BT-Drucksache 17/7488

Ilse Stöbe als Widerstandskämpferin im Auswärtigen Amt anerkennen

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7488
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth,
Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Thomas Nord, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin
Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Ilse Stöbe als Widerstandskämpferin im Auswärtigen Amt anerkennen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Juni 2011 jährte sich der Jahrestag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf die
Sowjetunion zum 70-sten Mal. Kurz zuvor, Ende des Jahres 2010, legte die
Historikerkommission um die Professoren Eckart Conze, Norbert Frei, Peter
Hayes und Moshe Zimmermann unter dem Titel „Das Amt“ ihre 2004 vom Aus-
wärtigen Amt in Auftrag gegebene Studie zu dessen Vergangenheit, insbeson-
dere im Hinblick auf dessen Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung des
Holocaust, vor. Zahlreiche Aspekte der Studie sind in der Fachwelt sowie in den
deutschen Feuilletons kontrovers diskutiert worden. Positiv hervorzuheben ist
jedoch, dass sich die Studie nicht vordringlich der Ehrung derjenigen wenigen
Widerstandskämpfer widmet, die auf unterschiedliche Art und Weise versucht
haben, die Verbrechen Deutschlands aus ihren jeweiligen Positionen und im
Rahmen ihrer Möglichkeiten zu verhindern oder einzuschränken. Im Gegenteil
leistet die Studie einen wirklichen Beitrag bei der Beschreibung der zahlreichen
Nachkriegskarrieren von Diplomaten, die in die Verbrechen des Nationalsozia-
lismus stark verstrickt waren.

Die Autoren der Studie machen eindeutig darauf aufmerksam, dass es längst
überfällig ist, die Widerstandstätigkeit einer Frau zu ehren, die als eine der ganz
wenigen Deutschen versucht hat, die Sowjetunion vor dem Überfall Hitler-
Deutschlands zu warnen.

Ilse Stöbe arbeitete unter Rudolf von Scheliha in der Informationsabteilung des
Auswärtigen Amts. Bereits seit 1933 leitete Ilse Stöbe im Rahmen einer Gruppe
um den Journalisten Rudolf Herrnstadt Informationen an die Sowjetunion wei-
ter. Verschiedene Autorinnen, darunter die Tochter Rudolf Herrnstadts, Irina
Liebmann, sind sich einig darüber, dass Ilse Stöbe die Unterlagen zur Planung
des Überfalls auf die Sowjetunion an diese weitergeleitet hat. Ungeklärt bleibt

jedoch die Frage, warum diese Weiterleitung nicht dazu geführt hat, dass die
Sowjetunion auf den Einmarsch der Wehrmacht vorbereitet gewesen ist.

Ilse Stöbe stammte aus einer Arbeiterfamilie in Berlin-Lichtenberg. Ab 1931 ar-
beitete sie bei dem Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“, Theodor Wolff, wo
sie auch Rudolf Herrnstadt kennenlernte. Gemeinsam mit ihm hielt sie sich in
der zweiten der Hälfte der 30er-Jahre in Warschau auf und war dort als Aus-

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landskorrespondentin für schweizerische Zeitungen tätig. In dieser Zeit lernte
sie Rudolf von Scheliha kennen. Obwohl Ilse Stöbe von ihrem späteren Verlob-
ten, dem Chefredakteur der „Thurgauer Zeitung“, Rudolf Huber, ein beträcht-
liches Erbe in der Schweiz hinterlassen bekam, ging sie nicht mit ihrer Mutter
und ihrem Bruder dorthin, sondern nahm Rudolf von Schelihas Angebot an, für
ihn in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amts zur arbeiten.

Ilse Stöbe wurde im Rahmen der Aktion „Rote Kapelle“ ungefähr zeitgleich mit
Rudolf von Scheliha festgenommen und beide wurden am 22. Dezember 1942
in Plötzensee hingerichtet. Während Rudolf von Scheliha am Fleischerhaken
erhängt wurde, wurde Ilse Stöbe mit der Guillotine geköpft.

Ilse Stöbe hatte keine direkte Verbindung zur der heute als „Rote Kapelle“
bekannten Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen, Arvid und Mildred
Harnack und Adam Kuckhoff. Allerdings wurden alle ihre Informationen vom
gleichen Funker, Kurt Schulz, in die Sowjetunion gesendet und sie wussten von-
einander.

Auch die Ehrung Rudolf von Schelihas ließ bis 1986 auf sich warten als das
Kölner Verwaltungsgericht die Widerstandstätigkeit Rudolf von Schelihas be-
stätigte. Bis dahin galt in der westdeutschen Geschichtsschreibung die Tätigkeit
Rudolf von Schelihas als Spionage für die Sowjetunion und damit nicht als
ehrungswürdig. Die Biografie von Ulrich Sahm über Rudolf von Scheliha belegt
jedoch glaubhaft, dass Rudolf von Scheliha zum einen gar nicht wusste, dass die
von ihm an Ilse Stöbe und Rudolf Herrnstadt weitergeleiteten Informationen an
die Sowjetunion übergeben wurden und zum anderen Rudolf von Schehliha um-
fangreiche eigene Widerstandstätigkeit betrieb, da er ein umfangreiches Dossier
über die Verbrechen der deutschen Besatzung in Polen anlegte, welches auch der
Aufnahmen von Vernichtungslagern enthielt. Dieses versuchte er in Großbritan-
nien publik zu machen.

Anders als bei Rudolf von Scheliha hatte Ilse Stöbe keine Verwandten mehr, die
sich um die Einklagung der Anerkennung ihrer Widerstandstätigkeit kümmern
konnten. Mutter und Bruder kamen nach Ilse Stöbes Verhaftung ins Konzentra-
tionslager, das sie beide nicht überlebten.

Eine kleine Ehrung wiederfuhr Ilse Stöbe in der DDR. Eine Schule in Lichten-
berg trug bis zur Wiedervereinigung ihren Namen. Im Mai 2011 wäre Ilse Stöbe
100 Jahre alt geworden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Ilse Stöbe als Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus im Aus-
wärtigen Amt anzuerkennen;

2. Ilse Stöbes Namen im Rahmen eines Festaktes auf der Ehrentafel der Wider-
standskämpfer im Auswärtigen Amt zu veröffentlichen;

3. die Geschichte des Auswärtigen Amts und anderer Bundesbehörden in einem
gesonderten Forschungsprojekt daraufhin zu untersuchen, ob weitere Wider-
standskämpfer/Widerstandskämpferinnen bisher aufgrund des angeblichen
Vorwurfs der „Sowjet-Spionage“ nicht als solche anerkannt wurden.

Berlin, den 26. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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