BT-Drucksache 17/4489

Krankenhausinfektionen vermeiden - Tödliche und gefährliche Keime bekämpfen

Vom 20. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4489
17. Wahlperiode 20. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Inge Höger, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Kathrin Vogler und der Fraktion
DIE LINKE.

Krankenhausinfektionen vermeiden – Tödliche und gefährliche Keime bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Krankenhaus erworbene Infektionen sind die mit Abstand häufigste Form
von ernsthaften Infektionskrankheiten in Deutschland und zugleich eine der
häufigsten Todesursachen. Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für
Krankenhaushygiene sterben daran in Deutschland deutlich mehr Menschen als
an den Folgen von Verkehrsunfällen, illegalen Drogen, AIDS und Selbst-
tötungen zusammen. Im epidemiologischen Bericht der EU über Infektions-
krankheiten von 2010 wird die Zunahme von Krankenhausinfektionen als
größte Gefahr noch vor der Bedrohung durch pandemische Influenza und HIV
eingeordnet. Verlaufen die Infektionen nicht tödlich, können sie trotzdem
schwerwiegende Schädigungen an verschiedenen Organen hervorrufen. Blei-
bende Behinderungen und Amputationen können die Folge sein. Dieser Zustand
ist nicht tolerierbar, deshalb müssen dringend wirksame Maßnahmen ergriffen
werden, um diese gefährlichen Keime zu bekämpfen und Infektionen in Kran-
kenhäusern zu vermeiden.

Durch unsachgemäßen und zu häufigen Einsatz von Antibiotika entstehen ver-
mehrt Resistenzen gegen die verwendeten Wirkstoffe. Falls die üblichen Anti-
biotika nicht mehr wirksam sind, spricht man von multiresistenten Keimen. Als
der wichtigste dieser Keime gilt der Staphylococcus aureus, gegen den das
Antibiotikum Methicillin nicht mehr wirksam ist (MRSA). Aber auch andere
Bakterien spielen hier eine Rolle, zum Beispiel Extended-Spectrum-Betalak-
tamase-bildende (ESBL-)Stämme von Klebsiella, Escherichia coli und anderen
gramnegativen Bakterien. Laut Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System
hat sich die Zahl dieser Infektionen bei Intensivpatientinnen und -patienten in
Deutschland von 2003 bis 2009 verfünffacht. Insbesondere Menschen mit
schwachem Immunsystem, Kinder und Ältere sowie Menschen mit offenen
Wunden sind gefährdet.

Eine umfassende Strategie zur Bekämpfung von multiresistenten Keimen um-
fasst sowohl die Vermeidung von Resistenzbildungen als auch die Vorbeugung

und Bekämpfung von Infektionen. Deshalb muss der Kampf gegen multiresis-
tente Keime in allen Bereichen des Gesundheitssystems erfolgen. Für die
Resistenzbildung ist zu beachten, dass rund 80 Prozent der Antibiotika im Be-
reich der niedergelassenen Ärzte und nur 20 Prozent im Krankenhausbereich
eingesetzt werden. In der Infektionsbekämpfung nehmen Krankenhäuser durch
die Konzentration von Patientinnen und Patienten einen herausragenden Platz
ein. Hier können die neu aufgenommenen Patientinnen und Patienten auf eine

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Kolonisation gecheckt werden – unabhängig von Krankheitssymptomen. Aller-
dings ist die Behandlung ein langfristiger Prozess, der im Bereich der nieder-
gelassenen Ärzte weiter begleitet werden muss. Da Mitarbeitende in Kranken-
häusern auch Keime übertragen können, muss auch das Krankenhauspersonal
– im umfassenden Sinne – regelmäßig überprüft werden.

Erfahrungen aus dem Ausland weisen darauf hin, dass ein großer Teil der Infek-
tionen durch bekannte, teils einfache Maßnahmen vermeidbar ist. Wissenschaft-
liche Untersuchungen zeigen, dass diese Maßnahmen sowohl für Krankenhäuser
als auch für das Solidarsystem zu Einsparungen bzw. Minderausgaben führen
können.

