BT-Drucksache 17/5275

Unterstützung des autoritären Regimes in Marokko und Wirtschaftsbeziehungen mit der Europäischen Union

Vom 24. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5275
17. Wahlperiode 24. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth,
Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Neskovic, Alexander Ulrich,
Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Unterstützung des autoritären Regimes in Marokko und Wirtschaftsbeziehungen
mit der Europäischen Union

„Wir sind alle Ägypter“ und „Nieder mit der Diktatur, es lebe die Freiheit“ haben
die Menschen in mehreren Städten Marokkos, etwa in Rabat, Fez und Tanger,
am 20. Februar 2011 gerufen. In den Folgetagen flammten immer wieder Pro-
teste auf. Hunderte von Menschen demonstrierten für Demokratie und gegen die
große Armut in Marokko. Die soziale Schere klafft in Marokko noch weiter aus-
einander als in Tunesien oder in Ägypten. Während 3,8 Prozent der Tunesier und
Tunesierinnen unter der Armutsgrenze leben, sind es in Marokko 15 Prozent. In
Tunesien können etwa 74 Prozent aller über 14-Jährigen lesen und schreiben. Im
Nachbarland Algerien sind es knapp 70 Prozent. Marokko bildet dagegen mit
einer Alphabetisierungsrate von nur 52 Prozent (dpa vom 14. Januar 2011) das
Schlusslicht in der Region. Mindestens ein Viertel der Jungakademiker und
Jungakademikerinnen in Marokko sind arbeitslos und 20 Prozent müssen mit
weniger als einem Euro am Tag auskommen (Die Presse, Print-Ausgabe,
3. Februar 2011).

Die marokkanische Polizei löste, wie schon in der Vergangenheit, friedliche
Kundgebungen umgehend auf. Seit Jahren kommt es regelmäßig zu willkür-
lichen Inhaftierungen und Anklagen. Hinsichtlich der Inhaftierten berichtet
Amnesty International über systematische Folter, für die der marokkanische
Geheimdienst bekannt sei (www.amnesty.de/jahresbericht/2010/marokko-und-
westsahara) sowie über Misshandlungen, Inhaftierungen über Monate ohne Kon-
takt zu Anwälten oder zur Familie und Todesurteile nach unfairen Verfahren.
Proteste gegen das autoritäre Regime sind im Reich von König Mohammed VI.
genauso unerwünscht wie eine kritische Berichterstattung. Der arabische TV-
Sender „Al-Dschasira“ wurde Ende Oktober 2010 aus Marokko verbannt.

Der König, der seit 1999 auf dem Thron sitzt und als „Partykönig“ tituliert wird,
beherrscht mit seiner Holding ONA viele Wirtschaftszweige. Laut „Forbes“ be-
sitzt er ein Privatvermögen von geschätzten 2,5 Mrd. US-Dollar. Er ist der siebt-
reichste Monarch der Welt und hat seit der Thronübernahme sein Vermögen ver-
fünffacht (www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/demokratie-allein-reicht-

nicht/). Die Korruption blüht. Korrupte Praktiken existierten zwar schon unter
König Hassan. Nach Veröffentlichungen der Enthüllungsplattform WikiLeaks,
die dies aus einem vertraulichen Bericht der US-Botschaft zitiert (www.faz.net/
s/RubA24ECD630CAE40E483841DB7D16F4211/Doc~E9DFF630F70AB47E
2906C109887E8AADC~ATpl~Ecommon~Scontent.html), ist die Korruption
unter Mohammed VI. noch weiter institutionalisiert worden.

Drucksache 17/5275 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Statt Forderungen der marokkanischen Bevölkerung nach Demokratisierung
und sozialer Absicherung zu unterstützen, wird das Regime in Marokko durch
die Begünstigungen im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik, des
„fortgeschrittenen Status“ (advanced status) und des Assoziierungsabkommen
durch EU und Mitgliedstaaten stabilisiert und eine demokratische Entwicklung
in Marokko zugunsten ausschließlich eigener ökonomischer und geopolitischer
Interessen behindert. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) drängt derzeit
auf eine rasche Finalisierung des EU-Aktionsplans mit Marokko. Das solle ein
Signal an Marokko sein. Allen Ernstes wird behauptet, jetzt differenzieren und
Marokko mit dem Aktionsplan unterstützen zu müssen, um nicht auch dort noch
die Krise zu befördern. Offenkundig soll eine Krise verhindert werden, die in
Ländern wie Tunesien und Ägypten autoritäre Regime ins Wanken gebracht und
deren Diktatoren gestürzt hat.

