BT-Drucksache 17/6877

Vergütung der Integrationskurs-Lehrkräfte

Vom 31. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6877
17. Wahlperiode 31. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln),
Ingrid Hönlinger, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Wolfgang Wieland
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vergütung der Integrationskurs-Lehrkräfte

Die wirtschaftliche bzw. soziale Situation der Integrationskurs-Lehrkräfte ist,
ähnlich wie die Lage von Weiterbildungsdozentinnen und -dozenten, bereits seit
Jahren prekär.

Nach dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung zur Durchführung und Finan-
zierung der Integrationskurse (Bundestagsdrucksache 16/6043) sind nur 28 Pro-
zent der Lehrkräfte festangestellt, die restlichen 72 Prozent werden lediglich als
Honorarkräfte beschäftigt.

Selbstständige Honorarkräfte verfügen über geringere Rechte als festangestellte
Lehrkräfte:
● sie haben keine Sicherheit über ihre Stundenzahl und damit über ihre Ein-

kommenshöhe,
● sie erhalten keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bzw. in Zeiten ohne

Kursangebot (z. B. in den Ferien) und
● sie müssen die hohen Sozialversicherungsbeiträge aufgrund ihres Selbststän-

digenstatus allein tragen.

Hinzu kommt, dass die Lehrkräfte der Integrationskurse im Vergleich zu ähn-
lichen Berufsgruppen unterbezahlt werden. Einem Gutachten des vom Bundes-
ministerium des Innern beauftragten Unternehmens „Rambøll Management
Consulting GmbH“ über das „Finanzierungssystem der Integrationskurse“ von
Ende 2009 zufolge, weise die Vergütung der Lehrkräfte der Integrationskurse im
Hinblick auf vergleichbare Berufsgruppen (Lehrkräften im Schuldienst, Sozial-
pädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erziehern, Lehrkräften im
Bereich der Aus- und Weiterbildung nach dem Zweiten und Dritten Buch So-
zialgesetzbuch – SGB II und SGB III) die „geringste Vergütung“ auf. Im Durch-
schnitt würden die Lehrkräfte lediglich mit 18,35 Euro brutto pro Unterrichts-
einheit vergütet. Die Rambøll Management Consulting GmbH forderte daher
eine „verbindliche Erhöhung der Lehrkraftvergütung“.

Die Bundesregierung reagierte und argumentierte hierauf wie folgt: Allgemein
unterliegt „die Vereinbarung der Honorare für freiberufliche Lehrkräfte in Inte-

grationskursen (…) (der) verfassungsrechtlich (…) geschützter Privatautonomie
und (…) [dem] Recht auf Freiheit der Berufsausübung“. Der grundrechtliche
Schutz der Vertragsfreiheit gelte aber, so die Bundesregierung weiter, „nicht
schrankenlos (…) daher kann im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot (…) gegen
sog. Dumpinghonorare vorgegangen werden.“ (Bundestagsdrucksache 17/
1536). Im Ergebnis erklärte die Bundesregierung „Rahmenvorgaben“ für grund-

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sätzlich zulässig, die die „Lehrkräftevergütung mit der Höhe der Stundensatz-
pauschale“ verbinden (Bundestagsdrucksache 17/2993).

Auf dieser Grundlage hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
2008 de facto eine Mindestvergütung von 15 Euro festgelegt. Wer weniger zahlt,
erhält seither nur noch eine Zulassung für zwölf Monate.

2009 hat das BAMF in 43 Fällen eine Zulassung wegen Verstoßes gegen die
oben genannte Mindestvergütungsgrenze auf ein Jahr befristet: Davon wurde in
vier Fällen die Zulassung nach einem Jahr nicht verlängert bzw. widerrufen. In
acht Fällen wurde eine erneute, befristete Verlängerung der Zulassung ausge-
sprochen. Ob sich in diesen letztgenannten acht Fällen bzw. den restlichen 31 der
insgesamt 43 Beanstandungen die Vergütung der Lehrkräfte verbesserte, ließ die
Bundesregierung offen (Bundestagsdrucksache 17/2993).

Aus Sicht der Betroffenen stellt sich die Situation wie folgt dar:
● Zum einen wurden bei einer Umfrage des Netzwerks von Lehrkräften

„Deutsch als Zweitsprache“ (des sogenannten DaZ-Netzwerks) bei 386 Inte-
grationskursanbietern namentlich rund 40 Träger (ca. 10 Prozent) ermittelt,
die immer noch zum Teil deutlich weniger als das vom BAMF geforderte
Mindesthonorar von 15 Euro bezahlen würden. In vier Fällen waren es nur
10 Euro, bei einem Träger in Nürnberg sogar nur 8 Euro (www.daz-netzwerk.
de/fileadmin/user_upload/Honorarumfrage.html).

