BT-Drucksache 17/5373

Umfassende Entschädigung für Radarstrahlenopfer der Bundeswehr und der ehemaligen NVA

Vom 6. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5373
17. Wahlperiode 06. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Agnes Malczak, Katja Keul, Tom Koenigs, Omid Nouripour,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umfassende Entschädigung für Radarstrahlenopfer der Bundeswehr und der
ehemaligen NVA

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Viele Soldaten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee (NVA), ins-
besondere junge wehrdienstleistende Männer, sind bis in die 80er-Jahre hinein
vollkommen unwissend mit ionisierender Strahlung und Röntgenstrahlung in
Berührung gekommen und haben gesundheitsschädliche Partikel inkor-
poriert. Einige von ihnen sind daraufhin schwer erkrankt. Betroffene können
einen ursächlichen Zusammenhang in vielen Fällen aber nicht lückenlos nach-
weisen, da es weder ausreichende Aufzeichnungen über den Umgang mit
Strahlen- und Radarquellen noch über Dauer und Intensität der Exposition je-
des einzelnen Soldaten gibt. Aufgrund des fehlenden Gefahrenbewusstseins
dieser Zeit können Betroffene folglich auf kein „Beweismaterial“ für ihre
Schädigung zurückgreifen. Den Dienstherrn entbindet dies aber nicht von
seiner Verantwortung und Fürsorgepflicht. Die Umkehr der Beweislast wird
daher verständlicherweise von den Betroffenen gefordert.

Die Frage nach einer Entschädigung der Soldaten gestaltet sich folglich äußerst
schwierig. Sie beschäftigt den Deutschen Bundestag seit dem Jahr 2000. Im
Jahre 2002 empfahl der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages die
Einsetzung einer Kommission. Im Abschlussbericht der „Radarkommission“
von 2003 wurden Kriterien erstellt, die festlegen, in welchen Fällen eine Krank-
heit auf Strahleneinwirkung zurückzuführen ist. Der Bericht machte zudem
weiteren Forschungsbedarf geltend, insbesondere zur Untersuchung der gesund-
heitlichen Auswirkungen von HF-Strahlung und zu Aspekten der ionisierenden
Strahlung.

Laut Antwort der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/3607 vom 2. No-

vember 2010) wurden dennoch von den bisher 3 803 gestellten Anträgen auf
Versorgung nur rund 19,7 Prozent (751) zugunsten der Antragsteller entschie-
den, während 68 Prozent (2 587) abgelehnt wurden. Dabei gehen der Bund zur
Unterstützung Radargeschädigter, Interessenvertretung der ehemaligen Bundes-
wehrsoldaten, der Bund zur Unterstützung Strahlengeschädigter, die Interessen-
vertretung ehemaliger NVA-Soldaten und anderer Mitarbeiter ziviler Einrich-
tungen der DDR, davon aus, dass die Bundesregierungen die Anerkennungs-

Drucksache 17/5373 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

kriterien des Radarberichtes nicht wohlwollend im Sinne der Antragsteller aus-
legen.

In der 16. Wahlperiode waren sich alle im Deutschen Bundestag vertretenen
Fraktionen einig, dass es zeitnah eine umfassende Lösung des Problems im
Sinne der Geschädigten geben muss (Plenarprotokoll 16/230). Dies ist ange-
sichts des oft fortgeschrittenen Alters der Betroffenen und ihrer ernsten Erkran-
kungen umso dringlicher. Trotz zahlreicher Zusagen aus der Verwaltung eine
Stiftungslösung voranzutreiben, stagniert der Prozess der Aufarbeitung und der
Entschädigung nunmehr seit mehreren Jahren. Der politische Wille, den Betrof-
fenen möglichst zügig und unbürokratisch zu helfen, ist über die Grenzen der
Fraktionen hinweg indes weiter vorhanden. Jetzt müssen Taten folgen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in Umsetzung der Erkenntnisse der Radarkommission und vor dem Hintergrund
des hohen Alters der Betroffenen zeitnah einen Entwurf für ein Radarstrahlen-
opfer-Gesetz vorzulegen, das sich an folgenden Maßgaben orientiert:

1. Die unterschiedlichen Anerkennungs- und Entschädigungsverfahren von
ehemaligen Bundeswehrangehörigen und NVA-Soldaten müssen im Sinne
der Radargeschädigten vorangetrieben werden. Nach geeigneten gangbaren,
unbürokratischen und schnellen Lösungen ist zu suchen. Die Ermessensspiel-
räume bzw. die Beurteilungsspielräume für das Vorliegen der Anerkennungs-
kriterien sollten zugunsten der Betroffenen nicht zu eng gefasst sein.

