BT-Drucksache 17/4072

Fakten und Position der Bundesregierung zum so genannten Fachkräftemangel

Vom 29. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4072
17. Wahlperiode 29. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Sevim Dag˘delen,
Diana Golze, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus,
Klaus Ernst, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jan Korte, Cornelia Möhring, Petra Pau,
Jens Petermann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Michael Schlecht, Dr. Petra Sitte,
Johanna Voß, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Fakten und Position der Bundesregierung zum so genannten Fachkräftemangel

Seit Monaten beklagen Bundesregierung und Arbeitgeberverbände einen be-
stehenden bzw. drohenden Fachkräftemangel und warnen vor einem damit ver-
bundenen Wohlstandsverlust. Verschiedene Gruppen nutzen diese Debatte, um
sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Einzelne Wissenschaftler fordern
wegen des angeblichen Fachkräftemangels längere Wochenarbeitszeiten für Be-
schäftigte, Unternehmensvertreter fordern einen späteren Rentenbeginn und Zu-
wanderung nach rein ökonomischen Kriterien. Mit der unkritischen Übernahme
der These eines Fachkräftemangels gerät aber vor allem aus dem Blick, dass es
in Deutschland immer noch Millionen Menschen ohne Arbeit gibt. Das Statisti-
sche Bundesamt nennt die Zahl von 8,6 Millionen Menschen, die sich im Jahr
2009 entweder überhaupt einen Arbeitsplatz oder mehr Arbeitsstunden wünsch-
ten. Laut Bericht „Bildung in Deutschland 2010“ haben 1,5 Millionen junge
Menschen in Deutschland zwischen 20 und 29 Jahren keinen Berufsabschluss.
Als wesentliche Ursache für den hohen Anteil an ungelernten Jugendlichen se-
hen die Wissenschaftler das knappe Lehrstellenangebot an. Der tatsächliche Be-
darf an Ausbildungsplätzen werde viel zu niedrig eingeschätzt.

Entgegen der in der Öffentlichkeit kolportierten Meinung legen seriöse Studien
nahe, dass es keinen generellen und branchenübergreifenden Mangel gibt und
dass allenfalls in bestimmten Branchen – wie in Boomzeiten allgemein üblich –
ein hoher Bedarf an Fachkräften herrscht. So relativieren gemeinsame For-
schungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur
für Arbeit (IAB) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) die übliche
Dramatisierung eines drohenden Fachkräftemangels (Helmrich/Zika 2010). Sie
zeichnen ein differenziertes Bild, sprechen von einem steigenden Bedarf an
Fachkräften in einigen wenigen Bereichen bei gleichzeitig möglicher Unter-
beschäftigung in vielen anderen Bereichen, insbesondere in der Gruppe der
Geringqualifizierten. Und sie weisen auf die beschränkte Aussagekraft von län-
gerfristigen Prognosen zum Fachkräftemangel hin: So träfen die in diesen

Prognosen „gemachten Vorhersagen“ nur dann ein, „wenn bestimmte, genau be-
nannte Bedingungen gelten und über den Projektionszeitraum Bestand haben.“
Bei Arbeitskraftmangel würde es in der Realität immer zu Anpassungsreaktio-
nen kommen, etwa durch Umstellung von Produktionsprozessen. Eine aktuelle
Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW) stellt die
These eines Fachkräftemangels sogar grundsätzlich in Frage: Für ein generell
knappes Arbeitskräfteangebot gäbe es keine Belege, da die Löhne der Fachkräfte

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kaum gestiegen sind und die Zahl qualifizierter Arbeitsloser größer als die Zahl
der offenen Stellen sei. Ferner sei angesichts der vielen Ingenieursstudierenden
nicht mit einem Mangel zu rechnen, vielmehr in einzelnen Branchen sogar eine
„Fachkräfteschwemme“ möglich.

Eine Politik, die sich nicht einseitig im Interesse der Unternehmensverbände in-
strumentalisieren lassen will, muss gründlich prüfen, inwiefern ein tatsächlicher
Fachkräftemangel besteht. Eine zukunftsorientierte Arbeitsmarkt- und Bildungs-
politik sollte, ausgehend von einer fundierten Bestandsaufnahme von Nachfrage
und Angebot auf dem Arbeitsmarkt, absehbare Qualifizierungsbedarfe ermitteln
und bildungspolitisch voreilend darauf reagieren. Einwanderungsregelungen
müssen zudem mögliche negative Auswirkungen einer Anwerbepolitik von
Fachkräften für die Herkunftsländer berücksichtigen („brain drain“).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was versteht die Bundesregierung unter einem Fachkräftemangel?

a) Was versteht die Bundesregierung unter einer Fachkraft?
Sind damit nur Personen mit akademischer oder auch beruflicher Ausbil-
dung gemeint?

b) Wann kann aus Sicht der Bundesregierung von einem Fachkräftemangel
gesprochen werden?
Was sind die Kriterien, anhand derer bemessen wird, ob ein Fachkräfte-
mangel vorliegt?

c) Wie unterscheidet die Bundesregierung zwischen tatsächlichem Fachkräfte-
mangel und „normalem Missmatch“ zwischen Fachkräfteangebot und -nach-
frage am Arbeitsmarkt?