● Zum anderen reiche für die Honorarkräfte die Mindestvergütungsgrenze des
BAMF von 15 Euro nicht aus: Selbst wenn sie auf Vollzeit rund 1 000 Stun-
den im Jahr unterrichten würden, bliebe nur ein Bruttojahreseinkommen von
15 000 Euro bzw. ein monatliches Nettoeinkommen von zum Teil deutlich
unter 1 000 Euro übrig. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(GEW) sind viele Integrationskursdozentinnen und -dozenten trotz Arbeit
auf staatliche Zusatzleistungen angewiesen.

Dieser seit Jahren evidente Zustand ist nicht hinnehmbar.

Zu Recht forderten daher die Integrationsministerinnen und -minister der Län-
der auf ihrer diesjährigen 6. Integrationsministerkonferenz den Bund auf, „Maß-
nahmen zu ergreifen, damit die Lehrkräfte in Integrationskursen für ihre wich-
tige Arbeit angemessen entlohnt werden.“

Die Leiterin des GEW-Organisationsbereichs „Berufliche Bildung und Weiter-
bildung“, Dr. Stephanie Odenwald, vertritt die „langfristige Forderung“, bei den
Honorarlehrkräften der Integrationskurse eine „Statusänderung“ zu erreichen:
„Weg von der Scheinselbstständigkeit, hin zu einem abgesicherten Arbeitsver-
hältnis mit entsprechendem Verdienst. Solange sie [aber] als Honorarlehrkräfte
arbeiten“ fordert die GEW eine Vergütung von 30 Euro, um eine „Gleichstellung
zu Lehrkräften im staatlichen Dienst“ zu erreichen. Kurzfristig seien Mindest-
honorare in Höhe von 23 bis 25 Euro notwendig, so die GEW.

Das BAMF möchte nun bis Ende 2011 überarbeitete Kriterien für die Zulassung
von Integrationskursträgern vorlegen. Unklar ist hierbei, ob auch eine Änderung
der bisherigen Vergütungspraxis der Kursträger beabsichtigt wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Lehrkräfte arbeiten bei wie vielen Kursträgern (bitte nach Frauen
und Männern aufschlüsseln)?
a) Wie viele von ihnen sind festangestellt, arbeiten in Teilzeit oder in gering-

fügigen Beschäftigungsverhältnissen (bitte nach Frauen und Männern auf-
schlüsseln)?
b) Wie viele von ihnen arbeiten als Honorarkräfte (bitte nach Frauen und
Männern aufschlüsseln)?

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2. Wie viel verdienen die festangestellten Lehrkräfte im Durchschnitt?

3. Wie werden die Honorarkräfte derzeit durchschnittlich vergütet?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die unterschiedliche
Entlohnung bzw. Vergütung
a) von männlichen und weiblichen Lehrkräften bzw.
b) von Lehrkräften bei gemeinnützigen, kirchlichen und kommunalen Trä-

gern bzw. bei privaten Sprachschulen (vgl. Erfahrungsbericht der Bun-
desregierung zur Durchführung und Finanzierung der Integrationskurse;
Bundestagsdrucksache 16/6043)?

5. Bei wie vielen Kursträgern hat das BAMF in den Jahren 2009 und 2010
sowie in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2011 im Zuge sogenannter
Vorortkontrollen unter anderem auch die Vergütung der dort beschäftigten
Lehrkräfte geprüft (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

6. In wie vielen Fällen wurde eine Vergütung
a) von 15 Euro und mehr,
b) zwischen 15 bis 10 Euro und
c) unter 10 Euro
festgestellt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

7. Wurden auch die Kursträger überprüft, die laut der Umfrage des DaZ-Netz-
werks den Lehrkräften weniger als 15 Euro bezahlen?
Wenn ja, bei wie vielen Trägern wurde bei den BAMF-Kontrollen der Vor-
wurf bestätigt, dass weniger als 15 Euro bezahlt werden?
Wenn nein, warum nicht?

