BT-Drucksache 17/6498

Für eine glaubwürdige Außenpolitik gegenüber Usbekistan

Vom 6. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6498
17. Wahlperiode 06. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), Ute Koczy,
Uwe Kekeritz, Marieluise Beck (Bremen), Thilo Hoppe, Katja Keul, Tom Koenigs,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine glaubwürdige Außenpolitik gegenüber Usbekistan

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Deutschlands Außenpolitik hat sich – auch unter der aktuellen Koalition der
CDU, CSU und FDP – der weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte
verschrieben. Die Bundesregierung darf zu der Menschenrechtssituation in
Usbekistan nicht länger schweigen, sondern muss endlich bilateral, im Rah-
men der EU und in der OSZE unmissverständlich einen besseren Menschen-
rechtsschutz einfordern – auch um ihrer außenpolitischen Glaubwürdigkeit
und dem eigenen Anspruch einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ willen.

2. Das Regime des usbekischen Präsidenten Islam Karimow verletzt weiterhin
massiv und systematisch die Menschenrechte. Die Ausweisung der Nicht-
regierungsorganisation (NGO) Human Rights Watch aus Usbekistan im
März dieses Jahres zeigt deutlich, dass die Arbeit von NGO unmöglich ge-
macht wird.

3. Die usbekische Regierung hat diejenigen Forderungen, welche die EU 2008
zur Bedingung für die Aufhebung der Sanktionen gegen Usbekistan ge-
macht hat, bisher nicht erfüllt. Weder wurde eine internationale Untersu-
chungskommission zur Aufklärung des Massakers von Andijan im Jahr
2005 eingesetzt, noch kam es zu einer Verbesserung der Menschenrechts-
lage. Mindestens 13 Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, zahl-
reiche Journalistinnen und Journalisten sowie politische Aktivistinnen und
Aktivisten sitzen als Vergeltung für ihre Arbeit in usbekischen Gefängnis-
sen. Folter und Misshandlung sind sowohl in der Untersuchungshaft als
auch in Gefängnissen in ganz Usbekistan weit verbreitet. Der Strafvollzug in
Usbekistan erfüllt nicht die menschenrechtlich gebotenen Mindeststandards;
die hygienischen Bedingungen sind oftmals katastrophal. Häftlinge infizie-
ren sich vermehrt mit HIV. Schwule Männer werden in Usbekistan auf der

Grundlage des Artikels 120 des usbekischen Strafgesetzbuchs verfolgt und
mit bis zu drei Jahren Haft bestraft, Angehörige anderer sexueller Minder-
heiten und Anti-Aids-Aktivistinnen und -Aktivisten werden unter dem Vor-
wurf der Verbreitung von Homosexualität an ihrer Arbeit gehindert, verfolgt
und verhaftet. Usbekische Muslime werden wegen ihrer Religion verfolgt,
wenn sie diese außerhalb staatlicher Kontrolle praktizieren. Hunderte Gläu-
bige werden jedes Jahr wegen religiösen Extremismus verurteilt, und viele
werden wegen fingierter Vorwürfe, die Gefängnisregeln verletzt zu haben,

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ein weiteres Mal angeklagt, um sie weiter in Haft halten zu können, nach-
dem ihre ursprüngliche Strafe schon seit Jahren abgegolten war. Bei der
jährlichen Baumwollernte sind Zwangsarbeit und ausbeuterische Kinder-
arbeit nicht nur weit verbreitet, sondern auch von der Regierung unter-
stützt.

4. Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Angehörige der Opposi-
tion, NGO und Angehörige von Minderheiten werden in Usbekistan ver-
folgt, diskriminiert und massiv an ihrer Arbeit gehindert.

5. Die Bundesregierung hat sich weder bilateral noch im Rahmen der Euro-
päischen Union oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
(OSZE) genügend dafür eingesetzt, dass die anhaltenden und systemati-
schen Menschenrechtsverletzungen Konsequenzen haben.

6. Die Bundesregierung hat bisher in Gesprächen mit der usbekischen Regie-
rung die verheerende Menschenrechtslage nicht ausreichend angesprochen.

7. Stattdessen hat Deutschland – als einer der wichtigsten Partner Usbekistans
in Westeuropa – seine finanziellen Zuwendungen gegenüber Usbekistan
für den Lufttransportstützpunkt der Bundeswehr in Termez ohne Angabe
von Gründen gerade erst im letzten Jahr drastisch erhöht.

