BT-Drucksache 17/6005

Haltung der Bundesregierung zu den Vorwürfen der Begehung von Kriegsverbrechen gegen den stellvertretenden srilankischen Botschafter in Deutschland

Vom 26. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6005
17. Wahlperiode 26. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo
Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Agnes Malczak, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zu den Vorwürfen der Begehung von
Kriegsverbrechen gegen den stellvertretenden sri-lankischen Botschafter
in Deutschland

Das European Center for Constitutional and Human Rights e. V. (ECCHR) hat
zahlreiche Hinweise auf Kriegsverbrechen der 57. Division der sri-lankischen
Armee unter dem Befehl von Jagath Dias in einem Dossier veröffentlicht. Dem-
zufolge war Jagath Dias Generalmajor der sri-lankischen Armee zur Zeit der
Schlussoffensive gegen die Rebellengruppe Liberation Tigers of Tamil Eelam
(LTTE) Anfang 2009, die nach einem neuen Bericht der Vereinten Nationen
vom 31. März 2011 schätzungsweise 40 000 Zivilisten das Leben gekostet hat.
Seit September 2009 ist Jagath Dias als Diplomat der sri-lankischen Vertretung
für Deutschland, die Schweiz und den Vatikan in Berlin akkreditiert.

Trotz schwerer Vorwürfe wegen der Begehung von Kriegsverbrechen gegenüber
Jagath Dias, die bereits zum Zeitpunkt seiner Akkreditierung 2009 erhoben wur-
den, hat die Bundesregierung Jagath Dias ein Diplomatenvisum erteilt.

Die Bundesrepublik Deutschland ist gemäß Artikel 146 der 4. Genfer Konven-
tion und gemäß Abschnitt 2 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) dazu ver-
pflichtet, gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher Ermittlungen aufzunehmen. Da
eine Strafverfolgung von Jagath Dias aufgrund seiner diplomatischen Immunität
derzeit nicht möglich ist, müsste die Bundesregierung Jagath Dias hierzu zur
persona non grata erklären und sein Diplomatenvisum zurücknehmen, um ein
Ermittlungsverfahren gegen Jagath Dias zu ermöglichen. Im Januar 2011 hat
ECCHR dem Auswärtigen Amt in Deutschland das oben genannte Dossier vor-
gelegt und das Ministerium hierzu aufgefordert.

In der Fragestunde vom 11. Mai 2011 (Plenarprotokoll 17/107) antwortete die
Bundesregierung auf die Mündlichen Fragen 45 und 46 des Abgeordneten
Dr. Rolf Mützenich, welche Erkenntnisse die Bundesregierung zu den gegen

den derzeitigen stellvertretenden Botschafter Sri Lankas erhobenen Vorwürfen
habe, welche Konsequenzen sie aus diesen Erkenntnissen zu ziehen gedenke
und welche Maßnahmen die Bundesregierung zu ergreifen plane, um in der Zu-
kunft zu verhindern, dass mit strafrechtlichen Vorwürfen belastete Personen als
Diplomaten in Deutschland akkreditiert werden, wie folgt:

„Die Bundesregierung hat die Vorwürfe gegen einen an der sri-lankischen Bot-
schaft in Berlin tätigen Diplomaten unter Einbeziehung der deutschen Botschaft

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in Colombo und anderer Stellen der Bundesregierung eingehend geprüft. Auf
Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden belastbaren Informationen lassen
sich die gegen den Diplomaten erhobenen Vorwürfe nicht erhärten.

Zunächst geht die Bundesregierung grundsätzlich davon aus, dass es im Sinne
des Artikel 10 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen
(WÜD) der Verantwortung des Entsendestaates obliegt, keine Diplomaten zu
entsenden, die strafrechtlich vorbelastet sind. Darüber hinaus hat sie im Rahmen
des Zulassungsverfahrens – speziell im Zusammenhang mit der Beantragung
des für die Einreise erforderlichen diplomatischen Visums – Mechanismen zur
Personenüberprüfung eingerichtet. Das vor Einreise eingeleitete Prüfverfahren
soll sicherstellen, dass strafrechtliche Vorbelastungen der zu entsendenden
Diplomaten ausgeschlossen werden. In politisch sensiblen Fällen berichten zu-
dem die deutschen Auslandsvertretungen an das Auswärtige Amt, das zusätz-
liche gezielte Überprüfungen einleitet.“