Eskalationspotential gibt es in Marokko nicht allein durch die sozialen Spannun-
gen in Folge der Hoffnungslosigkeit insbesondere bei der jungen Generation.
Vor allem der Konflikt in der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten West-
sahara schwelt weiter. Während im Herbst 2010 die EU mit Marokko über die
Fortführung des EU-Fischereiabkommens verhandelte, errichteten tausende
Sahrauis in der Wüste „Lager der Würde“. Sie protestierten damit friedlich ge-
gen ihre soziale Benachteiligung – der Besitz von Häusern und das Betreiben
von Geschäften ist ihnen verwehrt, der Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen
wird erschwert – und gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen durch
die marokkanischen Sicherheitsbehörden. Bis zur gewaltsamen Räumung am
8. November 2010 gab es etwa 6 400 Zelte, in denen ca. 20 000 Menschen ge-
gen ihre miserable soziale Situation und Marginalisierung protestierten. Bereits
Ende Oktober 2010 wurde dabei ein 14-jähriger Junge von den marokkanischen
Sicherheitskräften erschossen. Bei der brutalen Räumung sollen laut der Presse-
agentur AFP vom 10. November 2010 11 Personen getötet worden sein, weitere
723 Personen wurden verletzt und 159 werden seit dem Angriff vermisst.

Auch für dieses menschenverachtende Vorgehen soll die marokkanische Regie-
rung nun belohnt werden, in dem das EU-Fischereiabkommen mit Marokko ver-
längert wird. Auf der Grundlage des Abkommens fließen jährlich 36,1 Mio.
Euro an Marokko. Ein zentraler Kritikpunkt war, dass es keinerlei positive sozio-
ökonomische Effekte des Abkommens für die Bevölkerung der Westsahara gibt,
vor deren Küsten ein Großteil des lizenzierten Fischfangs erfolgt. Die von der
marokkanischen Regierung angeforderten Informationen über den Mehrwert für
die Sahrauis in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara wurden erst Mitte
Dezember 2010 der EU-Kommission vorgelegt und waren erst am 18. Februar
2011 für die EU-Mitgliedstaaten zugänglich. Rückschlüsse auf positive sozio-
ökonomische Auswirkungen auf die sahrauische Bevölkerung können daraus
nicht gezogen werden.

Bereits 2002 stellte der UNO-Untergeneralsekretär und Vorsitzender im Büro
für Rechtsfragen der UN, Hans Corell, die Rechtswidrigkeit der EU-Fischerei-
abkommen mit Marokko fest. Trotzdem behauptet die Bundesregierung nach
wie vor, dass sowohl sie als auch die EU darauf achten würden, einer Festlegung
des völkerrechtlichen Status der Westsahara nicht vorzugreifen, indem die
unveräußerlichen Rechte der Völker der Gebiete ohne Selbstregierung auf ihre
natürlichen Ressourcen durch die Abkommen gesichert und garantiert seien.
Dem widersprach 2009 aber auch der Juristische Dienst des Europaparlaments
in einem Rechtsgutachten. Dieses vertritt die Rechtsauffassung, dass der Fisch-
fang im Rahmen eines partnerschaftlichen Fischereiabkommen zwischen der
EU und Marokko, weder in Konsultation mit der sahrauischen Bevölkerung der
Westsahara stattfindet noch die Bevölkerung die Einnahmen aus der Verwertung
ihrer eigenen reichen Fischbestände erhält.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5275

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Ausrüstung, die auch militärisch relevant sein könnte und somit in
Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste – Anhang zur Außenwirtschaftsverord-
nung – oder in Anhang I der EG-Dual-Use-Verordnung – EG Nr. 428/2009 –
genannt werden, sowie Ausrüstung, die auch zur Folter verwendet werden
könnte, wie zum Beispiel bestimmte Hand- und Fußfesseln, und somit in
Anhang III der Anti-Folter-Verordnung – EG Nr. 1236/2005 – aufgeführt
werden, ist 2010 nach Marokko exportiert worden (bitte entsprechend nach
Umfang und Warenwert der Ausrüstungsgegenstände sowie unter Angabe
der Hersteller auflisten)?

2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber hinaus über gelieferte
Polizeiausrüstung (Helme und andere Schutzkleidung, Schilder, Handschel-
len, Funkgeräte, Fahrzeuge, Waffen), so genannten weniger letalen Waffen,
insbesondere Wasserwerfer, deren Komponenten und chemische Reizstoffe
(„Tränengas“ etc.) und IT-Technologie, die sich für die Überwachung des In-
ternets und der Telekommunikation und deren Zensur eignet, nach Marokko?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die unter den Fra-
gen 1 und 2 aufgelisteten Gegenstände, als von Deutschland an Marokko
gelieferte Ausrüstung auch im Zusammenhang mit den Protesten im Februar
2011 und bei der gewaltsamen Räumung der „Lager der Würde“ im Novem-
ber 2010 zur Anwendung gebracht wurden?