8. Die Bundesregierung betont zwar, dass Maßnahmen der Entwicklungszu-
sammenarbeit in Usbekistan so regierungsfern wie möglich und unter Ein-
bindung der Zivilgesellschaft umgesetzt werden. Gleichzeitig gibt die Bun-
desregierung jedoch an, die Entwicklungszusammenarbeit in Zentralasien
darauf auszurichten „zu einer Stabilisierung der Region beizutragen“ (Ant-
wort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/6218 „Entwick-
lungszusammenarbeit mit Afghanistan bis 2014 und danach“). Damit setzt
die Bundesregierung Fehler der Vergangenheit fort und stützt menschen-
rechtsverachtende Regime.

9. Die Bundesregierung muss gerade mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in
Nordafrika auf eine Zusammenarbeit setzen, die auf deutliche Verbesserun-
gen der menschenrechtlichen Lage ausgerichtet ist und Konsequenzen in
der Form der Zusammenarbeit ziehen, sofern sich die Menschenrechtslage
in Usbekistan nicht mittelfristig erheblich bessern sollte.

10. Der EU-Menschenrechtsdialog mit Usbekistan reicht bei weitem für eine
kritische Auseinandersetzung mit der Situation der Menschenrechte nicht
aus und dient sowohl der EU als auch der usbekischen Seite vorwiegend
als Vorwand, um das Thema nicht vertieft zu behandeln. Die Thematisie-
rung von Menschenrechtsverletzungen darf nicht auf den bisher weitestge-
hend wirkungslosen Menschenrechtsdialog abgewälzt werden. Vielmehr
muss die EU-Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan auf kohärente
Weise alle Bereiche der Zusammenarbeit durchziehen.

11. Die Bundesregierung hat ihr politisches Gewicht und ihre Möglichkeiten,
auf eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in Usbekistan hinzu-
wirken, bisher nicht ausreichend genutzt. Durch das Fallenlassen men-
schenrechtlicher Bedingungen zu Gunsten einer Intensivierung der wirt-
schaftlichen und militärischen Zusammenarbeit mit Usbekistan hat sie
ohne Not wichtige Chancen für eine Verbesserung des Menschenrechts-
schutzes in Usbekistan vergeben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf die usbekische Regierung einzuwirken, politische Gefangene, insbe-
sondere Solijon Abrakhmanow, Azam Formonow, Nosim Isakow, Gaibullo

Jalilow, Alisher Karamatow, Jamshid Karimow, Norboi Kholjigitow,

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Abdurasul Khudainasarow, Ganihon Mamatkhanow, Habibulla Okpulatow,
Maxim Popov, Yuldash Rasulow, Dilmurod Saidow und Akzam Turgunow
unverzüglich freizulassen;

2. sich gegenüber der usbekischen Regierung bilateral sowie im Rahmen der
EU und der OSZE dafür einzusetzen, dass die Ereignisse in Andijan 2005
von einer unabhängigen internationalen Kommission untersucht werden;

3. sich bilateral und im Rahmen der EU für faire Gerichtsverfahren, eine
massive Verbesserung der Haftbedingungen und ein Verbot von Folter in
Usbekistan einzusetzen;

4. gegenüber der usbekischen Regierung die Achtung und den Schutz der
Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit in Usbekistan anzumahnen;

5. sich für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern
durch kurzfristige Aufnahmeprogramme in der Bundesrepublik Deutsch-
land einzusetzen und an der deutschen Botschaft in Taschkent eine Verbin-
dungsbeamtin oder einen Verbindungsbeamten für die vor Ort aktiven Men-
schenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger zur Verfügung zu stellen und
für diese Tätigkeit die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen;

6. sich für eine Rückkehr der NGO Human Rights Watch nach Usbekistan
einzusetzen und sowohl bilateral als auch im Rahmen der EU ein Ende der
Beeinträchtigungen und Behinderungen internationaler und usbekischer
unabhängiger NGO zu fordern;

7. gravierende Menschenrechtsverletzungen und ausbleibende Fortschritte
bei der Erfüllung menschenrechtlichter Verpflichtungen auch öffentlich
deutlich zu kritisieren;

8. den Ausbau von gezielten Stipendienprogrammen für Studierende aus
Usbekistan in der Bundesrepublik Deutschland voranzutreiben und bei der
Auswahl der Stipendiatinnen und Stipendiaten Kriterien zu berücksichti-
gen, die eine gesamtgesellschaftliche Repräsentanz gewährleisten;

9. keine Flüchtlinge nach Usbekistan abzuschieben und gegenüber der usbe-
kischen Seite auf Auskünfte über bereits Zurückgeführte zu bestehen;

