BT-Drucksache 17/7294

Finanzausgleich zwischen Krankenkassen

Vom 11. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7294
17. Wahlperiode 11. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Finanzausgleich zwischen Krankenkassen

Im Herbst 2010 hat das Bundesministerium für Gesundheit den „Wissenschaft-
lichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs“ beauftragt,
den Jahresausgleich 2009 zu evaluieren. Der Bericht stellt erhebliche Mängel
beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) fest, die zu
finanziellen Benachteiligungen von Krankenkassen führen, die überdurch-
schnittlich viel ältere und kranke Versicherte versorgen. Krankenkassen mit
vielen gesunden und jungen Versicherten werden hingegen bevorteilt.

Diese Schieflage belastet die Krankenkassen mit vielen älteren und kranken
Versicherten und kann damit einen Beitrag zu finanziellen Schwierigkeiten die-
ser Kassen, zur Einführung von Zusatzbeiträgen oder sogar zu Insolvenzen füh-
ren. Entsprechend ist eine Risikoselektion, also der Versuch, ältere und kranke
Versicherte zu vermeiden, immer noch lohnend für die Krankenkassen. Ein
Beispiel für den Versuch der Krankenkassen auf diese Unterfinanzierung von
älteren und kranken Versicherten zu reagieren, muss in dem Versuch der
Kassen gesehen werden, die Mitglieder der City BKK nicht anzunehmen.

Der Bericht liegt seit Juni 2011 vor. Die Bundesregierung hat ihn jedoch erst
auf Druck der Krankenkassen und aufgrund eines entsprechenden Berichts-
wunsches der Fraktion DIE LINKE. im Ausschuss für Gesundheit des Deut-
schen Bundestages am 25. September 2011 veröffentlicht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann genau hat die Bundesregierung den Bericht des Wissenschaftlichen
Beirats zum Risikostrukturausgleich erhalten, und welche internen Schritte
hat sie daraufhin eingeleitet?

2. Wurde der Bericht durch die Bundesregierung verändert?

Falls ja, in welcher Weise?

3. Wann hat die Bundesregierung den Bericht zur Verwendung an das Bundes-
versicherungsamt (BVA), an die Krankenkassen und wann und welchen
Bundestagsfraktionen gesendet?
4. Hat das BVA den Bericht so rechtzeitig erhalten, dass die Ergebnisse bei der
Neuberechnung des Morbi-RSA noch berücksichtigt werden können?

Falls nein, wann hätte das BVA den Bericht erhalten müssen, damit eine Be-
rücksichtigung hätte erfolgen können?

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5. In wie vielen Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) existiert ein Risikostrukturausgleich zwischen
Krankenkassen, und in wie vielen Ländern davon ist er morbiditäts-
orientiert?

6. Trifft es zu, dass es nach Aussagen des Wissenschaftlichen Beirats zu Un-
terdeckungen bei älteren, kranken Versicherten und zu Überdeckungen bei
jüngeren, gesunden Versicherten kommt?

7. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu Aussagen des AOK-Bundes-
verband GbR, nach denen mit dem jetzigen Morbi-RSA vor allem Kranken-
kassen mit überdurchschnittlich vielen älteren Menschen und Menschen mit
Krebs benachteiligt werden?

8. Was versteht die Bundesregierung darunter, den Morbi-RSA auf das not-
wendige Maß zu reduzieren?

Will die Bundesregierung weiter an diesem Ziel festhalten?

Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Aussa-
gen des Wissenschaftlichen Beirats: „Eine Reduzierung der Zahl der
Krankheiten ist aus Sicht des Beirates abzulehnen“ bzw. die Aussage: „be-
wertet der Beirat auch eine Beschränkung auf maximal einen Morbiditäts-
zuschlag je Versicherten kritisch“?

9. Ist es richtig, dass der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten zum
Ergebnis kommt, dass eine Erweiterung der bisherigen zugrunde gelegten
Krankheiten um weitere 126 Krankheiten die Zielgenauigkeit des Morbi-
RSA verbessern und die derzeitigen systematischen Über- und Unter-
deckungen tendenziell abbauen würde?

10. Wie steht die Bundesregierung zu den Ausführungen der Parlamentarischen
Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Annette Widmann-
Mauz, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 28. September
2011, dass es keinen Handlungsbedarf bezüglich des Morbi-RSA gäbe, weil
die Passgenauigkeit gegenüber dem vorherigen RSA bereits verbessert sei?

