BT-Drucksache 17/5055

Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken

Vom 16. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5055
17. Wahlperiode 16. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Frank Tempel, Jan Korte, Dr. Dagmar
Enkelmann, Petra Pau, Jens Petermann, Halina Wawzyniak und der Fraktion
DIE LINKE.

Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Anwendung von Pfefferspray durch Polizeibeamtinnen und Polizei-
beamte als Mittel zur Ausübung unmittelbaren Zwangs ist mit gravierenden
und zugleich schwer abschätzbaren gesundheitlichen Risiken für die betrof-
fenen Personen verbunden. Empirische Studien wie auch die Fachliteratur
weisen zunehmend darauf hin, dass die Anwendung von Pfefferspray bzw.
chemischen Substituten in einer Reihe von Fällen mitursächlich für den Tod
von Menschen war. Eine erhöhte Gefahr besteht insbesondere bei gesund-
heitlich vorbelasteten Menschen sowie bei Personen, die unter dem Einfluss
von Beruhigungsmitteln oder Drogen stehen.

2. Auch in Deutschland sind bereits mehrere Todesfälle nach Pfefferspray-Ein-
wirkung dokumentiert. Zuletzt kam am 23. Juni 2010 ein 32-jähriger Mann
in Dortmund zu Tode, nachdem er dem Reizstoff ausgesetzt war.

3. Generell birgt jede Anwendung dieses Mittels das Risiko eines tödlichen
Ausgangs. Das gilt für Demonstrationen und Ansammlungen von Fußball-
fans genauso wie für den Einsatz gegen randalierende Einzelpersonen. In
aller Regel hat die Polizei keine Kenntnisse über den Gesundheitszustand der
fraglichen Personen, genausowenig weiß sie, ob diese Medikamente oder
Drogen genommen haben.

4. Polizeiliches Handeln, insbesondere die Anwendung unmittelbaren Zwangs,
muss sich ausnahmslos am Verhältnismäßigkeitsgebot orientieren. Ein durch
eine Maßnahme des unmittelbaren Zwanges zu erwartender Schaden darf
nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.

5. Verschiedenen Berichten zufolge hat die Anwendung von Pfefferspray durch
Polizeivollzugskräfte in der Vergangenheit zugenommen. Ein Einsatz am
30. September 2010 gegen Demonstrantinnen und Demonstranten, die gegen
das Bauprojekt „Stuttgart 21“ protestierten, führte zu über 100 Verletzten.

Beim jüngsten Castor-Transport hat allein die Bundespolizei nach dem Ein-
satz einen Ersatzbedarf von 2 190 Sprühgeräten angezeigt. Eine solch exten-
sive Anwendung eines Mittels, das regelmäßig zu Körperverletzungen führt
und potentiell tödliche Folgen hat, ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot
nicht zu vereinbaren.

Drucksache 17/5055 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzent-
wurf vorzulegen, der

1. den Einsatz von Pfefferspray bzw. Reizmitteln mit den Wirkstoffen Capsaicin
sowie Pelargonsäure-Vanillylamid (PAVA) gegen Menschen durch Vollzugs-
beamtinnen und Vollzugsbeamte des Bundes ausschließt, wenn unbeteiligte
Dritte gefährdet werden könnten;

2. den Einsatz von Pfefferspray durch Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamte
des Bundes gegen Menschen, die sich in Ansammlungen (etwa Demonstra-
tionen oder Gruppen von Fußballfans) befinden, ausschließt. Ebenso ist das
Mitführen von Pfefferspray-Sprühgeräten bei Einsätzen anlässlich größerer
Menschenansammlungen auszuschließen;

3. den Einsatz von Pfefferspray durch Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamte
des Bundes ausschließt, sofern er nicht der Abwendung einer unmittelbar be-
vorstehenden Gefahr für Leib und Leben der Vollstreckungsbeamtinnen und
Vollstreckungsbeamten oder Dritter dient und

