BT-Drucksache 17/501

Die Alterssicherungsstrategie der Bundesregierung nach der Bestandsaufnahme der Riester-Renten

Vom 22. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/501
17. Wahlperiode 22. 01. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Caren Lay, Klaus Ernst, Karin Binder,
Heidrun Dittrich, Diana Golze, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Die Alterssicherungsstrategie der Bundesregierung nach der Bestandsaufnahme
der Riester-Renten

In der deutschen Alterssicherungspolitik wurde in den 2000er Jahren ein Para-
digmenwechsel vollzogen: Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
wurden gedeckelt und eine langfristig wirksame deutliche Absenkung des Leis-
tungsniveaus wurde beschlossen. Die entstehende Lücke in der Alterssicherung
sollen die Bürgerinnen und Bürger über zusätzliche private und betriebliche Vor-
sorge schließen.

Der Staat bezuschusst die staatlich geförderte Altersvorsorge – besser bekannt
als Riester-Rente – über Zulagen und Steuerfreibeträge jährlich mit weit über
2 Mrd. Euro. Seit der Einführung 2001 sind bis Mai 2009 allein für die Zulagen
insgesamt 5,3 Mrd. Euro geflossen (vgl. Pressemitteilung des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales vom 10. Juni 2009).

Wie immer, wenn staatliche Fördermittel fließen, hat der Staat eine besondere
Verantwortung dafür, dass die Gelder ihrer Zweckbestimmung dienen und effi-
zient eingesetzt werden. Da die Erträge aus Riester-Verträgen die politisch ge-
wollte Rentenlücke schließen sollen, hat der Staat in besonderem Maße eine Ver-
antwortung dafür, dass die Gelder dem intendierten Zweck der Steigerung des
Alterseinkommens der Sparerinnen und Sparer und nicht den Profiten der Versi-
cherungswirtschaft zugute kommen.

Ein Gutachten im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (Oehler,
Andreas, 2009: Alles „Riester“? Die Umsetzung der Förderidee in der Praxis)
wirft erhebliche Zweifel daran auf, dass dies bei Riester-Renten der Fall ist. Es
zeigt zudem, dass der Markt für diese Produkte in hohem Maße intransparent und
unkontrolliert ist. Das Gutachten unterstützt damit berechtigte Zweifel an der Ef-
fizienz der Riester-Renten und der Tragfähigkeit einer Alterssicherungsstrategie,
die darauf setzt, dass die Bürgerinnen und Bürger die Absenkung des gesetz-
lichen Rentenniveaus durch staatlich geförderte private Vorsorge kompensieren
können.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viel hat der Staat seit Einführung der staatlich geförderten Alterssiche-
rung insgesamt sowie jährlich für Zulagen ausgegeben?

2. Wie hoch beziffern sich die Steuermindereinnahmen, die sich aus der staat-
lichen Förderung privater Altersvorsorge ergeben, seit Einführung der staat-
lich geförderten Alterssicherung insgesamt sowie jährlich?

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3. Wie hoch sind damit die Mittel, die der Staat in Form von Zulagen und steu-
erlichen Vorteilen zur Förderung der privaten Alterssicherung aufwendet
insgesamt sowie jährlich seit ihrer Einführung?

4. Wie hoch sind die staatlichen Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, insbeson-
dere die Bewerbung der Riester-Rente, der Basisrente sowie des Programms
„Altersvorsorge macht Schule“, insgesamt seit Einführung der staatlich ge-
förderten Altersvorsorge sowie jährlich?

Wie hoch ist die Summe, die aus Mitteln der Deutschen Rentenversicherung
Bund in die Bewerbung der staatlich geförderten Altersvorsorge fließt?

5. Stimmt die Bundesregierung zu, dass der Staat eine besondere Verantwor-
tung hat, dass Steuergelder effizient eingesetzt werden und ihrer Zielbestim-
mung zugute kommen?

Wenn nein, warum nicht?

6. Stimmt die Bundesregierung zu, dass der Staat eine besondere Verantwor-
tung hat, dass von ihm geförderte Altersvorsorgeprodukte effizient verwaltet
und bewirtschaftet werden, so dass ein möglichst hoher Anteil der eingezahl-
ten Gelder dem Zweck der Altersvorsorge zugute kommt?

Wenn nein, warum nicht?

7. Müssten nach Auffassung der Bundesregierung nicht Altersvorsorgepro-
dukte mit staatlicher Förderung, die alle Steuerzahlerinnen und -zahler be-
zahlen, besonders kostengünstig, leicht verständlich und transparent sein?

Wenn ja, warum legt die Bundesregierung andere Maßstäbe an?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kostenstrukturen und
Effizienz von staatlich geförderten und nicht staatlich geförderten Altersvor-
sorgeprodukten, und wie stellen sich diese im Vergleich dar?

