BT-Drucksache 17/7709

Barrierefreies Filmangebot umfassend ausweiten - Mehr Angebote für Hör- und Sehbehinderte

Vom 9. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7709
17. Wahlperiode 09. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Altmaier, Dorothee Bär,
Dr. Reinhard Brandl, Gitta Connemann, Ingrid Fischbach, Michael Frieser,
Reinhard Grindel, Monika Grütters, Ansgar Heveling, Michael Kretschmer,
Dr. Günter Krings, Maria Michalk, Stefan Müller (Erlangen), Beatrix Philipp,
Christoph Poland, Johannes Selle, Erika Steinbach, Thomas Strobl (Heilbronn),
Marco Wanderwitz, Dagmar G. Wöhrl, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen,
Gabriele Molitor, Reiner Deutschmann, Sebastian Blumenthal, Patrick Kurth
(Kyffhäuser), Florian Bernschneider, Helga Daub, Lars Lindemann, Jimmy Schulz,
Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Barrierefreies Filmangebot umfassend ausweiten – Mehr Angebote für Hör-
und Sehbehinderte

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland leben etwa 9,6 Millionen Menschen mit einer Behinderung, also
mehr als 11,7 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Darunter befinden sich
ca. 1,2 Millionen blinde und sehbehinderte Menschen sowie weitere Millionen
gehörlose, schwerhörige und ertaubte Menschen. Knapp 300 000 Menschen
sind aufgrund ihrer Hörbehinderung schwerbehindert.

Kunst und Kultur müssen sich ohne Abstriche auch für Menschen mit Behinde-
rungen erschließen lassen – was sich nicht zuletzt aus Artikel 30 der UN-Behin-
dertenrechtskonvention ergibt. Das schließt den Film ein.

Für blinde und sehbehinderte Menschen bietet sich als Instrument der Barriere-
freiheit die Audiodeskription an, für hörbehinderte Menschen die Untertitelung.
Die Audiodeskription eines 90-Minuten-Films kostet ca. 5 000 Euro. Die durch-
schnittlichen Untertitelungskosten betragen bei einem entsprechenden Film
ca. 1 000 Euro. Zudem wird, wer einmal eine Audiodeskription gehört hat, fest-
stellen, dass es eine eigene Kunstform ist.

Entsprechenden Handlungsbedarf haben der Deutsche Bundestag und die Bun-

desregierung bereits in der Vergangenheit gesehen. So existiert bereits eine
Reihe von Fördermöglichkeiten für barrierefrei produzierte Filme:

● Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgesetzes (FFG), das am
1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, sieht Förderungshilfen für programm-
füllende Filme mit deutscher Audiodeskription und mit deutschen Untertiteln
für Menschen mit Hörbehinderungen vor. Hierdurch soll ein Anreiz für das
barrierefreie Abspiel für Seh- und Hörbehinderte geschaffen werden (§ 15

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Absatz 1 Nummer 6 Buchstabe h FFG). Die Herstellung einer Endfassung
mit einer deutschen Audiodeskription und einer Untertitelung kann als eines
von drei notwendigen Kriterien herangezogen werden, die für den kulturellen
Eigenschaftstest erfüllt sein müssen.

Nach Aussage der Filmförderungsanstalt (FFA) gibt es zu dieser Fördermaß-
nahme noch keine aussagekräftigen Zahlen und keine Nachweise funktionie-
render Umsetzung. Laut Aussage des Deutschen Blinden- und Sehbehinder-
tenverbandes e. V. (DBSV) können die Produzenten von Audiodeskriptionen
bisher keinen Auftrag für eine Hörfilmproduktion auf die Neuerung in der
FFG-Novelle 2009 zurückführen.

Nähere Erkenntnisse wird die von der Bundesregierung im Nationalen Ak-
tionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention angekün-
digte Überprüfung bringen, ob die Erleichterung der Förderbedingungen für
barrierefreie Filme zu einer gesteigerten Verfügbarkeit deutscher Kinofilme
mit Audiodeskription und erweiterter Untertitelung geführt hat. Diese Prü-
fung soll im Rahmen der bevorstehenden Novellierung des FFG erfolgen,
was der Deutsche Bundestag begrüßt.

