BT-Drucksache 17/6571

Pirateriebekämpfung vor Somalia

Vom 11. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6571
17. Wahlperiode 11. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Omid Nouripour, Katja Keul, Dr. Valerie Wilms, Kerstin
Müller (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Agnes Malczak, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Pirateriebekämpfung vor Somalia

Die Piraterie im Indischen Ozean bedroht, meist ausgehend von der Küste
Somalias, die humanitäre Versorgung der somalischen Bevölkerung, welche vor
allem durch das World Food Program (WFP) der Vereinten Nationen sicher-
gestellt wird. Darüber hinaus bedroht sie die Sicherheit der internationalen Han-
delsschifffahrt und bedeutet für die als Geiseln genommenen Seeleute und ihre
Familien großes menschliches Leid. Rund 500 Personen, darunter Kinder, be-
finden sich derzeit als Geiseln in der Gewalt der somalischen Piraten.

Trotz mehrerer militärischer Missionen (darunter die EU-geführte Mission
NAVFOR Somalia – Atalanta mit deutscher Beteiligung, NATO Ocean Shield
und die US Task Force 151) in dem Gebiet ist es bislang nicht gelungen, die
Gefahr von Piratenangriffen signifikant einzudämmen. Das Zurückdrängen von
Piraten im Golf von Aden ging mit einer erheblichen räumlichen Ausweitung
der Angriffe einher: Die Piraten operieren inzwischen in einem deutlich größe-
ren Gebiet, mit Mutterschiffen als Basis und verbesserter Ausrüstung. Gefahren
für Leib und Leben der Seeleute und für die wirtschaftlichen Interessen der
Reeder bestehen weiterhin. Deshalb setzen auch deutsche Reeder zunehmend
private Sicherheitskräfte zum Schutz vor Piratenangriffen ein. Diese Tatsache
wirft praktische und grundlegende Fragen über das Verhältnis von staatlicher
und privater Sicherheit auf.

Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU hat am 13. Mai
2011 – als Reaktion auf die sich verschlechterte Lage – einen neuen Opera-
tionsplan und neue Einsatzregeln für Atalanta beschlossen. Zu den neuen Maß-
nahmen gehören der verstärkte Einsatz von individuellen Schutzteams für
Schiffe (so genannte Vessel Protection Detachments – VPD), das Vorhalten von
Kräften und Fähigkeiten für Geiselbefreiungsoperationen, der Einsatz von
Reizstoffen zur Auftragsdurchsetzung und das robustere Vorgehen gegen die
Mutterschiffe der Piraten. Die Konsequenzen, die sich daraus u. a. für die
deutsche Marine sowie die Situation im Golf von Aden und im Indischen

Ozean ergeben, sind an vielen Punkten noch sehr unklar.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welche Nationen stellen die durch den veränderten Operationsplan (OPLAN)
der EU Mission Atalanta notwendigen zusätzlichen Vessel Protection De-
tachments (VPD), wie viele davon sind deutsche?

Drucksache 17/6571 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Auswirkungen auf die Ausrüstung der deutschen VPD ergeben
sich durch den neuen OPLAN?

3. Wie viele VPDs hält die Marine derzeit vor?

4. Wie sieht die Ausbildung der VPDs aus, und in welchem Zeitraum ist die
Marine in der Lage, zusätzliche VPDs zu bilden?

5. Wie hoch sind die Kosten für den Einsatz eines VPD, und über welchen
Zeitraum erstreckt sich ein solcher Einsatz jeweils?

6. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein deutsches VPD auf
einem Schiff unter fremder Flagge eingesetzt werden kann?

7. a) Welche Unterschiede in der Behandlung und Genehmigung von Anfra-
gen für den Einsatz deutscher VPDs gibt es zwischen dem Einsatz auf
Schiffen, die Güter für das Welternährungsprogramm für Somalia bzw.
für AMISOM (African Union Mission in Somalia) transportieren, und
dem Einsatz auf privaten Handelsschiffen, die im Rahmen der Opera-
tion Atalanta um bewaffneten Schutz nachfragen?

b) Nach welchen Kriterien werden Handelsschiffe durch VPDs geschützt?

8. Inwiefern hält die Bundesregierung es für nötig, eine rechtliche Grundlage
für den Einsatz deutscher VPDs auf Handelsschiffen zu schaffen?

9. a) Wie bewertet die Bundesregierung das Angebot des Verbands Deutscher
Reeder, Versetzschiffe im Indischen Ozean für den Einsatz von VPDs
auf Handelsschiffen zu stellen?

b) Beträfe ein solcher Einsatz nur Schiffe unter deutscher Flagge?

c) Wie müsste nach Ansicht der Bundesregierung der Einsatz von Versetz-
schiffen und VPDs international koordiniert werden, und in welchem
Rahmen wäre ein solcher Einsatz umzusetzen?

