BT-Drucksache 17/7220

Missbrauch von Werkverträgen verhindern - Lohndumping eindämmen

Vom 29. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7220 (neu)
17. Wahlperiode 29. 09. 2011

Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus,
Klaus Ernst, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Yvonne Ploetz,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Missbrauch von Werkverträgen verhindern – Lohndumping eindämmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Werkverträge werden von Unternehmen zunehmend missbraucht, um Löhne und
Gehälter zu drücken. Wer die Absicht hat, bestimmte Teile der Produktion auf
Dauer zu verbilligen, beauftragt eine Fremdfirma mit der Erfüllung von Aufga-
ben. Auf diesem Wege können Tarifverträge unterlaufen, Belegschaften gespal-
ten und Mitbestimmungsmöglichkeiten ausgehöhlt werden. Um solche Praktiken
zu unterbinden, bedarf es dringend gesetzlicher Regelungen. Denn Werkverträge
werden zunehmend von den Unternehmen als Alternative zur Leiharbeit und als
strategisches Mittel zur Deregulierung eingesetzt.

Man kann drei verschiedene Formen des Werkvertrags unterscheiden: erstens
den Scheinwerkvertrag, der zwar als Werkvertrag bezeichnet wird, aber eigent-
lich Leiharbeit darstellt. Zweitens echte Werkverträge, durch die ein Teil der bis-
herigen unternehmerischen Aktivitäten in der Regel dauerhaft von einem Drit-
ten in eigener Verantwortung übernommen wird. Drittens Werkverträge des
Alltagslebens, bei denen Privatpersonen oder Firmen lediglich gelegentlich eine
fremde Leistung in Anspruch nehmen (zum Beispiel Handwerkerleistungen).
Bei den ersten beiden Formen von Werkverträgen besteht dringender Hand-
lungsbedarf. Entgelte, tarifliche Standards und Arbeitnehmerrechte müssen ge-
schützt werden.

Mit sogenannten Scheinwerkverträgen, bei denen es sich eigentlich um Arbeit-
nehmerüberlassung handelt, werden die ohnehin viel zu niedrigen Standards in
der Leiharbeit noch unterlaufen. Echte Werkverträge dienen häufig der Ausglie-
derung bzw. dem Outsourcing von bisher im Betrieb ausgeführten Arbeiten, um
zu Lasten der Beschäftigten Kosten zu senken. Der Auftrag wird in der Regel an
Firmen vergeben, die niedrigere Löhne zahlen als der auftraggebende Betrieb.
Entweder sind diese Firmen gar nicht tarifgebunden oder sie unterliegen einem
anderen Tarifvertrag, der häufig für die Beschäftigten ungünstiger ist.
Bei der Identifizierung von Scheinwerkverträgen besteht die Schwierigkeit bis-
lang darin, Werkvertragsarbeit von Leiharbeit abzugrenzen, um Fälle von illega-
ler Arbeitnehmerüberlassung aufzudecken. Daher besteht die Notwendigkeit,
auf gesetzlichem Wege Vermutungsregeln einzuführen. Erfüllt eine Tätigkeit ein
bestimmtes Merkmal, wird das Vorliegen eines Leiharbeitsverhältnisses vermu-
tet. Der auftraggebende und der auftragnehmende Betrieb haben die Möglich-

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keit, das Gegenteil zu beweisen. Damit erfolgt eine Umkehr der Beweislast. Um
auch die alternative Möglichkeit des Lohndumpings durch den Einsatz von
Leiharbeit zu beenden, muss im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz endlich das
Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ohne Ausnahme ab dem ersten Ein-
satztag verankert werden.

Beim echten Werkvertrag muss ebenfalls eine gesetzliche Regelung eingeführt
werden. Bei der Vergabe von bisher selbst erledigten Aufgaben an eine Fremd-
firma – sofern dies nicht nur gelegentlich erfolgt – ist das Prinzip festzuschrei-
ben, dass die betroffenen Beschäftigten nicht weniger Lohn oder schlechtere
Arbeitsbedingungen erhalten als die zuvor für diese Tätigkeit im Betrieb des
Auftraggebers üblichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein „Gesetz zur Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen“ mit fol-
gendem Inhalt vorzulegen:

a) Gesetzliche Vermutung für das Vorliegen von Scheinwerkverträgen

– Von einem Scheinwerkvertrag ist dann auszugehen, wenn ein/eine von
seinem oder ihrem Arbeitgeber bei einem anderen Arbeitgeber eingesetz-
ter/eingesetzte Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin eine Tätigkeit auch
nach Weisungen des anderen Arbeitgebers verrichtet und

1. die Tätigkeit mit der eines oder einer beim anderen Arbeitgeber be-
schäftigten Arbeitnehmers oder Arbeitnehmerin vergleichbar ist oder

2. im Wesentlichen Material und Werkzeug des anderen Arbeitgebers ver-
wendet werden;

3. der entsendende Arbeitgeber nicht für das Ergebnis der Tätigkeit haf-
tet;

4. der Arbeitgeber von dem anderen Arbeitgeber eine nach Zeiteinheiten
bemessene Vergütung erhält;

5. der bei dem anderen Arbeitgeber eingesetzte Arbeitnehmer oder die
Arbeitnehmerin in die Arbeitsorganisation und das Arbeitszeitregime
des anderen Arbeitgebers eingebunden ist.

