BT-Drucksache 17/5284

Kohletagebau in Bangladesch

Vom 25. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5284
17. Wahlperiode 25. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Oliver Krischer,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
Höfken, Katja Keul, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kohletagebau in Bangladesch

Bangladesch befindet sich in einer ernsten Energiekrise. Zunehmende Versor-
gungsengpässe, die in den Großstädten mehrfach täglich zu Stromausfällen füh-
ren, haben Auswirkungen auf die wirtschaftliche Produktivität des Landes. Aus
diesem Grund unterstützt Deutschland im Rahmen seiner bilateralen Entwick-
lungszusammenarbeit Bangladesch bei der Reform des Energiesektors. Hier
spielen erneuerbare Energieformen wie Solarenergie und Biogas eine wichtige
Rolle.

Seit 1997 prüft die Regierung Bangladeschs aber auch in der Region Phulbari
Kohle im Tagebau zu fördern. Aufgrund ihrer hohen Qualität wären jedoch
80 Prozent der geförderten Kohle für den Export bestimmt und hätten keine di-
rekten Auswirkungen auf die Energiekrise im Land. Bis dato hat die Regierung
Bangladeschs noch keine endgültige Entscheidung gefällt. Ein Grund dafür sind
die massiven Proteste in der Bevölkerung, die um ihre Existenzgrundlage und
Ernährungssicherung fürchtet. Durch den für die Kohleförderung notwendigen
Flächenbedarf von 60 km2 müssten laut eines von der Regierung Bangladeschs
eingesetzten Expertenkomitees 130 000 Menschen umgesiedelt werden. Bis zu
220 000 Menschen aus 150 Dörfern wären durch die massive Absenkung des
Grundwasserspiegels betroffen. Brunnen würden versiegen, die Trinkwasser-
versorgung wäre nicht mehr gewährleistet, die Landwirtschaft würde geschädigt
und dadurch die Ernährungssicherheit gefährdet.

Im Rahmen der deutschen bilateralen wirtschaftlichen und entwicklungspoliti-
schen Zusammenarbeit mit Bangladesch wird in Erwägung gezogen, die bang-
ladeschische Regierung bei Anfrage mit Blick auf die Sozial- und Umweltver-
träglichkeit des Kohletagebaus zu beraten. In den Jahren 2009 und 2010 haben
bangladeschische Politiker den Braunkohletagebau der RWE Vertrieb AG in
Nordrhein-Westfalen besichtigt und dabei besonderes Interesse an den Maßnah-
men in den Bereichen Umsiedlung und abschließender Renaturierung der Ab-
bauflächen gezeigt. Die Reisekosten der bangladeschischen Politiker wurden

zum Teil mit Mitteln aus dem Vorhaben der Technischen Zusammenarbeit (TZ)
„Sustainable Energy for Development“ bezahlt.

Nach ihrer Rückkehr nach Bangladesch wurde die deutsche Vorgehensweise als
Blaupause für Bangladesch mit dem fragwürdigen Argument beworben, dass
geologische und demografische Bedingungen vergleichbar seien.

Drucksache 17/5284 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Im April und Juni 2010 veröffentlichten Mitarbeiter des deutschen Energie-
unternehmens RWE Vertrieb AG Artikel in bangladeschischen Nachrichten-
magazinen, in denen sie die technische Machbarkeit des Tagebaus in Phulbari
bescheinigten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was ist der aktuelle Stand hinsichtlich eines deutschen Engagements beim
Kohletagebau in Bangladesch, z. B. in Form einer TZ-Beratungstätigkeit mit
Blick auf die Umwelt- und Sozialverträglichkeit?

2. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Größe und Umfang
der Kohlevorkommen in der Region Phulbari vor?

3. Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen eines möglichen Kohle-
tagebaus unter sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Gesichts-
punkten ein?

4. Wie kann die Bundesregierung eine wie auch immer geartete Beteiligung am
Kohletagebau in Bangladesch vor dem Hintergrund legitimieren, dass sich
die Asiatische Entwicklungsbank aufgrund von Verstößen gegen eigene
Richtlinien bereits aus der Finanzierung zurückgezogen hat und dass eine er-
zwungene Umsiedelung von indigenen Völkern gegen Artikel 10 der UN-Er-
klärung zu den Rechten indigener Völker verstößt?

