BT-Drucksache 17/6046

Hintergründe der Reform der Arbeitsmarktinstrumente

Vom 3. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6046
17. Wahlperiode 03. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Diana Golze, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst,
Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers,
Dr. Petra Sitte, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Hintergründe der Reform der Arbeitsmarktinstrumente

Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Verbes-
serung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt beinhaltet eine umfassende
Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III). Nicht alle vorge-
schlagenen Veränderungen sind mit der vorgelegten Gesetzesbegründung nach-
zuvollziehen. Der umfassende Abbau von Rechtsansprüchen und die weitere
Ausdehnung der Vergabe von Gutscheinen werden sowohl Vermittlungsfach-
kräfte als auch Arbeitsuchende vor neue Herausforderungen stellen. Will man
das Ziel einer schnelleren und besseren Überwindung der Arbeitslosigkeit errei-
chen, bedarf es eindeutiger, klarer und nachvollziehbarer Regelungen in den ent-
sprechenden Gesetzen. Die Stärkung dezentraler Entscheidungskompetenzen
und die beabsichtigte flexible und regionale Ausgestaltung der Förderung be-
dürfen aber klarer rechtlicher Rahmenvorgaben, die in dem vorgelegten Entwurf
noch nicht klar erkennbar sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welche Art und Weise wird durch die Novellierung des SGB III und des
SGB II sichergestellt, dass arbeitsuchende arbeitslose Nichtleistungsempfän-
gerinnen und -empfänger die Leistungen der Arbeitsmarktförderung in An-
spruch nehmen können, und wie schlägt sich dies im Entwurf der Bundes-
regierung nieder?

2. Worin unterscheiden sich der Vermittlungsgutschein aus dem § 45 SGB III
(neu) von dem Vermittlungsgutschein nach § 296 SGB III (neu)?

a) Welche Möglichkeiten haben Kundinnen und Kunden diese Differenzie-
rung wahrzunehmen?

b) Wie werden Vermittlerinnen und Vermittler auf die differenzierte Anwen-
dung geschult?
3. a) Welche wissenschaftlichen Studien liegen der Entfristung der Reglung zu
den Vermittlungsgutscheinen zugrunde?

b) In welcher Weise hat die Erkenntnis, dass Gutscheine von benachteiligten,
arbeitsmarktferneren Personen weitaus weniger in Anspruch genommen
werden als von arbeitsmarktnäheren Personen, Eingang in die Formulie-
rung des Gesetzentwurfs gefunden?

Drucksache 17/6046 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Wie hoch war im Jahr 2010 die Eingliederungsrate in den ersten Arbeits-
markt über den Vermittlungsgutschein, und wie hoch ist der Anteil der Ar-
beitsverhältnisse, die mit Ablauf der ersten sechs Monate oder kürzer been-
det worden sind, seit Einführung dieses Instrumentes in den einzelnen
Jahren?

5. Worin besteht das Erfordernis des zeitlichen Auseinanderfallens der Ände-
rung des § 57 SGB III (Gründungszuschuss) gegenüber der Neuregelung im
§ 93 SGB III (neu)?

6. Welche Studien belegen welche Mitnahmeeffekte bei der bisherigen Ausge-
staltung des Gründungszuschusses?

7. Wie hoch waren in den Jahren 2008, 2009 und 2010 die eingesetzten Mittel
für die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, in der Ent-
geltvariante, des Beschäftigungszuschusses (§ 16e SGB II) und des Kom-
munalkombis, und welche mittelfristigen Planzahlen gibt es für die Arbeits-
gelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, den neu geplanten § 16e
SGB II Förderung von Arbeitsverhältnisse sowie den Kommunalkombi für
die Jahre 2012, 2013 und 2014?

8. Wie hoch waren die Teilnehmerzahlen und durchschnittliche Beschäfti-
gungsdauer für die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung,
in der Entgeltvariante, des Beschäftigungszuschusses (§ 16e SGB II) und
des Kommunalkombis, und welche mittelfristigen Planzahlen gibt es für die
Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, den neu geplanten
§ 16e SGB II Förderung von Arbeitsverhältnisse sowie den Kommunal-
kombi für die Jahre 2012, 2013 und 2014?