In den Niederlanden werden bei der Aufnahme in das Krankenhaus effektive
Tests auf multiresistente Keime durchgeführt und Menschen mit unsicherem
Status vorerst isoliert. Patientinnen und Patienten aus Deutschland gelten in
niederländischen Kliniken immer als Risiko und werden so lange isoliert unter-
gebracht, bis ein negatives Untersuchungsergebnis auf multiresistente Keime
vorliegt.

Eine wesentliche Ursache für das hohe Niveau der Krankenhausinfektionsrate
in Deutschland ist die erhebliche Arbeitszeitverdichtung in den Krankenhäu-
sern. Den Beschäftigten fehlt häufig die Zeit, um die bekannten Richtlinien und
Empfehlungen der Fachgesellschaften einhalten zu können. Die zunehmende
Privatisierung der stationären Gesundheitsversorgung und Outsourcing erhöhen
den Druck, nicht nur wirtschaftlich, sondern profitabel arbeiten zu müssen.
Dass zunehmend geringer qualifiziertes Personal eingesetzt wird, verstärkt dar-
über hinaus das Problem.

Zu beklagen ist in den letzten Jahren ein Abbau der Zahl der Lehrstühle für
Hygiene und Umweltmedizin um über die Hälfte. Für die empfohlenen Maß-
nahmen werden damit nur ein Viertel der erforderlichen Fachkräfte ausgebildet.
Der 113. Ärztetag im Jahr 2010 bemängelte, dass damit die Wissenschaftlichkeit
des Faches Hygiene verlorenginge und die Vermittlung fachlicher Inhalte der
Hygiene in der universitären Lehre des Ärztenachwuchses insgesamt so nicht
mehr realisiert werden könne.

Auch wenn das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Mai 2010
– nach dringenden Appellen in einer Expertenanhörung zu einem Antrag der
Fraktion DIE LINKE. im Ausschuss für Gesundheit am 25. März 2009 – inner-
halb des Wettbewerbs um die „Gesundheitsregionen der Zukunft“ das For-
schungskonzept „Aktionsbündnis gegen multiresistente Keime“ aufgelegt hat,
sind dringend effektive Maßnahmen von Seiten des Bundesgesetzgebers und
der Landesgesetzgeber geboten, um Verpflichtungen und Anreize zur Senkung
von nosokomialen Infektionen zu schaffen.

Eine beim Robert Koch-Institut (RKI) angesiedelte Kommission nach § 23 Ab-
satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) hat bereits weitreichende Richtlinien
aufgestellt. Allerdings sind die Einhaltung dieser Richtlinien weder vorgeschrie-
ben noch die Nichteinhaltung mit Sanktionen belegt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

durch Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, einschlägiger Finanzierungs-
regelungen und weiterer Gesetze sowie durch eine Kooperation mit den Ländern
die hohe Zahl von Krankenhausinfektionen und daraus resultierender Krank-
heits- und Todesfälle mit der möglichst umfassenden Umsetzung der folgenden
Maßnahmen zu verringern:

1. Um den von der Kommission für Krankenhaushygiene beim RKI aufgestell-

ten Richtlinien zur flächendeckenden Umsetzung zu verhelfen, erhält das
Bundesministerium für Gesundheit den Auftrag, sich für die Schaffung bun-

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deseinheitlicher, wirksamer Sanktionen einzusetzen. Die Gesundheitsämter
überwachen weiterhin die Einhaltung der RKI-Richtlinien und verhängen
bei Verstößen diese Sanktionen.

2. Es ist grundsätzlich eine Meldepflicht für Infektionen mit multiresistenten
Keimen einzuführen. Zu den Einzelheiten soll die RKI-Kommission dem
Bundesministerium für Gesundheit regelmäßig und öffentlich Vorschläge
nach Maßgabe der Häufigkeit, der Gefährlichkeit (Mortalität, Grad der Mul-
tiresistenz) und nach Art der Besiedlung unterbreiten.

