BT-Drucksache 17/6274

Zahngesundheit von älteren, pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit Behinderungen

Vom 23. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6274
17. Wahlperiode 23. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Inge Höger, Kathrin
Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Zahngesundheit von älteren, pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit
Behinderungen

Die zahnmedizinische Versorgung von Menschen mit Behinderungen und chro-
nischen Erkrankungen sowie mit Pflegebedarf ist in der Bundesrepublik
Deutschland oft sehr mangelhaft. Werden Menschen pflegebedürftig bzw. im-
mobil, bedeutet dies für die Pflege und Behandlung der eigenen Zähne und von
vorhandenem Zahnersatz einen größeren Aufwand und besondere Herausforde-
rungen, um die Mundgesundheit und die Kaufähigkeit zu erhalten. Wird dies
nicht sichergestellt, besteht die Gefahr von Wurzelkaries und schweren Erkran-
kungen des Zahnfleisches (Parodontitis). Mit Parodontitis gehen deutliche
Wechselwirkungen zu allgemeinmedizinischen Erkrankungen, wie Herzkreis-
lauferkrankungen, Diabetes mellitus, Lungenerkrankungen sowie Magen-
Darm-Störungen, einher. Menschen mit demenziellen Erkrankungen sind aus
zahnmedizinischer Sicht ähnlich schwer zu betreuen, wie Menschen mit Behin-
derungen. Ohne regelmäßige Mundpflege und zahnärztliche Betreuung ver-
schlechtert sich die Mundgesundheit sehr schnell. Schmerzen, Verluste von Zäh-
nen, Probleme bei Kaufunktion und beim Sprechen sind die Folge (siehe
„Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“, Bundeszahnärztekammer
[BZÄK] und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung [KZBV], 2010).

Die zahnärztliche Betreuung in Pflegeeinrichtungen ist oft unzureichend. Häu-
fig bleiben Mundgesundheitsprobleme so lange unbeachtet, bis Zähne entfernt
werden müssen. Die Eingliederung von Zahnersatz ist dann oft nicht mehr mög-
lich – mit allen Konsequenzen für die Lebensqualität der Betroffenen.

Ebenso ist die zahnmedizinische Betreuung von Patienten mit Behinderungen in
unserem derzeitigen Versorgungssystem häufig unbefriedigend. Einerseits be-
dingen motorische und/oder kognitive Einschränkungen eine schwierige Mund-
pflege und Zahnbehandlung und bilden so ein erhöhtes Risiko für Karies und
Zahnbettentzündungen. Diesem erhöhten Bedarf stehen andererseits für viele
Menschen mit Behinderungen Zugangsbarrieren zur zahnmedizinischen Ver-
sorgung gegenüber. Zuletzt können viele Menschen mit Behinderungen oft nur
unter einem erhöhten personellen, instrumentellen und zeitlichen Aufwand zahn-
ärztlich versorgt werden. Diese Leistungen werden derzeit nicht in allen Praxen
erbracht. Daraus resultieren für die Betroffenen lange Wartezeiten und/oder eine

umfangreiche Suche nach einer geeigneten Praxis.

In Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention „Gesundheit“ anerkennt die
Bundesregierung „das Recht von Menschen mit Behinderungen, das erreichbare
Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu
genießen.“ Sie fordert für Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche
oder erschwingliche Gesundheitsversorgung entsprechend der Bandbreite, der

Drucksache 17/6274 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Qualität und dem Standard der vorherrschenden Gesundheitsversorgung. Der
§ 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) besagt: „Den besonderen
Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen ist Rechnung zu tragen.“

Wird unser Staat diesen Verpflichtungen bezogen auf die zahnärztliche Versor-
gung gerecht?

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Zahnarztpraxen gibt es in Deutschland, und wie viele sind davon
barrierefrei?

2. Gibt es in jedem kassenärztlichen Planungsbezirk mindestens eine barriere-
freie Zahnarztpraxis?

In wie vielen Planungsbezirken gibt es keine barrierefreie Zahnarztpraxis?

3. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, damit Zahnarztpraxen
zunehmend barrierefrei werden?

