BT-Drucksache 17/6747

Einstellung und Kosten des ELENA-Verfahrens

Vom 3. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6747
17. Wahlperiode 03. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Ulla Jelpke,
Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Kornelia Möller,
Jens Petermann, Ingrid Remmers, Raju Sharma, Halina Wawzyniak,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Einstellung und Kosten des ELENA-Verfahrens

Kaum anderthalb Jahre ist der elektronische Entgeltnachweis „ELENA“ alt –
und schon steht er vor dem Aus. Das seit Jahren umstrittene IT-Großprojekt des
Bundes soll laut einer gemeinsamen Pressemitteilung des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums für Arbeit und So-
ziales vom 18. Juli 2011 schnellstmöglich eingestellt werden.

Als Grund für die Einstellung geben die Bundesministerien die fehlende Ver-
breitung der qualifizierten elektronischen Signatur an. Umfassende Unter-
suchungen hätten gezeigt, „dass sich dieser Sicherheitsstandard, der für das
ELENA-Verfahren datenschutzrechtlich zwingend geboten ist, trotz aller Be-
mühungen in absehbarer Zeit nicht flächendeckend verbreiten wird“. Hiervon
hänge aber der Erfolg des ELENA-Verfahrens ab (vgl. Pressemitteilung des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales vom 18. Juli 2011).

Die Bundesregierung kündigte außerdem an, „dafür Sorge zu tragen, dass die
bisher gespeicherten Daten unverzüglich gelöscht und die Arbeitgeber von den
bestehenden elektronischen Meldepflichten entlastet werden“ (ebd.). Hierzu
werde das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Kürze einen
entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Presseerklärung der beiden Bun-
desministerien lässt vermuten, dass es mit der elektronischen Erfassung von
Arbeitnehmerdaten keineswegs vorbei ist, denn die Bundesregierung kündigte
ferner an, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Konzept
erarbeiten werde, „wie die bereits bestehende Infrastruktur des ELENA-Verfah-
rens und das erworbene Know-how für ein einfacheres und unbürokratisches
Meldeverfahren in der Sozialversicherung genutzt werden können“ (ebd.).

ELENA sollte zur Entbürokratisierung beitragen und Kosten sparen, indem alle
zur Beantragung von Sozialleistungen nötigen Daten zentral gespeichert wer-
den. So sollte der „elektronische Entgeltnachweis“ bei Anträgen auf Arbeits-
losengeld, Wohngeld oder Elterngeld die Arbeitgeberbescheinigungen auf

Papier ersetzen. Außerdem sollten Unternehmen um mehr als 85 Mio. Euro
jährlich entlastet werden. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) wies darauf hin,
dass all diese Ziele nicht erreicht wurden und begrüßte daher die Entscheidung
der Bundesregierung. Der Vizepräsident des BdSt Reiner Holznagel erklärte in
der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom 19. Juli 2011 „leider haben zwei
Bundesregierungen viel zu lange gezögert, um das Aus dieses Molochs zu voll-
ziehen“.

Drucksache 17/6747 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Was zur Bürokratievereinfachung gedacht war, habe sich ins Gegenteil verkehrt.
Tatsächlich seien durch das Projekt seit 2008 nach Angaben des BdSt allein dem
Staat Kosten von mindestens 33 Mio. Euro entstanden. Dazu kämen noch die
Kosten der Startfinanzierung in Höhe von 55 Mio. Euro (vgl. hierzu WELT
Online vom 19. Juli 2011). Zu den Kosten des Bundes kämen laut Reiner
Holznagel noch „ungeheure Kosten der Unternehmen“ hinzu (vgl. Neue Osna-
brücker Zeitung vom 19. Juli 2011). Nach Angaben der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände hätten die Unternehmen mehrere 100 Mio.
Euro für ELENA ausgegeben. Ein Gutachten des Normenkontrollrats, das
knapp über 8 Mio. Euro Nettoentlastung für die Unternehmen errechnete, wurde
von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände im Oktober letz-
ten Jahres mit eigenen Berechnungen konfrontiert, die auf tatsächliche Mehr-
belastungen von „wenigstens 145 Mio. Euro“ durch das ELENEA-Verfahren
hinausliefen (Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände vom 15. Ok-
tober 2010).