3. Es sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Krankenhäuser mit
ausreichend personellen Kapazitäten ausgestattet werden können. Nur so
lassen sich die Arbeitszeitverdichtung und der Qualifikations- bzw. Fach-
kompetenzverlust an den Krankenhäusern, die zu einem Mangel an Versor-
gungsqualität im Allgemeinen und hygienischen Mängeln im Besonderen
führen, abbauen.

4. Krankenhäuser müssen die Betreuung durch Ärztinnen und Ärzte für Hygiene
(bzw. durch Fachärztinnen und -ärzte anderer Richtungen mit der Zusatz-
bezeichnung Krankenhaushygieniker) und durch Hygienefachkräfte sicher-
stellen. Hygienefachkräfte müssen zumindest eine Zusatzqualifikation ent-
sprechend der RKI-Richtlinie besitzen. Die erforderliche Anzahl von Ärz-
tinnen und Ärzten wie Fachkräften ist nach dem Kalkulationsschlüssel der
RKI-Richtlinie differenziert nach dem Gesamtspektrum einer Einrichtung zu
ermitteln. Ausnahmen von dieser Regel können nur in einem Übergangszeit-
raum von fünf Jahren gewährt werden und nur so lange wie ein Mangel an
entsprechend ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten herrscht.

5. Im Zusammenwirken mit den Ländern ist darauf hinzuwirken, dass Lehr-
stühle für Hygiene an den Universitäten erhalten bzw. wieder auf- und aus-
gebaut werden. Nur so können neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in der
erforderlichen Breite generiert und das erforderliche Fachpersonal in Zukunft
gesichert werden. Ergebnisse der Hygieneforschung müssen umgehend in die
ärztliche Aus- und Fortbildung einfließen. Auch das Fachpersonal in den
Gesundheitsämtern kann dadurch personell mit Hygienikern aufgestockt
werden, damit es seiner Aufsichtspflicht qualifiziert nachkommen kann.

6. Die Vergütungsregelungen und Investitionszuschläge sind so auszugestalten,
dass keine Anreize zum Umgehen der Richtlinien nach Nummer 1 gegeben
werden. Damit soll bewirkt werden, dass die Einführung und dauerhafte
Durchführung von wirksamen Präventionsstrategien und -maßnahmen ge-
gen Krankenhausinfektionen für die Krankenhäuser auch betriebswirtschaft-
lich sinnvoll sind. Nach der Behandlung von mit multiresistenten Keimen
infizierten Patientinnen und Patienten im Krankenhaus ist auch im ambulan-
ten Bereich die Weiterbehandlung und die Erstattung der dafür erforder-
lichen Leistungen durch die Krankenkassen zu gewährleisten.

7. Um neue Resistenzbildungen bei Mikroorganismen zu minimieren, sind An-
tibiotika in der ambulanten und stationären Versorgung kontrolliert einzuset-
zen. Dazu erstellt eine geeignete Koordinierungsstelle (z. B. das RKI) mög-
lichst unter Zuhilfenahme der medizinischen Fachgesellschaften Leitlinien
zur richtigen Antibiotikaanwendung.

8. Die Antibiotikaverwendung in der kommerziellen Tierhaltung ist auf das
tiermedizinisch notwendige Maß zu beschränken. Ein intensives Monitoring
der multiresistenten Keime, die bei Nutztieren bzw. bei Humanerkrankungen
im Umfeld der Nutztierhaltungen auftreten, muss auf ein Frühwarnsystem
ausgerichtet sein, das die epidemiologische Verbindung zu multiresistenten
Keimen in Krankenhäusern erfasst. Dazu muss die Forschung und Ent-

wicklung zu präventiven Strategien und von Ersatztherapien zur Anti-
biotikaanwendung in der Veterinärmedizin ausgebaut und gefördert werden.

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Gleichzeitig ist zu prüfen, ob eine Wirkstofftrennung für Antibiotikathera-
pien in der Human- und Veterinärmedizin durchgängig vollzogen werden
kann. Hierbei ist die Behandlung von Haustieren zu berücksichtigen. Wei-
terhin ist EU-weit die strikte Reglementierung von Antibiotika, die über
Futtermittel verabreicht werden, erforderlich.

9. Bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen, z. B. eines umfassenden
Screenings bei der Aufnahme ins Krankenhaus, sind auch die Beispiele er-
folgreicher europäischer Nachbarländer, wie beispielsweise der Nieder-
lande oder Dänemark, heranzuziehen.

10. Über die Finanzierung der erforderlichen Maßnahmen setzt sich die Bun-
desregierung mit den Ländern ins Benehmen. Für etwaige finanzielle Mehr-
belastungen der Kommunen ist ein finanzieller Ausgleich vorzusehen.

Berlin, den 20. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

In Deutschland erleidet etwa jeder/jede zwanzigste bis dreißigste Patient/Patien-
tin in einem Krankenhaus eine Krankenhausinfektion (nosokomiale Infektion).
Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes geht bei 16,9 Millionen (2006)
Patientinnen und Patienten von 500 000 bis 800 000 Infektionen jährlich1 und
von etwa 20 000 bis 40 0002,3 Toten jedes Jahr aus; das sind mindestens 55,
wenn nicht gar 110 Tote pro Tag.

Staphylococcus aureus gilt als der wichtigste im Krankenhaus erworbene
Krankheitserreger, der lange Zeit durch Antibiotika zu therapieren war. Über
lange Zeit fast immer wirksame Antibiotika waren die Penicilline, z. B. Methi-
cillin. 1990 betrug der Anteil des methicillinresistenten Staphylococcus aureus
(MRSA) gegenüber dem methicillinsensiblen Staphylococcus aureus (MSSA)
an allen Staphylococcus-aureus-Isolaten in Deutschland etwa 1,7 Prozent,
10 Jahre später regional bis zu 15 Prozent und gegenwärtig durchschnittlich
18,5 Prozent4. Der Einsatz von Reserveantibiotika belastet die Patientinnen und
Patienten häufig stärker mit unerwünschten Nebenwirkungen.

30 bis 50 Prozent3 dieser Infektionen sind durch das Einhalten einfacher und
bekannter Regeln der Hygiene vermeidbar. Empirische Beispiele aus angren-
zenden Staaten – insbesondere aus den Niederlanden – zeigen, dass auch noch
deutlich geringere Infektionszahlen erreichbar sind. Nach dem dramatischen
Anstieg von 1990 bis 2005 hat sich die Situation in Deutschland bei knapp
20 Prozent MRSA unter allen untersuchten Staphylococcus-aureus-Stämmen
stabilisiert. Dennoch finden weiterhin hunderttausende vermeidbare Infek-
tionen jedes Jahr statt.

Krankenhausinfektionen sind mit einem höheren Krankheits- und Sterberisiko,
verlängertem Krankenhausaufenthalt und hierdurch bedingten erheblichen

1 Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 8, Nosokomiale Infektionen.
2 Die nosokomiale Infektion als Todesursache. Gesundheitswesen 56 (1994) 122 – 125 Inst., Zastrow

KD, Schöneberg I.
3 Delveloping quality of care through information system (Worning, Anne Marie; Mertens, Ralf (WHO/
Europe) Journal of healthcare materiel management Jan/Feb 1991.
4 European Antimicrobial Resistance Surveillance Study.

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Mehrkosten und höheren Kosten für die Antibiotikatherapie verbunden. Bei
den infizierten Patientinnen und Patienten verlängert sich der Krankenhausauf-
enthalt um 5,7 bis 23,7 Tage5. Die unzuverlässigen Daten rühren auch daher,
dass es bis zum 1. Juli 2009 gar keine Meldepflicht für MRSA-Infektionen gab.
Die jetzt bestehende Meldepflicht ist auf MRSA-Nachweise in Blut und Liquor
beschränkt und erfasst daher nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Infektio-
nen. Die so erhobenen, lückenhaften Daten können kaum zur Verbesserung des
Infektionsschutzes beitragen.