● Verleihförderung und Video-/DVD-Bereich: Die Kosten für die Herstellung
von ausführlicher Untertitelung oder von Audiodeskription sowohl im Rah-
men der Verleihförderung als auch im Rahmen der Videoförderung sind nach
dem FFG anerkennungsfähig.

Nach Auskunft der FFA sind auch hier die Antragszahlen gering.

● Kinoförderung: Im Rahmen von Modernisierungsmaßnahmen können För-
derungshilfen für die barrierefreie Ausstattung von Kinosälen für Hör- und
Sehbehinderte gewährt werden. Sowohl der Umbau von Kinos zur Einrich-
tung von geeigneten Plätzen für Rollstuhlfahrer als auch der Einbau von
Induktionsschleifen für hörbehinderte Menschen sind förderfähig.

Bislang ist nur 1 Prozent der Leinwände (Kinosäle) für Audiodeskription ge-
eignet. Nach Aussage der FFA sind die Antragszahlen gleichfalls auch hier
gering.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Kinos ist auch die technische
Voraussetzung für die Aufführung von Kinofilmen mit Audiodeskriptionen,
die über Kopfhörer eingespielt werden können, gegeben. Hierfür bietet das
vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)
initiierte gemeinsame Förderprogramm von Filmwirtschaft, FFA, Bund und
Ländern zur Digitalisierung der Kinos große Chancen. Der Deutsche Bun-
destag hat beschlossen, in den Jahren 2010 und 2011 jeweils 4 Mio. Euro in
den Haushalt einzustellen. Dieser Betrag ist auch für 2012 vorgesehen. Ver-
pflichtungsermächtigungen ermöglichen mehrjährige Förderungen bis 2014.
Auch Menschen mit Behinderungen sollen an dem Gemeinschaftserlebnis
Kino teilhaben können.

Bilanzierend lässt sich feststellen: Es besteht eine Reihe von Fördermöglichkei-
ten für die meisten Glieder der Produktions- und Verwertungskette von Filmen,
das heißt für alle relevanten Akteure der Solidargemeinschaft Filmbranche. Die
Resonanz auf diese Förderangebote ist jedoch sehr gering. Bei allen Akteuren
sollte daher das schon vorhandene Problem- und Bedarfsbewusstsein noch wei-
ter gesteigert werden. Eine mögliche Erkenntnis könnte sein, dass alle Akteure
des Produktions- und Verwertungsprozesses aufgrund einer steigenden Nach-
frage von ihrem zusätzlichen Aufwand stärker profitieren als gedacht. Das der-
zeit möglicherweise noch als ein entscheidendes Hindernis für die barrierefreie
Ausstattung gesehene Argument zusätzlicher Kosten würde damit aus dem Weg
geräumt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7709

Mittelfristig sollten sich Investitionen in die barrierefreie Ausstattung von
Filmen auf dem Markt refinanzieren lassen. Dazu gehören barrierefreie Kinos
und die Einnahmen aus der weiteren Verwertungskette, dem DVD-Verkauf und
der Ausstrahlung im TV, weil dadurch neue Zielgruppen erschlossen werden.

Auch die Rundfunkanstalten sieht der Deutsche Bundestag in der Pflicht.
Gleichzeitig können sie Nutznießer einer wachsenden Zielgruppe sein. Die
Haushalts- und Betriebsstättenabgabe, die ab dem Jahr 2013 eingeführt werden
soll, werden auch hör- und sehbehinderte Menschen zahlen müssen. In Groß-
britannien beispielsweise haben sich die Sender auf ein Hörfilmangebot von
mindestens 10 Prozent verpflichtet. Einige bieten mittlerweile auf freiwilliger
Basis 20 bis 30 Prozent mit Audiodeskription an.

