BT-Drucksache 17/4664

Arbeit für Demokratie und Menschenrechte braucht Vertrauen - Keine Verdachtskultur in die Projekte gegen Rechtsextremismus tragen

Vom 8. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4664
17. Wahlperiode 08. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Sevim Dag˘delen, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Petra Pau, Jens Petermann, Yvonne Ploetz, Raju Sharma,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Arbeit für Demokratie und Menschenrechte braucht Vertrauen – Keine
Verdachtskultur in die Projekte gegen Rechtsextremismus tragen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die über die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus finanzierten Pro-
jekte haben in den letzten zehn Jahren eine unverzichtbare, demokratiestär-
kende Arbeit geleistet, die es zu fördern und auszubauen gilt. Insbesondere der
zivilgesellschaftliche Ansatz der Vorläuferprogramme „Civitas“, „Entimon“,
„Xenos“ usw. hat zu einer Stärkung demokratischen Engagements und zu einer
verstärkten Partizipation von Menschen in zahlreichen Regionen des Landes
geführt. Die Projekte und ihre Partnerinnen und Partner haben damit aktiv zur
Ausweitung demokratischer Strukturen und zur Zurückdrängung des Rechts-
extremismus beigetragen.

Vor diesem Hintergrund bleibt es dem Bundestag unverständlich, warum sei-
tens der Bundesregierung von den Projekten jetzt die Unterschrift unter eine
Erklärung verlangt wird, mit der diese nicht nur ihre Verfassungstreue ver-
sichern, sondern auch ihre sämtlichen Partner daraufhin überprüfen sollen, ob
diese nicht „extremistischen Strukturen“ zuzurechnen seien. Die so von Seiten
des Bundesministeriums initiierte Verdachtskultur führt zu einer großen Ver-
unsicherung der Projekte und schwächt die Arbeit gegen den Rechtsextremismus
vor Ort, die auf gemeinsamen demokratischen Überzeugungen ebenso wie auf
Vertrauen beruht.

Der Bundestag nimmt die zahlreichen Einwände und Kritiken gegen die von der
Bundesregierung vorgelegte „Extremismuserklärung“ sehr ernst. So hält eine
Mehrheit des Beirats des Bündnisses für Demokratie und Toleranz (BfDT) die
vom Bundesministerium eigens für dieses Förderprogramm entworfene
Erklärung „nicht für praktikabel, für rechtlich sehr bedenklich und nicht für ziel-
fördernd.“ Und weiter befürchtet das BfDT, die von der Bundesregierung vorge-

sehene Überprüfung der Partner der Zuwendungsempfänger sei geeignet, „das
Klima zu vergiften und der gemeinsamen Sache zu schaden.“ Auch die SPD-
Politikerin und ehemalige Bundespräsidentschaftskandidatin Prof. Dr. Gesine
Schwan hat sich öffentlich zu diesem Vorhaben geäußert und sieht darin ein Mit-
tel, mit dem ein „Vorabverdacht und eine Schnüffelmentalität“ gegen demo-
kratisch engagierte Projekte und ihre Mitstreiter initiiert würden. Zahlreiche
weitere Initiativen, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben kritisch zu

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dieser „Extremismuserklärung“ Stellung genommen und es gibt das juristische
Gutachten von Prof. Ulrich Battis, welches klare rechtliche Einwände gegen die
Erklärung formuliert.

Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung mit dem „Radikalenerlass“
aus den 70er-Jahren sieht der Bundestag mit großer Besorgnis eine Entwick-
lung, in der wiederum mit dem Mittel der Kriminalisierung auf den politischen
Meinungsstreit einzuwirken versucht wird. Diese Form des Meinungsstreites
ist für eine demokratische und freiheitliche Gesellschaft nicht angemessen.
Noch viel weniger ist sie geeignet, auf dem Rücken von Projekten ausgetragen
zu werden, die eine wichtige Arbeit zur Ausweitung und Vertiefung demokrati-
scher Strukturen leisten und sich gegen diejenigen wenden, die mit ihrer rechts-
extremen Ideologie gegen diese demokratischen Werte stehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

auf die von den Projekten verlangte Bestätigungserklärung im Rahmen des
Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ ersatzlos zu ver-
zichten und sie nicht zu einer Voraussetzung für die Förderung zu machen.

Berlin, den 8. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Extremismusansatz, wie er von Seiten der Bundesregierung verstärkt ver-
treten und jetzt auch zur Grundlage der Arbeit der Bundesprogramme gegen
Rechtsextremismus gemacht wird, ist ein untaugliches Instrument zur Abwehr
demokratiegefährdender Entwicklungen. Suggeriert wird eine scheinbar klare
Trennung von Extremisten und politischer Mitte, die jedoch den Realitäten nicht
gerecht wird. Die wissenschaftlichen Untersuchungen von Wilhelm Heitmeyer
u. a. (Deutsche Zustände), Oliver Decker u. a. (Die Mitte in der Krise) und zahl-
reicher weiterer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zeigen, dass mit dem
Extremismusansatz keine adäquate Erklärung z. B. eines grassierenden Rechts-
extremismus in unterschiedlichen sozialen Milieus bis hin zu Selbständigen und
Akademikerinnen und Akademikern geleistet werden kann. Dennoch wird von
Seiten der Bundesregierung dieser höchst umstrittene Ansatz jetzt auch zur
Grundlage der Arbeit gegen Rechtsextremismus gemacht. Mittels des Extremis-
musparadigmas werden ein Verdacht und zum Teil eine Stigmatisierung gegen
Initiativen und Gruppen gefördert, die seit vielen Jahren verlässliche und enga-
gierte Partner in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sind.

Zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass Initiativen
und Vereine völlig unbegründet mit einem Extremismusverdacht belegt wurden,
ohne dass es dafür gerichtsfeste Anhaltspunkte gab. Umgekehrt konnte das zu-
ständige Bundesministerium auf Anfrage (vgl. Bundestagsdrucksache 17/4269)
keinen Träger benennen, der Zuwendungen erhielt und gegen das Grundgesetz
verstieß. Eine solche Form der willkürlichen politischen Stigmatisierung stellt
die Projekte aus den Bundesprogrammen vor große Probleme und schwächt ihre
Arbeit, gibt es für sie doch keine verlässlichen und überprüfbaren Kriterien, mit
wem eine Zusammenarbeit unter den Vorzeichen der verlangten Extremismus-
erklärung möglich ist.

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