10. all denjenigen, die in Usbekistan von willkürlicher staatlicher Gewalt be-
droht werden, aus humanitären Gründen ein Visum für Deutschland bezie-
hungsweise den Schengenraum auszustellen;

11. gegenüber der usbekischen Regierung klare menschenrechtliche Forderun-
gen zu formulieren und die künftige Zusammenarbeit an die Entwicklung
und Befolgung einer menschenrechtlichen Agenda zu knüpfen;

12. die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Usbekistan kritisch zu
überprüfen, vor allem inwiefern sie die herrschende Elite unterstützt und
direkt oder indirekt zu Menschenrechtsverletzungen beigetragen hat;

13. regierungsnahe Maßnahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
in vereinbarten Tranchen auszuzahlen. Bei Abweichung von der vereinbar-
ten Agenda soll die Auszahlung von Tranchen zurückgehalten werden, im
Extremfall bis hin zum Abbruch der regierungsnahen entwicklungspoliti-
schen Maßnahmen;

14. verstärkt auf regierungsferne Maßnahmen in der Entwicklungszusammen-
arbeit mit Usbekistan zu setzen und im größtmöglichen Rahmen die Zivil-
gesellschaft zu fördern oder einzubeziehen;

15. Alternativen für den strategischen Lufttranssportstützpunkt der Bundes-
wehr in Termez ernsthaft und unter Berücksichtigung der Menschenrechts-

lage zu prüfen;

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16. die in Usbekistan stationierten deutschen Bundeswehrsoldaten genau und
umfassend über die Menschenrechtssituation in Usbekistan aufzuklären,
besonders jene, die mit usbekischen Behörden zu tun haben, sowie eine
entsprechende Berücksichtigung in ihrem Handeln sicherzustellen;

17. sich auf Ebene der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass Fonds aus
dem Umfeld der Präsidentenfamilie nicht mit öffentlichen Geldern der
Europäischen Union finanziert werden;

18. die im Rahmen der Zentralasienstrategie ins Leben gerufene „Rule-of-
Law-“Initiative zu evaluieren und die vermeintliche Unabhängigkeit der
usbekischen Justiz auf den Prüfstand zu stellen;

19. darauf hinzuwirken, dass Kinderarbeit insbesondere zur Zeit der Baumwoll-
ernte in Usbekistan zurückgedrängt wird, und zu gewährleisten, dass deut-
sche Wirtschaftsunternehmen von diesen Menschenrechtsverletzungen
nicht profitieren;

20. sich gemeinsam mit allen relevanten außenpolitischen Akteuren, insbeson-
dere mit den Interessenverbänden der deutschen Wirtschaft sowie den poli-
tischen Stiftungen, deutschen Durchführungsorganisationen und kulturellen
Institutionen wie dem Goethe-Institut für eine menschenrechtlich konsis-
tente Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik gegenüber Usbekistan
einzusetzen;

21. den EU-Menschenrechtsdialog mit Usbekistan zu intensivieren, konkrete
menschenrechtliche Zielvorgaben zu formulieren, einen Zeitplan zur Erfül-
lung dieser Vorgaben vorzulegen und die Wirkung des Menschenrechtsdia-
logs sowie die Erfüllung der Zielvorgaben regelmäßig zu überprüfen und
auszuwerten;

22. für den Fall, dass sich die Menschenrechtssituation in Usbekistan mittel-
fristig trotz des intensiveren Menschenrechtsdialoges und der verstärkten
Zusammenarbeit im Sinne der oben genannten Forderungen nicht verbes-
sern sollte, sich im Rahmen der EU dafür einzusetzen, den Menschen-
rechtsdialog auszusetzen oder gegebenenfalls auch zu beenden.

Berlin, den 5. Juli 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

In Usbekistan herrschen noch immer unhaltbare menschenrechtliche Zustände
(vgl. bereits Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Juni 2006,
Bundestagsdrucksache 16/1975). Der restriktive Apparat von SNB (usbekische
Staatssicherheit), Polizei und Justiz überwachen politische Gegner, Menschen-
rechtsverteidiger, Journalisten, angebliche Islamisten und Mitarbeiter von Men-
schenrechtsorganisationen permanent. Die Sicherheitsorgane schüchtern ein,
halten Personen nicht selten über beträchtliche Zeiträume hinweg ohne Ankla-
geerhebung oder Gerichtsverfahren in Gewahrsam, erzwingen Geständnisse
durch Einsatz von Folter und sorgen dafür, dass die Justiz in unfairen Gerichts-
verfahren missliebige Personen durch die Verhängung hoher Freiheitsstrafen
für Jahre aus dem Verkehr zieht. Häufig wird die Bedrohung durch islamisti-
schen Terrorismus von der Regierung als Begründung für repressives Vorge-

hen, Verfolgung und sehr zahlreiche willkürliche Inhaftierungen angeführt.
Verhaftungen unter dem Vorwurf des religiösen Extremismus haben insgesamt

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deutlich zugenommen. Regimegegner und Oppositionelle ohne extremistischen
Hintergrund werden verstärkt unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung ver-
folgt.