2. Radargeschädigte ehemalige Angehörige der Bundeswehr und der NVA sind
gleich zu behandeln.

3. Neben dem Staat sind auch die Radargerätehersteller angemessen an den Ent-
schädigungskosten zu beteiligen.

4. Die Verstrahlung von Angehörigen von Bundeswehr und NVA muss weiter
aufgeklärt und dokumentiert werden. Dazu muss erneut eine unabhängige
Expertenkommission ins Leben gerufen und personell angemessen ausge-
stattet werden.

5. Die Radarkommission soll ihre Arbeit wieder aufnehmen und mindestens
einmal im Jahr dem Deutschen Bundestag über den Fortgang ihrer Arbeit
berichten. Neben der Anerkennung, Entschädigung und Versorgung der
Radargeschädigten soll sie sich mit der Verbesserung der Strahlensicherheit
beschäftigen und somit einen Beitrag zur Vermeidung künftiger strahlenbe-
dingter Berufskrankheiten leisten.

Berlin, den 5. April 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Während des Kalten Krieges mussten Millionen junger Männer in der alten Bun-
desrepublik Deutschland und in der ehemaligen DDR Dienst an der Waffe leis-
ten. Dies galt besonders in der DDR, wo auch als Ersatzdienst lediglich der Bau-
soldat zugelassen war. Junge wehrpflichtige Männer und Berufssoldaten wurden
in allen Bereichen der Bundeswehr und der NVA eingesetzt. Viele von ihnen

kamen während ihrer Dienstzeit mit Radartechnik, Leuchtfarbe und anderen
Quellen ionisierender Strahlen in Berührung. Besonders in den 50er- und 60er-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5373

Jahren, aber auch noch bis in die 80er-Jahre hinein war der Umgang mit ionisie-
renden Strahlenquellen häufig unbedarft.

Das Dienstverhältnis eines Soldaten oder einer Soldatin weist und wies das Al-
leinstellungsmerkmal des „Gehorsams“ auf. Auch das darf (trotz des Prinzips
der „Inneren Führung“ in der Bundeswehr) weder in der Bundeswehr noch in
der NVA unterschätzt werden. Die Soldaten haben Befehle ausgeführt und mit
dem Gerät gearbeitet, das sie vorfanden. Entscheidend ist, dass die Fürsorge-
pflicht des Dienstherrn ebenfalls sowohl bei der Bundeswehr als auch bei der
NVA bestand. Folglich vertrauten die jungen Menschen ihren Vorgesetzten in
der Regel, wenn diese sie an Waffen, Radargeräten, militärischen Kompassen
etc. ausbildeten. Unklar ist, inwiefern Vorgesetzte unterer Ebenen selbst Kennt-
nis darüber hatten, mit welch gefährlichen Stoffen sie arbeiten ließen und auch
selbst arbeiteten.

Seit Einsatz der Radargeräte gab es eine Diskussion über die gesundheitlichen
Risiken, die sie mit sich bringen. Mit der Zeit konnte die Forschung die Gefah-
ren ionisierender Strahlen nachweisen und in der Folge wurden im militärischen
Bereich sukzessive zahlreiche Schutzvorschriften erlassen sowie eine konse-
quente Erfassung von Daten hinsichtlich des Umgangs mit Strahlenquellen vo-
rangetrieben. Eine umfassende Information und Aufklärung fand jedoch bis zum
Einsetzen der sogenannten Radarkommission im Jahr 2002 nicht statt. Selbst
mit dem Bericht dieser Kommission aus dem Jahr 2003 ist der Bedarf an For-
schung und Aufarbeitung noch nicht vollständig befriedigt gewesen.

Es fehlen daher genaue Aufzeichnungen und Messungen aus der Zeit des Ein-
satzes der Strahlenquellen. Weder gibt es lückenlose und präzise Aufzeichnun-
gen darüber, welcher Soldat zu welcher Zeit wie lange mit welchen Strahlen-
quellen in Berührung gekommen ist, noch wurden genau die jeweiligen Einsatz-
bereiche eines jeden Soldaten erfasst. Das entlässt den Dienstherrn aber nicht
aus der Pflicht, Fürsorgeleistungen für die im Dienst Geschädigten zu erbringen.

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