BT-Drucksache 17/7644

Kinderrechte umfassend stärken und ins Grundgesetz aufnehmen

Vom 9. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7644
17. Wahlperiode 09. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Diana Golze, Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Heidrun
Dittrich, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Katja Kipping, Jutta
Krellmann, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Petra Pau, Yvonne Ploetz, Ingrid
Remmers, Raju Sharma, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Kinderrechte umfassend stärken und ins Grundgesetz aufnehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1989 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen einstimmig
das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention).
Zu einer konsequenten und vollständigen Umsetzung der UN-Kinderrechtskon-
vention ist es in Deutschland nicht gekommen. Hier haben sämtliche Bundes-
regierungen in den vergangenen 20 Jahren versagt. In Gestalt der bei der Rati-
fizierung abgegebene Vorbehaltserklärung der Bundesrepublik Deutschland
weigerte sich erst die schwarz-gelbe, dann die rot-grüne und schließlich die
schwarz-rote Bundesregierung über insgesamt zwei Jahrzehnte, die UN-Kinder-
rechtskonvention als Ganzes anzuerkennen. Wie schwer es den Bundesregierun-
gen bis heute fiel, die UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen, wird auch durch
die verpflichtenden Staatenberichte der Bundesrepublik Deutschland und die
abmahnenden Antworten des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes ein-
drucksvoll belegt. Erst 2010 erfolgte die Rücknahme der letzten Vorbehalts-
erklärung. Dies war ein Schritt in die richtige Richtung, dem nun umfassende
Schritte folgen müssen, damit die UN-Kinderrechtskonvention gelebte Realität
wird.

In der in Deutschland geführten Diskussion um die Rechtsqualität der UN-Kin-
derrechtskonvention wird der Menschenrechtscharakter der UN-Kinderrechts-
konvention bis heute allzu oft in Frage gestellt. Damit werden die breit gefächer-
ten Grundrechte, zu denen neben bürgerlichen und politischen Rechten unter an-
derem auch wirtschaftliche, kulturelle und soziale Grundrechte zählen, Kindern
und Jugendlichen immer noch vorenthalten oder nur eingeschränkt zugestanden,
wie etwa die Rechte auf Schutz und bestmögliche Entwicklung sowie elemen-
tare Leistungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch, beispielsweise bei der
Umsetzung des sogenannten Bildungspaketes, die Berechnung der Hartz-IV-
Sätze oder der immer noch unzureichenden Bereitstellung und Ausstattung der

öffentlichen Kindertagesbetreuung. Nach wie vor werden auch minderjährigen
Flüchtlingen Rechte auf Schutz und bestmögliche Entwicklung vorenthalten.
Auch die Belange von Kindern mit Behinderung finden derzeit nicht genügend
Berücksichtigung, obwohl die seit dem 26. März 2009 in Deutschland in Kraft
getretene UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere mit dem Artikel 7
„Kinder mit Behinderungen“, deren Rechte und die Pflichten des Staates zusätz-
lich unterstreicht.

Drucksache 17/7644 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Kinder werden nach wie vor nicht als Träger eigenständiger Rechte wahrgenom-
men und als solche in der Gesetzgebung behandelt, wie es die UN-Kinderrechts-
konvention vorsieht. Dies zeigt, dass es eines grundsätzlichen gesamtgesell-
schaftlichen Umdenkens bedarf, um die Rechte von Kindern bis in das Alltags-
leben hinein fest zu verankern. Um Kindern einklagbare Rechte zu verleihen
und deren Stellenwert im notwendigen Maß darzustellen, ist es geboten, die UN-
Kinderrechtskonvention konsequent umzusetzen und dazu Kinderrechte im
Grundgesetz zu verankern. Nur so kann, wie die derzeitige Praxis zeigt, eine ge-
sicherte Basis für die notwendigen gesellschaftlichen und politischen Neujustie-
rungen gewährleistet werden, damit Kinder als Träger eigenständiger Rechte im
Sinne der UN-Kinderrechtskonvention betrachtet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der vorsieht, die wesentlichen Prinzipien
der UN-Kinderrechtskonvention mit Verfassungsrang auszustatten und dazu
im Grundgesetz zu verankern. Dazu zählen die Subjektstellung des Kindes,
der Vorrang des Kindeswohls sowie die Rechte von Kindern und Jugend-
lichen auf Förderung, Schutz und Beteiligung. Dabei ist darauf zu achten,
dass die bestehenden unterschiedlichen Schutzmechanismen, die das Alter
und den Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen,
Beachtung finden;

2. die gesamte Rechtslage im Bund umgehend zu überprüfen und an die neuen,
in der Verfassung festgeschriebenen Kinderrechte anzupassen, gegenüber
den Ländern auf eine Anpassung der Landesgesetze zu drängen und dabei ein
abgestimmtes Vorgehen hinsichtlich der in Landeskompetenz liegenden Re-
gelungsmaterien anzustreben;

3. in Abstimmung mit den Ländern für die Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen auf den gesellschaftlichen Ebenen die gesetzlichen Vorausset-
zungen zu schaffen sowie die dafür notwendigen Strukturen, z. B. in der Kin-
der- und Jugendhilfe, im Bildungssystem, in der öffentlichen Kindertagesbe-
treuung, im öffentlichen Freizeitbereich, bereitzustellen und den Zugang für
die Kinder und Jugendlichen zu sichern;

4. in Abstimmung mit den Ländern und Kommunen eine unabhängige Struktur
für einzurichtende Ombudsstellen zu entwickeln und für diese qualitative
Standards zu erarbeiten;

5. eine Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen anzustreben, um die zusätzli-
chen Aufgaben von Ländern und Kommunen in den Bereichen, die die Be-
lange von Kindern und Jugendlichen betreffen, strukturell zu gewährleisten;

6. unter Federführung des Bundes in Abstimmung mit den Ländern und Kom-
munen einen umfassenden Aktionsplan „Für ein kinder- und jugendgerechtes
Land“ aufzulegen, in dem Kinder und Jugendliche sowie zivilgesellschaft-
liche Akteure einbezogen werden, um die Umsetzung der Kinderrechte flä-
chendeckend voranzutreiben und den Ausbau der lokalen Strukturen zu un-
terstützen;

7. ein Monitoringsystem einzurichten, um die Umsetzung der UN-Kinder-
rechtskonvention und die darin enthaltene Berichtspflicht zu begleiten und
sicherzustellen.

Berlin, den 9. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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