversicherung für Solo-Selbständige bezahlbar gestalten

Vom 23. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/777
17. Wahlperiode 23. 02. 2010

Antrag
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Gesetzliche Krankenversicherung für Solo-Selbständige bezahlbar gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) gilt prinzipiell ein einheitlicher
Beitragssatz von 14,9 Prozent des Einkommens. Allerdings wird er in einigen
Fällen de facto unterschritten, wenn das Einkommen höher als die Beitrags-
bemessungsgrenze liegt. In anderen Fällen wird dieser Beitragssatz auch über-
schritten, wenn das Einkommen besonders niedrig ist. Das gilt insbesondere bei
Solo-Selbständigen.

Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) sollten alle Men-
schen krankenversichert werden. Dies begrüßt der Deutsche Bundestag. Das
Ziel wird allerdings durch die bislang getroffenen gesetzlichen Regelungen
nicht umfassend erreicht.

Wer sich entschlossen hatte, sich nicht zum Stichtag 1. April 2007 zu versichern,
oder aber wer von der an diesem Tag einsetzenden Versicherungspflicht und
deren Folgen nicht informiert war, muss dennoch ab diesem Tag aufgelaufene
Krankenversicherungsbeiträge nachzahlen.

Es gab mit dem „Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vor-
schriften“ nun die Neuregelung, dass ein Ruhen der Leistungen der gesetz-
lichen Krankenversicherung endet, sobald eine Ratenzahlung der ausstehenden
Beiträge vereinbart wurde. Das ist prinzipiell zu begrüßen; es ist jedoch zu prü-
fen, ob diese Regelung, die die Krankenkassen umzusetzen haben, in der Praxis
ausreichend ist, damit alle Menschen unabhängig von ihrer wirtschaftlichen
Lage einen vollwertigen Krankenversicherungsschutz erhalten. Falls die Rege-
lung hierfür unzureichend ist, muss ein Ersatz unter Beteiligung der Sozial-
ämter erfolgen.

Will man das Ziel erreichen, dass auch diese Bevölkerungsgruppe zu einem be-
zahlbaren Beitrag krankenversichert ist, dann müssen die gesetzlichen Rege-
lungen angepasst werden.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine sachgerechte Definition für die Gruppe der Solo-Selbständigen zu er-
arbeiten. Eine Möglichkeit hierfür wäre die Abgrenzung, dass Solo-Selb-
ständige entweder gar keine Angestellten haben oder nur bis zu einer fest-
zusetzenden Stundenzahl.

Drucksache 17/777 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, die im Ergebnis dazu führen, dass
die Höhe der Beiträge der freiwillig in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung versicherten Solo-Selbständigen eine finanzielle Überforderung aus-
schließt. Dazu ist für Solo-Selbständige die „Mindestbeitragsbemessungs-
grundlage für Selbständige“ (1 916,25 Euro bzw. 1 277,50 Euro im Monat)
auf die „allgemeine Mindestbeitragsbemessungsgrundlage freiwillig Ver-
sicherter“ nach § 240 Absatz 4 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
(SGB V) (851,67 Euro im Monat) abzusenken. Damit würden die monat-
lichen Mindestbeiträge für diese Personengruppe von knapp 300 bzw. knapp
200 Euro auf etwa 127 Euro gesenkt werden.

3. zu prüfen, ob die Regelungen zur Beitragsstundung, zum Erlass von Beiträ-
gen und zur Ratenzahlung ausreichen, damit alle Menschen einen vollwerti-
gen Krankenversicherungsschutz erhalten oder ersatzweise eine neue Rege-
lung mit Beteiligung der Sozialämter zu schaffen.

Berlin, den 23. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung
Selbständige werden in der GKV als freiwillig Versicherte geführt. Bei der Fest-
setzung ihres Beitrags wird ein Mindesteinkommen von 1 916,25 Euro ange-
nommen. Dies soll ausschließen, dass eigentlich gut verdienende Unternehmer
sich gegenüber ihrer Krankenversicherung „arm rechnen“ können. Diese Rege-
lung wird jedoch der wirtschaftlichen Lage von Solo-Selbständigen nicht ge-
recht. Sie erreichen oft geringere Einkommen als die in § 240 SGB V gesetzlich
festgelegten Mindesteinkommen für Selbständige. Das geringste anzunehmende
Einkommen ist dort mit 1 277,50 Euro festgelegt; das ergibt einen Beitragssatz
von über 190 Euro. Wenn beispielsweise ein Kiosk-Besitzer, eine Frisörin oder
ein Imbissbuden-Betreiber nur 850 Euro durchschnittliches Monatseinkommen
hat, errechnet sich daraus ein fiktiver Beitragssatz von über 22 Prozent. Eine so
hohe Beitragsbelastung ist bei diesem Einkommen kaum tragbar oder sogar
existenzgefährdend.

Wer sich beispielsweise zum 1. April 2010 erstmals seit Jahren wieder kranken-
versichert, hat eine Beitragsschuld seit dem 1. April 2007. Für einen Geringver-
dienenden beläuft sie sich auf 6 722,57 Euro*. Es wäre den seit 2007 Versicher-
ten gegenüber ungerecht, auf diese Beiträge zu verzichten. Es ist aber auch für
die Neuversicherten unzumutbar, das Geld sofort zu zahlen oder nur mit so ge-
nannter ruhender Mitgliedschaft geführt zu werden und nur Grundleistungen zu
erhalten – zumal die laufenden Beiträge entrichtet werden. Daher gibt es bereits
die Möglichkeit für die Kassen, Beiträge zu stunden oder zu erlassen. Bei einer
vereinbarten Ratenzahlung müssen vollwertige Leistungen erbracht werden. Je-
doch bestehen Zweifel, ob in der Realität diese Regelungen so funktionieren,
dass auch jede und jeder einen Versicherungsschutz erhalten kann. Dies ist zu
überprüfen. Gegebenenfalls muss eine weitere Regelung geschaffen werden. Es
könnten z. B. die Sozialämter bei den Krankenkassen in Vorleistung treten und
dann ihrerseits mit den Beitragszahlern über die Rückzahlung verhandeln.

* Bei angenommenem durchschnittlichen Beitragssatz für die Jahre 2007 und 2008, ohne Zusatzbeiträge
für die Jahre 2009 und 2010 und einem Einkommen bis zu 1 277,50 Euro (2010).

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