10. Wie viele Versetzschiffe und wie viele VPDs wären nach Ansicht der Bun-
desregierung notwendig, um einen ausreichenden Schutz deutscher Schiffe
zu gewährleisten?

11. Welche operativen Veränderungen bezüglich Ausrüstung, Ausbildung und
zusätzlicher Risiken ergeben sich durch den neuen OPLAN für die an
Atalanta beteiligten Soldatinnen und Soldaten, insbesondere im Hinblick
auf das so genannte non-compliant boarding (Betreten des Schiffes ohne
Zustimmung der Besatzung)?

12. a) Wie viele Kräfte und welche Fähigkeiten hält die Bundeswehr für
Geiselbefreiungsoperationen derzeit im Einsatzgebiet von Atalanta so-
wie im Heimatland vor?

b) Welche in diesem Rahmen vorgehaltenen Fähigkeiten kommen zusätz-
lich im Rahmen des veränderten OPLANs hinzu?

13. a) Zu welchen Ergebnissen ist die gemeinsame Expertengruppe
„SpezEinhBund“ des Bundesministeriums der Verteidigung und des
Bundesministeriums des Innern zur Zusammenarbeit bei der Geiselbe-
freiung gekommen?

b) Welche Rolle soll die Polizei, welche das Militär bei Geiselbefreiung
spielen?

c) Welche materiellen und personellen Voraussetzungen für Operationen
der Geiselbefreiung fehlen der Marine, welche Pläne gibt es, diese
fehlenden Voraussetzungen zu schließen, und vor welchem Zeithorizont
ist dies möglich?
d) Welche Rolle spielt die Kompetenzaufteilung zwischen Polizei und
Militär bei der internationalen Zusammenarbeit in der Geiselbefreiung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6571

14. a) Ist die vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Wolf-Ruthart Born,
verwendete Formulierung „Immobilisieren von Mutterschiffen“ wört-
licher Bestandteil des neuen OPLANs, und welche militärischen Maß-
nahmen beinhaltet diese Formulierung?

b) Welche militärischen Maßnahmen werden hingegen explizit ausge-
schlossen?

c) Unter welchen Voraussetzungen können Mutterschiffe der Piraten ange-
griffen werden?

15. a) Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über den Einsatz der
durch Luxemburg beauftragten Aufklärungsflugzeuge der Firma CAE-
Aviation, und wie bewertet sie den Einsatz dieses Privatunternehmens
im Rahmen von Atalanta?

b) Welche Aufgaben kommen diesen privaten Aufklärungsflugzeugen zu,
und was tragen sie zu Atalanta bei?

c) Wie genau ist dieses Privatunternehmen in die Kommandostruktur von
Atalanta eingebunden?

d) Sieht die Bundesregierung diese Art des Rückgriffs auf Privatunterneh-
men als eine zukunftsträchtige Möglichkeit Auslandseinsätze durchzu-
führen?

e) Sind der Bundesregierung andere Aufträge bekannt, die ähnlich wie in
diesem Fall Privatunternehmen in europäische Missionen einbinden,
und wenn ja, welche?

f) Wie hat sich die Bundesregierung gegenüber Luxemburg im Hinblick
auf die Beauftragung privater Unternehmen als Beitrag zu Atalanta ver-
halten?

16. Welche Nationen haben in diesem Jahr wie viele Kriegsschiffe durch-
schnittlich im letzten und in diesem Jahr im Kampf gegen die Piraten vor
dem Horn von Afrika und im Indischen Ozean im Einsatz?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit einer weiteren Ausdeh-
nung des Operationsgebietes für Atalanta, und inwiefern hält die Bundes-
regierung dies auf absehbare Zeit für nötig?

18. Wie ist die Position der Bundesregierung zu Vorschlägen, die unterschied-
lichen internationalen Mandate und nationalen Operationen zur Piraterie-
bekämpfung in einem UN-Mandat zu bündeln und damit eine einheitliche
Operationsführung herbeizuführen?

19. a) Wie beurteilt die Bundesregierung gegenwärtig die Koordination der ver-
schiedenen Pirateriebekämpfungsmissionen durch SHADE in Bahrain?

b) Welche Länder beteiligen sich an dieser Koordination?

c) Welche Länder verweigern sich ihr?

d) Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen durch mangelnde
Koordination der Kriegsschiffe mehrere Einheiten zum gleichen Ein-
satzort beordert wurden und andere Schiffe in Not keine Hilfe erhalten
konnten (wenn ja bitte genauere Angaben)?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Leitlinien zu privatem bewaffneten
Sicherheitspersonal an Bord von Schiffen („Interim Guidance for Ship-
owners, Ship Operators, and Shipmasters regarding the use of privately con-
tracted armed Security Personnel on Board Ships in the High Risk Area“ und
„Interim Recommendations for Flag States Regarding the use of privately
contracted armed Security Personnel on Board Ships in the High Risk Area“),
die auf der letzten Sitzung des Maritime Safety Committees der International

Maritime Organisation (IMO) beschlossen wurden, und in welcher Weise
beabsichtigt sie, die Empfehlungen in ihre Politik einfließen zu lassen?