4. die Einsatzvorschriften bezüglich der Verwendung von Pfefferspray entspre-
chend den Vorschriften des Schusswaffengebrauches ausgestaltet. Dabei ist
sicherzustellen, dass jede Anwendung dokumentiert und im Nachhinein auf
ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung außerdem auf,

sich im Rahmen der Innenministerkonferenz dafür einzusetzen, dass die oben
genannten Grundsätze Eingang in die Landespolizeigesetze finden und einst-
weilen zu prüfen, ob und wie der Einsatz von Pfefferspray durch ein Bundes-
gesetz so eingeschränkt werden kann, dass die genannten Beschränkungen auch
für die Polizeien der Länder gelten.

Berlin, den 16. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Bei gesunden Menschen können schwer wiegende Langzeitfolgen aufgrund von
Kontakt mit dem Wirkstoff des Pfeffersprays weitgehend ausgeschlossen wer-
den. Als Folge des harten Sprühstrahls, der von den Reizstoffsprühgeräten er-
zeugt wird, sind allerdings auch Verletzungen der Netzhaut dokumentiert. Für
gesundheitlich vorbelastete Personen kann jedoch der Reizstoff an sich eine Ge-
fahr darstellen. Insbesondere Asthmatikerinnen und Asthmatiker, Allergikerin-
nen und Allergiker und Menschen mit labilem Blutdruck sind gefährdet. Das
Gleiche gilt für Personen, die zum Zeitpunkt des Pfefferspraykontakts unter
Einfluss von Drogen oder Psychopharmaka stehen, wobei insbesondere eine
Verbindung von Pfefferspray und Kokain das Gesundheitsrisiko erheblich zu er-
höhen scheint. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung ACLU (American
Civil Liberties Union) hat bereits in den 90er-Jahren festgestellt, dass 26 Men-
schen in den USA nach Pfefferspray-Einsätzen gestorben sind. Die Betroffenen
standen alle unter Drogeneinfluss bzw. wurden wegen psychischer Erkrankun-
gen mit Medikamenten behandelt. Das US-Justizministerium kam in einer eige-
nen Studie zu weniger drastischen Ergebnissen, schlussfolgerte aber trotz stark

eingegrenzter Bewertungskriterien, dass in mindestens zwei von 63 untersuchten
Fällen „Pfefferspray den Tod mit verursacht habe“ (DER SPIEGEL, 53/2009).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5055

Hierbei seien Bronchialinfekte mit entscheidend gewesen. Die Wirkstoffe kön-
nen demnach zu unkontrollierten Hustenanfällen und Atemnot führen.

In Deutschland ereigneten sich im Jahr 2009 mindestens drei Todesfälle nach
einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray, im Jahr 2010 ein weiterer.

Zu den typischen Symptomen beim Einsatz von Pfefferspray gehören Augenrei-
zungen, vorübergehende Blindheit, Atembeschwerden und Schockzustände.
Die Herstellerfirmen der Reizmittel selbst weisen darauf hin, dass insbesondere
bei Augenkontakt sowie beim Einatmen und Verschlucken von Pfefferspray
Erste-Hilfe-Maßnahmen und das Aufsuchen einer Fachärztin oder eines Fach-
arztes notwendig sind. Eine angemessene Betreuung ist bei der Mehrzahl der
Pfefferspray-Einsätze, zumal bei Demonstrationen und Fußballspielen, jedoch
gar nicht möglich. Ohnehin ist bei einem Reizstoffeinsatz gegen Menschen-
mengen immer zu befürchten, dass auch Unbeteiligte zu Schaden kommen.
Auch die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten selbst können durch das von
ihnen oder ihren Kolleginnen und Kollegen eingesetzte Pfefferspray beeinträch-
tigt werden.