9. Aus welchen Gründen soll die Verordnungsermächtigung in § 109 SGB III
(neu) nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen; diese Einschrän-
kung ist in der ursprünglichen Regelung des § 182 SGB III nicht enthalten
und geht über eine redaktionelle Änderung hinaus?

10. Welche Modellprojekte fallen unter die bisherige Regelung des § 421h
SGB III/§ 135 SGB III (neu) – Erprobung innovativer Ansätze, und welche
Erfahrungswerte daraus sind die Gründe für die vorgesehene Mittelbin-
dung?

11. Was spricht dagegen, die Erstattungspflicht des Arbeitgebers (§ 147a
SGB III – alt) in seiner ursprünglichen Form in das neue SGB III zu über-
nehmen, denn der Zweck der Regelung, zu verhindern, dass Ältere aus dem
Arbeitsmarkt gedrängt werden und die Kosten der Solidargemeinschaft der
Beitragszahler aufgebürdet werden, besteht weiter?

12. Welche Studien belegen, dass Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsent-
schädigung Betroffene in Arbeit gebracht haben, und wie ist das Verhältnis
zum Eingliederungserfolg bei Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante?

13. Welche Untersuchungen liegen der Feststellung der Wettbewerbsbeein-
trächtigung bei der bisherigen Ausgestaltung des § 16d SGB II und dessen
Anwendung auf Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante zugrunde?

14. Wie wurden die Kostenpauschalen in § 16d Absatz 8 SGB II (neu) ermittelt,
und wie gestalteten sich vergleichbare Kosten nach der alten Regelung in
den Jahren 2009 und 2010 je Bundesland?

15. Aus welchem Grund wurden die Ergebnisse der interministeriellen Arbeits-
gruppe zur Konsolidierung der Förderinstrumente für Jugendliche am
Übergang Schule–Beruf nicht abgewartet, bevor ein Gesetzentwurf zur
Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vorgelegt wurde?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6046

16. a) Bedeutet die Einschränkung, dass künftig nicht mehr alle Jugendlichen,
die sich in einer förderfähigen berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme
befinden und die persönlichen Voraussetzungen erfüllen, Anspruch auf
Berufsausbildungsbeihilfe haben sollen, sondern dieser Anspruch auf
Berufsvorbereitungsmaßnahmen gemäß § 51 SGB III neu beschränkt
werden soll (§ 56 Absatz 2 SGB III – neu), dass die Förderung berufs-
vorbereitender Bildungsmaßnahmen – außer in Verbindung mit dem
Nachholen eines Hauptschulabschlusses – de facto zur Ermessensleis-
tung wird?

b) Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dafür, berufsvorbereitende
Bildungsmaßnahmen von einer Pflicht- in eine Ermessensleistung um-
zuwandeln und damit den Rechtsanspruch auf die Förderung einer Be-
rufsvorbereitung abzuschaffen?

17. a) Aus welchem Grund sollen nicht weiterhin alle Auszubildenden ohne
Schulabschluss einen Anspruch darauf haben, dass die Vorbereitung auf
einen Hauptschulabschluss im Rahmen einer berufsvorbereitenden Bil-
dungsmaßnahme gefördert wird (§ 61a SGB III – alt), sondern nur noch
sogenannte förderungsbedürftige junge Menschen (§ 53 SGB III – neu)?

b) Warum soll der Anspruch auf eine entsprechende Förderung damit auf
junge Menschen begrenzt werden, bei denen der Erwerb des Hauptschul-
abschlusses zur Eingliederung in Ausbildung bzw. zur beruflichen Ein-
gliederung als erforderlich eingestuft wird (§ 52 Absatz 1 Nummer 1
SGB III – neu)?