4. Wie viele Menschen in Deutschland sind aufgrund von Behinderungen und/
oder fehlender Mobilität nicht in der Lage, ihre Zahnpflege in ausreichen-
dem Maße selbst vorzunehmen?

5. Wie viele Menschen in Deutschland sind aufgrund von Pflegebedürftigkeit
bzw. aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage, eine Zahnarztpraxis
aufzusuchen und müssen demnach ambulant versorgt werden?

6. Wie viele Menschen in Deutschland werden aufgrund ihrer Behinderungen
und/oder fehlender Mobilität und der fehlenden ambulanten Versorgung
bzw. fehlenden barrierefreien Zahnarztpraxen nicht regelmäßig (zweimal
pro Jahr) zahnärztlich oder präventiv versorgt?

7. Welche Modellprojekte gibt es zur Versorgung in stationären Pflege- oder
Behinderteneinrichtungen, aber auch in privaten Räumen bei immobilen
Personen mit ambulanten Zahnmedizinteams und -praxen?

Wenn solche Modellprojekte nicht existieren, sind sie für die Zukunft ange-
dacht?

8. Wie viele Zahnarztpraxen sind auf die Behandlung von Menschen mit Be-
hinderungen spezialisiert?

9. Wie viele Zahnarztpraxen sind auf die Behandlung von pflegebedürftigen
und alten Menschen spezialisiert?

10. Inwieweit besteht für Menschen mit Behinderungen laut Gesetz sowie in
der Praxis ein identisches Recht auf freie Arzt- und Zahnarztwahl, wie für
Menschen ohne Behinderung?

11. Kann ein Mensch im Rollstuhl einen Zahnarzt aufsuchen, der ohne Fahr-
stuhl im dritten Stockwerk behandelt?

Ist dadurch die freie Arztwahl für den Menschen im Rollstuhl einge-
schränkt?

Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf?

12. Welchen besonderen Aufwand bedeutet die Behandlung von Menschen mit
Behinderungen, pflegebedürftigen oder dementen Menschen für den zahn-
ärztlichen Behandler?

Wird dieser besondere Aufwand gesondert vergütet?

Welche Anreize hat ein Zahnarzt, diesen besonderen Aufwand zu leisten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6274

13. Haben Menschen aufgrund von schweren Vorerkrankungen, wie beispiels-
weise einem Mundboden-Unterkiefer-Karzinom mit Entfernung des Unter-
kiefers, Anspruch auf eine besondere Zahnersatzversorgung oder erhalten
diese wie alle anderen Patienten die entsprechenden Festbeträge für die
Regelversorgung und müssen den Rest selbst tragen?

Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, für Menschen in besonderen
Situationen besondere Leistungsansprüche bei Zahnbehandlung und Zahn-
ersatz zu schaffen?

14. Ist die Abstaffelung der prozentualen Eigenbeteiligung beim Zahnersatz
entsprechend dem Bonusheft auch für pflegebedürftige Menschen und
Menschen mit Behinderungen, für die dadurch der regelmäßige Zahnarzt-
besuch erschwert ist, angemessen oder stimmt die Bundesregierung der
Empfehlung der Arbeitsgruppe der Bundeszahnärztekammer und der
Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung („Mundgesund trotz Handicap
und hohem Alter“) zu, dass in diesen Fällen auf die Führung eines Bonus-
heftes verzichtet werden sollte?

15. Wie viel Praxisgebühr muss ein Mensch mit Behinderung bezahlen, der
wegen einer Behinderung unter Vollnarkose behandelt werden muss, noch
nicht befreit ist und in dem Quartal noch keine Praxisgebühren entrichtet
hat?

Zahlt er 10 Euro oder 20 Euro, da er auch noch die Gebühr für den Anästhe-
sisten bezahlen muss?

16. Stimmt die Bundesregierung der Empfehlung der Arbeitsgruppe KZBV und
BZÄK („Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“) zu, dass die Praxis-
gebühren bei pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit Behinderun-
gen nicht erhoben werden sollten, weil dadurch notwendige präventive
Betreuungskonzepte unnötigerweise erschwert werden?

Berlin, den 23. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.