BT-Drucksache 17/6195

Menschenrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Vom 14. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6195
17. Wahlperiode 14. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Katja Keul,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Am 24. Mai 2011 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung (BMZ) das neue Konzept „Menschenrechte in der deut-
schen Entwicklungspolitik“ vorgestellt. Das für die Institutionen der staatlichen
Entwicklungszusammenarbeit (EZ) verbindliche Konzept soll den „Aktionsplan
Menschenrechte der Bundesregierung 2010–2012“ für die Entwicklungspolitik
umsetzen und die entwicklungspolitischen Aktionspläne für Menschenrechte
von 2004 und 2008 ersetzen. Es soll, so heißt es im Konzept, als Entschei-
dungshilfe für die Identifizierung, Prüfung, Planung, Durchführung, Steuerung
und Evaluierung menschenrechtsrelevanter entwicklungspolitischer Vorhaben
dienen. Aber auf welcher Grundlage und anhand welcher Kriterien entwick-
lungspolitische Entscheidungen und Instrumente zukünftig verstärkt an Men-
schenrechten ausgerichtet werden sollen, wird nicht konkretisiert und bleibt
unklar.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit und in welchen konkreten Punkten geht das neue Menschen-
rechtskonzept des BMZ über den „Entwicklungspolitischen Aktionsplan für
Menschenrechte 2004–2008“ und den „Entwicklungspolitischen Aktions-
plan für Menschenrechte 2008–2010?“ hinaus?

2. Inwiefern plant die Bundesregierung, den Menschenrechtsansatz institutio-
nell stärker im BMZ und in anderen Bundesministerien zu verankern?

3. Welche Bundesministerien neben dem BMZ waren in welcher Form in die
Erstellung des Konzepts eingebunden (bitte nach einzelnen Bundesministe-
rien aufschlüsseln)?

4. Wie stehen andere betroffene Bundesministerien zu dem Menschenrechts-
konzept, und wie planen sie dieses umzusetzen (bitte nach Bundesministe-

rien aufschlüsseln)?

5. Mit welchen Instrumenten und Mitteln soll auf Grundlage des neuen Men-
schenrechtskonzeptes eine menschenrechtsorientierte Politikkohärenz geför-
dert werden, in der auch die Außenwirtschaftsförderung und die Agrar- und
Handelspolitik der Bundesregierung an menschenrechtlichen Verpflichtun-
gen ausgerichtet wird (S. 12)?

Drucksache 17/6195 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. Wie sollte eine systematische Überwachung der „menschenrechtsorientier-
ten Politikkohärenz“ institutionell nach Ansicht der Bundesregierung aus-
gestaltet sein (S. 20)?

7. Wird das Evaluierungsinstitut, das 2012 gegründet werden soll, Projekte
der deutschen EZ auch auf ihre menschenrechtlichen Wirkungen hin evalu-
ieren?

Wenn ja, wie?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Abschließenden Bemerkungen des
UN-Sozialpaktausschusses zum Fünften deutschen Staatenbericht der Bun-
desrepublik Deutschland über die Umsetzung des UN-Sozialpaktes in Hin-
blick auf die deutsche Entwicklungspolitik, und wie plant die Bundesregie-
rung, der Kritik gerecht zu werden und die Empfehlungen des Ausschusses
umzusetzen?

9. Mit welchen Maßnahmen reagiert die Bundesregierung auf welche Defizite
in Bezug auf eine systematische Berücksichtigung von Menschenrechten
als Querschnittsthema in den Durchführungsorganisationen (S. 19)?

10. Auf Grundlage welcher Kriterien und welcher Indikatoren soll die Men-
schenrechtssituation in Partnerländern, die Teil des entwicklungspolitischen
Kriterienkataloges sein soll, beurteilt werden (S. 18, 19)?

11. Auf welcher Grundlage (Dienstvorschrift, Handreichung o. Ä.) werden
welche Stellen des BMZ, anderer Bundesministerien und der Durchfüh-
rungsorganisationen mit der Beurteilung der Menschenrechtslage in Part-
nerländern beauftragt?