8. Wie viele Kursträgerzulassungen wurden im oben genannten Zeitraum auf
ein Jahr befristet mit Verweis auf die Zahlung von weniger als 15 Euro
Stundenhonorar (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?
a) In wie vielen Fällen wurde die Zulassung nach einem Jahr und aus

welchen Gründen nicht verlängert bzw. widerrufen (bitte nach Jahren
aufschlüsseln)?

b) In wie vielen Fällen wurde eine erneute, befristete Verlängerung der
Zulassung ausgesprochen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

Wie hat sich die Vergütung bei diesen Kursträgern entwickelt?
Ist es möglich, dass Kursträger mit einer immer wieder erneuerten, auf
zwölf Monate befristeten Zulassung arbeiten, ohne sich an die Mindest-
vergütungsgrenze des BAMF zu halten?

9. Ermittelt das BAMF im Zuge seiner Kursträger-Kontrollen nunmehr auch,
wie viele Lehrkräfte aufgrund der unzureichenden Vergütung als soge-
nannte Aufstocker auf Leistungen des SGB II angewiesen sind (vergleiche
die Antwort zu Frage 29 auf Bundestagsdrucksache 17/2993)?
Wenn ja, wie viele der Honorarkräfte bezogen 2010 ergänzende Sozial-
leistungen, und wie hoch waren die Kosten hierfür?
Wenn nein, warum nicht?

10. Hat sich die Bewertungskommission seit 2009 mit der Frage der Vergütung
der Lehrkräfte der Integrationskurse beschäftigt?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht?

11. Haben die Integrationsministerinnen und -minister der Länder nach Ansicht
der Bundesregierung in der Sache recht, wenn sie vom Bund verlangen,

endlich „Maßnahmen zu ergreifen, damit die Lehrkräfte in Integrationskur-
sen für ihre wichtige Arbeit angemessen entlohnt werden“?

Drucksache 17/6877 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung auf diesen einstimmigen Be-
schluss der 6. Integrationsministerkonferenz zu reagieren?
Wenn nein, warum nicht?

12. Ist die Erhöhung der Lehrkräftevergütung Gegenstand der laufenden Über-
arbeitung der Zulassungskriterien für Integrationskursträger?
Wenn ja, welche Mindestvergütungsgrenze strebt die Bundesregierung an,
und wie hoch wären damit die Gesamtnettokosten für den staatlichen Haus-
halt (beispielsweise unter Berücksichtigung zurückgehender ergänzender
Sozialleistungen)?
Wenn nein, warum nicht?

13. Wie hoch wären die Gesamtnettokosten für den Bundeshaushalt, wenn man
eine Mindestvergütung der Honorarkräfte
a) von 23 Euro,
b) von 25 Euro bzw.
c) von 30 Euro
pro Unterrichtseinheit ermöglichen möchte (bitte auch Berechnungsgrund-
lage aufführen)?

14. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorwurf der GEW, die Honorarkräfte
in den Integrationskursen seien Scheinselbstständige, welchen Handlungs-
bedarf sieht sie gegebenenfalls, und wie begründet sie diese Position?

15. In wie vielen Fällen und mit welchem Ergebnis hat die Clearingstelle für
sozialversicherungsrechtliche Statusfragen der Deutschen Rentenversiche-
rung Bund seit 2009 Statusklärungen auf Anfrage von Honorarkräften in
Integrationskursen bzw. deren Auftraggebern vorgenommen?

16. In wie vielen Fällen hat die Deutsche Rentenversicherung Bund seit 2009
im Rahmen von Betriebsprüfungen Scheinselbstständigkeit bei Trägern von
Integrationskursen festgestellt, die Deutschlehrer auf Honorarbasis be-
schäftigten?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderungen der GEW nach der
hälftigen Übernahme der Sozialversicherungskosten durch den Auftrag-
geber sowie der Garantie der Übernahme von Fortbildungskosten inklusive
Unterrichtsausfall durch das BAMF im Einzelnen, und wie begründet sie
ihre Positionen?

18. Sind der Bundesregierung Beschwerden bekannt, wie sie z. B. von dem
GEW-Vorstandsmitglied Dr. Stephanie Odenwald vorgetragen werden, dass
festangestellten Lehrkräften in den Integrationskursen mitunter „das Recht
auf bezahlte Urlaubszeit“ bzw. die „Beteiligung bei der Wahl von Betriebs-
räten“ verweigert würde (www.gew.de/Integrationskurse_Proteste_gegen_
miese_Bezahlung.html)?
Wenn ja, kann die Bundesregierung diese Vorhalte bestätigen?

19. Bezieht das BAMF mögliche Verstöße der Träger gegen Grundsätze des
individuellen bzw. kollektiven Arbeitsrechts in seine Kontrollen mit ein?
Wenn ja, mit welchen Ergebnissen, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 31. August 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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