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21. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einsatz privater Sicherheitskräfte
auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge, und wo liegen die Grenzen
eines solchen Einsatzes?

22. Wie geht die Bundesregierung mit Hinweisen auf eine mögliche „Gewalt-
spirale“ durch den verstärkten Einsatz privater Sicherheitskräfte und einem
daraus resultierenden „Aufrüsten“ der Piraten um, das zu vermehrten Ge-
waltausbrüchen führen könnte, und wie möchte sie dem entgegenwirken?

23. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, auf EU- und/oder UN-Ebene
eine Initiative zu ergreifen, um eine multilaterale Regelung über den Ein-
satz von privaten Sicherheitsunternehmen auf Schiffen herbeizuführen?

Wenn ja, in welchem Stadium befindet sich diese Initiative?

Wenn nein, warum nicht?

24. Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei der Kooperation von pri-
vatwirtschaftlichen Unternehmen mit staatlichen Einrichtungen, um ge-
meinsam die Sicherheit der Seeschifffahrt zu gewährleisten?

25. Welche Vorteile bietet die Empfehlung des Maritimen Koordinators der
Bundesregierung, Hans-Joachim Otto, den Suezkanal zu meiden und die
Route um Südafrika zu wählen, um sich gegen Piraterie zu schützen, und
wie ist die Empfehlung vor dem Hintergrund zu bewerten, dass Piraterie-
überfälle inzwischen nicht nur im Golf von Aden und vor Somalia stattfin-
den, sondern sich über das Gebiet zwischen der arabischen Halbinsel,
Madagaskar und Indien erstrecken?

26. a) Inwiefern plant die Bundesregierung die deutschen Reedereien an den
Kosten für den Einsatz von VDPs zu beteiligen, und inwieweit hat es
diesbezüglich bereits Gespräche zwischen der Bundesregierung und
deutschen Reedereien gegeben?

b) Werden Reedereien, deren Schiffe und Besatzungen unter Beteiligung
der Bundesregierung (z. B. durch Verhandlungsführung, ausfliegen etc.)
aus der Hand von Piraten befreit werden, bereits jetzt an den Kosten für
die Hilfe beteiligt, und wenn nein, warum nicht?

27. a) Ist seit Beginn des Jahres 2010 die Anzahl der von Piraten gekaperten
Schiffe und die Summe der erpressten Lösegelder gefallen oder ge-
stiegen?

b) Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Piraten im vergangenen
Jahr 240 Mio. US-Dollar an Lösegeld kassiert haben?

28. Treffen Medienberichte zu, dass in diesem Jahr bis Ende Mai bereits 139 An-
griffe von Piraten auf Schiffe registriert wurden, bei denen 362 Geiseln ge-
nommen und sieben Seeleute getötet wurden, während es im ganzen letzten
Jahr insgesamt 220 Angriffe waren?

29. Sind Schätzungen zutreffend, dass die Kosten, die durch Piraterie vor dem
Horn von Afrika und im Indischen Ozean insgesamt entstehen, inzwischen
auf 7 bis 12 Mrd. US-Dollar pro Jahr gestiegen sind und dass beispielweise
eine einzige Reederei aus Dänemark (Maersk) ihre Kostensteigerung von
100 Mio. US-Dollar im vergangenen Jahr auf 200 Mio. US-Dollar angege-
ben hat?

30. Inwiefern wird die Bundesregierung Alternativen prüfen und zusammen
mit anderen Staaten neue Wege gehen, um die Piraterie vor dem Horn von
Afrika zu beenden oder doch deutlich einzuschränken, nachdem es trotz
der immer größeren Zahl von Kriegsschiffen und Sicherheitsfirmen und
der immensen Kosten nicht gelungen ist, dem Piraterieproblem annähernd

Herr zu werden, sondern ganz im Gegenteil die Piratenangriffe sogar dra-
matisch zugenommen haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6571

31. Inwiefern hält es die Bundesregierung für einen erfolgsversprechenderen
Weg zur Pirateriebekämpfung, einen Teil der Mittel, die derzeit für militä-
rische Mittel aufgewendet wird, in die Entwicklung der autonomen Region
Puntland zu investieren, aus der die meisten Piraten operieren sollen?

Berlin, den 11. Juli 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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