Aus dem 2009 in Kraft getretenen § 3 Absatz 2 des Rundfunkstaatsvertrags
ergibt sich, dass die Rundfunkveranstalter, also ARD, ZDF, Deutschlandradio
und alle Veranstalter bundesweit verbreiteter Rundfunkprogramme, über ihr
bereits bestehendes Engagement hinaus, entsprechend ihren finanziellen und
technischen Möglichkeiten, barrierefreie Angebote vermehrt aufnehmen sollen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales und der BKM dazu einen Runden Tisch zum barrierefreien Fernsehen
eingerichtet haben. Die ARD will bis Ende 2013 alle Erstsendungen im Ersten
für gehörlose und schwerhörige Zuschauerinnen und Zuschauer mit Untertiteln
versehen. Zudem bietet die ARD künftig alle fiktionalen Formate sowie Tier-
und Naturfilme im Hauptprogramm in einer Hörfilmfassung für blinde und stark
sehbehinderte Menschen an. Auch in den Dritten Programmen soll der Anteil er-
höht werden. Dies wird begrüßt. Angebote in Gebärdensprache und leichter
Sprache sind dagegen weiterhin rar.

Ein wichtiger Akteur ist dabei die Deutsche Hörfilm gGmbH (DHG). Sie
produziert Hilfsmittel mit Audiodeskription bzw. Hörfilme, erarbeitet Konzepte
von Kooperationen zum Zwecke der weiteren Entwicklung der Audio-
deskription und realisiert integrierende Sonderprojekte wie Festivalteilnahmen
und DVDs.

Der Deutsche Bundestag begrüßt weiterhin, dass die Allianz Deutscher Pro-
duzenten – Film & Fernsehen auf Initiative aus dem Deutschen Bundestag in
einer Mitteilung bei ihren Mitgliedern dafür geworben hat, dass möglichst viele
Filme entsprechend ausgerüstet werden.

Die Internationalen Filmfestspiele Berlin haben seit 1999 jährlich mindestens
zwei Filme, darunter auch Wettbewerbsfilme, mit Audiodeskription gezeigt.

Insbesondere leistet der Deutsche Hörfilmpreis einen wichtigen Beitrag. Der
Deutsche Bundestag begrüßt, dass dieser von der Wirtschaft und dem Dritten
Sektor unterstützt wird.

Der vorliegende Antrag verfolgt das Ziel, alle Beteiligten stärker für die Not-
wendigkeit der barrierefreien Ausstattung von Filmen zu sensibilisieren. Die
Filmbranche ist aufgerufen, dem Geist der 2009 in das FFG aufgenommenen
Förderhilfen stärker gerecht zu werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der
verfügbaren Haushaltsmittel

1. die Wirksamkeit der im FFG 2009 erlassenen Regelungen unverzüglich zu
überprüfen und, falls notwendig, im Gesetzentwurf für die nächste FFG-
Novelle entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Zu prüfen ist, ob Kinos für
Investitionen in die barrierefreie Ausstattung ihrer Säle Ermäßigungen ihrer
Abgabe an die Filmförderungsanstalt erhalten können. Zu prüfen ist weiter-

hin, ob geförderte Filmproduktionen ab einer bestimmten Förderhöhe zur
barrierefreien Ausstattung des Films verpflichtet werden können. Ziel sollte

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es sein, eine Regelung zu finden, die den Bedürfnissen von seh- und hör-
behinderten Kinobesuchern besser gerecht wird;

2. bei allen Akteuren der Filmbranche ein entsprechendes Problem- und Be-
darfsbewusstsein stärker zu fördern. Dies soll bereits in den vorbereitenden
Gesprächen mit der gesamten Branche vor Erstellung der nächsten FFG-
Novelle geschehen;

3. Vorschläge zur zügigeren Umsetzung der Förderziele des barrierefreien Film-
angebots in Abstimmung mit den Ländern vorzulegen;

4. sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten ihre barrierefreien Angebote ausbauen;

5. das gemeinsame Förderprogramm von Filmwirtschaft, FFA, Bund und Län-
dern zur Digitalisierung der Kinos energisch voranzutreiben, um auch die
technischen Voraussetzungen für die Aufführung von Audiodeskriptionen in
den Kinos zu schaffen.

All diese Maßnahmen sind mit den betroffenen Verbänden sowie dem Beauf-
tragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen abzustim-
men.

Berlin, den 9. November 2011

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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