BT-Drucksache 17/6490

Monopolgewinne verhindern - Mineralölkonzerne entflechten

Vom 6. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6490
17. Wahlperiode 06. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Michael Schlecht, Caren Lay, Dr. Barbara Höll, Eva
Bulling-Schröter, Harald Koch, Ralph Lenkert, Ulla Lötzer, Dorothee Menzner,
Jens Petermann, Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Kersten Steinke, Sabine
Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Axel Troost, Johanna Voß, Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

Monopolgewinne verhindern – Mineralölkonzerne entflechten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Unternehmenskonzentration nimmt beständig zu. Die Wirtschaftsmacht
einzelner Unternehmen hat den Wettbewerb zerstört. Das Bundeskartellamt hat
in seiner Sektoruntersuchung Kraftstoffe (26. Mai 2011) festgestellt, dass die
Mineralölkonzerne Aral/BP, Shell, Jet, Esso und Total 70 Prozent des Benzin-
marktes kontrollieren. Die marktbeherrschenden Unternehmen koordinieren die
Preise dabei auch ohne offizielle Absprachen, etwa über die stillschweigende
Ausrichtung der Preispolitik an einem signalgebenden Marktführer. Die Preis-
setzungsmacht dieser Konzerne schadet den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern sowie der Volkswirtschaft. Die Unternehmen müssen steigende Kosten
verkraften, die Reallöhne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sinken und
staatliche Transferleistungen für Erwerbslose sowie Rentnerinnen und Rentner
werden aufgezehrt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Reformen des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beinhaltet:

a) Das Bundeskartellamt soll ermächtigt werden, auch ohne einen Miss-
brauchsnachweis (z. B. illegale Preisabsprachen) kurzfristig Maßnahmen
zur Preisaufsicht und Preiskontrolle zu erlassen und marktbeherrschende
Unternehmen, wie etwa die großen Mineralölkonzerne, zu entflechten.

b) Der Geltungsbereich des Wettbewerbsrechts für Unternehmen der öffent-
lichen Hand gemäß § 130 GWB ist dahingehend zu beschränken, dass
über die Bundesbank sowie die Bankengruppe KfW hinaus öffentliche
Unternehmen, die wichtige Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvor-

sorge erbringen oder marktbeherrschende Positionen privater Konzerne
korrigieren, von den Vorschriften der Teile I bis III des GWB ausgenom-
men sind;

2. sich für die Schaffung eines europäischen Kartellamts einzusetzen und die
Kompetenzen der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission hierauf
zu übertragen. Das europäische Kartellamt erhält analog zur nationalen Kar-

Drucksache 17/6490 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

tellbehörde die Befugnisse zur Preisaufsicht, Preiskontrolle und Entflechtung
internationaler marktbeherrschender Unternehmen.

Berlin, den 6. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1a

Die Monopolkommission hat bereits in ihrem Sondergutachten „Gestaltungsop-
tionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen Unternehmensentflech-
tung“ (April 2010) bestätigt, dass die bestehenden Instrumente des Kartellamts
nicht ausreichen, um den Wettbewerb zu schützen. Darüber hinaus bestünden
keine grundsätzlichen verfassungs- und europarechtlichen Bedenken gegen ein
Entflechtungsinstrument. Kurzfristige Maßnahmen zur Preisaufsicht- und kon-
trolle könnten nach australischem oder österreichischem Vorbild eine Melde-
pflicht der Tankstellenketten für die Preise des nächsten Tages sowie ihre
Fixierung für einen Zeitraum von 24 Stunden beinhalten. Sollte die Einschät-
zung des Vorsitzenden der Monopolkommission, Justus Haucap, zutreffen,
wonach derartige Maßnahmen nicht preissenkend wirken, sollte jedoch das
Entflechtungsinstrument greifen (vgl. Verriss für Ramsauers Benzinpläne,
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND, 1. Juni 2011, S. 9).

Zu Nummer 1b

Ein Entflechtungsinstrument könnte auch missbraucht werden, um öffentliche
Aufgaben zu privatisieren. Grundsätzlich müssen auch marktbeherrschende
Positionen öffentlicher Unternehmen korrigiert werden, wo sich diese zum
Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher auswirken. In bestimmten Fäl-
len unterscheiden sich jedoch öffentliche Unternehmen von privaten marktbe-
herrschenden Konzernen und sind sogar mithin der Garant echten Wettbewerbs.
Erstens erbringen öffentliche Unternehmen vielfach unverzichtbare öffentliche
Dienstleistungen für das Gemeinwesen und die Volkswirtschaft, wo private
Gewinninteressen keine optimale Güterversorgung gewährleisten. Zweitens
kann öffentliches Eigentum bei entsprechendem politischen Willen den Vorrang
demokratischer Entscheidungen (z. B. der Energiewende) vor den Interessen
privater Konzerne (etwa der Atomlobby) sichern. Drittens können öffentliche
Unternehmen echten Wettbewerb garantieren, wo die Marktstruktur den Eintritt
kleiner Wettbewerber von vornherein verhindert (z. B. bei netzgebundenen
Industrien mit teurer Infrastruktur bzw. sogenannten economies of scale). Die
Macht der Mineralölkonzerne beginnt etwa bereits beim Betrieb der Raffinerien
und der Zulieferkette (vgl. Freibrief für Öl-Multis, FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND, 27. Mai 2011, S. 31). Ein öffentliches Mineralölunterneh-
men könnte etwa – sofern neue Instrumente des Kartellrechts keine Abhilfe leis-
ten und kleine Wettbewerber chancenlos bleiben – freie Tankstellen bevorzugt
beliefern. Unter den Voraussetzungen der Gemeinwohlorientierung und/oder
der Korrektur von Wettbewerbsverzerrungen sollten öffentliche Unternehmen
auf oligopolistischen bzw. netzgebundenen Märkten von der Anwendung der
Vorschriften der Teile I bis III des GWB durch die Anpassung des § 130 GWB
ausgenommen werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6490

Zu Nummer 2

Die Europäische Kommission hat zwar das Recht, strukturelle Maßnahmen, bei-
spielsweise Entflechtung von Konzernen, bei Verstößen gegen die Artikel 101
und 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union anzuord-
nen, nutzt diese Kompetenzen aber selbst bei wiederholten Verstößen nicht. Das
Bundeskartellamt ist aufgrund seiner nationalen Organisation ebenfalls nicht ge-
eignet, den europäischen Wettbewerb zu regulieren bzw. marktbeherrschende
Positionen internationaler Konzerne zu unterbinden.

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