4. Erwägt die Bundesregierung angesichts der völkerrechtswidrigen Besetzung
der Westsahara und der schweren Menschenrechtsverletzungen, die durch die
marokkanischen Sicherheitskräfte begangen wurden, dem UN-Sicherheitsrat
einen Resolutionsentwurf vorzulegen, der den Export von Waffen nach Ma-
rokko untersagt?
Wenn nein, warum nicht?

5. Erwägt die Bundesregierung, im Rat der Europäischen Union die Initiative zu
ergreifen, um den Export von zur internen Repression verwendbarer Ausrüs-
tungen durch die EU-Mitgliedstaaten nach Marokko zu sanktionieren, wie
dies gegenüber Côte d’Ivoire (Verordnung des Rates 2010/656/GASP), Gui-
nea (2010/368/GASP), Iran (2010/413/GASP), Libyen (2011/204/GASP),
Myanmar/Birma (2010/232/GASP), Simbabwe (2011/101/GASP) bereits
geschehen ist?
Wenn nein, warum nicht?

6. Würde die Bundesregierung einer entsprechenden Verordnung, welche den
Export zur internen Repression verwendbarer Ausrüstungen durch die EU-
Mitgliedstaaten nach Marokko sanktioniert, grundsätzlich zustimmen?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, warum nicht?

7. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang getroffen, um eine Be-
teiligung deutscher Unternehmen am illegalen Abbau und Abtransport von in
der Westsahara gewonnenen Rohstoffen auszuschließen und sofern notwen-
dig strafrechtlich zu verfolgen?

8. Erwägt die Bundesregierung, im Rat der Europäischen Union die Initiative zu
ergreifen, um die Beteiligung von in den EU-Mitgliedstaaten registrierten
Schiffen am Export von illegal in der Westsahara gewonnenen Rohstoffen zu
sanktionieren?

Drucksache 17/5275 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

9. Welche Rückschlüsse lassen sich konkret aus den seitens Marokkos im De-
zember 2010 der EU-Kommission vorgelegten Informationen zur sozioöko-
nomischen Wirkung des EU-Fischereiabkommens für die Bevölkerung in
der durch Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara durch die im
Zuge der Verletzung der Souveränität des noch immer nicht dekolonisierten
Gebiets der Westsahara gewonnenen Einnahmen ziehen?

10. Sofern sich aus den unter Frage 9 erfragten Informationen keine konkreten
Rückschlüsse auf die angeblich positive Bedeutung der Leistungen aus dem
Abkommen für die sahrauische Bevölkerung in der völkerrechtswidrig be-
setzten Westsahara ziehen lassen, welche konkreten anderen Vorteile recht-
fertigen die Verlängerung des verschiedentlich (siehe Vorbemerkung) als
rechtswidrig eingestuften EU-Fischereiabkommens mit Marokko?

11. Inwieweit spielen die Auswirkungen für die Bevölkerung der völkerrechts-
widrig besetzten Westsahara überhaupt eine Rolle, wenn berücksichtigt
wird, dass sich die marokkanische Souveränität grundsätzlich völkerrechts-
widrig auf die besetzte Westsahara ausgedehnt wird, und wird nicht auf diese
Weise die völkerrechtswidrige Besetzung und damit die marokkanische
Souveränität durch die Hintertür legitimiert bzw. eingeführt?

12. Sofern sich die Bundesregierung hinsichtlich der 12-monatigen Verlänge-
rung des EU-Fischereivertrags mit Marokko lediglich der Stimme enthalten
hat, auf Grundlage welcher Erwägungen erhält Marokko nun für ein wei-
teres Jahr Gelder dafür, dass es rechtswidrig vor der Küste der Westsahara
fischen darf, wenn schon allein die als Voraussetzung eingeforderten Infor-
mationen der marokkanischen Regierung nicht nur verspätet, sondern auch
den Mehrwert für die sahrauische Bevölkerung in der völkerrechtswidrig
besetzten Westsahara nicht belegen konnten?

13. Inwieweit hat die Kritik der EU-Kommissarin für Fischerei am Fehlen von
Menschenrechtsklauseln im EU-Fischereiabkommen hinsichtlich der Ver-
längerung im Fischereiabkommen bereits Berücksichtigung gefunden, und
wenn nicht, inwieweit hat sich die Bundesregierung für die Aufnahme von
Menschenrechtsklauseln in solchen Abkommen eingesetzt?

