BT-Drucksache 17/6605

Werkverträge als Instrument zum Lohndumping

Vom 14. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6605
17. Wahlperiode 14. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Katja Kipping, Cornelia Möhring,
Kornelia Möller, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Werkverträge als Instrument zum Lohndumping

Werkverträge sind neben Leiharbeit in wachsender Zahl für die Reduzierung der
Stammbelegschaft in Betrieben verantwortlich. Die Beschäftigten in der Leih-
arbeit und in Werkvertragsunternehmen werden in der Regel deutlich schlechter
bezahlt als die Stammbeschäftigten im Unternehmen. Viele, auch namhafte
Leiharbeitsfirmen bieten als weiteres Geschäftsfeld auch Werkverträge als Aus-
lagerungsstrategie für Unternehmen an (zum Beispiel die Firma Adecco Perso-
naldienstleistungen GmbH, die zugleich die Firma Adecco Outsourcing GmbH
betreibt). Das Ausmaß belegt eine Betriebsrätebefragung der IG Metall vom
Februar 2011: Rund ein Drittel der 5 000 Befragten gaben an, dass in ihren
Unternehmen Werkverträge eingesetzt werden. Von diesem Drittel sind sich
wiederum 36 Prozent sicher, dass auf diesem Wege Stammarbeitsplätze abge-
baut werden.

Firmen, die Mindestlöhne und gesetzliche Regulierungen in der Leiharbeit um-
gehen wollen, weichen somit auf das Instrument der Werkverträge aus, um wei-
terhin Lohndumping zu betreiben. Die Einsatzgebiete von Werkverträgen zum
Zwecke des Lohndumpings sind vielfältig: Im Einzelhandel werden Werkver-
träge eingesetzt, um einzelne Tätigkeiten zu niedrigen Löhnen auszugliedern
(Regaleinräumer), bzw. um tarifliche Regelungen, beispielsweise den Nachtzu-
schlag, zu umgehen. In der Metall- und Elektroindustrie übernehmen Werkver-
tragsbeschäftigte teilweise ganze Fließbandstrecken selbständig. Formal sind
diese aus dem Produktionsablauf des Betriebs ausgegliedert, aber faktisch sind
sie notwendiger Bestandteil der Fertigung eines gemeinsamen Produktes, wie
beispielsweise die Ausgliederung einer Autolackiererei bei der Fahrzeugherstel-
lung. Im Rahmen der EU-Dienstleistungsfreiheit bekamen Werkverträge eine
neue Brisanz. Da bei einem Werkvertrag weitgehend die Arbeits- und Entloh-
nungsbedingungen des Herkunftslandes gelten, eröffnen sich hier ganz neue
Lohndumpingstrategien. Der Einsatz von Werkvertragsarbeitern aus Litauen in
der Nachtschicht des Dortmunder Europalagers von IKEA Deutschland GmbH
& Co. KG ist hier beispielhaft (www.wdr.de/mediathek/html/regional/2011/03/
11/lokalzeit-dortmund-billigarbeiter.xml).

Werkvertragsbeschäftigung tritt in Unternehmen in zwei Formen in Erschei-
nung: Zum einen gibt es Scheinwerkverträge, die eigentlich verdeckte bzw. ille-
gale Leiharbeit darstellen. Sie erfüllen die Kriterien eines Werkvertrages nicht,
werden aber als solche ausgegeben. Zum anderen gibt es echte Werkverträge,
die Unternehmen schließen, um Teile ihres bisherigen Unternehmens oder neue

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Aufgaben an Fremdfirmen zu vergeben. Sie erfüllen die Kriterien eines Werk-
vertrages, werden aber auch zum Zwecke des Lohndumpings eingesetzt.

Bei Scheinwerkverträgen ist ein selbständiges Werk, als Wesensinhalt eines
Werkvertrages, nicht mehr gegeben. Die selbständige Ausführung der Tätigkeit
sowie die alleinige Weisungsbefugnis des Werkvertragsunternehmens hinsicht-
lich Art, Ort und Zeit des auszuführenden Werks wird in der Praxis durch die
Integration der Werkvertragsbeschäftigten in den betrieblichen Ablauf infrage
gestellt. Die Scheinwerkvertragsbeschäftigten erledigen ihre Tätigkeiten zudem
zumeist in den Gebäuden bzw. auf dem Gelände der auftraggebenden Betriebe,
in zeitlicher Abhängigkeit von deren Produktionsabläufen und mit Arbeitsmit-
teln des Auftraggebers.

