BT-Drucksache 17/6943

Ausbildungs-Curricula und Evaluierung des Polizeiaufbaus in Afghanistan

Vom 7. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6943
17. Wahlperiode 07. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch,
Niema Movassat, Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens Petermann,
Paul Schäfer (Köln), Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Ausbildungs-Curricula und Evaluierung des Polizeiaufbaus in Afghanistan

Trotz kostenintensiver Bemühungen mehrerer Staaten vollzieht sich der Aufbau
der Polizei in Afghanistan vorrangig auf der quantitativen Ebene. Die Zahl be-
soldeter Männer, die nach einem Kurzlehrgang von sechs Wochen Dauer als
Polizisten gelten, erreicht nach Angaben des zweiten Quartalsberichts des Law
and Order Trust Fund for Afghanistan (LOTFA) mittlerweile 128 540. Die be-
teiligten Staaten hätten sich Ende Juni 2011 darauf geeinigt, bis Oktober 2012
diese Zahl auf 157 000 zu erhöhen. Der LOTFA-Bericht bestätigt allerdings die
schon mehrfach geäußerte Einschätzung der Fragesteller, dass die afghanische
Nationalpolizei (ANP) zwar zahlenmäßig expandiere – „die Qualität der Polizei
blieb aber fragwürdig.“

Aus Sicht der Fragesteller werden in bisherigen Ausführungen der Bundes-
regierung die erheblichen qualitativen Schwächen zu wenig reflektiert. Dabei
gehen diese nach Darstellung mehrerer Beobachter, darunter auch deutsche
Polizeibeamte, so weit, dass die afghanischen Polizisten häufig mehr als krimi-
nelle Bande gefürchtet denn als Garanten für Recht und Ordnung wahrgenom-
men werden. So kommt etwa die International Crisis Group in einem aktuellen
Bericht vom 4. August 2011 zu dem Schluss, dass die afghanischen Sicherheits-
kräfte auch in jenen Regionen, die ihnen seit Juli 2011 im Rahmen der Transition
übergeben wurden, sich als „unfähig“ erwiesen hätten, das Gesetz durchzuset-
zen. In diesem Zusammenhang ist von einem „hohen Maß an Straflosigkeit“ die
Rede. Ein „Reuters“-Bericht vom 24. August 2011 gibt die Einschätzung eines
hohen afghanischen Strafverfolgungsbeamten wieder, demzufolge die Fest-
nahme krimineller Polizisten häufig am Korpsgeist der Polizei scheitere. Außer-
dem würden jene, die eine Strafverfolgung forderten, von der Polizei selbst
eingeschüchtert. Daher ist von einer hohen Dunkelziffer krimineller Polizisten
auszugehen – offiziell wurden seit März 2010 nach dem „Reuters“-Bericht
200 Polizisten des Mordes und 4 600 anderer Verbrechen beschuldigt.

Die Art und Weise, wie die Ausbildung durch deutsche Polizisten genau vor
sich geht, ist nach Einschätzung der Fragesteller bislang nicht ausreichend

transparent. So ist nicht erkennbar, inwiefern sich die deutschen Polizisten von
den überwiegend militärisch motivierten Überlegungen der federführenden
NATO Training Mission Afghanistan (NTM-A) lösen können. Die Evaluierung
der Ausbildung bzw. die Messbarkeit ihres Erfolgs oder Misserfolgs ist eben-
falls intransparent. Gravierend schlägt hier zu Buche, dass es bislang offenbar

Drucksache 17/6943 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

keine Möglichkeit gibt, zu erfassen, wie viele der Polizisten nach ihrer Ausbil-
dung im Polizeidienst verbleiben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag die konkreten
Konzepte und Curricula für die Ausbildung der ANP vorzulegen, die von
NTM-A/CSTC-A (Combined Security Transition Command – Afghanistan)
bzw. der dort angesiedelten Koordinierungseinheit für Polizeiausbildung
(vgl. Bundestagsdrucksache 17/2878, Frage 6) ausgearbeitet werden, zumin-
dest soweit sie Ausbildungen betreffen, die konkret im Rahmen des bilatera-
len deutschen Polizeiprojektes (German Police Project Team – GPPT) bzw.
der EU-Mission EUPOL AFG angeboten werden (Basisausbildungen etc.),
und wenn nein, warum nicht?

2. Werden diese Konzepte und Curricula von deutschen Polizeiausbildern im
Rahmen des GPPT bzw. EUPOL AFG unverändert übernommen, bzw. wer-
den sie überarbeitet oder angepasst?

Ist die Bundesregierung bereit, dem Bundestag allfällig überarbeitete oder
angepasste Curricula und Konzepte zur Kenntnis zu bringen, und wenn nein,
warum nicht?

3. Hat es von Seiten deutscher Polizeibeamter nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Vorbehalte gegen die oder Kritik an der Übernahme der von NTM-A/
CSTC-A erarbeiteten Konzepte und Curricula gegeben, und wenn ja,
welcher Art waren diese, von wem wurden sie formuliert, und wie hat die
Bundesregierung hierauf reagiert?

4. Ist der Bundesregierung bekannt, inwiefern andere an der Polizeiausbildung
beteiligte Akteure sich die an die von NTM-A/CSTC-A erarbeiteten Kon-
zepte halten bzw. diese überarbeiten?

