BT-Drucksache 17/5374

Aufnahme Indiens in die Nuclear Suppliers Group verhindern - Keine weitere Erosion des nuklearen Nichtverbreitungsregimes

Vom 6. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5374
17. Wahlperiode 06. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Agnes Malczak, Sylvia Kotting-Uhl, Ute Koczy, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell,
Dr. Thomas Gambke, Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Ingrid Nestle, Omid Nouripour,
Dr. Hermann Ott, Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Dorothea Steiner, Hans-Christian Ströbele, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufnahme Indiens in die Nuclear Suppliers Group verhindern – Keine weitere
Erosion des nuklearen Nichtverbreitungsregimes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Nutzung der Atomkraft ist weltweit mit unverantwortlichen Risiken verbun-
den. Weder sind katastrophale Unfälle wie aktuell in Fukushima auszuschließen
noch ist die Frage der Endlagerung des über hunderttausende von Jahren strah-
lenden Atommülls in irgendeinem Land adäquat gelöst. Jeder Export von Atom-
technik trägt zur Steigerung der atomaren Risiken und zur Verschärfung des un-
gelösten Atommüllproblems bei. Atomexporte sind daher aus grundsätzlichen
Erwägungen heraus weder sinnvoll noch unterstützenswert. Aus diesem Grund
hatte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Antrag „Wiederein-
führung der Förderung von Atomexporten stoppen – Keine Hermes-Bürgschaft
für Angra 3 in Brasilien“ (Bundstagsdrucksache 17/540) den Deutschen Bun-
destag bereits aufgefordert, keine Hermes-Bürgschaften für Atomexporte mehr
zu vergeben und die Hermes-Umweltleitlinien von 2001 umgehend wieder in
Kraft zu setzen und konsequent einzuhalten. Die Bundesregierung hält jedoch
weiter an der unverantwortlichen Förderung deutscher Atomexporte fest. Sie
trägt nicht einmal dafür Sorge, dass für den Export von Atomtechnik ausschließ-
lich Länder als Partner in Frage kommen, die dem Nichtverbreitungsvertrag bei-
getreten sind.

Die Nuclear Suppliers Group (NSG), die Gruppe der 46 nuklearen Lieferstaaten,
ist ein integraler Bestandteil des nuklearen Nichtverbreitungsregimes. Die
Richtlinien der NSG für den Handel mit Nuklearmaterial verbieten den Handel
von Nukleartechnologie und nuklearem Brennstoff mit Staaten, die nicht Mit-

glied des Atomwaffensperrvertrages oder äquivalenter nuklearer Nichtverbrei-
tungsvereinbarungen sind und deren sämtliche Atomanlagen nicht unter dauer-
hafter Aufsicht der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) stehen.

Am 6. September 2008 hat die NSG unter deutschem Vorsitz und mit Zustim-
mung der Bundesregierung eine länderspezifische Ausnahmeregelung zur Auf-
nahme des Nuklearhandels mit Indien beschlossen. Die NSG-Ausnahmerege-
lung markiert einen bis dato einmaligen Bruch mit den Prinzipien der

Drucksache 17/5374 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

internationalen Nichtverbreitungspolitik. Erstmals ermöglichten die nuklearen
Lieferländer einem Staat, der nicht Mitglied des Atomwaffensperrvertrages ist,
privilegierten Zugang zu externem Nuklearmaterial und modernstem technolo-
gischem Know-how. Kaum ein Land plant momentan so viele Atomkraftwerke
wie Indien. Diese Projekte sind zum Teil höchstproblematisch. So soll in Jaita-
pur, etwa 300 km südlich von Mumbai, eines der größten Atomkraftwerke der
Welt an der Küste in einem erdbebengefährdeten Gebiet entstehen. Die damalige
Bundesregierung hat durch ihre Zustimmung zur Aufhebung der nuklearen
Liefersanktionen die abrüstungspolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands er-
heblich beschädigt und zu einer verstärkten Erosion des nuklearen Nichtverbrei-
tungsregimes maßgeblich beigetragen. Vor diesem Hintergrund haben die Frak-
tionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP die folgenschwere Entscheidung
der damaligen Bundesregierung in einem gemeinsamen Antrag (Bundestags-
drucksache 16/10355) entschieden kritisiert und wichtige Maßnahmen für den
Erhalt des nuklearen Nichtverbreitungsregimes gefordert.

Der Deutsche Bundestag ist über eine weitere Ausweitung des Handels von Nu-
kleartechnologie und nuklearem Brennstoff mit Indien tief besorgt. Der ameri-
kanische Präsident Barack Obama hat während seines Besuches in Indien vom
6. bis 8. November 2010 angekündigt, bestehende US-Exportbeschränkungen
für strategisch sensitive Güter in Bezug auf Indien weitgehend aufzuheben und
sich für die Aufnahme Indiens in die vier Exportkontrollregime einzusetzen, die
sich mit nuklearen, chemischen und biologischen Gütern und Technologien,
konventionellen Rüstungsgütern sowie Raketentechnologie befassen. Diesem
Vorhaben hat sich auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy am 6. De-
zember 2010 in Neu Delhi angeschlossen. Auch die Bundesregierung signali-
sierte Ende vergangenen Jahres ihre Bereitschaft, einen Beitritt Indiens in die
Nuclear Suppliers Group zu unterstützen. Der deutsche Botschafter in Indien
erklärte am 6. Dezember 2010, dass Deutschland eine indische Mitgliedschaft in
der Nuclear Suppliers Group unterstütze und die Bedingungen hierfür erfüllt
seien.1 Auch die Bundeskanzlerin befürwortet Medienberichten zufolge eine
verstärkte bilaterale Kooperation und den Technologietransfer im Bereich der
zivilen Nuklearenergie.2

