BT-Drucksache 17/6594

Sachstand der Vorratsdatenspeicherung

Vom 13. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6594
17. Wahlperiode 13. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Burkhard Lischka, Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy,
Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Thomas Oppermann,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Sachstand der Vorratsdatenspeicherung

Am 9. November 2007 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Novelle der
Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richt-
linie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Mit dem Gesetz
wurden die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommuni-
kationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen novel-
liert und die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/
EG) in deutsches Recht umgesetzt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 2. März 2010 entschieden, dass
die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland in ihrer bisherigen Umsetzung ver-
fassungswidrig ist. Das Gesetz zur anlasslosen Speicherung umfangreicher
Daten sämtlicher Nutzer elektronischer Kommunikationsdienste sehe keine
konkreten Maßnahmen zur Datensicherheit vor; zudem hat das BVerfG die Hür-
den für den Abruf dieser Daten als zu niedrig bewertet. Das Urteil verpflichtete
deutsche Telekommunikationsanbieter zur sofortigen Löschung der bis dahin
gesammelten Daten. Das BVerfG hat jedoch auch festgestellt, dass die Vorrats-
datenspeicherung unter schärferen Sicherheits- und Transparenzvorkehrungen
sowie begrenzten Abrufmöglichkeiten für die Sicherheitsbehörden grundsätz-
lich zulässig sei.

Seit Monaten gibt es in der Bundesregierung eine heftige Debatte über das wei-
tere Vorgehen in Sachen Vorratsdatenspeicherung. Eine Einigung ist nicht
absehbar. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die fortbestehende
Pflicht zur Umsetzung der geltenden Richtlinie, die zwischenzeitlich gewon-
nenen Erkenntnisse über die Nutzung von Telekommunikationsverbindungs-
daten und die anhaltende nationale wie europäische Diskussion gebieten es
jedoch, in einem ersten Schritt zumindest die Eckpunkte einer Folgeregelung
zu bestimmen, um auch den europäischen Meinungsbildungsprozess beeinflus-
sen zu können.

Daher fragen wir die Bundesregierung:
1. Beabsichtigt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für eine Nachfolge-
regelung der Vorratsdatenspeicherung vorzulegen, und wenn ja, wann?

2. Was sollen die Eckpunkte einer möglichen Folgeregelung zur Vorratsdaten-
speicherung sein, insbesondere welche Daten sollen für welchen Zeitraum
für welche Zwecke gespeichert werden, und welche Stellen sollen auf wel-
che Daten zu welchen Zwecken zugreifen dürfen?

Drucksache 17/6594 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Wie gedenkt die Bundesregierung die Vorgaben des Bundesverfassungs-
gerichts hinsichtlich „hinreichend anspruchsvoller und normenklarer Rege-
lungen“ zur Datensicherheit, unmittelbaren Datenverwendung, Trans-
parenz, Rechtsschutz und Sanktionsmechanismen konkret umzusetzen?

4. Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung hinsichtlich des vom Bun-
desverfassungsgericht geforderten besonders hohen Standards für die Da-
tensicherheit für geboten?

5. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es Maßnahmen zum Schutz
der Berufsgeheimnisträger bedarf?

Falls ja, welche?

Falls nein, aus welchen Gründen nicht?

6. Sieht die Bundesregierung einen Zeitraum von sechs Monaten für die Spei-
cherung der Telekommunikationsverkehrsdaten für die Strafverfolgung
notwendig an, oder teilt sie die Einschätzung, dass eine deutlich kürzere
Speicherfrist schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten ist?

7. Bei welchen Straftaten sollte ein Abruf der Verbindungsdaten und deren
Nutzung möglich sein?

Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es sich hier nur um
schwerste Straftaten, also insbesondere Straftaten gegen das Leben, die
körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung handeln
kann?

8. Welche Maßnahmen sind aus Sicht der Bundesregierung zum Rechtsschutz
der Betroffenen und zu den Unterrichtungspflichten geboten?

9. Wie bewertet die Bundesregierung alternative Modelle zur Vorratsdaten-
speicherung wie beispielsweise Quick-Freeze-Verfahren?