5. Inwiefern existieren Konzepte und Curricula für das deutsche Engagement
im Focused District Development?

a) Ist die Bundesregierung bereit, diese Konzepte bzw. Curricula dem Bun-
destag zur Kenntnis zu bringen, angesichts der Tatsache, dass dieses
Engagement nicht im Rahmen von NTM-A erfolgt, und wenn nein,
warum nicht?

b) Wie genau erfolgt die Abstimmung mit NTM-A beim deutschen Engage-
ment im FDD (Foundation for Defense of Democracies), und auf welche
Bereiche erstreckt sich diese Abstimmung?

c) Welche Art von logistischer und materieller Unterstützung wird hierbei
von NTM-A bereitgestellt?

6. Wie ist die Berichterstattung seitens GPPT und EUPOL AFG an die Bun-
desregierung bzw. vorgesetzte Dienststellen geregelt?

a) Welche Art von Berichten kommen in welchen zeitlichen Abständen
bzw. Regelmäßigkeiten aus dem GPPT sowie von EUPOL AFG?

b) Wer zeichnet diese Berichte jeweils ab?

c) An welchen Empfängerkreis gelangen diese Berichte?

d) Inwiefern ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag
diese Berichte im vollem Umfang zur Kenntnis zu bringen?

e) Falls die Bundesregierung nicht zur vollständigen Kenntnisgabe bereit
ist, warum nicht, und was waren die wesentlichen Aussagen der Berichte,

die im Jahr 2011 erstellt worden sind?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6943

7. Ist LOTFA im Rahmen seiner Bemühungen, die Anzahl der besoldeten und
am elektronischen Gehaltssystem (EPS) teilnehmenden afghanischen Poli-
zisten zu verifizieren, auch in der Lage, zu überprüfen, wie viele dieser Poli-
zisten tatsächlich ihren Dienst versehen, um „Geisterrekruten“ auszuschlie-
ßen, die zwar gemeldet sind, aber nicht wirklich als Polizisten arbeiten, und
wenn ja, welche Angaben kann die Bundesregierung darüber machen, wie
viele der aktuell besoldeten und am EPS teilnehmenden Polizisten tatsäch-
lich regelmäßig an ihren Dienststellen präsent sind?

Falls die Bundesregierung hierzu keine Angaben machen kann, was müsste
unternommen werden, um solche Angaben zu ermöglichen?

8. Ist die Bundesregierung bereit, die monatlichen Prüfberichte durch den Mo-
nitoring Agent (vgl. Bundestagsdrucksache 17/5665, Antwort zu Frage 5b)
dem Deutschen Bundestag in vollem Umfang zur Kenntnis zu bringen, und
wenn nein, warum nicht, und was sind die wesentlichen Aussagen der in die-
sem Jahr erstellten Prüfberichte?

9. Welche anderen, hier noch nicht genannten Berichte zieht die Bundes-
regierung heran, um eine Bewertung und Evaluation des Polizeieinsatzes in
Afghanistan vorzunehmen, und inwiefern ist sie bereit bzw. befugt, diese
dem Deutschen Bundestag zu übermitteln?

10. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, eine unabhängige Evaluation
des Polizeiaufbaus in Afghanistan sowie des deutschen Beitrages hierzu in
Auftrag zu geben?

11. An welchen technischen oder administrativen Voraussetzungen scheitert es
derzeit, zu erfassen, wie viele der Polizisten nach Abschluss ihrer Ausbil-
dung bzw. eines Alphabetisierungskurses im Polizeidienst verbleiben oder
aber ihn verlassen, um sich entweder den Aufständischen anzuschließen
oder besser bezahlten Tätigkeiten, etwa bei ausländischen NGO, nachzuge-
hen, und bis wann wird eine solche Erfassung nach Ansicht der Bundes-
regierung möglich sein?

Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit irgendeine Möglich-
keit, die Abgangsquoten von Polizisten nach Abschluss ihrer Ausbildung
wenigstens zu schätzen (bitte ggf. ausführen)?

12. Welche Angaben kann die Bundesregierung (ggf. unter Rückgriff auf Zah-
len der zuständigen afghanischen Behörden) zu der Frage machen, mit
welcher Ernsthaftigkeit und welchen Ergebnissen in Afghanistan Ermitt-
lungs- und Strafverfahren gegen kriminelle Polizisten durchgeführt wer-
den?

Inwiefern gibt es hierzu statistisches Material?

13. Inwiefern treffen Meldungen zu, denen zufolge die Ausbildungsdauer für
afghanische Polizisten von sechs wieder auf acht Wochen verlängert
wurde, und welche Veränderungen bringt dies für die Gesamtstundenzahl
der Ausbildung mit sich?

14. Plant die Bundesregierung in den nächsten zwölf Monaten eine Verände-
rung in dem Beitrag des GPPT zum FDD (personell und geographisch),
und wenn ja, welche Veränderungen genau, und aus welchen Gründen?

15. In welchen Distrikten wird sich das GPPT in den nächsten zwölf Monaten
am FDD beteiligen, und nach welchen Kriterien wurden die Distrikte aus-
gewählt?

16. In welchen Distrikten in Nordafghanistan wurde das FDD bereits beendet,
welche Zielvorgaben wurden erfüllt, und welche nicht?

Drucksache 17/6943 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
17. Wie viel GPPT-Personal wird in den nächsten zwölf Monaten für Mento-
ring und Nachbetreuung der ausgebildeten ANP-Einheiten in welchen Dis-
trikten Nordafghanistans zur Verfügung stehen?

Berlin, den 6. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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