– Stimmen vertragliche Abmachungen und tatsächliches Verhalten der Be-
teiligten nicht überein, so ist deren tatsächliches Verhalten maßgebend.

– Dem auftraggebenden und dem auftragnehmenden Arbeitgeber steht es
frei, den Nachweis zu führen, dass er den Arbeitseinsatz im Rahmen eines
Werk- oder Dienstvertrags umfassend steuert.

b) Rechtsfolgen der Ausgliederung

– Hat ein Unternehmer einen anderen mit der Erbringung von Werk- oder
Dienstleistungen beauftragt, so haben die damit betrauten Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber mindestens An-
spruch auf Gewährung des Entgelts und der Arbeitsbedingungen, die bis-
her für diese Tätigkeit geschuldet waren. Dies gilt nicht, wenn Werk- oder
Dienstleistungen nur gelegentlich in Anspruch genommen werden.

– Der beauftragende Unternehmer haftet in entsprechender Anwendung des
§ 14 des Arbeitnehmerentsendegesetzes für die Erfüllung dieser Ver-
pflichtung wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet
hat;

2. im Betriebsverfassungsgesetz als § 92b eine Regelung zur Mitbestimmung

bei der Vergabe von Aufgaben an Fremdfirmen mit folgendem Inhalt einzu-
fügen:

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7220 (neu)

– Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat rechtzeitig unter Vorlage aller not-
wendigen Dokumente über die Planung einer Vergabe von bisher im Be-
trieb erledigten Aufgaben an Fremdfirmen zu unterrichten. Notwendige
Dokumente sind hierbei auch Nachweise über tarifvertragliche Bindungen
des Auftragnehmers sowie die Zahl und das Entgelt der Beschäftigten des
Auftragnehmers, die für die Erledigung der Aufgabe vorgesehen sind.

– Der Arbeitgeber hat mit dem Betriebsrat die vorgesehenen Maßnahmen
und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
rechtzeitig zu beraten und die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen.

– Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn aufgrund der
Vergabe von Aufgaben an Fremdfirmen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer des Betriebes Nachteile erleiden oder Arbeitsplätze gefährdet
werden.

– Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so hat er dies unter Angabe
von Gründen innerhalb einer Woche nach der Aufforderung zur Zu-
stimmung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitzuteilen. Teilt der
Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung seiner Zustimmung nicht
innerhalb der Frist mit, so gilt die Zustimmung als erteilt.

– Bei Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat kann der Arbeit-
geber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen.

– Kommt eine Vergabe von Aufgaben an Fremdfirmen zustande, ist der Be-
triebsrat regelmäßig über die Zahl der damit betrauten Beschäftigten des
Auftragnehmers, deren Arbeitszeit sowie deren Entgelt zu unterrichten.

– Die Wahlberechtigung nach § 7 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt auch
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Rahmen eines Werkver-
trags im Betrieb des Auftraggebers tätig sind, sofern dies nicht nur gele-
gentlich geschieht;

3. im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mindestens das Prinzip „gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“ ohne Ausnahme festzuschreiben (Streichung des Tarif-
vorbehalts).

Berlin, den 29. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Nachdem das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – wenn auch nur geringfügig –
zu Gunsten der Beschäftigten geändert wurde, besteht die Gefahr, dass Unter-
nehmen vermehrt versuchen, auf Scheinwerkverträge und den Einsatz von
Fremdfirmen (Outsourcing) auszuweichen. Die Vorteile von sowohl Schein-
werkverträgen als auch echten Werkverträgen gegenüber Leiharbeit: Es gibt kei-
nen Mindestlohn; der Einsatz von Werkverträgen schadet im Gegensatz zum
Einsatz von Leiharbeit nicht dem Image des Unternehmens; es bedarf keiner
Tarifverträge (die dann wie im Fall der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerk-
schaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen – CGZP – für ungültig
erklärt werden), um vom Grundsatz der gleichen Entlohnung abweichen zu kön-
nen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Unternehmen versuchen,
mittels Scheinwerkverträgen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu umgehen,

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und große Leiharbeitsunternehmen als zweites Standbein den Unternehmen
Werkverträge und Outsourcing anbieten.

Aber auch echte Werkverträge, bei denen es sich nicht um eine Umgehung des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes handelt und mit denen bis dahin im Betrieb
erledigte Aufgaben ausgegliedert werden, haben häufig beschäftigungs- und
gesellschaftspolitisch unerwünschte Folgen: Bestehende Tarifverträge werden
unterlaufen und ausgehöhlt; Gewerkschaften, Betriebsräte und Beschäftigte
werden in ihrer Verhandlungsposition geschwächt; die Löhne sinken. Betroffen
waren in der Vergangenheit insbesondere Kantinen, Reinigungsarbeiten, Sicher-
heitsaufgaben; all diese Bereiche sind heute Niedriglohnsektoren mit häufig
überhöhten Leistungsanforderungen. Mittlerweile erreicht die Ausgliederung
per Werkvertrag aber auch die Kernbereiche industrieller Produktion und
Dienstleistung. Auch hier sind die vorrangigen Ziele die Kosteneinsparung zu
Lasten der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sowie die
Möglichkeit, schnell auf das Marktgeschehen reagieren zu können. Dem kann
nur dadurch wirksam begegnet werden, dass gesetzliche Regelungen geschaffen
werden, die bei dieser Art von Geschäftspolitik Lohn- und Tarifdumping verhin-
dern.

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