BT-Drucksache 17/6215

Aussetzung des Zivildienstes und Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes sowie Freiwilligendienste aller Generationen (Nachfragen zu Bundestagsdrucksachen 17/5079 und 17/5078)

Vom 15. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6215
17. Wahlperiode 15. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Elisabeth Scharfenberg, Ekin
Deligöz, Katja Dörner, Priska Hinz (Herborn), Agnes Krumwiede, Monika Lazar,
Tabea Rößner, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aussetzung des Zivildienstes und Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes
sowie Freiwilligendienste aller Generationen (Nachfragen zu Bundestags-
drucksachen 17/5079 und 17/5078)

Zum 1. Juli 2011 tritt das Gesetz über den Bundesfreiwilligendienst in Kraft. Da
sich die Bundesregierung im März 2011 mit Verweis auf das damals noch nicht
abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren überwiegend nicht in der Lage sah, die
Fragen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Zukunft der Freiwilligen-
dienste, zur Konversion des Zivildienstes, zum Bundesfreiwilligendienst und
den Freiwilligendiensten aller Generationen (Bundestagsdrucksachen 17/4737
und 17/4903) zu beantworten, stellt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die mit Verweis auf das damals laufende Gesetzgebungsverfahren nicht oder nur
teilweise beantworteten Fragen erneut.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen konkreten Maßnahmen sollen die bisher von Zivildienstleis-
tenden durchgeführten Tätigkeiten kompensiert werden, um entstehende
Lücken „zum großen Teil“ zu schließen (so die Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, bei der Vorstellung ihrer
Jahresplanung am 26. Januar 2011) und den Qualitätsstandard in den Einrich-
tungen zumindest auf dem aktuellen Stand zu halten (bitte nach Tätigkeiten
und Platzzahlen aufschlüsseln)?

2. Inwieweit sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung zukünftig Tä-
tigkeiten der Zivildienstleistenden von zusätzlichen sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen des ersten Arbeitsmarktes übernom-
men werden, und welche konkreten Maßnahmen ergreift sie, um dies zu
organisieren bzw. anzureizen?

3. Wie und mit welchen konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung,
einen strukturierten Übergang vom Zivildienst zum Bundesfreiwilligendienst
zu gewährleisten, insbesondere um Planungssicherheit für alle beteiligten
Akteure herzustellen?
4. Welche konkreten Maßnahmen und Programme plant die Bundesregierung,
um einen Rückgang des Anteils junger Männer in personenbezogenen
Dienstleistungen, wie beispielsweise im Sozial-, Pflege- und Gesundheits-
wesen, aufzuhalten und zu kompensieren?

Drucksache 17/6215 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Was plant die Bundesregierung mit den frei werdenden Mitteln des Zivil-
dienstetats zu unternehmen, da in den neuen Bundesfreiwilligendienst nur
noch rund 300 Mio. Euro (vorher rund 600 Mio. Euro für den Zivildienst)
investiert werden?

Sollen diese in die Zivildienstkonversion investiert werden, und wenn nein,
warum nicht?

6. Womit begründet die Bundesregierung die Notwendigkeit der durch das
Bundesfreiwilligendienstgesetz entstehenden Doppelstruktur zu den beste-
henden Freiwilligendiensten (insbesondere zu den im Jugendfreiwilligen-
dienstgesetz geregelten Diensten FSJ – Freiwilliges Soziales Jahr – und FÖJ
– Freiwilliges Ökologisches Jahr – und den generationenübergreifenden
Freiwilligendiensten)?

7. Strebt die Bundesregierung perspektivisch eine strategische Weichenstel-
lung an, wonach die Freiwilligendienste in alleiniger Länderzuständigkeit
oder alleiniger Bundeszuständigkeit organisiert werden, oder plant sie eine
Beibehaltung der neuen Misch- bzw. Doppelstruktur?

8. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Bündnisses für
Gemeinnützigkeit u. a., wonach der Grundsatz der Nachrangigkeit von
staatlichem gegenüber ehrenamtlichem Engagement (Subsidiaritätsprinzip)
durch die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstgesetzes missachtet
wird und alternativ ein Ausbau der bestehenden Freiwilligendienste in Ko-
operation von Zivilgesellschaft, Ländern und Bund sachgerechter wäre?

9. Wie plant die Bundesregierung, einer Konkurrenz zwischen dem Bundes-
freiwilligendienst und den bestehenden Freiwilligendiensten – insbesondere
das FSJ und das FÖJ – wirksam entgegenzuwirken, und wie will sie aus-
schließen, dass mittel- und langfristig bestehende Dienste verdrängt wer-
den?

10. Wie will die Bundesregierung eine klare arbeits- und sozialrechtliche Defi-
nition und Abgrenzung der Freiwilligendienste gewährleisten?

11. Wann plant die Bundesregierung einen Entwurf für ein „Freiwilligendiens-
testatusgesetz“ vorzulegen, wird das Bundesministerium für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend dabei die Federführung innehaben, und welche
Bundesministerien werden darüber hinaus an der Entwicklung und Konzep-
tionierung beteiligt werden?