Die unverzügliche Löschung aller bisher gespeicherten Daten wird nun von
vielen Seiten, so auch von der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in
Sachsen-Anhalt (MIT), gefordert. MIT-Landesgeschäftsführer Tobias Schmidt
bezeichnete ELENA als Beispiel „für die schlimmste Verschlimmbesserung
von Verfahren“ (FOCUS ONLINE vom 19. Juli 2011). Durch die zusätzlichen
Meldepflichten seien vor allem kleine und mittlere Unternehmen belastet wor-
den. Was als Projekt zum Bürokratieabbau gedacht war, habe sich als völlig
gegenteilig erwiesen. Bundesweit seien von Unternehmen etwa 500 Millionen
ELENA-Datensätze an die Deutsche Rentenversicherung gemeldet worden
(vgl. FOCUS ONLINE vom 19. Juli 2011).

Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Peter Schaar hat in einer Presseerklärung ein sofortiges Handeln nach dem Ende
des ELENA-Verfahrens gefordert. Peter Schaar erklärte, dass in der Datenbank
sogar bereits über 700 Millionen Datensätze gespeichert sind und forderte daher
den Bundesgesetzgeber auf, „die vollständige Löschung der Datensätze gesetz-
lich sicherzustellen“ (Presseerklärung des Bundesbeauftragten für den Daten-
schutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar vom 19. Juli 2011). Peter
Schaar erklärte weiter, dass er als treuhänderischer Verwalter des ELENA-
Hauptschlüssels, weiterhin darauf achten werde, dass ein hohes Sicherheits-
niveau gewährleistet sei, auch in der Übergangsphase bis zur endgültigen
Löschung der Daten (ebd.). Überlegungen zur künftigen Nutzung der ELENA-
Infrastruktur dürften laut Peter Schaar nicht zu einem Verfahren mit „Daten-
schutz-light“ führen, sondern stattdessen müssten die zugrunde liegenden Struk-
turen kritisch überprüft werden. Das gelte „insbesondere für die Vielzahl der
unterschiedlichen Einkommensbegriffe, die für die verschiedenen staatlichen
Aufgaben verwandt werden“ (ebd.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Seit wann wusste die Bundesregierung von den umfassenden Untersuchun-
gen, die das Scheitern einer flächendeckenden Verbreitung der sogenannten
qualifizierten Signatur (QES), des notwendigen Sicherheitsstandard für das
ELENA-Verfahren, zum Ergebnis hatten, und um welche Untersuchungen
handelt es sich im Einzelnen?

2. Enthalten die Untersuchungen eine Prognose bis wann mit einer flächende-
ckenden Verbreitung der sogenannten qualifizierten Signatur (QES) in der
Bundesrepublik Deutschland zu rechen ist, und wenn ja wie lautet diese?

3. Wie hoch belaufen sich die Gesamtkosten des ELENA-Verfahrens (bitte
aufschlüsseln nach Kosten für den Bund, die Unternehmen und die Kommu-

nen/Verwaltungen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6747

4. Welche weiteren Kosten entstehen den Beteiligten durch die Einstellung
des ELENA-Verfahrens (bitte analog zu Frage 3 auflisten)?

5. Welche Folgen hat die Einstellung des Verfahrens für die dem Bundes-
beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für ELENA
zugewiesenen Mittel aus dem Bundeshaushalt?

6. Wie viele Datensätze sind bislang in der zentralen ELENA-Datenbank ge-
speichert?

7. Bis wann werden die Daten, die im ELENA-Verfahren erhoben und gespei-
chert wurden, gelöscht, wer ist dafür verantwortlich, wie wird sicher-
gestellt, dass dies vollständig geschieht, und wer überwacht dies?

8. Gibt es innerhalb der Bundesregierung schon Pläne zur künftigen Nutzung
der ELENA-Infrastruktur, und wenn ja, wie sehen diese aus?

Wenn nein, warum nicht, und bis wann werden diese Pläne vorliegen?

9. Sieht die Bundesregierung durch das Scheitern von ELENA auch Konse-
quenzen für andere IT-Großprojekte des Bundes?

Wenn ja, welche sind dies?

Wenn nein, warum nicht?

10. Welche Folgen hat die fehlende Verbreitung der qualifizierten elektroni-
schen Signatur z. B. bei der Einführung der elektronischen Gesundheits-
karte und anderen Projekten des eGovernments?

11. Wie sollen die Arbeitgeber künftig von den bestehenden elektronischen
Meldepflichten entlastet werden, wenn, wie unter anderem vom Bundes-
beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar
gefordert, an den aufwendigen Datenschutzvorgaben keinerlei Abstriche
vorgenommen werden dürfen?

Berlin, den 3. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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