9. Kann die Bundesregierung bestätigen oder widerlegen, dass bei manchen
staatlich geförderten Produkten die Kosten höher sind als bei Produkten
ohne Förderung (so z. B. bei Aufschlägen auf einige Fonds), wie es Prof. Dr.
Andreas Oehler in seinem Gutachten für den Verbraucherzentrale Bundes-
verband festgestellt hat und „ÖKO-TEST“ in einem Vorabbericht zu seinem
Sonderheft zur Riester-Rente, das im Januar 2010 erscheinen wird, berichtet?

10. Ist der Bundesregierung bekannt, dass „Finanztest“ in seiner Ausgabe vom
November 2009 schrieb: „Auch bei den Zulagen halten die Gesellschaften
die Hand auf. Einige sind nachgerade unverschämt“ (Finanztest 11/2009,
S. 20), und welche Schlüsse zieht sie daraus?

11. Würde die Bundesregierung zustimmen, dass die Anreizwirkung zu zusätz-
licher privater Altersvorsorge verpufft, wenn die Verwaltungskosten der
Vorsorgeprodukte die staatlichen Zulagen verzehren?

Wenn nein, warum sieht sie dennoch eine Anreizwirkung gegeben?

12. Würde die Bundesregierung zustimmen, dass dort, wo die Zulagen zur staat-
lich geförderten Altersvorsorge durch die Produktkosten aufgezehrt werden,
die eingesetzten Steuermittel nicht der Mehrung der Altersvorsorge der Spa-
rerinnen und Sparer, sondern den Anbietern der Produkte zugute kommen,
und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesem Umstand?

13. Wie hoch ist derzeit der Anteil der Personen, die staatlich geförderte Alters-
vorsorge betreiben, an allen Förderberechtigten, und wie bewertet die Bun-
desregierung diese Quote vor dem Hintergrund, dass alle Förderberechtigten
von der Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus betroffen sind?

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14. Wie viel Prozent der Personen, die einen Riester-Vertrag abgeschlossen ha-
ben, erhalten nicht die volle staatliche Zulage, und wie bewertet die Bundes-
regierung diese Zahl vor dem Hintergrund, dass die erworbenen Anwart-
schaften aus der staatlich geförderten Altersvorsorge bei diesen Personen in
der Ruhestandsphase sehr wahrscheinlich nicht ausreichen dürften, um die
Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus zu kompensieren?

15. In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2002 bis 2009 die Zulagen nicht
abgerufen, wie hoch ist das finanzielle Volumen für beide Förderkriterien,
und was ist der Bundesregierung zu den Hintergründen für das Nichtabrufen
der Förderung bekannt?

16. Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Verteilung von
staatlich geförderten Alterssicherungsverträgen nach Einkommen, Beruf,
Bildungsstand, Geschlecht sowie Ost und West sowie deren Entwicklung?

17. Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, ob die Beantra-
gung bzw. Nichtbeantragung der Zulagen nach Einkommen, Beruf, Bil-
dungsstand, Geschlecht sowie Ost und West variiert?

18. Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, ob und wie der
Umstand, dass Riester-Sparerinnen bzw. -Sparer nicht die volle Zulage er-
halten, weil sie nicht den dazu nötigen Eigenbeitrag leisten, nach Einkom-
men, Beruf, Bildungsstand, Geschlecht sowie Ost und West variiert?

Ist der Bundesregierung etwas zu den Motiven bekannt, warum Riester-Spa-
rerinnen bzw. -Sparer nicht den für die volle Zulage nötigen Eigenbeitrag
leisten?

19. Sind der Bundesregierung die Ergebnisse des Mannheim Research Institute
for the Economics of Aging (Börsch-Supan, Axel/Reil-Held, Anette/
Schunk, Daniel, 2006: Das Sparverhalten deutscher Haushalte: Erste Erfah-
rungen mit der Riester-Rente, MEA-Discussion Paper 114-2006) bekannt,
nach denen Riester-Renten mit Einkommen korrelieren und im untersten
Einkommensbereich deutlich geringer vertreten sind als in den mittleren und
höheren Einkommensbereichen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie
daraus?

20. Wie steht die Bundesregierung zu dem Befund des MEA (ebenda, S. 65),
dass Daten, nach denen zwei Drittel der Zulagenempfänger ein Arbeitsein-
kommen haben, das unter dem Durchschnittsverdienst liegt (vgl. Stolz, U./
Rieckhoff, C., 2006: Zulagenzahlungen der zentralen Zulagestelle für Alters-
vermögen – Auswertungen für das Beitragsjahr 2003, in: RVaktuell 08/06,
S. 306 bis 313) und auf die sich die Bundesregierung regelmäßig bezieht,
verzerrt sein könnten, weil die in der Einzelbetrachtung der Zulagenstatistik
als Bezieher niedriger Einkommen identifizierten Personen (z. B. Frauen
mit einem Teilzeitverdienst) im Haushaltskontext tatsächlich über ein höhe-
res Einkommen bzw. weitere Einkommensquellen verfügen?