12. Inwiefern plant die Bundesregierung im Bundesfreiwilligendienstgesetz ein
Rückkehrrecht in die vor Aufnahme des Freiwilligendienstes bestehenden
Arbeitsverhältnisse?

13. Welche Zielgruppen hat die Bundesregierung für die Absolvierung des Bun-
desfreiwilligendienstes im Blick?

14. Welche konkrete Regelung plant die Bundesregierung, um Freiwillige unter
25 Jahren, die keinen Freibetrag auf Kindergeld geltend machen können,
mit Freiwilligen, für die ein Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Absatz 6
des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder Kindergeld besteht, gleich zu
behandeln, und wie unterscheiden sich die Regelungen zu denen im Jugend-
freiwilligendienstgesetz?

15. Wie und nach welchen Kriterien plant die Bundesregierung die Vergabe von
Plätzen für den Bundesfreiwilligendienst zu regeln, und gibt es Pläne, die
Anzahl der Plätze im neuen Bundesfreiwilligendienst zu begrenzen und/
oder an bestehende Freiwilligendienstplätze zu binden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6215

16. Welche Funktionen übernehmen die neu einzurichtenden Zentralstellen bei
der Umsetzung des Bundesfreiwilligendienstgesetzes, wie soll die Träger-
schaft der Zentralstellen geregelt werden, und welche Umstrukturierungs-
maßnahmen sind für die Einrichtung der Stellen erforderlich?

17. Werden die Regionalbetreuerinnen und Regionalbetreuer aus der Zivil-
dienststruktur übernommen, und wenn ja, in welchem Umfang, und für wel-
che Aufgaben?

18. Sind im Bundesfreiwilligendienst Weiterbildungsmaßnahmen vorgesehen,
die als Brücke in den Arbeitsmarkt genutzt werden können, und welche
konkreten Qualifizierungsmaßnahmen und Zertifizierungen der erworbe-
nen Qualifikationen sind geplant?

19. Welche konkrete pädagogische Begleitung ist im Bundesfreiwilligendienst-
gesetz vorgesehen, und inwiefern wird dabei die heterogene Zusammenset-
zung der Freiwilligen, insbesondere bezüglich des Alters und der Bildungs-
anforderungen, berücksichtigt?

20. Welche Pläne zur Ansprache und Gewinnung junger Menschen entwickelt
und verfolgt die Bundesregierung, um die Zielzahl von 35 000 Bundesfrei-
willigendienstleistenden zu erreichen?

Welche Anreize plant sie zu setzen?

Welche Informations- und Werbekampagnen, mit welchen Kosten, sind in
Vorbereitung?

21. Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass junge Frauen und junge
Männer gleichermaßen das Angebot des Bundesfreiwilligendienstes wahr-
nehmen und ihn absolvieren?

22. Inwiefern plant die Bundesregierung Begünstigungen durch die Absolvie-
rung des Bundesfreiwilligendienstes, wie eine Bevorzugung bei der Stu-
dienplatzvergabe (u. a. Wartesemester) oder einen verbesserten Zugang zur
Berufsausbildung, inwiefern will sie diese auf bestehende Freiwilligen-
dienste ausweiten, und welche Vorkehrungen und Vereinbarungen sind im
Rahmen der Kultusministerkonferenz, Jugendministerkonferenz oder in an-
deren Gremien bisher erörtert oder getroffen worden?

23. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um sicherzu-
stellen, dass die Umsetzung des Bundesfreiwilligendienstes den Prinzipien
der Arbeitsmarktneutralität entspricht?

24. Ist seitens der Bundesregierung eine Überprüfung der Dienststellen und der
rund 170 000 bisher anerkannten Zivildienstplätze vorgesehen, um insbe-
sondere zu gewährleisten, dass diese Stellen den Anforderungen des Ar-
beitsmarktneutralitätsprinzips bei der Umsetzung des Bundesfreiwilligen-
dienstes entsprechen?

Wenn ja, wird diese Aufgabe zu den neuen Tätigkeiten des bisherigen Bun-
desamtes für den Zivildienst zählen, und nach welchen Kriterien wird die
Überprüfung durchgeführt?

Wenn nein, warum nicht?

25. Inwiefern plant die Bundesregierung private und gewinnorientierte Einrich-
tungen, in denen bisher fast ein Drittel der Zivildienstleistenden arbeiteten,
als Stellenanbieter für den Bundesfreiwilligendienst anzuerkennen?

26. Welche Auswirkungen des Bundesfreiwilligendienstgesetzes erwartet die
Bundesregierung gerade auch angesichts des generationenübergreifenden
Ansatzes des Bundesfreiwilligendienstgesetzes auf das klassische Ehrenamt

und andere bürgerschaftliche Engagementformen, vor allem aufgrund der
vorgesehenen Taschengeld- und Mindeststundenregelungen?

Drucksache 17/6215 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

27. Inwiefern plant die Bundesregierung die Beauftragung des Bundesamtes für
den Zivildienst mit der Durchführung des Bundesfreiwilligendienstgeset-
zes, und für welche konkreten, gesetzlich und untergesetzlich geregelten
Aufgaben soll das Bundesamt für den Zivildienst zukünftig verantwortlich
sein?

