BT-Drucksache 17/6582

Verabschiedung einer nationalen Strategie zur Integration der Roma

Vom 11. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6582
17. Wahlperiode 11. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verabschiedung einer nationalen Strategie zur Integration der Roma

Die Europäische Kommission beschloss am 5. April 2011 eine Rahmenstrate-
gie für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 (Ratsdok. 8727/
11/KOM(2011) 173). Sie fordert darin die Mitgliedstaaten auf, bis zum Jahr
2020 ihre nationalen Roma-Integrationsstrategien auf einen gemeinsamen ziel-
gerichteten Ansatz abzustimmen. Jene Mitgliedstaaten, die noch keine natio-
nale Roma-Integrationsstrategie verfolgen, werden aufgefordert, entsprechend
der Größe der in ihren Gebieten lebenden Roma-Bevölkerung, deren Besonder-
heiten und der jeweiligen Ausgangssituation ähnliche Ziele aufzustellen.

Viele der rund 10 bis 12 Millionen in Europa lebenden Roma sind tagtäglich
mit Vorurteilen, Intoleranz, Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung kon-
frontiert. Sie leben als Randgruppe unter äußerst prekären sozialen und wirt-
schaftlichen Bedingungen. Dies ist in der Europäischen Union (EU) nicht hin-
nehmbar.

Auch in Deutschland werden Sinti und Roma diskriminiert*. Nach einer Um-
frage des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma haben 76 Prozent der Sinti
und Roma in Deutschland Diskriminierung erfahren, u. a. bei der Wohnungs-
suche, am Arbeitsplatz, in der Schule und bei der Ausbildung. Die am 24. Mai
2011 vorgestellte Studie zur aktuellen Bildungssituation der deutschen Sinti
und Roma weist deren desolate Lage in Bezug auf Berufsausbildung und
Schulabschlüsse nach.

Die EU-Rahmenstrategie soll die Alltagssituation der Roma spürbar verbes-
sern. Sie ist die Reaktion der EU auf die aktuelle Situation, entbindet jedoch die
Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht nicht von ihrer Hauptverantwortung. Mit
diesem EU-Rahmen hält die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten
dazu an, je nach Größe der in den einzelnen Gebieten lebenden Roma-Bevölke-
rung und der jeweiligen Ausgangssituation, einen umfassenden Ansatz zur In-
tegration der Roma zu erarbeiten oder weiterzuentwickeln und dabei vier Kern-

bereiche abzudecken (vgl. Ratsdok. 8727/11/KOM(2011) 173):

* Im deutschen Sprachraum wird in der Regel zwischen Sinti (die seit dem Mittelalter nach Europa ein-
wanderten) und Roma (Einwanderung nach Mittel- und Westeuropa seit dem 19. Jahrhundert) unter-
schieden (vgl. Bundestagsdrucksache 16/2197, Fußnote 1). Der Begriff der Roma wird hier als Über-
griff für beide Gruppen genutzt, da teleologisch beide vom Anwendungsbereich der Rahmenstrategie
für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 betroffen sind.

Drucksache 17/6582 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

● Zugang zur Bildung

Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass alle Roma-Kinder – egal ob sess-
haft oder nicht – Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung haben, nicht
diskriminiert oder ausgegrenzt werden und zumindest die Grundschule ab-
schließen. Ferner sollen sie den Zugang zu einer guten frühkindlichen Betreu-
ung, Bildung und Erziehung verbessern und im Einklang mit der Strategie
Europa 2020 die Schulabbrecherquote in der Sekundarschule verringern. Darüber
hinaus sollen jugendliche Roma nachdrücklich zum Besuch einer Sekundar-
schule und zum Studium ermutigt werden.