14. Welche EU-Mitgliedstaaten haben bei der Abstimmung der Verlängerung
des EU-Fischereiabkommens mit Marokko
a) zugestimmt,
b) diese abgelehnt oder
c) sich enthalten?

15. Welche zentralen Argumente haben die EU-Mitgliedstaaten vorgebracht,
die ausschlaggebend bei der Verlängerung des EU-Fischereiabkommens
waren, und diese zur Grundlage ihrer

a) Zustimmung,

b) Ablehnung oder

c) Enthaltung gemacht haben?

16. Inwieweit ist der Bundesregierung der Brief des Präsidenten der Demokra-
tischen Arabischen Republik Sahara (DARS), Mohamed Abdelaziz, vom
14. Februar 2011 an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-
moon, bekannt, in dem erneut darauf hingewiesen wird, dass die Ausbeu-
tung der Fischressourcen der Westsahara durch EU-Schiffe ohne vorherige
Absprache mit den bzw. Zustimmung der Repräsentanten der sahrauischen
Bevölkerung, in direktem Widerspruch zum unveräußerlichen Recht der
Sahrauis steht, souverän über die eigenen Naturressourcen zu entscheiden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5275

17. Inwieweit teilt die Bundesregierung die in dem vorgenannten Brief des Prä-
sidenten der DARS geäußerte Befürchtung, die Verlängerung des EU-Fi-
schereiabkommens mit Marokko komme einer wissentlichen Fortsetzung
eines internationalen Rechtsbruchs gleich?

18. Inwieweit teilt die Bundesregierung die in dem vorgenannten Brief des Prä-
sidenten der DARS geäußerte Befürchtung, die Verlängerung des EU-Fi-
schereiabkommens mit Marokko erhöhe das Risiko einer möglichen Desta-
bilisierung der ohnehin instabilen Lage in der Westsahara, was die aktuellen
Bemühungen der UNO um eine friedliche Lösung des Konflikts zu unter-
graben droht?

19. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, ob, und wenn ja, mit welchem
Wortlaut sich der UN-Generalsekretär bezüglich der Verlängerung des EU-
Fischereiabkommens an die EU-Kommission, die EU-Mitgliedstaaten und/
oder die Bundesregierung gewandt hat?

20. Inwieweit hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass in dem für ein
Jahr verlängerten EU-Fischereiabkommen mit Marokko zumindest eine
Klarstellung aufgenommen wird, dass das Fischereiabkommen zwischen
der EU und Marokko keine Gebiete vor der Küste der Westsahara einschlie-
ßen darf?

21. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass, wenn infolge der
völkerrechtswidrigen Besetzung der Westsahara eine „Marokkanität der
Westsahara“ völkerrechtlich nicht anerkannt ist, die Verfügung über Res-
sourcen der Westsahara durch Marokko ohne vertragliche Vereinbarungen
und Zustimmung der sahrauischen Bevölkerung bzw. deren politischen Ver-
treter/Vertreterinnen ebenfalls völkerrechtswidrig ist und für diesen Fall
allein schon die Forderung nach einer Verteilung des Gewinns aus diesem
„Raub“ bzw. „Diebstahl“ an der sahrauischen Bevölkerung einer Anerken-
nung dieses Völkerrechtsbruchs durch Marokkos gleichkommt?

22. Welche Initiativen und Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, die
gewaltsame Auflösung des Protestcamps Anfang November 2010 und die
Niederschlagung der anschließenden Demonstrationen zu verurteilen und
eine internationale Untersuchung der Vorfälle einzufordern?

23. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass in einem
jüngst erarbeiteten Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Europa-
parlaments zum Entwurf des EU-Agrarvertrages mit Marokko angemerkt
wird, dass er „über keine Informationen darüber verfügt, ob und wie das
vorgeschlagene Abkommen auf die Westsahara-Gebiete zur Anwendung
kommen und ob es wirklich dem Wohle der ortsansässigen Menschen
dienen wird“ und zudem Informationen darüber fehlen, „ob die weitere
Liberalisierung dieser Güter mit den Wünschen und Interessen der Men-
schen in der Westsahara in Einklang steht“, so dass es dem Entwurf des EU-
Agrarvertrages mit Marokko an Eindeutigkeit hinsichtlich der Westsahara-
frage fehle?

24. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass das unter
Frage 23 genannte Gutachten dem Europaparlament empfiehlt, diese Un-
klarheiten zu prüfen, bevor es seine Zustimmung gibt, und wie beurteilt die
Bundesregierung die diesbezügliche (Un-)Klarheit des Abkommens?