28. Was versteht die Bundesregierung unter der Ankündigung der Bundes-
ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder,
(aus der Befragung der Bundesregierung vom 15. Dezember 2010 – Plenar-
protokoll 17/80), dass für das Bundesamt für den Zivildienst „weiterhin die
sehr schlanke Struktur“ vorgesehen ist und „eine schlanke und effiziente
Verwaltung der Freiwilligendienste“ erfolgen soll (so die Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bei der Vorstellung ihrer Jahres-
planung am 26. Januar 2011), und wie will die Bundesregierung diese um-
setzen?

29. Inwiefern können die Aufgaben, die an das Bundesamt für den Zivildienst
zur Durchführung des Bundesfreiwilligendienstgesetzes übertragen werden
sollen, auch von anderen Behörden, Trägern oder Institutionen insbesondere
der Zivilgesellschaft geleistet werden, und welche Behörden, Träger oder
Institutionen kämen für die Übernahme der Aufgaben in Betracht (bitte je-
weils die alternativen Möglichkeiten aufführen)?

30. Welche Veränderungen des Personalbestandes plant die Bundesregierung
bei einer Umstrukturierung des Bundesamtes für den Zivildienst?

31. Wie viele Beschäftigte werden für die Umsetzung des Bundesfreiwilligen-
dienstgesetzes sowie für die neuen Aufgaben des Bundesamtes für den
Zivildienst eingeplant und benötigt (bitte jeweils pro Aufgabengebiet mit
genauer Angestellten- und Beamtenzahl angeben)?

32. Sind für die Übernahme der Durchführung des Bundesfreiwilligendienstge-
setzes Umschulungen des Personals des Bundesamtes für den Zivildienst
notwendig?

Wenn ja, in welchen Bereichen, und in welchem Umfang müssen Umschu-
lungen durchgeführt werden?

33. Bleiben die Anzahl, Struktur und personelle Ausstattung der Zivildienst-
schulen bestehen?

Falls ja, warum?

Falls nein, warum nicht?

34. Wie begründet die Bundesregierung den Anspruch des Bundesfreiwilligen-
dienstes, einen für alle Altersgruppen geöffneten Dienst zu schaffen, und
wie will sie sicherstellen, dass der Bundesfreiwilligendienst die entspre-
chende Resonanz findet?

35. Welchen Teilnahmeumfang an Seminaren sieht die Bundesregierung für
Senioren als angemessen an, da laut Gesetzentwurf die „Gesamtdauer der
Seminare (…) bei einer zwölfmonatigen Teilnahme am Bundesfreiwilligen-
dienst mindestens 25 Tage“ beträgt und „ältere Freiwillige (…) in angemes-
senem Umfang an den Seminaren“ teilnehmen sollen?

36. Wie wird die Bundesregierung gewährleisten, dass Seminare für junge als
auch für ältere Menschen gleichermaßen geeignet sind, und welchen Stel-
lenwert hat die passgenaue, individuelle Qualifizierung gegenüber der Teil-
nahme an vorgegebenen Qualifizierungsmaßnahmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6215

37. Wie bringt die Bundesregierung die verpflichtende Teilnahme älterer
Menschen an Seminartagen mit der im Gesetz formulierten Erwartung in
Einklang „Dieser Kompetenzerwerb steht selbstverständlich auch älteren
Menschen offen; hier wird jedoch das Einbringen und Vermitteln schon vor-
handener Kompetenzen sowie Lebens- und Berufserfahrung im Vorder-
grund stehen“?

38. Finden sich die in der Antwort der Bundesregierung zu Frage 7 der Kleinen
Anfrage „Freiwilligendienste aller Generationen“ (Bundestagsdrucksache
17/5078) aufgeführten Erkenntnisse in der Konzeptionierung des Bundes-
freiwilligendienstes wieder?

Wenn ja, worin?

Wenn nein, warum nicht?

39. Womit begründet die Bundesregierung ihre Erwartung hinsichtlich des
Bundesfreiwilligendienstes, dass eine Mindeststundenzahl von 20 Wochen-
stunden den Lebenssituationen älterer Menschen gerecht wird, und welche
Erkenntnisse aus der Begleitforschung zu den Freiwilligendiensten aller
Generationen gibt es bezüglich der bevorzugten Stundenzahl älterer Men-
schen?

40. Welche weiteren Regelungen sind innerhalb des Bundesfreiwilligendienstes
vorgesehen, um der Vielfalt der Lebenssituationen älterer Menschen (z. B.
Anschlussfähigkeit an Altersteilzeit, Sabbatjahre, Arbeitslosigkeit, Arbeits-
gelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen) und ihrem Bedürfnis
nach Flexibilität gerecht zu werden?

41. Wird die Betreuung der „Mobilen Teams“ im Freiwilligendienst aller Gene-
rationen Aufgabe des neuen „Bundesamts für Familie und zivilgesellschaft-
liche Aufgaben“?

Berlin, den 15. Juni 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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