● Zugang zur Beschäftigung

Die Mitgliedstaaten sollen den Roma in nichtdiskriminierender Weise uneinge-
schränkten Zugang zur beruflichen Bildung, zum Arbeitsmarkt sowie zu Instru-
menten und Initiativen zur Förderung der Selbständigkeit bieten. Ferner soll die
Gewährung von Kleinstkrediten gefördert werden. Im öffentlichen Sektor soll
besonders auf die Beschäftigung qualifizierter Roma als Staatsbedienstete ge-
achtet werden. Öffentliche Arbeitsvermittlungsstellen könnten speziell Roma
ansprechen, indem sie ihnen personalisierte Dienstleistungen und Mediation
anbieten. Hiermit kann der Arbeitsmarkt für die Roma besser geöffnet und die
Erwerbsquote erhöht werden.

● Zugang zur Gesundheitsfürsorge

Die Mitgliedstaaten sollen dafür sorgen, dass die Roma in gleichem Maße und
unter den gleichen Bedingungen wie die restliche Bevölkerung Zugang zu Ge-
sundheitsprävention und sozialen Dienstleistungen haben. Besonders Frauen
und Kindern soll Zugang zu einer guten Gesundheitsfürsorge gewährt werden.
Qualifizierte Roma sollen soweit möglich in Gesundheitsprogramme eingebun-
den werden, die speziell auf ihre Bevölkerungsgruppe abgestellt sind.

● Zugang zu Wohnraum und grundlegenden Diensten

Die Mitgliedstaaten sollen einen diskriminierungsfreien Zugang zu Wohnraum,
u. a. zu Sozialwohnungen, fördern. Wohnraummaßnahmen müssen Teil eines
integrierten Ansatzes sein, der insbesondere die Bereiche Bildung, Gesundheit,
Soziales, Beschäftigung und Sicherheit sowie Antisegregationsmaßnahmen
einschließt. Ferner sollen die Mitgliedstaaten den besonderen Bedürfnissen der
nicht sesshaften Roma Rechnung tragen (z. B. durch den Zugang zu für sie an-
gemessenen Aufenthaltsorten). Sie sollen gezielte Programme auflegen, in die
die regionalen und lokalen Behörden eingebunden sind.

Aufgrund der existierenden Defizite erklärt die EU-Kommission es in der EU-
Rahmenstrategie als „klare politische Verpflichtung der Mitgliedstaaten“,
nationale Strategien zur Integration der Roma vorzulegen. Sie hat die EU-
Rahmenstrategie beim Europäischen Rat am 24. Juni 2011 verabschiedet und
beabsichtigt, sie bis Ende 2011 auf nationaler Ebene umzusetzen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Beabsichtigt die Bundesregierung, eine nationale Strategie zur Integration
der Roma vorzulegen?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, in welcher Weise wurde die besondere historische Verantwor-
tung Deutschlands gegenüber den Roma bei der Entscheidungsfindung
berücksichtigt?

2. Wie hat die Bundesregierung die EU-Rahmenstrategie in den Verhandlun-

gen beim Europäischen Rat unterstützt, und wie hat sie sich zu der Forde-
rung positioniert, alle Mitgliedstaaten zur Vorlage nationaler Aktionspläne
zu verpflichten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6582

3. Welche Maßnahmen müsste nach Ansicht der Bundesregierung zu einer
besseren Integration der Roma in Deutschland (deutscher sowie nichtdeut-
scher Staatsangehörigkeit) getroffen werden?

4. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass angesichts der
spezifischen Diskriminierung, der Roma auch in Deutschland ausgesetzt
sind und die beispielsweise durch die kürzlich erschienene Studie zur aktu-
ellen Bildungssituation der Sinti und Roma belegt wird, spezielle Ansätze
und Programme zur besseren Integration dieser Bevölkerungsgruppe not-
wendig sind?

5. Welche Integrationsmaßnahmen für Roma in Deutschland (deutscher so-
wie nichtdeutscher Staatsangehörigkeit) ergreift die Bundesregierung der-
zeit?

