BT-Drucksache 17/5771

Kriterien und Anforderungen für eine parlamentarische Beteiligung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Vom 11. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5771
17. Wahlperiode 11. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck
(Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Omid Nouripour, Claudia
Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kriterien und Anforderungen für eine parlamentarische Beteiligung an der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Vertrag von Lissabon hat die Mitgliedsländer der EU in vielen politischen
Fragen noch enger miteinander verbunden. Ein Bereich, in dem die europaweite
Zusammenarbeit auch vertieft werden soll, ist die Gemeinsame Außen-, Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik (GASP/GSVP). Im Vertrag von Lissabon wer-
den für diesen Bereich viele Weichen für mehr Kooperation und gemeinsame
Initiativen gelegt. Sichtbarstes Zeichen ist die Einrichtung des neuen Europäi-
schen Auswärtigen Dienstes (EAD) zur Unterstützung der Hohen Vertreterin für
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die auch gleichzeitig Vizepräsiden-
tin der EU-Kommission ist.

Je enger die Mitgliedsländer im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik zu-
sammenarbeiten wollen, desto mehr muss die Rolle der nationalen Parlamente
und des Europaparlaments in diesem Prozess geklärt werden.

Dies gilt insbesondere für den sensiblen Bereich militärischer GSVP-Missionen.
Wenn Entscheidungen über anstehende GSVP-Einsätze von Regierungsvertre-
terinnen und -vertretern in Ratstreffen vorbereitet und auf den Weg gebracht
werden, droht der deutsche Parlamentsvorbehalt auf der Strecke zu bleiben. Hier
ist eine bessere und frühzeitige Einbeziehung der nationalen Parlamente not-
wendig, damit eine effiziente Kontrolle stattfinden kann und der Parlamentsvor-
behalt nicht zur Makulatur wird.

Da die GASP und GSVP nach dem Vertrag von Lissabon weiterhin intergouver-
nemental organisiert bleiben, müssen die nationalen Parlamente in die Lage ver-
setzt werden, ihre Rechte kompetent auszuüben.
Hier könnten sich Synergieeffekte in Zusammenarbeit mit dem Europaparla-
ment ergeben, das zwar mit Blick auf militärische GSVP-Missionen keine Kon-
trollrechte besitzt, aber insbesondere in Fragen der zivilen GSVP-Missionen
(die zwei Drittel der bisherigen Einsätze ausmachen) über das Haushaltsrecht an
Einfluss hinzugewonnen hat. Außerdem kommt dem Europaparlament die Nähe
zu den EU-Entscheidungsorganen zugute, so dass es hier einen Informationsvor-
sprung geben könnte.

Drucksache 17/5771 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Ziel ist, die Vorteile beider Parlamentsebenen zusammenzubringen ohne deren
jeweilige Kompetenzen zu beeinträchtigen.

Grundlage für eine bessere und strukturierte Zusammenarbeit der nationalen
Parlamente und des Europaparlaments ist Protokoll 1 des Lissabonner Vertrages,
in dem folgender Auftrag formuliert ist:

Artikel 9: „Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente legen ge-
meinsam fest, wie eine effiziente und regelmäßige Zusammenarbeit zwischen
den Parlamenten innerhalb der Union gestaltet und gefördert werden kann.“

Artikel 10: „Eine Konferenz der Europa-Ausschüsse der Parlamente kann jeden
ihr zweckmäßig erscheinenden Beitrag dem Europäischen Parlament, dem Rat
und der Kommission zur Kenntnis bringen. Diese Konferenz fördert ferner den
Austausch von Informationen und bewährten Praktiken zwischen den nationalen
Parlamenten und dem Europäischen Parlament, einschließlich ihrer Fachaus-
schüsse. Sie kann auch interparlamentarische Konferenzen zu Einzelthemen
organisieren, insbesondere zur Erörterung von Fragen der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik. Die Beiträge der Konferenzen binden nicht die natio-
nalen Parlamente und greifen ihrem Standpunkt nicht vor.“

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für die Einrichtung einer interparlamentarischen Konferenz oder einer
anderen Form verstärkter Kooperation einzusetzen, die dem Zweck des Arti-
kels 10 entspricht und sich inhaltlich mit den Fragen der GASP und GSVP
befasst. Die Konferenz sollte in der Lage sein, die Hohe Vertreterin der GASP
sowie andere relevante Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des EAD, der EU-
Kommission, dem Rat und dem Politischen und Sicherheitspolitischen
Komitee (PSK) einzuladen und befragen zu können, sowie eigene Schluss-
folgerungen zu verabschieden;