c) Warum soll der Anspruch auf eine Förderung der Vorbereitung auf einen
Hauptschulabschluss sowohl im Rahmen von berufsvorbereitenden
Maßnahmen (§ 52 Absatz 1 Nummer 3 SGB III), als auch im Rahmen
einer Weiterbildung (§ 81 Absatz 3 Nummer 2 SGB III – neu) auf Men-
schen begrenzt werden, bei denen die Arbeitsagentur die Einschätzung
trifft, dass sie das Ziel der Maßnahme auch erreichen werden?

d) Sind die genannten Einschränkungen bei der Förderung der Vorberei-
tung auf einen Hauptschulabschluss so zu verstehen, dass diese Förde-
rung de facto von einer Pflicht- zu einer Ermessensleistung wird (bitte
begründen)?

18. Auf Grundlage welcher Erfahrungen und mit welchen Zielen wird die Mög-
lichkeit einer Förderung einer erweiterten Berufsorientierung, welche über
einen Zeitraum von vier Wochen hinausgeht (§131 SGB III – neu), zwar
verlängert aber erneut befristet und soll damit nun zum 31. Dezember 2013
entfallen?

19. a) Aus welchen Gründen soll die Förderung von Berufseinstiegsbegleitun-
gen (§ 49 SGB III – neu) künftig an die Bedingung gebunden werden,
dass sich Dritte mit mindestens 50 Prozent an der Förderung beteiligen?

b) Welche dritten Akteure möchte die Bundesregierung für die Finanzie-
rung dieser Maßnahmen gewinnen?

c) Wie will die Bundesregierung trotz des Erfordernisses der Förderung
durch Dritte gewährleisten, dass das Instrument einer Berufseinstiegsbe-
gleitung benachteiligten Jugendlichen flächendeckend zur Verfügung
steht und nicht etwa gerade in sogenannten sozialen Brennpunkten fehlt?

d) Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Arbeitsagenturen
das Erfordernis einer Förderung durch Dritte nicht nutzen, um sich selbst
finanziell aus der Förderung von Maßnahmen der Berufseinstiegsbeglei-
tung zurückzuziehen?

Drucksache 17/6046 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Welche Bilanz zieht die Bundesregierung für das Instrument der Berufs-
einstiegsbegleitung, und kann sie ausschließen, dass die neu vorgesehene
„Kofinanzierung durch Dritte“ dazu führt, dass auf dieses Instrument sel-
tener zurückgegriffen wird?

21. Hat die Bundesregierung sich zu der Neuregelung des Kofinanzierungs-
erfordernisses der Berufseinstiegsbegleitung mit den Bundesländern abge-
stimmt, und über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung, inwiefern
sich die einzelnen Bundesländer an der Kofinanzierung beteiligen werden?

22. Aus welchen Gründen sollen Kosten für die sozialpädagogische Begleitung
von Auszubildenden künftig für den Bedarf bei Berufsausbildungsbeihilfe
nicht mehr berücksichtigt werden (§ 61 Absatz 3 SGB III – neu)?

23. Aus welchen Gründen verzichtet die Bundesregierung darauf, Menschen
ohne abgeschlossene Berufsausbildung mehr Chancen auf Nachqualifizie-
rung zu eröffnen, obwohl in Deutschland inzwischen 1,5 Millionen 20- bis
29-Jährige leben, die weder eine Berufsausbildung abgeschlossen haben
noch sich in einer Berufsausbildung befinden?

24. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Förderung von
älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern in kleinen Unternehmen durch die Übernahme
von Weiterbildungskosten, welche künftig als Regelinstrument möglich
sein soll (§ 82 SGB III – neu), bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern so-
wie bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besser bekannt zu machen
und die Inanspruchnahme dieses Instrumentes gegenüber den bisherigen
Förderprojekten in diesem Bereich deutlich zu steigern?

25. Ist es vorgesehen im Rahmen der Instrumentenreform den Betreuungs-
schlüssel für Erwerbslose zu verbessern, und wie begründet die Bundes-
regierung ihre Antwort?

Berlin, den 3. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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