12. Auf welche Art und Weise sollen alle Vorhaben der bilateralen EZ auf men-
schenrechtliche Risiken und Wirkungen bobachtet, geprüft und evaluiert
werden?

a) Welche Stellen sollen die Prüfung durchführen?

b) Plant die Bundesregierung zu diesem Zweck die Schaffung einer neuen
Organisationseinheit und/oder neuer Stellen?

c) Anhand welcher Kriterien und Indikatoren und in welcher Form soll die
Prüfung durchgeführt werden?

d) Wie und in welcher Form (Dienstvorschrift o. Ä.) definiert die Bundes-
regierung, ab wann ein entscheidungserhebliches Risiko besteht, dass
durch deutsche EZ-Projekte Menschenrechte verletzt werden?

e) Welche Leitfäden für Durchführungsorganisationen sollen zu diesem
Zweck ergänzt oder neu erarbeitet werden (S. 12)?

13. Inwieweit wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass sich alle
Durchführungsorganisationen zur Prüfung der menschenrechtlichen Wir-
kung ihrer EZ-Vorhaben verpflichten, und wenn ja, welche konkreten Maß-
nahmen wird sie zu diesem Zweck ergreifen?

14. Inwieweit existieren Dienstanweisungen, Handreichungen (o. Ä.), die re-
geln, wie der Politikdialog mit Partnerländern über deren Menschenrechts-
situation ausgestaltet werden soll?

15. Inwieweit werden die Politikdialoge mit anderen Staaten und Gebern koor-
diniert, und sollen Ziele eines Dialogs gegenüber der deutschen Öffentlich-
keit und gegenüber der des Partnerlandes öffentlich gemacht werden?

16. Inwieweit werden Politikdialoge systematisch ausgewertet?

a) Welche menschenrechtlichen Kriterien und Indikatoren werden hier an-

gewandt (bitte einzeln angeben)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6195

b) Welche Stellen des BMZ und anderer Bundesministerien oder Durch-
führungsorganisationen sind mit der Auswertung beauftragt, und wie ist
deren Zusammenarbeit geregelt?

17. Inwiefern werden zur Durchführung von Politikdialogen Methoden der
Wirkungsmessung gemeinsam mit dem Partnerland vereinbart und entwi-
ckelt, und inwieweit werden Vertreter der Zivilgesellschaft an dieser Ent-
wicklung beteiligt?

18. Was versteht die Bundesregierung unter „menschenrechtlich angereicher-
ten Konfliktanalysen“ (S. 19)?

a) Wo existieren nach Ansicht der Bundesregierung aktuell Defizite bei der
Berücksichtigung menschenrechtlicher Aspekte in Konfliktanalysen?

b) An welchen Kriterien soll sich eine menschenrechtsorientierte Konflikt-
analyse orientieren?

c) Hat die Bundessregierung menschenrechtliche Konfliktanalysen bislang
evaluiert bzw. ist eine regelmäßige Evaluierung vorgesehen?

d) Welches Gewicht haben menschenrechtliche Kriterien im Vergleich zu
anderen Kriterien?

19. Anhand welcher Kriterien und Indikatoren und in welcher Form (Dienst-
vorschrift o. Ä.) entscheidet die Bundesregierung, ab wann die Budgethilfe
an Partnerländer, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen begangen
werden, eingestellt wird (S. 19)?

a) Wer/welche Stelle entscheidet jeweils auf welcher Grundlage über eine
Reduzierung, Einstellung und Wiederaufnahme von Budgethilfen?

b) Auf welcher Grundlage (Handreichung, Dienstvorschrift etc.) und von
welchen Stellen wird darüber entschieden, wie frei werdende Mittel bei
einer Reduzierung oder Aussetzung von Budgethilfe genutzt werden?

c) Wie setzt sich die Bundesregierung für eine kohärente Vorgehensweise
der EU und den EU-Mitgliedstaaten bei der Vergabe von Budgethilfen
ein und was hat die Bundesregierung in ihrem bisherigen Engagement
erreicht?

20. Inwieweit und mit welchen Maßnahmen soll die Zivilgesellschaft als wich-
tiger Partner für die Umsetzung der Menschenrechte in Partnerländern zu-
künftig konkret „verstärkt unterstützt werden“ (S. 19)?

21. Welche rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen plant die Bun-
desregierung im Rahmen der EZ für eine effektive, auf die Einhaltung der
Menschenrechte ausgerichtete staatliche Regulierung und Aufsicht unter-
nehmerischen Handelns konkret zu fördern (S. 13, 14)?

a) Welche staatlichen Schutzpflichten – neben den Kernarbeitsnormen der
Internationalen Arbeitsorganisation – sieht die Bundesregierung als be-
sonders schutzbedürftig an?

b) Wie könnten nach Ansicht der Bundesregierung deutsche transnational
agierende Unternehmen bei ihren Tätigkeiten im Ausland stärker zur
Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet und diese Verpflichtung
überwacht werden?

c) Wäre es in den Augen der Bundesregierung sinnvoll, vor unternehme-
rischen Tätigkeiten und Investitionen im Ausland eine menschenrecht-
liche Risikoanalyse zu erstellen, insbesondere bei der Vergabe von Ex-
portkrediten und Hermesbürgschaften?