Die Arbeit unabhängiger Nichtregierungsorganisationen wird von staatlicher
Seite unter Zuhilfenahme eines extra hierfür geschaffenen NGO-Gesetzes be-
hindert oder unmöglich gemacht. Am 15. März 2011 wurde Human Rights
Watch gezwungen, Usbekistan als letzte internationale und unabhängige NGO
zu verlassen. Das Büro wurde mittlerweile endgültig geschlossen, die Mitarbei-
ter mussten alle entlassen werden. Über ihren Verbleib liegen keine Informatio-
nen vor. Die Religionsfreiheit wird nicht geachtet. Anhängerinnen und Anhän-
ger nicht registrierter Glaubensrichtungen werden verfolgt und ihnen wird unter
Verweis auf das NGO-Gesetz die Religionsausübung verboten. Die Meinungs-
und Pressefreiheit wird staatlicherseits stark beschnitten. Internationale Medien
sind hiervon ebenso betroffen wie usbekische, weshalb eine unabhängige Be-
richterstattung kaum möglich ist.

Nach der blutigen Niederschlagung einer Demonstration in Andijan 2005, bei
der hunderte überwiegend friedliche Demonstranten getötet wurden, erließ die
EU Sanktionen gegen Usbekistan. Sie beinhalteten ein Exportverbot von Waf-
fen nach Usbekistan und ein Einreiseverbot für hochrangige usbekische Politi-
ker in die EU. Bereits 2007 wurde das Einreiseverbot jedoch gelockert, bis es
2008 gänzlich aufgehoben wurde. 2009 kam es dann auch zur Aufhebung des
Waffenembargos. Deutschland war eine treibende Kraft hinter der Aufhebung
der Sanktionsmaßnahmen gegen Usbekistan. Sechs Jahre später sind die dama-
ligen Vorfälle immer noch nicht unabhängig aufgeklärt worden, obwohl dies
eine der Bedingungen der EU für die endgültige Aufhebungen der Sanktionen
gegen Usbekistan war. Die von usbekischer Seite immer wieder erwähnten
Aktivitäten einer internationalen Expertengruppe, die Einblick in Prozessakten
und weitere Dokumente zum Massaker von Andijan erhalten hat, entsprechen
nicht dem internationalen Standard einer unabhängigen Untersuchung. Eine in-
ternationale Untersuchungskommission zu fordern, ist daher weiter notwendig
und sollte gemeinsam mit den anderen EU-Partnern vorangetrieben werden.

Im Herbst jedes Jahres kommt es regelmäßig zu besonderen Menschenrechtsver-
letzungen an Kindern. Jedes Jahr werden Tausende von ihnen zur Baumwollernte
gezwungen. Der Staat hat das Monopol über die Produktion und den Export.
2008 hat Usbekistan aufgrund internationalen Drucks die ILO-Konventionen
138 und 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterschrieben und
außerdem im September 2008 einen nationalen Aktionsplan zur Implementie-
rung der beiden Richtlinien beschlossen. Die praktische Umsetzung blieb bisher
jedoch weitestgehend aus. Internationale Beobachter werden nicht zugelassen.
Der usbekische Staat verdient angesichts des steigenden Baumwollpreises jedes
Jahr mehr am Geschäft mit der Baumwolle; aktuell liegt der Reingewinn bei rund
1 Mrd. US-Dollar. Es ist umso unverständlicher, warum trotz der gestiegenen
Weltmarktpreise sowohl im hohen Maße Kinderarbeit bei der Ernte eingesetzt
wird als auch die abhängigen Landwirte zu einem Hungerlohn entgolten werden.

Vereinzelte positive Veränderungen wie etwa die Abschaffung der Todesstrafe
oder die formelle Einführung des Habeas-Corpus-Rechts dürfen über die kata-
strophalen menschenrechtlichen Zustände in Usbekistan nicht hinwegtäuschen.

Die EU führt mit den fünf zentralasiatischen Staaten im Rahmen der seit 2007
bestehenden EU-Zentralasienstrategie Menschenrechtsdialoge durch, die die
Staaten darin unterstützen sollen, die Menschenrechtssituation zu verbessern.
Ergebnisse und Evaluierungen des Menschenrechtsdialogs mit Usbekistan blei-
ben bisher aus.