2. sich bei der näheren Ausgestaltung der Konferenz dafür einzusetzen, dass

a) die Mitgliederzahl einer Delegation sich an den Schlüssel der Parlamenta-
rischen Versammlung des Europarates anlehnt. Die Gesamtzahl der Dele-
gationsmitglieder des Europäischen Parlaments sollte nicht weniger als
ein Drittel der Gesamtzahl der Mitglieder der Konferenz betragen;

b) bei der Besetzung der Delegationen die Breite der thematischen Zustän-
digkeit zu berücksichtigen, d. h. (evtl. wechselnden) Mitgliedern aus den
Ausschüssen Außen, Europa, Verteidigung, Entwicklung und Menschen-
rechte die Möglichkeit zur Teilnahme zu geben;

c) Beobachterinnen und Beobachter aus Ländern mit Kandidatenstatus die
Teilnahme ermöglicht wird;

d) als Tagungsort Brüssel festgelegt wird;

e) der Vorsitz der Konferenz von jeweils einem Vertreter eines nationalen
Parlaments und des Europaparlaments gemeinsam wahrgenommen wird;

f) die Konferenz regelmäßig (etwa 2- bis 3-mal im Jahr) zusammenkommt
und darüber hinaus ausdrücklich die Möglichkeit zu Ad-hoc-Treffen auf
Initiative von nationalen Parlamenten oder dem Europäischen Parlament
bestehen, falls aktuelle Themen dies erfordern.

Berlin, den 10. Mai 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5771

Begründung

Bei der Suche nach einem geeigneten Format für die verstärkte Zusammenarbeit
von Europaparlament und den nationalen Parlamenten, so wie es der Lissabon-
Vertrag vorsieht, kommt es darauf an, keine Doppelstrukturen oder bürokrati-
sche Monster aufzubauen. Es gilt die Mitsprache der Parlamente in ihrem jewei-
ligen Kompetenzfeld zu erhöhen. Überall dort, wo auf bestehende Strukturen
zurückgegriffen werden kann, sollte dies genutzt werden. Wenn also die Sekre-
tariate des Auswärtigen Ausschusses (AFET) und/oder des Unterausschusses
Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des Europaparlaments die Kapazität haben,
die Konferenzen zu organisieren, sollte dieses Angebot aus Praktikabilitätsgrün-
den angenommen werden. Die Sorge, damit könne der intergouvernementale
Charakter der GASP/GSVP verloren gehen, teilt die Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN nicht. Das Europaparlament ist ein Partner, der organisatorisch
und logistisch in der Lage ist, derartige Konferenzen zu organisieren, so dass
keine Notwendigkeit besteht, kostenintensive Doppelstrukturen zu betreiben,
wie es die Fortführung des Sekretariates der Westeuropäischen Union darstellen
würde.

Aus diesem Grund bietet sich auch Brüssel als dauerhafter Tagungsort an. Auf
diese Weise können zudem unnötige Reisekosten vermieden werden sowie stän-
dig neue logistische Herausforderungen bei wechselnden Tagungsorten.

Entsprechend des Partnerschaftsgedankens sollten auch der Vorsitz der Konfe-
renz von jeweils einem Vertreter eines nationalen Parlaments und des Europa-
parlaments gemeinsam wahrgenommen werden. Tagesordnung und Sitzungster-
minierung sollten gemeinsam vorgenommen werden. Wenn den nationalen
Vorsitz jeweils ein Vertreter eines Troika-Landes wahrnimmt, könnten die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter des jeweiligen nationalen Parlaments, die in Brüs-
sel vor Ort sind, in die Konferenzvorbereitung eingebunden werden, so dass die
nationale Perspektive in die Planung von SEDE und AFET einbezogen wird.

Im Sinne der Sache sollte ebenso darauf verzichtet werden, ein zu großes Gre-
mium zu etablieren. Für eine effektive Begleitung der Außen- und Sicherheits-
politik eignen sich möglichst kleine und flexible Formate am besten. Bei der Be-
setzung der Delegationen kommt es lediglich darauf an, die parteipolitische
Vielfalt in Ländern mit Verhältniswahlrecht zu berücksichtigen. Der Schlüssel
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates bietet daher eine gute Ori-
entierungsgröße. Die EU-Mitgliedsländer sind hier mit 207 von insgesamt 318
Delegierten vertreten, wobei bevölkerungsreiche Länder bis zu 18 Delegierte
schicken können – eine Zahl, die als Obergrenze sicherlich auch kleiner ange-
setzt werden kann.

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