Richtet sich der Handlungsbedarf nicht danach, ob umsetzbare Maßnah-
men zu einer Verbesserung der Passgenauigkeit führen würden, wie die im
Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats benannte Annualisierung der
Versichertendaten?

Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Aussage
des Wissenschaftlichen Beirats: „hält der Beirat es für geboten, die Aus-
gaben von allen Versicherten mit unvollständigen Versichertenepisoden zu
annualisieren“?

11. Welche Auswirkungen hat eine Annualisierung der Versichertendaten?

In wie vielen europäischen Ländern mit morbiditätsorientiertem Risiko-
strukturausgleich werden die Versichertendaten annualisiert, und in wie
vielen nicht annualisiert?

12. Wie werden Auslandsversicherte in den Morbi-RSA einbezogen?

Wie bewertet die Bundesregierung die Aussagen des wissenschaftlichen
Beirats „GKV-weit beträgt die Deckungsquote für Auslandsversicherte da-
her mindestens 172,9 Prozent“?

In welchem Ausmaß betrifft dies die Krankenkassen unterschiedlich, und
welchen Handlungsbedarf sieht hier die Bundesregierung?

13. Mit welchen Auswirkungen wird in dem Bericht durch die Einführung
eines Risikopools gerechnet?
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussagen des Wissenschaftlichen
Beirats: „Insbesondere kleine Krankenkassen können durch eine Kumula-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7294

tion von Hochkostenfällen in ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit beein-
trächtigt werden.“?

Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung?

14. Welchen Veränderungsbedarf sieht die Bundesregierung bei der Stichpro-
bengröße zur Entwicklung des Klassifikationsmodells?

Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Aussage
des Wissenschaftlichen Beirats: „Der Beirat plädiert aus diesem Grund da-
für, zukünftig die berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben – wie
bereits jetzt schon die Versichertenstammdaten und Morbiditätsinformatio-
nen – im Rahmen einer Vollerhebung zu melden.“?

15. Wie bewertet die Bundesregierung den Satz des Wissenschaftlichen Beirats
„Die Anzahl der gemeldeten Diagnosen ist im Beobachtungszeitraum um
5 bis 8 Prozent pro Jahr angestiegen, dabei erklärt demographische Alte-
rung etwa ein Viertel dieses Anstiegs.“?

Welche Auswirkungen hat eine zunehmende Diagnosestellung und damit
scheinbar steigende Morbidität auf die Vergütung der Vertragsärztinnen
und -ärzte nach dem neuen Versorgungsstrukturgesetz?

16. Wie passgenau muss der Morbi-RSA nach Ansicht der Bundesregierung
sein, damit finanzielle Belastungen einzelner Krankenkassen aufgrund der
Versichertenstruktur vermieden werden?

Ist eine möglichst hohe Passgenauigkeit für die Bundesregierung erstre-
benswert?

Welche Auswirkungen auf die Chancengleichheit der Krankenkassen hat
ein nicht passgenauer Morbi-RSA?

17. Welche Formen und welcher Umfang von Risikoselektion durch Kranken-
kassen unter dem derzeitigen Morbi-RSA sind der Bundesregierung be-
kannt?

18. Hat diese Risikoselektion Einfluss auf die Versorgungsqualität der Versi-
cherten?

Ist dieser Einfluss für die Bundesregierung akzeptabel, oder hat die Bun-
desregierung das Ziel, Risikoselektion auf praktisch null zu reduzieren?

19. Aus welchen Gründen, war es für die Mitglieder der ehemaligen City BKK
so schwer in eine neue Versicherung aufgenommen zu werden?

Könnte ein Grund in der Befürchtung der Kassen gelegen haben, dass sie
mit den vorwiegend älteren Versicherten der City BKK Versicherte aufneh-
men, für die ein hohes Risiko besteht, dass ihre durchschnittlichen Behand-
lungskosten nicht ausreichend ausgeglichen werden?

20. Wie viel Euro betrug die Unterdeckung der City BKK im Jahr 2009 auf-
grund der Unterdeckung bei älteren, kränkeren Patienten?

21. Stimmt die Bundesregierung mit dem wissenschaftlichen Gutachten darin
überein, dass sowohl die Einführung des Morbi-RSA, wie auch die Einfüh-
rung der Zusatzbeiträge zur Verringerung der Ausgaben der Krankenkassen
für Prävention geführt haben?

Sieht die Bundesregierung hier eher die Ursache beim Morbi-RSA oder bei
der Einführung der Zusatzbeiträge?

Was wird die Bundesregierung wann dagegen unternehmen?

Berlin, den 11. Oktober 2011
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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