Die Bundesregierung unterhält in Termez in Usbekistan einen Militärstützpunkt

zur Unterstützung ihres Einsatzes in Afghanistan. Für den Zeitraum von 2002

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bis 2010 hat sie dafür rund 88 Mio. Euro an einsatzbedingten Zusatzausgaben
gehabt. Das bedeutet, dass Deutschland trotz der EU-Sanktionen, die die militä-
rische Zusammenarbeit mit der Diktatur in Taschkent streng untersagten, weiter
ihren Stützpunkt in Termez unterhielt. Auch die Ausbildung von usbekischen
Soldaten ist in dieser Zeit weiter verfolgt worden. Seit 2011 kommen jährlich
noch weitere 15,95 Mio. Euro dazu, die direkt und ohne weiteren Verwen-
dungsnachweis an den usbekischen Staat gezahlt werden.

Die schwarz-gelbe Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag der weltweiten
Durchsetzung der Menschenrechte verschrieben (S. 113 ff.). Die praktische
Politik gegenüber Usbekistan untergräbt diesen Anspruch jedoch vollends.
Einerseits werden mit Usbekistan „enge und vertrauensvolle Beziehungen“
(Auswärtiges Amt) gepflegt, andererseits geht die Forderung nach demokrati-
schen Reformen zunehmend ins Leere. Von einer „Fortsetzung eines kritischen
Dialogs mit dem Ziel weiterer demokratischer Reformen und einer Verbesse-
rung der Menschenrechtslage“ (Auswärtiges Amt) kann daher keine Rede sein.
Dialog setzt voraus, dass die Probleme überhaupt von deutscher Seite zur
Sprache gebracht werden. Tatsächlich spricht Deutschland die verheerende
Menschenrechtslage im Land immer noch nicht über alle ihr zur Verfügung
stehenden Kanäle deutlich an. Es ist zwar zu begrüßen, dass der Beauftragte der
Bundesregierung für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Markus Löning,
die Menschenrechtslage in Usbekistan öffentlich als „sehr unerfreulich“ be-
zeichnet; dies muss jedoch auch in Regierungsgesprächen auf höchster Ebene
zur Sprache kommen.

Inzwischen ist die Bundesregierung sogar dazu übergegangen, die Ungereimt-
heiten bezüglich der zusätzlich an Usbekistan gezahlten Gelder auf eine äußerst
ungewöhnliche Art der Öffentlichkeit zu entziehen. Bereits erteilte Antworten
auf Schriftliche Fragen wurden nachträglich knapp zwei Monate nach Veröffent-
lichung als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft (vgl. Antwort der Bun-
desregierung auf die Schriftlichen Fragen 49 bis 51 der Abgeordneten Viola von
Cramon-Taubadel vom 15. April 2011), so dass von der Bundestagsdrucksache
17/5638 nunmehr zwei Versionen existieren: die ursprünglich gedruckte (die
auszugsweise noch unter: www.bundeswehr-monitoring.de abrufbar ist) und die
nun redigierte Fassung auf Bundestagsdrucksache 17/5638 (neu). Dieses äußerst
unübliche Vorgehen lässt Raum für Spekulationen über den Umgang mit der
Diktatur.

Der seit 2007 bestehende Menschenrechtsdialog mit Usbekistan bringt bislang
keine nennenswerten Fortschritte, sondern dient eher dazu, keinen weiteren
Druck auf Usbekistan ausüben zu müssen und in anderen Bereichen der Zu-
sammenarbeit nicht durch die Kritik an Menschenrechtsverletzungen Verstim-
mungen hervorrufen zu müssen. Im März 2007 erklärte der damalige Parlamen-
tarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. h. c. Gernot Erler, „Wir werden
unsere Bemühungen fortsetzen und dabei den Vertretern Usbekistans deutlich
machen, dass eine positive Teilnahme an der EU-Zentralasienstrategie und die
Zusammenarbeit mit der EU nur möglich sind, wenn wir weiter konkrete Er-
folge in dem von mir beschriebenen Sinne haben werden“ (Plenarprotokoll 16/
85). Diese Erfolge sind bisher ausgeblieben. Der Abgeordnete der Fraktion der
FDP, Burkhardt Müller-Sönksen, bezeichnete den Menschenrechtsdialog in der
gleichen Debatte sogar als „Feigenblattveranstaltung“. Daran hat sich nichts ge-
ändert.

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