Geht man in einer Beispielrechnung davon aus, dass 400 000 Patienten zehn
Tage zusätzlich im Krankenhaus verbleiben, ergibt dies vier Millionen ver-
meidbare Pflegetage. Das Robert Koch-Institut geht von ca. zwei Millionen
Pflegetagen aus. Bei mittleren Kosten von 750 Euro pro Tag bedeutet dies also
vermeidbare Kosten von 1,5 bis 3 Mrd. Euro pro Jahr.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich vor allem aber auch tragische Einzel-
schicksale. Insbesondere Patienten mit einem relativ schwachen Immunsystem
sind betroffen, also oft Neugeborene sowie ältere Menschen. In zahlreichen
Bundesländern wurden trotz wiederholter Appelle immer noch keine Kranken-
haushygieneverordnungen verabschiedet, die dringend notwendig wären. Die
vorliegenden Regeln zur Vermeidung von Infektionen werden im Alltag der
Krankenhäuser häufig nicht befolgt.

Die Einsetzung von speziell ausgebildeten Ärzten und von Hygienefachkräften
in Krankenhäusern ist erforderlich, um die geeigneten und fortlaufend an die
neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse anzupassenden Maßnahmen in den
Krankenhäusern zu etablieren, zu überwachen und um ein Bewusstsein für die
Notwendigkeit der Maßnahmen herzustellen. Ansonsten werden leicht ver-
meidbare Infektionen weiterhin schwerste Schäden anrichten.

Die Hygienefachkräfte haben die Aufgabe, infektionsprophylaktische Maßnah-
men durchzuführen. Insbesondere sollen sie Hygienepläne, die auch Desinfek-
tions-, Sterilisations- und Reinigungspläne enthalten müssen, aufstellen und de-
ren Einhaltung überwachen. Für die möglichst stringente Einhaltung der Hygie-
nerichtlinien haben die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte zu sorgen und
damit für ein Zurückdrängen der Infektionen.

Der Erhalt, Auf- und Ausbau von Lehrstühlen für Hygiene an den Universitäten
hat Priorität, weil ohne zusätzliche Fachärzte die Situation nicht verbessert wer-
den kann. Unter Anerkennung der Autonomie der Hochschulen und der Verant-
wortung der Länder für die Bildungs- und Hochschulpolitik muss die Bundes-
regierung zumindest in der Kultusministerkonferenz unnachgiebig auf die spe-
zielle Gefährdung der öffentlichen Gesundheit durch die Situation der Hygiene-
ausbildung hinweisen und auf Änderung drängen. In den letzten zehn Jahren
wurden 15 Institute aufgelöst, lediglich zwölf nehmen heute diese Aufgabe noch
wahr6. Einzelne Länder, wie beispielsweise Bayern, haben im ganzen Land nicht
eine spezielle Ausbildungs- und Forschungsstätte. Zu begrüßen sind vorwärts-
weisende Aktivitäten, wie das im Herbst 2010 von den Universitäten Greifswald
und Rostock entwickelte Curriculum zum Erwerb der Zusatzqualifikation Kran-
kenhaushygiene für bereits praktizierende Ärztinnen und Ärzte anderer Fach-
richtungen.

Einige Regionen in Deutschland machen in Sachen Vermeidung von Kranken-
hausinfektionen auch Fortschritte: So fand im Saarland kürzlich ein regelhaftes
Screening neu aufgenommener Patienten statt mit dem Ergebnis, dass etwa
5 Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 8, Nosokomiale Infektionen (S. 14).
6 Prof. Dr. Axel Kramer, Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Universität Greifswald.

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jeder/jede fünfzigste neu aufgenommene Patient/Patientin MRSA-Träger war
und damit deutlich mehr als erwartet. Das EUREGIO-Netzwerk in Nordrhein-
Westfalen mit einer deutsch-niederländischen Kooperation versucht, an die
niederländischen Erfolge anzuknüpfen. Auch in Berlin wurde ein Netzwerk zur
Vermeidung von MRSA und anderen Krankenhausinfektionen etabliert.

