BT-Drucksache 17/5671

Entwicklungsstand bei der neuen elektronischen Gesundheitskarte

Vom 27. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5671
17. Wahlperiode 27. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Herbert
Behrens, Dr. Rosemarie Hein, Inge Höger, Petra Pau, Jens Petermann, Kathrin
Senger-Schäfer, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklungsstand bei der neuen elektronischen Gesundheitskarte

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) sollte ursprünglich ab dem 1. Januar
2006 die zum 1. Januar 1995 eingeführte Krankenversicherungskarte ersetzen
(§ 291a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V). Die Gesellschaft für
Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) wurde mit der
Entwicklung und Einführung der eGK betraut. Die gematik hat eine vertrauliche
Untersuchung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses in Auftrag gegeben, die vom
Chaos-Computer-Club 2006 veröffentlicht wurde. Darin wurde festgestellt, dass
der Hauptnutzen aus den freiwilligen Anwendungen, also dem elektronischen
Rezept, der elektronischen Patientenakte etc. resultiere. Dabei übersteigt laut
gematik der Nutzen der eGK die Kosten umso schneller, je schneller qualitäts-
steigernde Anwendungen, wie z. B. die Arzneimittelprüfung, elektronische
Patientenakten, Arztbriefe und elektronische Rezepte genutzt werden.

Die Einführung verzögerte sich jedoch vor allem aufgrund massiver Umset-
zungsprobleme, die sich in verschiedenen Pilotprojekten gezeigt haben. Von vie-
len Seiten wurde immer stärkere Kritik an der zwischenzeitlich für den 1. Okto-
ber 2009 geplanten Einführung der eGK geübt. So hat die Fraktion der FDP in
einem Antrag noch im Dezember 2008 (Bundestagsdrucksache 16/11245) vor
einer übereilten Einführung gewarnt und das bisherige Konzept als unzurei-
chend bezeichnet. In dem Antrag heißt es, die Einführung werde abgelehnt, bis
sichergestellt ist, dass unter anderem

– „eine aktuelle Bewertung unter Einbeziehung der bisher gewonnenen Er-
kenntnisse ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis ergibt;“

– „aus dem Gebrauch der elektronischen Gesundheitskarte kein erhöhter büro-
kratischer Aufwand resultiert, insbesondere auch beim Einlesen der Karte in
Arztpraxen, Apotheken usw. sowie bei der Anwendung der PIN-Nummer;“

– „eine eingehende Prüfung durch unabhängige Sachverständige dahingehend
stattfindet, ob moderne alternative Speicherungsmöglichkeiten, wie z. B. die
Speicherung auf der Gesundheitskarte selbst oder auf so genannten USB-

Sticks, praktikabler und sinnvoller sind als eine Speicherung auf zentralen
Servern“.

Für den Fall einer bürgerlichen Bundesregierung wurde von der Fraktion der
FDP vor der Bundestagswahl der Stopp der eGK angekündigt.

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Fünf Wochen nach der Bundestagswahl erklärte der Bundesminister für Gesund-
heit, Dr. Philipp Rösler, am geplanten Roll-Out der Karten festzuhalten. Aller-
dings wurden die meisten der Funktionen, welche von den Befürwortern für die
angepeilten Kostenersparnisse und Qualitätsgewinne verantwortlich gemacht
wurden, bis auf Weiteres gestrichen. Nach einer „Bestandsaufnahme“ sollte das
weitere Vorgehen bestimmt werden. Die Bestandsaufnahme wurde von der ge-
matik zum Abschluss gebracht.

Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz 2010 hat die Bundesregierung die Einfüh-
rung der eGK wieder forciert. Die Krankenkassen wurden verpflichtet, bis zum
Ende des Jahres 2011 die neue Gesundheitskarte an mindestens 10 Prozent der
Versicherten auszugeben. Kassen, die dieses Ziel verfehlen, drohen finanzielle
Einbußen.

Am 29. März 2011 meldete „DIE WELT“, dass keine der geplanten Funktionen
der eGK bislang richtig ausgereift sei und dennoch Millionen Versicherte in den
kommenden Monaten den elektronischen Ausweis bekommen sollen. Auf
Druck des Bundesministeriums für Gesundheit werde die Karte nun unbedingt
eingeführt, egal wie ausgereift die dazugehörigen Anwendungen noch seien.
Alle Onlineanwendungen, an denen die gematik bereits seit 2003 mit diversen
Kooperationspartnern aus der Industrie arbeitet, würden sich entweder erneut
verspäten oder kämen bislang nicht einmal über das Stadium eines Forschungs-
projektes hinaus. Wie genau die eGK aussehen werde, sei daher immer noch völ-
lig unklar.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat seit der letzten Bundestagswahl eine aktuelle Bewertung unter Einbezie-
hung der bisher gewonnenen Erkenntnisse ein positives Nutzen-Kosten-Ver-
hältnis für die beschlossene eGK mit aktuellem Funktionsumfang ergeben?