Drucksache 17/6195 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

d) Welche Sanktionen plant die Bundesregierung gegen deutsche trans-
national agierende Unternehmen zu ergreifen, wenn diese die Menschen-
rechte verletzen?

e) Welche menschenrechtlichen Auswirkungen wären zu erwarten, wenn
deutschen Unternehmen Berichtspflichten zu ihren Menschenrechtpoli-
tiken gesetzlich vorgeschrieben würden?

22. In welcher Form unterstützt die deutsche Entwicklungspolitik die Weiter-
entwicklung des internationalen Rechtsrahmens für verantwortungsvolles
unternehmerisches Handeln konkret (S. 14)?

a) Wie definiert die Bundesregierung den Begriff Corporate Social
Responsibility (CSR)?

b) Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung das Konzept der CSR, das im
Kern auf Freiwilligkeit beruht und letztlich vom Interesse der Unterneh-
men her gedacht ist, mit der Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte
vereinbar?

c) Zu welchen Problemen führt das Konzept der CSR, das die Deutungs-
hoheit über das, was ein angemessenes soziales Verhalten ist, den Unter-
nehmen überlässt, da diese ja nur die Praktiken realisieren, zu denen sie
sich freiwillig bereiterklären, und welche Demokratiedefizite hat die
Abwesenheit staatlicher Institutionen in diesem Konzept zur Folge?

d) Müsste ein funktionierendes Konzept der CSR nicht zumindest die Ein-
haltung der Gesetze des jeweiligen Landes, in dem ein Unternehmen
agiert, beinhalten?

e) Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um in der EZ das von
John Ruggie geforderte Konzept einer menschenrechtlichen Sorgfalts-
pflicht konkret umzusetzen?

f) Welche Sanktionen plant die Bundesregierung zu ergreifen, falls Unter-
nehmen diese Sorgfaltspflicht nicht einhalten?

23. In welcher Form plant die Bundesregierung, Menschenrechtsverteidigerin-
nen und Menschenrechtsverteidiger im Rahmen der EZ stärker einzubinden
und zu schützen (S. 14)?

a) Welche institutionellen Verbesserungen bei den staatlichen deutschen
Stellen sind hierfür erforderlich?

b) Könnten Kontaktbeamte in den deutschen Auslandsvertretungen hilf-
reich sein?

c) Könnte die Stelle einer/eines Menschenrechtsbeauftragten im BMZ
(analog zu der Stelle im Auswärtigen Amt) hilfreich sein?

24. In welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung konkret, die Gruppe der
Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual and Intersexual (LGBTI) zu unter-
stützen und die Sensibilisierung sowie den Austausch zu diesem Thema zu
intensivieren (S. 18)?

25. Wie sollte ein vom BMZ eingerichteter menschenrechtlicher Beschwerde-
mechanismus nach Ansicht der Bundesregierung ausgestaltet sein (S. 19)?

26. In welchen Gremien und mit welchen konkreten Maßnahmen plant die
Bundesregierung, sich auf europäischer und internationaler Ebene für eine
verbesserte menschenrechtspolitische Kohärenz einzusetzen (S. 12)?

27. In welchen internationalen Gremien und durch welche konkreten Maßnah-
men plant die Bundesregierung, sich auf Grundlage des neuen Menschen-

rechtskonzeptes stärker dafür einzusetzen, dass sich die operative Arbeit in-
ternationaler Finanzinstitutionen an Menschenrechten ausrichtet (S. 16)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6195

28. Wo bestehen nach Ansicht der Bundesregierung Defizite in der Umsetzung
menschenrechtlicher Leitlinien des Rates der EU, und wie plant die Bun-
desregierung, sich auf Grundlage des neuen Menschenrechtskonzeptes stär-
ker für die Behebung dieser Defizite einzusetzen (S. 16)?

29. Wo sieht die Bundesregierung aktuell den größten Handlungsbedarf bei der
Operationalisierung der menschenrechtlichen Orientierung der EZ der Euro-
päischen Union (S. 16)?

Berlin, den 10. Juni 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.