25. Inwieweit hält es die Bundesregierung für unabdingbar, bei Verträgen mit
Marokko analog zur Praxis der USA als auch der EFTA (European Free
Trade Association) die Gültigkeit dieser Verträge für die von Marokko
völkerrechtswidrig besetzte Westsahara explizit auszuschließen?

Drucksache 17/5275 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

26. Welche Reformen, die zu angeblich stabilen Bedingungen in Marokko ge-
führt haben sollen, erklärte der Staatssekretär im Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie, Dr. Bernd Pfaffenbach, als er in einer Presse-
mitteilung vom 8. Februar 2011 anlässlich der in Rabat gemeinsam mit dem
marokkanischen Industrieminister, Ahmed Reda Chami, unterzeichneten
Absichtserklärung zur Einrichtung einer Gemischten Wirtschaftskommis-
sion in Marokko: „Marokko hat frühzeitig Reformen angepackt. Daher
herrschen hier jetzt stabile Bedingungen. Mit der Wirtschaftskommission
geben wir zusätzliche Impulse für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen
zwischen unseren beiden Ländern“?

27. Aus welchen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass mit
Marokko durch die Begünstigungen im Rahmen der Europäischen Nach-
barschaftspolitik (ENP), des „fortgeschrittenen Status“ (advanced status),
des Assoziierungsabkommen und des EU-Fischereiabkommens eine demo-
kratische Entwicklung befördert und nicht ein autoritäres Regime stabili-
siert wird?

28. Inwieweit trifft es zu, dass die marokkanische Energieministerin Amina
Ben Khadra im Beisein des französischen Umweltministers, als sie im März
2010 in Paris ankündigte, bis 2020 für das Wüstenstrom-Projekt Desertec
an fünf Standorten Solarkraftwerke zu errichten, auch auf Al-Aaiún und
Cap Boujdour in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara als Standorte
hinwies (www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33640/1.html)?

29. Von welchen konkreten Standorten hat der Aufsichtsratsvorsitzende der
DESERTEC Foundation, Dr. Gerhard Knies, nach Kenntnissen der Bundes-
regierung in seinem Interview mit dem Anlegermagazin „Börse Online“
(Ausgabe 10/2011, EVT 3. März) gesprochen, in denen ab 2015 bis zu
500 Megawatt Strom produziert werden könnten?

30. Wer erhält die zusätzlichen 3 Mio. Euro, welche der Bundesminister des
Auswärtigen Amts, Dr. Guido Westerwelle, anlässlich seines Besuches
Mitte November 2010 – wenige Tage nach der gewaltsamen Räumung der
Protestcamps – „für den marokkanischen Solarplan zur Verfügung“ stellte
(www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/
Marokko/101115-BM- Marokko.html), und welche Projekte werden hier-
von nach Kenntnis der Bundesregierung finanziert?

31. Hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang klargestellt, dass sie
eine Beteiligung an der Finanzierung von Projekten im Rahmen des natio-
nalen Energieplanes in der Westsahara ablehnt, und wenn ja, auf welche
Weise ist diese Klarstellung erfolgt?
Wenn nein, warum ist eine solche Klarstellung nicht erfolgt?

32. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Pläne Marokkos zur
Nutzung der Kernenergie, und welche Stellung haben hierzu die EU und die
Bundesregierung im Rahmen der ENP bezogen?

33. Enthält der gegenwärtig ausgehandelte Aktionsplan im Rahmen der ENP
Klauseln zur Nutzung der Kernenergie?

34. Welche Themen sind nach Kenntnis der Bundesregierung auf der Sitzung
des EU-Assoziationsrates in Marokko besprochen worden, die am 24. und
25. März 2011 stattfand?

35. In welcher Höhe hat Marokko seit 2007 Mittel über das Europäische Nach-
barschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI), das Instrument zur Im-
plementierung der ENP, wofür erhalten (bitte entsprechend nach Jahren auf-
listen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/5275

36. Inwieweit hat Marokko in den letzten Jahren Mittel aus der 2008 geschaf-
fene Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF) erhalten, und sofern Marokko
Mittel erhalten hat bzw. erhält, für welche Projekte sind Mittel nach Ma-
rokko geflossen (bitte nach Jahren auflisten)?

37. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass bei den Ende April
2011 anstehenden Beratungen im UN-Sicherheitsrat über die Lage in der
völkerrechtswidrig besetzten Westsahara, die Beobachtung der Menschen-
rechte ins MINURSO-Mandat mit aufgenommen wird, wie das von der
internationalen Zivilgesellschaft seit 2006 regelmäßig gefordert wird?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 24. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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