21. Kann die Bundesregierung diese These entkräften, bzw. durch welche Argu-
mente untermauert sie – empirisch stichhaltig – ihre Behauptung, vor allem
Geringverdienende würden von der Riester-Rente profitieren (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 16/9243), gerade auch unter Berücksichtigung des Haus-
haltskontexts?

22. Wie viele Riester-Sparerinnen und -Sparer haben in den Jahren 2002 bis
2009 ihre Verträge gekündigt, und was ist der Bundesregierung zu den Moti-
ven hierfür bekannt?

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23. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihres Leit-
bilds des „gut informierte[n] und zu selbstbestimmtem Handeln befähigte[n]
und mündige[n] Verbraucher[s]“ (Antwort der Bundesregierung auf Frage 17
der Abgeordneten Caren Lay in der Fragestunde des Deutschen Bundestages
am 16. Dezember 2009, Plenarprotokoll 17/11, S. 872 A) aus dem Ergebnis
des Gutachtens von Prof. Dr. Andreas Oehler im Auftrag des Verbraucher-
zentrale Bundesverbands, dass selbst bei einer gewissen Informationsmün-
digkeit und Einholung von Vorinformationen deutliche Barrieren erkennbar
sind, eine Teilhabe am Wettbewerb überhaupt zu leisten (vgl. Zusammen-
fassung des Gutachtens, S. 6)?

24. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen
des genannten Gutachtens, dass knapp die Hälfte der untersuchten Anbieter
keine Kostentransparenz bietet, obwohl gesetzlich vorgeschrieben, und 30
bis 40 Prozent der untersuchten Angebote einen oder mehrere zentrale Män-
gel aufweisen (vgl. Zusammenfassung des Gutachtens, S. 7)?

25. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Kontrast
dieser Ergebnisse zu der von ihr getroffenen Aussage, dass „[a]uf der Grund-
lage der bestehenden Informationsverpflichtungen […] die Verbraucher in
der Lage [sind], die einzelnen Riester-Produkte zu vergleichen und die für sie
passenden Angebote zu erkennen.“ (Bundestagsdrucksache 16/10501, S. 6)?

26. Wie steht die Bundesregierung zu der Auffassung des Verfassers des Gut-
achtens, dass man bezüglich des Abschlusses eines geeigneten und kosten-
günstigen Riester-Vertrages „nicht von Entscheidungen in einem wettbe-
werblichen Umfeld der sozialen Marktwirtschaft sprechen [sollte], sondern
eher von einer Lotterie“ (vgl. Zusammenfassung des Gutachtens, S. 6, 7),
und wie steht diese Problematik ihrer Ansicht nach im Verhältnis zur staat-
lichen Förderidee?

27. Wie steht die Bundesregierung zur der Problematik, dass Beratung über
Altersvorsorgeprodukte häufig provisions- bzw. honorargesteuert erfolgt
und eine unabhängige Aufklärung und Beratung für die Verbraucherinnen
und Verbraucher nur schwer zu erlangen ist, und wie will sie dieser begeg-
nen?

28. Welche Notwendigkeit sieht die Bundesregierung, dass Altersvorsorgever-
träge-Zertifizierungsgesetz so auszugestalten, dass im Rahmen der Zertifi-
zierung nicht nur die Förderfähigkeit von Produkten geprüft wird, sondern
auch qualitative Maßstäbe hinsichtlich Kostentransparenz und effizienter
Bewirtschaftung der Produkte angelegt werden?

29. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung, die Kontrolle des
Marktes für staatlich geförderte Altersvorsorgeprodukte zu verbessern?

30. Mit welcher Begründung hat der Finanzausschuss des Deutschen Bundes-
tages im November 2008 das Bundesministerium der Finanzen bewegt, ein
wissenschaftliches Gutachten zur „Transparenz von privaten Riester- und
Basisrentenprodukten“ in Auftrag zu geben, von wem wird dieses erstellt,
und in welche politischen Entscheidungsprozesse soll es einfließen?

31. Wo sieht die Bundesregierung bei der Regulierung des Marktes für private
Alterssicherung und insbesondere von staatlich geförderten Altersvorsor-
geprodukten Handlungsbedarf, und wann und in welcher Form will sie
diesen angehen?

Berlin, den 11. Januar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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