Die Universität Greifswald hat eine Untersuchung durchgeführt, bei der alle
Risikopatientinnen und -patienten sowie alle Patientinnen und Patienten in sen-
siblen Bereichen auf MRSA getestet wurden. Bis zum Vorliegen eines negativen
Ergebnisses wurden alle Patientinnen und Patienten in Isolierstationen unter-
gebracht. Es gab 18-mal häufiger als erwartet positive Ergebnisse. Bei einem
positiven Ergebnis fanden weitere Untersuchungen sowie eine entsprechende
Behandlung statt. Die in der Klinik Beschäftigten wurden ebenfalls getestet.
Nicht nur die Krankenhausinfektionen konnten reduziert werden, sondern auch
finanziell „rechnete“ sich das Programm: „Wir müssen zehn MRSA-Infektionen
pro Jahr vermeiden, um nicht drauf zu zahlen. Das erreichen wir leicht“, so
Professor Axel Kramer vom Greifswalder Institut für Hygiene und Umwelt-
medizin7. Viele Krankenhausleitungen vermuten, dass eine wirkungsvolle
Strategie gegen Krankenhauskeime betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll sei und
unterlassen diese. Eine regelhafte Untersuchung mit entsprechender Behand-
lung erfordert räumliche, personelle und materielle Ressourcen. Deshalb wird
oft erst gar nicht auf MRSA untersucht und auch nicht entsprechend gehandelt.

Das erwähnte, mit Unterstützung der Bundesregierung installierte, HIC@RE-
Konzept in der Gesundheitsregion Ostseeküste will gegen die Ausbreitung
multiresistenter Erreger (MRE) ein „innovatives, bevölkerungsbezogenes, inte-
griertes und evidenzbasiertes MRE-Interventions-Management“8 entwickeln.
Insofern wird dieses Projekt nicht nur von Krankenhäusern verfolgt, sondern es
haben sich neben den Universitätskliniken von Greifswald und Rostock insge-
samt 46 Partner im Netzwerk BioCon Valley für dieses Projekt interessiert.

Diese Projekte sind sehr zu begrüßen und sie können auch neue Impulse brin-
gen. Das Vorgehen gegen vermeidbare Krankenhausinfektionen kann aber
nicht allein freiwilligen Projekten vor Ort überlassen werden, sondern der
Kampf gegen vermeidbare Infektionen muss bundesweit geführt werden.

Die Vorbilder Dänemark und Niederlande zeigen eindrucksvoll, dass eine na-
tional einheitlich durchgesetzte Präventionsstrategie die Ausbreitung von
MRSA drastisch zu reduzieren vermag. Aufgrund der praktisch zeitgleichen
Durchsetzung ähnlicher Strategien seit Anfang der 70er-Jahre in beiden Län-
dern konnte das Vorkommen von MRSA jeweils bis zum jetzigen Zeitpunkt auf
unter 1 Prozent aller Staphylococcus-aureus-Stämme begrenzt werden.

Resistenzen bilden sich nicht nur durch Antibiotikaanwendung bei Menschen,
sondern auch bei Tieren. So sind durch übermäßigen Antibiotikagebrauch in
der Massentierhaltung sehr viele Schweine MRSA-Träger. Laut einem Bericht
der Ärzte Zeitung sind 28 von 40 untersuchten Betrieben positiv getestet
worden9. Eine Übertragung von Schwein zu Mensch ist möglich und findet in
der kommerziellen Tierhaltung anscheinend häufig statt: Nach demselben Ar-
tikel wurden 39 von 122 in der Tierhaltung Beschäftigen positiv auf eine
MRSA-Kolonisation getestet und immerhin 7 von 53 Familienangehörigen.
Das ist deutlich mehr als im Durchschnitt der Bevölkerung.

7 Ärzte Zeitung, 6. Juni 2008.

8 www.hicare.de/hosting/bcv/website.nsf/urlnames/hicare_concept.
9 Ärzte Zeitung, 5. Mai 2008.

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