Wie kann erreicht werden, dass in Deutschland lebende Angehörige der
Roma ohne deutsche Staatsangehörigkeit von den in der EU-Rahmenstrate-
gie benannten Zielen profitieren?

6. Wie will die Bundesregierung erreichen, dass alle in Deutschland lebenden
Kinder aus Roma-Familien (deutscher sowie nichtdeutscher Staatsangehö-
rigkeit) zumindest die Grundschule abschließen (1. Ziel der EU-Rah-
menstrategie)?

a) Wie hoch ist der Anteil derzeit?

b) Beabsichtigt die Bundsregierung, der Empfehlung der Studie zur aktuel-
len Bildungssituation deutscher Sinti und Roma (Hrsg. Daniel Strauß),
einen nationalen Aktionsplan für eine Generationen übergreifende Bil-
dungsförderung für Roma zu erstellen (vgl. S. 103 der Studie) zu folgen
und entsprechend der Empfehlung Nummer 5 (vgl. S. 104 der Studie)
auszugestalten?

Wenn nein, warum nicht?

c) Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Bildungskommission zu grün-
den, in der Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und Kom-
munen sowie gleichberechtigt Vertreterinnen und Vertreter der Roma
mitwirken?

Wenn nein, warum nicht?

7. Wie will die Bundesregierung die Beschäftigungsquote aller in Deutsch-
land lebender Roma (deutscher sowie nichtdeutscher Staatsangehörigkeit)
an die der übrigen Bevölkerung annähern (2. Ziel der EU-Rahmenstrate-
gie)?

Wie hoch ist die Quote derzeit?

8. Wie will die Bundesregierung die Gesundheitssituation aller in Deutsch-
land lebenden Roma (deutscher sowie nichtdeutscher Staatsangehörigkeit)
an die der restlichen Bevölkerung angleichen (3. Ziel der EU-Rahmenstra-
tegie)?

Wie ist die Situation derzeit?

9. Wie will die Bundesregierung den Anteil aller in Deutschland lebenden
Roma (deutscher sowie nichtdeutscher Staatsangehörigkeit) mit Zugang zu
Wohnraum und zu den öffentlichen Versorgungsnetzen (z. B. Wasser,
Strom und Gas) auf den entsprechenden Anteil an der restlichen Bevölke-
rung steigern (4. Ziel der EU-Rahmenstrategie)?

Wie hoch ist der Anteil derzeit?
10. Wie könnten nach Ansicht der Bundesregierung die seitens der EU zur Ver-
fügung gestellten Mittel wirksamer genutzt werden?

Drucksache 17/6582 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
11. Hat die Bundesregierung in der Vergangenheit Mittel aus den EU-Struktur-
fonds für Integrationsmaßnahmen der Roma abgerufen?

Wenn ja, wofür genau wurden diese Mittel eingesetzt?

Wenn nein, warum nicht?

12. Welchen Einfluss sollten nach Ansicht der Bundesregierung die nationalen
Roma-Gemeinschaften auf die Gestaltung der jeweiligen nationalen Roma-
Integrationsstrategien haben?

13. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Gemeinschaften der Roma in
Deutschland bei der Erarbeitung einer nationalen Roma-Integrationsstrate-
gie zu beteiligen?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

14. Gibt es einen inhaltlichen Austausch zwischen der Bundesregierung und
den Bundesländern, um Initiativen zur Stärkung der Bildungsteilnahme
und des Bildungserfolges von Kindern aus Roma-Familien im vorschuli-
schen und im schulischen Bereich zu fördern?

15. Inwieweit nimmt die Bundesregierung bei Integrationsmaßnahmen für
Roma auf die speziellen Bedürfnisse von Mädchen und Frauen Rücksicht?

16. Welche Maßnahmen hat das Minderheitensekretariat im Bundesministe-
rium des Innern seit seiner Einrichtung im Jahr 2005 bislang zur Verbesse-
rung der Integration von Roma in Deutschland ergriffen?

Berlin, den 11. Juli 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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