Auf die Mündliche Frage 47 der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Plenar-
protokoll 17/107, was die Gründe dafür seien, dass die Bundesregierung die
Akkreditierung des stellvertretenden Botschafters von Sri Lanka, Generalmajor
Jagath Dias, angenommen und ihm diplomatische Immunität gewährt habe,
obwohl dieser nach Recherchen des ARD-Magazins „FAKT“ vom 2. Mai 2011
als einer der Hauptverantwortlichen für den blutigen Feldzug gegen die LTTE
im Frühjahr 2009 gelte und was die Bundesregierung jetzt zu unternehmen ge-
denke, damit der Fall strafrechtlich untersucht werden könne, antwortete die
Bundesregierung wie folgt:

„Die Bundesregierung hat die Vorwürfe gegen einen an der sri-lankischen Bot-
schaft in Berlin tätigen Diplomaten unter Einbeziehung der Deutschen Botschaft
in Colombo und anderer Stellen der Bundesregierung eingehend geprüft. Auf
Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden belastbaren Informationen lassen
sich die gegen den Diplomaten erhobenen Vorwürfe nicht bestätigen. Die Bun-
desregierung setzt sich dafür ein, die Frage der mangelnden Untersuchung von
Menschenrechtsverletzungen durch die sri-lankische Regierung gemeinsam mit
den EU-Partnern auf der Tagesordnung des VN-Menschenrechtsrates zu hal-
ten.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung erstmals von den Vorwürfen
von Kriegsverbrechen gegen den heutigen stellvertretenden sri-lankischen
Botschafter Kenntnis erlangt?

2. Zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung diese Vorwürfe erstmals
überprüft?

3. Zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung der sri-lankischen Regierung
ihr Agreement zur Ernennung von Jagath Dias als stellvertretenden sri-lanki-
schen Botschafters in Deutschland erteilt?

4. Welche genaue Kenntnis hatte die Bundesregierung vor der Akkreditierung
Jagath Dias von der mangelnden Untersuchung von Menschenrechtsverlet-
zungen durch die sri-lankische Regierung (vgl. Antwort der Bundesregierung
auf die Mündliche Frage 47 der Abgeordneten Kerstin Müller – Köln, Plenar-
protokoll 17/107)?

In welcher Form hat sie dies im Rahmen des diplomatischen Zulassungsver-
fahrens und bei der Prüfung der Vorwürfe berücksichtigt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6005

5. Hat im Falle Jagath Dias die Deutsche Botschaft Colombo dem Auswärti-
gen Amt vor dessen Akkreditierung einen gesonderten Bericht zugeleitet,
und hat das Auswärtige Amt daraufhin eine zusätzliche, gezielte Überprü-
fung eingeleitet (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Mündlichen
Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Plenarprotokoll
17/107)?

6. Wie hat die Bundesregierung die Vorwürfe von Kriegsverbrechen über-
prüft?

a) Welche Quellen hat die Bundesregierung herangezogen (bitte einzeln
auflisten)?

b) Wer/welche Stelle im Auswärtigen Amt war mit der Überprüfung be-
fasst?

c) An welchen völkerrechtlichen Grundlagen hat sich die Bundesregierung
orientiert?

7. Auf welchen konkreten Ergebnissen basiert die Schlussfolgerung der Bun-
desregierung, dass die Vorwürfe gegen den stellvertretenden sri-lankischen
Botschafter, Kriegsverbrechen begangen zu haben, nicht bestätigt werden
konnten?

8. Kann auf Grundlage der von der Bundesregierung herangezogenen Infor-
mationen ausgeschlossen werden, dass Jagath Dias bei der Schlussoffensive
gegen die Rebellengruppe LTTE Anfang 2009 schwere Kriegsverbrechen
begangen hat?

9. Decken sich die Informationen aus dem ECCHR-Dossier mit denen, die die
Bundesregierung zur Überprüfung der Vorwürfe gegen Jagath Dias vor Ja-
nuar 2011 herangezogen hat oder enthält das Dossier zusätzliche Hinweise?

Inwieweit hat sich die Einschätzung der Bundesregierung über die Geeig-
netheit des stellvertretenden sri-lankischen Botschafters durch die im
ECCHR-Dossier „Generalmajor Jagath Dias“ vom Januar 2011 enthaltenen
Informationen verändert?

