BT-Drucksache 17/5074

Bemühungen der Bundesregierung um einen im US-amerikanischen Militärgefängnis Bagram (Afghanistan) inhaftierten deutschen Staatsangehörigen

Vom 15. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5074
17. Wahlperiode 16. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Christine Buchholz, Annette Groth, Heike
Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Niema Movassat, Petra Pau, Paul
Schäfer (Köln), Raju Sharma, Frank Tempel, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Bemühungen der Bundesregierung um einen im US-amerikanischen
Militärgefängnis Bagram (Afghanistan) inhaftierten deutschen Staatsangehörigen

Medien berichten über den deutschen Staatsangehörigen S., der sich seit mehr
als sechs Monaten in Gefangenschaft im US-amerikanischen Militärgefängnis
Bagram befindet:

S. wurde im Sommer 2010 in Kabul von US-amerikanischen Soldaten festge-
nommen (FAZ vom 11. Oktober 2010). Seit Juli 2010 ist er im Militärgefängnis
Bagram inhaftiert (FAZ a. a. O.). Er wird von US-amerikanischen Sicherheits-
behörden verhört. Im Oktober 2010 haben ihn Mitarbeiter des Bundesnachrich-
tendienstes (BND) und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in
Bagram befragt (FAZ-Sonntagszeitung vom 10. Oktober 2010).

S. war im Frühjahr 2009 zusammen mit mehreren anderen Personen aus der
Bundesrepublik Deutschland nach Pakistan ausgereist (WELT am SONNTAG
vom 6. Februar 2011). Zu diesem Zeitpunkt wurden über ihn bereits seit mehre-
ren Jahren durch deutsche Behörden personenbezogene Daten unter anderem
wegen seiner Kontakte zur „radikal islamistischen Szene in Hamburg“ erhoben
(vgl. WELT am SONNTAG vom 6. Februar 2011; stern vom 7. Oktober 2010).
Telefongespräche, die er nach seiner Ausreise mit Verwandten in der Bundes-
republik Deutschland geführt hat, wurden aufgezeichnet und abgehört (stern
vom 7. Oktober 2010). Im Herbst 2009 hat die Bundesanwaltschaft ein Ermitt-
lungsverfahren gegen S. eröffnet, inzwischen besteht ein Haftbefehl gegen ihn
(WELT am SONNTAG vom 6. Februar 2011).

Das US-amerikanische Militärgefängnis in Bagram ist aufgrund „harter Verhör-
methoden“ und Schlafentzug bekannt geworden (The New York Times vom
13. September 2009). Anders als in Guantanamo haben die Gefangenen in
Bagram regelmäßig keinen Zugang zu Anwälten (The New York Times a. a. O.).
In der Vergangenheit hatten die Gefangenen nicht einmal das Recht zu erfahren,
was ihnen vorgeworfen wird (The New York Times a. a. O.).

Ende Januar 2011 wurde ein weiterer Deutscher, der kurzfristig in Bagram in-
haftiert war, nach einem Gespräch zwischen dem Bundesminister des Auswärti-

gen Dr. Guido Westerwelle und seiner US-Kollegin Hillary Clinton freigelassen
(taz vom 31. Januar 2011).

Drucksache 17/5074 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, warum die USA den
deutschen Staatsbürger S. seit mehr als sechs Monaten in Bagram inhaftiert
haben?

2. Ist der Bundesregierung bekannt, wie lange die USA noch beabsichtigen, S.
in Haft, und insbesondere in Bagram, zu belassen?

3. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, um eine Überstel-
lung von S. nach Deutschland zu erwirken?

Hat insbesondere der Bundesminister des Auswärtigen auch im Fall S. mit
seiner US-Kollegin Hillary Clinton telefoniert, und wenn ja, was war Inhalt
dieses Gespräches?

Wenn nein, warum nicht?

4. Auf welche Straftaten bezieht sich der Haftbefehl der Bundesanwaltschaft
gegen S.?

5. Haben deutsche Stellen (z. B. Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst,
Bundesamt für Verfassungsschutz oder Landesverfassungsschutzämter) zeit-
lich vor der Verhaftung von S. Informationen über ihn an ausländische (ins-
besondere US-amerikanische) oder internationale Stellen weitergegeben?

Wenn ja:

a) Welche Stellen genau haben die Informationen weitergegeben?

b) An welche Stellen genau wurden die Informationen weitergegeben?

c) Welche Stellen genau haben diese Informationen generiert?

d) Ist die Informationsweitergabe nach Kenntnis der Bundesregierung kausal
für die Verhaftung von S. geworden?