5. Hält es die Bundesregierung angesichts der Defizite im Regierungs- und
Verwaltungssystem Bangladeschs für realistisch, dass ein System etabliert
wird, das den Zugang zu Kompensationsleistungen für die betroffenen
220 000 Menschen gewährleistet?

6. Wie kann die Bundesregierung eine wie auch immer geartete Beteiligung am
Kohletagebau in Bangladesch vor dem Hintergrund verantworten, dass eine
Vernichtung von landwirtschaftlich nutzbarem und von Überschwemmungen
wenig betroffenem Land zu Engpässen bei der Nahrungsmittelversorgung
führen und die Ernährungssicherheit für extrem arme Bevölkerungsgruppen
verschärfen würde?

7. Wie kann die Bundesregierung eine wie auch immer geartete Beteiligung am
Kohletagebau in Bangladesch vor dem Hintergrund verantworten, dass in
Anbetracht klimatischer Veränderungen, Versalzung und Erosion aber auch
durch eine zunehmende Urbanisierung bereits heute jährlich 800 km2 land-
wirtschaftlich nutzbares Land (1 Prozent der Gesamtfläche an landwirtschaft-
lich nutzbarem Land) verschwinden und zwei Millionen metrische Tonnen an
Nährstoffen abgetragen werden und dass die Vernichtung von mindestens
60 km2 Land für den Tagebau den Zugang zu fruchtbarem Land vor allem für
extrem arme Bevölkerungsgruppen weiter verschärfen würde?

8. Wie kann die Bundesregierung eine wie auch immer geartete Beteiligung am
Kohletagebau in Bangladesch vor dem Hintergrund verantworten, dass sich
die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen ihrer
Schwerpunktsetzung auf die Förderung „Erneuerbarer Energien“ und „Maß-
nahmen zur Mitigation des Klimawandels“ konzentriert und sich im Rahmen
der UN-Millenniumserklärung und der daraus abgeleiteten Millenniumsent-
wicklungsziele verpflichtet hat, den Anteil der Weltbevölkerung, der unter
extremer Armut und Hunger leidet, zu halbieren?

9. In welchem Kooperationsverhältnis stand und steht die Bundesregierung im
Rahmen eines möglichen Engagements beim Kohletagebau in Bangladesch
zu dem deutschen Energieunternehmen RWE Vertrieb AG?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5284

10. Welche Rolle spielte die Einhaltung der Menschenrechte sowie von Sozial-
und Umweltstandards im Falle eines Kohleabbaus in Bangladesch bislang
im Austausch der Bundesregierung mit der RWE Vertrieb AG sowie mit
den bangladeschischen Partnern und Partnerinnen?

11. Welche Rolle spielten die Vorgaben der Extractive Industries Transparency
Initiative (EITI) im Falle eines Kohleabbaus in Bangladesch bislang im
Austausch der Bundesregierung mit RWE Vertrieb AG sowie mit den bang-
ladeschischen Partnern und Partnerinnen?

12. Gab es eine Kooperationsvereinbarung der Bundesregierung mit der RWE
Vertrieb AG im Rahmen des Besuchs von bangladeschischen Politikern
nach Nordrhein-Westfalen?

13. Warum wurden die Reisekosten der bangladeschischen Politiker zum Be-
such des Kohletagbaus in Deutschland aus dem TZ-Vorhaben zur Förderung
„Erneuerbarer Energien“ bezahlt?

14. Inwiefern hält die Bundesregierung die Förderung aus diesem Vorhaben für
angemessen?

15. Was sind die längerfristigen Perspektiven für den Schwerpunkt Energie in
der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Bangladesch?

16. Inwiefern plant die Bundesregierung als Teil ihrer klimapolitischen Verant-
wortung zur Reduktion von CO2-Emissionen verstärkt den Austausch von
zivilgesellschaftlichen Akteurinnen/Akteuren und Wissenschaftlerinnen/
Wissenschaftlern aus Bangladesch mit Energieexpertinnen/Energieexperten
aus Deutschland und Europa zu fördern und die Regierung Bangladeschs
bei der Entwicklung von Leitlinien für eine umweltschonende und nachhal-
tige Energieversorgung zu beraten?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 25. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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