Wenn ja, wie sieht dies aus?

Wenn nein, warum nicht?

2. Resultiert aus dem Gebrauch der eGK ein erhöhter bürokratischer Aufwand,
insbesondere auch beim Einlesen der Karte in Arztpraxen, Apotheken usw.
sowie bei der Anwendung der PIN (bitte begründen)?

3. Hat seit der letzten Bundestagswahl eine eingehende Prüfung durch unabhän-
gige Sachverständige dahingehend stattgefunden, ob moderne alternative
Speicherungsmöglichkeiten, wie z. B. die Speicherung auf der Gesundheits-
karte selbst oder auf so genannten USB-Sticks, praktikabler und sinnvoller
sind als eine Speicherung auf zentralen Servern?

Welche Ergebnisse hat die Überprüfung ergeben, und wer waren die unab-
hängigen Sachverständigen?

4. Welcher Funktionsumfang ist bislang für die eGK beschlossen?

Welche dieser Funktionen kommen neu hinzu?

5. Hat es seit der letzten Bundestagswahl außer der gematik-Bestandsaufnahme
noch eine unabhängige Bestandsaufnahme gegeben, und wenn ja, wer war an
der Bestandsaufnahme beteiligt?

Welche unabhängigen Experten wurden gefragt, wo können die Aussagen
dieser Experten nachvollzogen werden, und wie bewertet die Bundesregie-
rung die Ergebnisse der Bestandsaufnahme?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5671

6. Warum wurde die vom Bundesministerium für Gesundheit initiierte Be-
standsaufnahme durch die gematik und nicht durch das Bundesministerium
abgeschlossen?

Auf welche Bedenken von Kritikern der aktuellen eGK-Konzeption (siehe
z. B. Antrag der Fraktion der FDP von 2008) wurde genauer eingegangen?

7. Welche Ergebnisse hat die gematik-Bestandsaufnahme erbracht?

Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung daraus?

8. Welche Praxis-Tests wurden wo mit welchen Ergebnissen durchgeführt,
welche vorgesehenen Tests wurden aus welchen Gründen nicht durchge-
führt, und inwieweit waren oder sind die betroffenen Patientinnen und Pa-
tienten in die Auswertung einbezogen?

9. Sind weitere Tests geplant?

Falls ja, was wird getestet, wie viele Menschen werden teilnehmen, wann
werden sie starten, und wie viel werden sie kosten?

Wer wird die Kosten tragen?

10. Welche Konsequenzen haben gegebenenfalls negative Testergebnisse ange-
sichts der Tatsache, dass dann viele Versicherte mit den neuen Karten und
viele Praxen mit entsprechender Technologie ausgestattet wurden?

11. Welche Ergebnisse haben zu welchen Modifikationen an der ursprüng-
lichen Architektur des eGK-Projekts geführt?

12. Wie schätzt die Bundesregierung abschließend die Ergebnisse der Tests im
Hinblick auf Praktikabilität im Praxisalltag, Sicherheit von Daten und Pro-
zessen sowie technische Stabilität ein?

13. In welchem Stadium befindet sich nach Kenntnis der Bundesregierung die
Entwicklung der Telematikinfrastruktur, die die Onlineanbindung der eGK
sicherstellt?

14. a) Welcher Stand ist nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Ausstat-
tung der Leistungserbringer mit Breitbandzugängen zum Internet er-
reicht, die für eine Nutzung der Onlinefunktionen der eGK zwingende
Voraussetzung sind?

b) Welche Entwicklung erwartet die Bundesregierung in dieser Hinsicht in
den nächsten Monaten, insbesondere in ländlichen Regionen?

15. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die erwarteten Gesamt-
kosten für die Einführung der eGK nach derzeitigem Stand?

Wie hoch sind direkte Kosten jeweils pro Arztpraxis, Apotheke, sonstige
Leistungserbringer, Krankenversicherungen, öffentliche Haushalte und
Versicherte?