10. Sieht die Bundesregierung das Bestehen eines Anfangsverdachts der Bege-
hung von Straftaten gegen das Völkerrecht, der strafrechtliche Ermittlungs-
pflichten deutscher Strafverfolgungsbehörden aufgrund von § 152 Absatz 2
der Strafprozessordnung in Verbindung mit Artikel 146 der 4. Genfer Kon-
vention und Abschnitt 2 des Völkerstrafgesetzbuches auslöst, als entschei-
dendes Kriterium im Prüfungsverfahren vor Erteilung eines diplomatischen
Visums zu dessen Versagung bzw. fortlaufend während des Gültigkeitszeit-
raums des diplomatischen Visums zu dessen Rücknahme an?

11. Wieso spricht die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Mündliche
Frage 46 des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich auf Plenarprotokoll 17/107
von „strafrechtlicher Vorbelastung“?

a) Auf welcher rechtlichen Grundlage basiert dieser Überprüfungsstan-
dard?

b) Wie ist ein etwaiger Überprüfungsstandard einer „strafrechtlichen Vor-
belastung“ in Fällen von andauernder Straflosigkeit für bestimmte
Straftatbestände und Personengruppen haltbar und mit Strafverfolgungs-
pflichten bei Kriegsverbrechen vereinbar?

12. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die diplomatische Immunität ein Hin-
derungsgrund für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Jagath
Dias, angesichts der Tatsache, dass der Internationale Strafgerichtshof ge-

rade davon unabhängige Verfahren sogar gegen amtierende Regierungs-
chefs einleitet?

Drucksache 17/6005 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
a) Wenn nein, warum wurden im Fall Jagath Dias bislang keine Ermittlun-
gen eingeleitet?

b) Wenn ja, inwieweit sieht sich die Bundesregierung aktuell auf Grundlage
ihrer Verpflichtung gemäß Artikel 146 der 4. Genfer Konvention in der
Pflicht, dem stellvertretenden sri-lankischen Botschafter zur persona non
grata zu erklären, um ein Ermittlungsverfahren gegen ihn zu ermög-
lichen?

13. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Staaten nach der Wiener Diplo-
matenrechtskonvention Diplomaten auch nach der Einreise zur persona non
grata erklären können?

14. Wird die Bundesregierung Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf
Anfrage Einblick in die Unterlagen zur Überprüfung der Vorwürfe gegen
Generalmajor Jagath Dias (gegebenenfalls im Geheimschutzraum des
Deutschen Bundestages) gewähren, und wenn nein, warum nicht?

15. Wie setzt die Bundesregierung im Falle eines Konfliktes zwischen guten
diplomatischen Beziehungen mit Staaten und ihrer völkerrechtlichen Ver-
pflichtung, Kriegsverbrechen aufzuklären, ihre Prioritäten?

16. Inwiefern zieht die Bundesregierung aus dem Fall Jagath Dias Konsequen-
zen für die zukünftige Überprüfung von Diplomaten?

17. Wann hat die Bundesregierung im Rahmen des Zulassungsverfahrens – spe-
ziell im Zusammenhang mit der Beantragung des für die Einreise erforder-
lichen diplomatischen Visums – Mechanismen zur Personenüberprüfung
eingerichtet, und wie sind diese konkret ausgestaltet?

18. In welchen Fällen und aus welchen Gründen hat die Bundesregierung in der
Vergangenheit Diplomaten anderer Staaten eine Akkreditierung von Diplo-
maten verwehrt bzw. sie zur persona non grata erklärt (bitte vollständige
Auflistung der Fälle unter Angabe der jeweiligen Gründe für eine Verweh-
rung der Akkreditierung)?

19. Wann genau plant die Bundesregierung zusammen mit den EU-Partnern das
Thema Menschenrechtsverletzungen durch die sri-lankische Regierung auf
die Tagesordnung des VN-Menschenrechtsrats zu setzen, und wird dabei
der Fall „Jagath Dias“ eine Rolle spielen (vgl. Antwort der Bundesregie-
rung auf die Mündliche Frage 47 der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln)
auf Plenarprotokoll 17/107)?

20. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, den Empfehlungen
des vom UN-Generalsekretär eingesetzten Expertenpanels im UN-Sicher-
heitsrat Nachdruck zu verleihen, und auch gegenüber der Regierung Sri
Lankas auf deren Umsetzung zu drängen?

Berlin, den 26. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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