10. Sieht die Bundesregierung Quick-Freeze-Verfahren als ein geeignetes In-
strument für eine wirksame Strafverfolgung an?

11. Stellt das Quick-Freeze-Verfahren nach Auffassung der Bundesregierung
ein grundrechtsschonenderes Verfahren dar?

12. Wie ist der Stand der Ressortabstimmung zu dem vom Bundesministerium
der Justiz vorgelegten Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Sicherung vor-
handener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften
im Internet, und wann wird die Bundesregierung einen entsprechenden Ge-
setzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen?

13. Inwieweit ist der vom Bundesministerium der Justiz vorgelegte Diskussions-
entwurf mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar?

Falls ja, wie begründet die Bundesregierung diese Position?

Falls nein, setzt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für eine
entsprechende Überarbeitung der Richtlinie ein?

14. Wie bewertet die Bundesregierung den Evaluierungsbericht der Europä-
ischen Kommission zur EU-Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsdaten-
speicherung, der am 18. April 2011 veröffentlicht und dem Europäischen
Parlament und dem Rat vorgelegt wurde?

15. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine Umsetzung der EU-
Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung in nationales Recht
nicht mehr notwendig sei?

Falls ja, wie begründet die Bundesregierung diese Position?

Falls nein, wann beabsichtigt die Bundesregierung eine entsprechende

Nachfolgeregelung auf den Weg zu bringen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6594

16. Hat die Bundesregierung das Mahnschreiben der Kommission bereits be-
antwortet und gegebenenfalls wie?

17. Hält die Bundesregierung eine Revision der EU-Richtlinie 2006/24/EG für
notwendig?

Falls nein, warum nicht?

Falls ja, mit welcher Zielsetzung?

18. Welche konkrete Position vertritt die Bundesregierung derzeit bei den Ge-
sprächen zum Novellierungsbedarf auf europäischer Ebene, und wie ist der
Diskussionsstand im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV), in der
Ratsarbeitsgruppe und im Rat „Justiz und Inneres“ (JI-Rat)?

19. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem erneuten Be-
schluss der Innenministerinnen und Innenminister und der Innensenatorin-
nen und Innensenatoren vom 24. Juni 2011?

20. Wo bestehen nach Einschätzung der Bundesregierung Mängel oder Defi-
zite des bisherigen europäischen Rechtsrahmens?

21. Welche Verbesserungen am europäischen Rechtsrahmen hält die Bundesre-
gierung für erforderlich, damit die neue diesbezügliche Regelung eine
wirksamere Bekämpfung der Kriminalität ermöglicht?

22. Welche Grenzen muss der europäische Rechtsrahmen nach Auffassung der
Bundesregierung festgelegt werden, damit der Schutz der Privatsphäre so-
wie die Achtung der Rechte, Freiheiten und Garantien gewährleistet sind?

23. Hat die Bundesregierung Initiativen zur Änderung des europäischen
Rechtsrahmens unternommen, und wenn ja, welche?

24. Wie viele Straftaten mit Internetbezug wurden in dem Zeitraum von 2008
bis 2010 begangen?

25. In wie vielen Fällen konnten Straftaten nicht aufgeklärt oder Strafverfahren
nicht durchgeführt werden, weil es keine Vorratsdatenspeicherung von
Telekommunikationsverkehrsdaten und von IP-Adresse (IP = Internetproto-
koll) nicht gespeichert worden waren, und um welche Straftaten handelt es
sich?

26. Wie viele und namentlich welche Provider speichern für welchen Zeitraum
welche Verkehrsdaten, insbesondere IP-Adressen?

Wie viele und namentlich welche Provider speichern nicht?

27. Teilt die Regierung die vom Bundverfassungsgericht vorgenommene Diffe-
renzierung von Telekommunikationsverkehrsdaten und IP-Daten hinsicht-
lich der Eingriffstiefe, und welche Konsequenzen wird sie daraus ziehen?

28. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass durch eine Vorratsdatenspei-
cherung Bewegungsprofile möglich sind?

Berlin, den 13. Juli 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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