16. Wie viel Geld erhalten die verschiedenen Leistungserbringer für die Bereit-
stellung der notwendigen technischen Infrastruktur von den Krankenkas-
sen?

Wie viel Geld müssen Krankenkassen damit insgesamt für die Einführung
der eGK nach derzeitiger Beschlusslage aufwenden?

17. Welche Einsparungen und in welcher Höhe sind durch die eGK zu erwarten,
wenn es bei den bislang beschlossenen Eigenschaften der Karte bleibt?

18. Wie bewertet die Bundesregierung das Kosten-Nutzen-Verhältnis der eGK
angesichts der Tatsache, dass die meisten der in der genannten Studie als
nützlich erachteten Funktionen in absehbarer Zeit nicht zur Anwendung

kommen sollen?

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19. Welche Untersuchungen belegen für die Funktionen, die neu hinzukom-
men, einen Zusatznutzen?

Wie hoch beziffert die Bundesregierung diesen Zusatznutzen?

20. Ermöglicht die eGK mit dem derzeit beschlossenen Funktionsumfang soge-
nannte Mehrwertdienste, also Anwendungen von privaten Drittanbietern
außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung?

Falls ja, wie will die Bundesregierung die Sicherheit der Daten gewährleis-
ten, und wie können die Patientinnen und Patienten die Datenweitergabe
und ggf. Zweckänderung kontrollieren und verhindern?

21. Wie genau soll die sichere Arzt-zu-Arzt-Kommunikation funktionieren?

22. Wie bewertet die Bundesregierung die von der gematik am 25. März 2011
beschlossenen Lasten-Hefte für die Anforderungen an die Nutzung und
technische Infrastruktur für die eGK?

Wann werden die entsprechenden Pflichten-Hefte folgen?

23. Welche Möglichkeiten haben die Patientinnen und Patienten, die geplante
Onlinekommunikation zwischen Leistungserbringern einzugrenzen oder zu
unterbinden, und in welcher Form werden die Patientinnen und Patienten
darüber informiert?

24. Wie lange werden technische Doppelstrukturen bei den Leistungserbrin-
gern notwendig sein?

Wie viele Mehrkosten entstehen hier durch bürokratischen Mehraufwand?

25. Welche weiteren Dienste sollen bis wann nutzbar sein, und welche Voraus-
setzungen müssen dafür noch geschaffen werden?

26. Wurde auf Grundlage der Empfehlungen des Gutachtens der Arbeits-
gruppe 7 „Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und Ge-
sundheit“ vom 20. November 2008, in dem Umsetzungsempfehlungen für
die Nutzung von Mehrwertanwendungen auf Basis der gemäß § 291a
SGB V aufgebauten Telematikinfrastruktur gegeben wurden, eine arbeits-
fähige Struktur gebildet, die das Ziel verfolgt, in Zusammenarbeit von Ver-
tretern der Selbstverwaltung und Anbietern möglicher Dienstleistungen die
Realisierung von Mehrwertdiensten in einem abgestimmten Prozess zu ent-
wickeln?

a) Wenn ja, wann geschah dies, wer war daran genau beteiligt, und welches
Ergebnis war zu verzeichnen?

b) Wenn nein, warum nicht?

27. Wann wird voraussichtlich das elektronische Rezept umgesetzt sein, und
aus welchen Gründen wurde es immer wieder verschoben?

28. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von BITKOM – Bundesverband
Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (DIE
WELT vom 29. März 2011), dass dadurch den Ärzten jährlich 500 Mio.
Euro an Einsparungen entgehen (bitte begründen)?

29. Aus welchen Gründen und bis wann verzögert sich der elektronische Arzt-
brief?

30. Welche Daten enthält nach bisheriger Planung der sogenannte Notfalldaten-
satz?

Sollen die Daten, wie am 15. April 2011 vom Deutschen Ärzteblatt berich-
tet, im Klartext auf der Karte gespeichert werden?
Falls ja, wie will die Bunderegierung den Zugriff Unbefugter verhindern?

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31. Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung an der Einführung eines er-
wiesenermaßen unausgereiften und von Anfang an umstrittenen Großpro-
jekts fest?

32. Welche Ursachen haben nach Ansicht der Bundesregierung die anhaltenden
technischen Probleme dieses Projekts, dessen ursprünglicher Start schon
2006 sein sollte, und sieht die Bundesregierung in der eGK immer noch ein
ökonomisches Erfolgsmodell?

Berlin, den 20. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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