6. Welche Art des Zugangs hat die Bundesregierung zu S.?

Wenn kein vollwertiger konsularischer Zugang gemäß Artikel 36 des Wiener
Übereinkommens über konsularische Beziehungen besteht:

a) Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, um vollwertigen
konsularischen Zugang zu S. zu erhalten?

b) Sieht die Bundesregierung in der Versagung eines vollwertigen konsulari-
schen Zugangs einen Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über
konsularische Beziehungen (bitte begründen)?

c) Erwägt die Bundesregierung rechtliche Schritte einzuleiten, um eine voll-
wertige konsularische Betreuung von S. zu ermöglichen?

d) Ist es aus Sicht der Bundesregierung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen
vereinbar, einen im Ausland inhaftierten deutschen Staatsangehörigen
durch Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz be-
fragen zu lassen, solange der Bundesrepublik Deutschland konsularischer
Zugang zu ebendiesem deutschen Staatsgehörigen versagt wird (bitte be-
gründen)?

7. Welche deutschen Behörden haben S. in Bagram bislang befragt?

Wann genau haben diese Befragungen jeweils stattgefunden?

8. Besitzt die Bundesregierung Informationen darüber, ob S. in Bagram oder im
Laufe seiner Festnahme und Verbringung gefoltert wurde, bzw. welchen Ver-
hörmethoden S. in Bagram ausgesetzt war?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5074

Hat S. während seiner Befragung durch deutsche Behörden in Bagram von
Folter oder folterähnlichen Methoden in Bagram bzw. im Laufe seiner Fest-
nahme und Verbringung berichtet?

9. Hat S. Zugang zu einem Anwalt?

10. Sind S. die Gründe seiner Inhaftierung mitgeteilt worden?

11. Liegen der Bundesregierung Protokolle, Vermerke oder sonstige Informa-
tionen über den Inhalt der Verhöre von S. durch US-amerikanische Stellen
vor?

12. Liegen der Bundesregierung Protokolle, Vermerke oder sonstige Informa-
tionen über den Inhalt der Befragungen von S. durch deutsche Behörden
vor?

13. Bestehen Widersprüche zwischen den Aussagen von S. gegenüber US-ame-
rikanischen Stellen und den Aussagen von S. gegenüber deutschen Behör-
den?

Bestehen Widersprüche zwischen den Aussagen von S. gegenüber verschie-
denen deutschen Behörden?

Wenn ja, wie erklärt sich die Bundesregierung diese Widersprüche?

14. Wie wird innerhalb des Verantwortungsbereiches der Bundesregierung mit
Informationen verfahren, bei denen der Verdacht bzw. die sichere Kenntnis
besteht, dass diese durch Folter erlangt wurden?

a) Werden diese Informationen sofort gelöscht?

b) Werden diese Informationen für Zwecke der Nachrichtendienste verwen-
det, und insbesondere auch von den zuständigen Behörden an andere
Stellen weitergegeben?

c) Werden diese Informationen für Zwecke der polizeilichen Gefahrenab-
wehr verwendet, und insbesondere auch von den zuständigen Behörden
an andere Stellen weitergegeben?

d) Werden diese Informationen für Zwecke der Strafverfolgung verwendet,
und insbesondere auch von den zuständigen Behörden an andere Stellen
weitergegeben?

15. Haben deutsche Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung versucht, die
Ausreise von S. aus der Bundesrepublik Deutschland nach Pakistan zu un-
terbinden?

Wenn nein, warum nicht?

16. Was ist der Bundesregierung über den Verbleib der zusammen mit S. aus der
Bundesrepublik Deutschland nach Pakistan ausgereisten Personen bekannt?

a) Welche Staatsangehörigkeit besitzen diese Personen?

b) Welchen konkreten Aufenthaltsstatus haben diese Personen?

c) Wird gegen eine oder mehrere Personen staatsanwaltschaftlich ermittelt,
und wenn ja, besteht ein Haftbefehl gegen eine oder mehrere dieser Per-
sonen?

Wenn ja, auf welche Straftatbestände werden die Ermittlungen bzw.
Haftbefehle jeweils gestützt?

d) Haben deutsche Stellen über eine oder mehrere dieser Personen Informa-
tionen an ausländische (insbesondere US-amerikanische) oder interna-
tionale Stellen weitergegeben?

Drucksache 17/5074 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
e) Hat die Bundesregierung Maßnahmen ergriffen, um eine Tötung dieser
Personen durch US-amerikanische Drohnen zu verhindern, und wenn
nein, warum nicht?

Berlin, den 16. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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