Bei Scheinwerkverträgen bzw. illegaler Arbeitnehmerüberlassung werden Be-
schäftigte um Teile ihres Lohnes und die sozialen Sicherungssysteme um Ein-
nahmen gebracht. Hier tut sich eine rechtliche Grauzone auf. Sie existiert, weil
der Nachweis von Scheinwerkverträgen sich in der Praxis äußerst schwierig
gestaltet. Eine selbsttätige Ermittlung und Kontrolle, zum Beispiel durch die
Finanzkontrolle Schwarzarbeit, existiert faktisch nicht. Die betroffenen Sozial-
versicherungsträger bleiben in der Regel untätig. Verdachtsfälle müssen von
Seiten eines/einer Betroffenen zur Anzeige gebracht werden. Da die Hürde, ihr
eigenes Unternehmen zu verklagen, für die Betroffenen oft zu hoch ist, ge-
schieht dies nur äußerst selten.

Echte Werkverträge stellen eine völlig legale Strategie der Tarifflucht dar. Sie
unterhöhlen zudem die betriebliche Mitbestimmung, indem ein faktisch im Pro-
duktionsprozess zusammenhängender Betrieb in viele Einzelfirmen zerlegt
wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der Betriebsrätebefragung der IG
Metall vom Februar 2011 bekannt (www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/
style.xsl/betriebsraeteumfrage-der-ig-metall-zu-unsicherer-beschaeftigung-
7006.htm), nach der rund ein Drittel der 5 000 Befragten angibt, dass in ihren
Unternehmen Werkverträge eingesetzt werden und von diesem Drittel sich
wiederum 36 Prozent sicher sind, dass so Stammarbeitsplätze abgebaut wer-
den?

Leitet die Bundesregierung hieraus einen Handlungsbedarf ab?

Wenn ja, welchen?

Wenn nein, warum nicht?

2. Welche Informationen bzw. Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über
die Zunahme der Auslagerung von im Einsatzbetrieb notwendigen und dem
Betriebszweck, -ablauf und -erhalt dienenden Arbeitsabläufen (z. B. Auffül-
len der Regale im Handel, Fleischzerteilen in der Großmetzgerei, Übernahme
von Tätigkeiten in industriellen Produktionsstraßen) und deren Erledigung
durch Werkvertragsunternehmen vor, und wie bewertet sie diese Vorgänge?

3. Welche Schritte wird die Bundesregierung in die Wege leiten, um zu eigenen
Erkenntnissen hinsichtlich der Verbreitung und möglicherweise missbräuch-
lichen Nutzung von Werkverträgen zur Umgehung von tariflichen oder ar-
beitsrechtlichen Standards zu kommen?

4. Inwiefern stellen nach Ansicht der Bundesregierung Werkverträge eine Mög-
lichkeit zur Umgehung der gesetzlichen Vorschriften im Arbeitnehmerüber-
lassungsgesetz dar?

Sieht die Bundesregierung hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf?

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5. Welche Kriterien liegen der Überprüfung von Werkverträgen zur Ermitt-
lung von Scheinwerkverträgen zugrunde, und wie wird deren Kontrolle und
Einhaltung sichergestellt?

6. Ist der Bundesregierung die Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes
(DGB) zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 14. März
2011 (s. Ausschussdrucksache 17(11)431 des Ausschusses für Arbeit und
Soziales des Deutschen Bundestages, S. 43) bezüglich der Abgrenzung von
Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen bekannt, und wie bewertet
sie diese?

7. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des DGB nach einer Er-
weiterung der Darlegungs- und Beweislast um eine Pflicht zur Amtsermitt-
lung durch die Rentenversicherung, die immer dann tätig werden müsste,
wenn sie Kenntnis davon erhielte, dass ein Missbrauch der Arbeitnehmer-
überlassung vorliegt?

8. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass deutsche Entlohnungs- und
Tarifstandards mittels Werkverträgen mit Firmen aus anderen EU-Mitglied-
staaten unterlaufen werden können, da – sofern es keinen Branchenmindest-
lohn nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gibt – aufgrund des Herkunfts-
landprinzips weitgehend die (unter Umständen niedrigeren) Arbeits- und
Entlohnungsbedingungen des Herkunftslandes gelten?

Wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun?

9. Hat ein/eine nach Deutschland entsandter Beschäftigter/entsandte Beschäf-
tigte bei nicht ausreichendem Einkommen aus Erwerbstätigkeit Anspruch
auf aufstockende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch?

a) Wenn ja, wie viele entsandte Beschäftigte betrifft es, wie hoch sind die
hierfür insgesamt anfallenden Kosten, und welche Branchen und welche
Herkunftsländer sind besonders betroffen (bitte seit 2005 bis heute sowie
aufgeschlüsselt nach Branchen und Herkunftsländern)?

b) Wenn nein, sieht sich die Bundesregierung in der Verantwortung dafür
Sorge zu tragen, dass entsandte Beschäftigte während ihres Aufenthalts
in Deutschland ihre Existenz sichern können?

10. Welche statistischen bzw. wissenschaftlichen Grundlagen zur Erfassung
von Werkverträgen und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die
Beschäftigten gibt es, und welchen Inhalt haben sie?

Hält die Bundesregierung diese für ausreichend?

11. Aus welchen Gründen prüft die Finanzkontrolle Schwarzarbeit bei Fällen
von Scheinwerkverträgen bzw. illegaler Arbeitnehmerüberlassung nicht
systematisch und ohne vorherigen Verdacht?

12. Welche Möglichkeiten gibt es, dass ein Verdacht auf Scheinwerkverträge
bzw. illegale Arbeitnehmerüberlassung bei der Finanzkontrolle Schwarz-
arbeit geäußert werden kann und dieser zur Prüfung des Sachverhalts führt
(bitte mögliche Institutionen und Personengruppen benennen)?

13. Geht die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch anonymen Hinweisen auf
Scheinwerkverträge bzw. illegale Arbeitnehmerüberlassung nach, und auf
welchem Wege können diese geäußert werden?

14. Wie viele Fälle der illegalen Arbeitnehmerüberlassung sind der Bundes-
regierung seit 2005 bekannt, und wie viele Beschäftigte waren davon jähr-
lich betroffen (falls möglich bitte gesondert die Fälle von Scheinwerkver-
trägen ausweisen)?

15. Welche der zu Frage 14 genannten Fälle wurden durch die Kontrollen der
Finanzkontrolle Schwarzarbeit aufgedeckt?

Drucksache 17/6605 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
16. Welche Konsequenzen hatten die Fälle illegaler Arbeitnehmerüberlassung
für die jeweiligen Ent- und Verleihunternehmen?

17. In wie vielen Fällen wurden seit 2005 Lohnnachzahlungen und Nachzah-
lungen von Sozialversicherungsbeiträgen veranlasst?

18. Welche Strafen oder Ordnungsgelder wurden seit 2005 für Ver- und Ent-
leihfirmen fällig (bitte in Auflistung der Anzahl sowie Art und Höhe der
Strafen und Ordnungsgelder)?

19. Welche Möglichkeiten haben die Sozialversicherungsträger, bei vermute-
tem Sozialversicherungsbetrug durch Scheinwerkverträge tätig zu werden?

20. Werden die Sozialversicherungsträger lediglich bei der turnusmäßigen Be-
triebsprüfung aktiv oder gehen sie auch ihnen gemeldeten Verdachtsfällen
nach?

21. Wie viele Fälle von illegaler Arbeitnehmerüberlassung auf dem Wege von
Scheinwerkverträgen haben die Sozialversicherungsträger jährlich seit 2005
aufgedeckt?

22. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund,
dass die zunehmende Zergliederung eines Betriebes durch Werkverträge
auch als Aushebelung der im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Mitbe-
stimmungsrechte der Beschäftigten eines Betriebes dienen kann?

Berlin, den 12. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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