Der Deutsche Bundestag warnt mit großem Nachdruck davor, eine weitere
Erosion des nuklearen Nichtverbreitungsregimes durch eine Ausweitung des
Nuklearhandels mit Indien oder die bedingungslose Aufnahme Indiens in die
NSG zu forcieren. Dies würde die NSG nachhaltig beschädigen und steht im
Widerspruch zu den Prinzipien einer verantwortungsvollen und glaubwürdigen
Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik. Angesichts der immer größer wer-
denden Gefahren eines Missbrauchs ziviler Nukleartechnologie für militärische
Zwecke bedarf es strengerer Regeln für den Handel mit dieser Technologie an-
statt eines Aufweichens bestehender Bestimmungen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für eine Rücknahme der NSG-Ausnahmeregelung für Indien einzusetzen
und eine Aufnahme Indiens in die NSG mit ihrem Vetorecht zu verhindern,
bis Indien

● dem Atomwaffensperrvertrag (Vertrag über über die Nichtverbreitung von
Kernwaffen – NVV) beigetreten ist;

● dem Atomteststoppvertrag (Vertrag über das umfassende Verbot von
Nuklearversuchen – CTBT) beigetreten ist;
1 www.newkerala.com, 6. Dezember 2010
2 ebd.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5374

● ein überprüfbares Moratorium für die Produktion von waffenfähigem
spaltbarem Material erklärt hat und versichert, einem zukünftigen Vertrag
über ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material für Waffen-
zwecke (FMCT) ebenfalls beizutreten;

● alle bestehenden sowie zukünftigen zivilen Nuklearanlagen rechtsver-
bindlich unter dauerhafte Aufsicht der IAEO stellt;

2. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass sich die Mitgliedstaaten
dazu verpflichten, kein Nuklearmaterial und keine Nukleartechnologie an In-
dien zu liefern, so lange die unter Nummer 1 aufgeführten Punkte von Indien
nicht erfüllt wurden;

3. keine Hermes-Bürgschaften für den Export von Nukleartechnologien oder
andere Technologien nach Indien zu vergeben;

4. Indien beim Ausbau der erneuerbaren Energien, Energieeinsparung und im
Bereich der Energieeffizienz zu unterstützen;

5. im Rahmen der NSG sowie in bilateralen Gesprächen darauf zu drängen, die
Ausweitung des Nuklearhandels zwischen China und Pakistan zu stoppen
und die Richtlinien der NSG streng einzuhalten;

6. sich auf dem diesjährigen Plenartreffen der NSG im Juni in den Niederlanden
und darüber hinaus für eine Verschärfung der Richtlinien für den Handel von
Nuklearmaterial einzusetzen und dabei insbesondere weiter darauf zu drän-
gen, dass

● die Umsetzung eines Zusatzprotokolls zu den Sicherungsabkommen unter
dem NVV als Voraussetzung für die Lieferung von Nukleartechnologie
und Nuklearmaterial festgeschrieben wird;

● keine Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie exportiert
wird, weil diese besonders leicht für den Atomwaffenbau missbraucht
werden kann;

7. zu erklären, dass Deutschland sich im Falle eines erneuten Atomtests Indiens
für eine erneute Verhängung von Nuklearsanktionen einsetzen und keine
Atomtechnologie nach Indien exportieren würde;

8. den Deutschen Bundestag regelmäßig über den Fortgang zu informieren und
zu konsultieren.

Berlin, den 5. April 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Um Teilnehmer der NSG zu werden, müssen Staaten dem NVV, den Verträgen
von Pelindaba, Rarotonga, Tlatelolco oder Bangkok, oder einem äquivalenten
nuklearen Nichtverbreitungsvertrag angehören und alle daraus resultierenden
Verpflichtungen vollständig erfüllen.

Die Ausnahmeregelung der NSG für Indien vom 6. September 2008 hat nuk-
leare Doppelstandards geschaffen und unterminiert die Glaubwürdigkeit inter-
nationaler Nichtverbreitungsbemühungen. Erst 1995 hatten die 198 Mitglieder
des NVV gemeinsam beschlossen, dass Atomtechnologie nur an solche Staaten

geliefert werden soll, die ihre Anlagen durch die IAEO umfassend kontrollieren

Drucksache 17/5374 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
lassen. Der NSG-Beschluss steht im Widerspruch zu diesem Beschluss und trägt
maßgeblich zu einer zunehmenden Erosion des Nichtverbreitungsregimes bei.
Die jüngste Vereinbarung zwischen Pakistan und China über den Bau zweier
Nuklearreaktoren in Pakistan stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der
Aufnahme des Nuklearhandels zwischen Indien und der NSG.

Eine Verfestigung dieses Präzedenzfalles durch eine Aufnahme Indiens in die
NSG würde diesen nuklearen Dammbruch beschleunigen. Internationale Be-
mühungen, den Staat Iran mittels Sanktionen und Anreizen von der nuklearen
Anreicherung abzubringen, werden erschwert, weil die Glaubwürdigkeit der in-
ternationalen Nichtverbreitungspolitik unterminiert würde. Die Aufhebung des
Handelsverbots für Nuklearmaterial birgt die Gefahr eines konventionellen und
nuklearen Wettrüstens – nicht nur zwischen Pakistan, Indien und China. Andere
Staaten werden versucht sein, ihre nationale Souveränität durch den Rückgriff
auf Atomwaffen zu sichern.

Die Aufnahme Indiens in die NSG wäre ein schwerwiegender Angriff auf das
nukleare Nichtverbreitungsregime und würde den globalen Nichtverbreitungs-
konsens empfindlich schwächen.

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