Die derzeitige Verwendung von Pfefferspray beruht auf der Technischen Richt-
linie Reizstoff-Sprühgeräte mit Oleoresin Capsicum (OC) oder Palargonsäure-
Vanillylamid (PAVA) vom November 2008. „Für die Verwendung werden die
Einhaltung des Chemikalien- und des Abfallrechts, sowie von Verordnungen
zum Umgang mit Gefahrenstoffen und zum Schutz der Ozonschicht beschrie-
ben“, heißt es in einem Gutachten der Abgeordneten Karin Binder (DIE LINKE.)
von November 2010. Eine gesundheitliche Risikobewertung des Pfeffersprays
sei „hingegen nicht Gegenstand der Verwendungsentscheidung“, so das Gutach-
ten weiter. Der Einsatz von Pfefferspray erfolgt demnach ohne medizinische
bzw. toxische Beurteilung der Wirkstoffe. Belastbare Studien zur Unbedenklich-
keit von Pfefferspray liegen nicht vor.

Aus den aufgezeigten Gesundheitsgefährdungen ergibt sich ein unvereinbarer
Widerspruch mit der Bindung polizeilicher Einsatzmaßnahmen an den Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht auch
deswegen, weil es in der jüngsten Vergangenheit – teilweise auch unter dem Vor-
wand des Eigenschutzes – wiederholt zu sehr extensiven Anwendungen von
Pfefferspray gegen größere Menschenmengen kam. So anlässlich einer De-
monstration gegen das Bauvorhaben „Stuttgart 21“ am 30. September 2010
sowie bei den Protesten gegen den Castor-Transport Anfang November 2010 im
Wendland. Insgesamt gab es Hunderte von Verletzten; in der Regel trugen die
Betroffenen Verletzungen an den Augen davon. Auch Pfefferspray-Einsätze ge-
gen größere Menschenmengen am Rande von Fußballspielen werden zahlreich
dokumentiert. Bei solchen Einsätzen geht es in der Regel nicht um die Abwehr
akuter Lebensbedrohungen, sondern um die Disziplinierung von Menschenmas-
sen. Selbst wenn man der Meinung wäre, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
der Proteste in Stuttgart und im Wendland hätten Rechtsverletzungen begangen,
so kann die Beendigung einer Versammlung, einer Sitzblockade oder auch einer
„Schottern“-Aktion kein Anlass sein, der den extensiven Einsatz von Pfeffer-
spray und damit die Inkaufnahme eines Todesrisikos für die betroffenen De-
monstrantinnen und Demonstranten rechtfertigt. Die ungehinderte Durchfüh-
rung von Bauvorhaben oder die rasche Durchführung eines Atomtransportes
wiegen längst nicht so schwer wie das Leben von Menschen, so dass die Polizei
hier unbedingt zu weniger gefährlichen Mitteln greifen muss. Auch beim Ein-
satz gegen andere größere Ansammlungen von Menschen, wie etwa Fußballfans
oder Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher, kann eine Gefährdung Unbe-
teiligter praktisch nie ausgeschlossen werden – was angesichts der damit ver-
bundenen Gefahr für diese Unbeteiligten gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot

verstoßen würde.

Drucksache 17/5055 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Auch bei Einsätzen gegen Einzelpersonen muss die Anwendung von Pfeffer-
spray wesentlich restriktiver als bislang gehandhabt werden. Ein Einsatz gegen
„Randalierer“ und „Randaliererinnen“ zum Zwecke der Disziplinierung wäre
unverhältnismäßig. Es kann nie ausgeschlossen werden, dass die Personen unter
Drogen- oder Medikamenteneinfluss stehen oder es sich um Asthmatikerinnen
und Asthmatiker, Allergikerinnen und Allergiker oder andere gefährdete Men-
schen handelt. Der Zweck der bloßen Beseitigung einer Störung kann es nicht
rechtfertigen, das Leben eines Menschen zu gefährden. Sofern es nicht um die
Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib und Leben geht,
muss daher jeder Einsatz von Pfefferspray ausgeschlossen werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.