2. In welchen Bereichen (Branchen bzw. Berufen) besteht nach Ansicht der
Bundesregierung in der deutschen Wirtschaft bereits ein Fachkräftemangel,
und worauf begründet die Bundesregierung ihre Einschätzung?

3. In welchen Bereichen (Branchen bzw. Berufen) droht nach Ansicht der Bun-
desregierung in der deutschen Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren ein
Fachkräftemangel?

Auf welche Prognosen stützt sich dabei die Bundesregierung?

4. Gibt es Branchen und Berufsfelder, in denen ein Fachkräfteüberangebot vor-
herrscht bzw. bei denen davon ausgegangen wird, dass mittelfristig ein Fach-
kräfteüberangebot eintreten wird?

Wenn ja, welche?

Wie hoch wir dieses Überangebot jeweils eingeschätzt?

5. Inwiefern handelt es sich bei dem von Interessenverbänden postulierten Fach-
kräftemangel um ein vorwiegend berufs-, branchenspezifisches, regional
oder/und zeitlich befristetes Problem, und wie begründet die Bundesregie-
rung ihre Position?

a) Welche Regionen sind besonders betroffen?

b) Für welche Zeiträume wird der Fachkräftemangel prognostiziert?

6. Ist das Phänomen des Fachkräftemangels bereits in den zurückliegenden fünf
Jahrzehnten zeitweise befürchtet, debattiert oder eingetreten?

Wenn ja, wann war das, und welche Entwicklung ist tatsächlich eingetreten?

7. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung seit den 60er-Jahren eine Phase,

in der Unternehmensverbände oder/und die jeweiligen Bundesregierungen
nicht vor der Gefahr eines zukünftigen Fachkräftemangels gewarnt haben?

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8. Welche politischen Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus ihrer
Einschätzung zur Frage des Fachkräftemangels?

Welche Initiativen der Bundesregierung mit welchem Inhalt hat es seit dem
Zukunftsgespräch am 18. Juni 2010 in Meseberg gegeben?

Welche Aktivitäten hat es bisher seitens der Arbeitsgruppe „Fachkräfte der
Zukunft“ gegeben?

Welche Aktivitäten plant die Bundesregierung?

9. Welches sind die 20 am stärksten betroffenen Berufs- und Tätigkeitsfelder,
in denen nach Ansicht der Bundesregierung derzeit von einem Fachkräfte-
mangel gesprochen werden kann, und welches sind die 20 Berufs- und
Tätigkeitsfelder, in denen nach Ansicht der Bundesregierung mittel- bis
langfristig ein Fachkräftemangel droht?

10. Inwiefern decken sich die von der Bundesregierung benannten Berufs- und
Tätigkeitsfelder mit den Modellrechnungen des BIBB und IAB (Helmrich/
Zika 2010), die – unter der Annahme gleichbleibender Bedingungen – bis
2025 ein nicht ausreichendes Arbeitskräfteangebot für die folgenden fünf
Berufshauptfelder projizieren:
– Verkehrs-, Lager-, Transport-, Sicherheits- und Wachberufe,
– Gastronomie- und Reinigungsberufe,
– Rechts-, Management- und wirtschaftswissenschaftliche Berufe,
– künstlerische, medien-, geistes- und sozialwissenschaftliche Berufe,
– Gesundheits- und Sozialberufe, Körperpflege?

Falls die Einschätzung der Bundesregierung von diesen fünf Berufshaupt-
feldern abweicht, warum ist dies der Fall?

11. Wie lässt sich im Einzelnen in den von der Bundesregierung in der Antwort
zu Frage 9 genannten Berufsfeldern die Arbeitsmarktsituation beschreiben
(bitte die Unterfragen 11a bis 11j für die einzelnen Berufsfelder gesondert
beantworten)?

a) Wie hoch ist die Zahl der in den genannten Berufsfeldern Beschäftigten
(bitte die letzten verfügbaren Monatsdaten sowie die Vergleichsmonate
der letzten fünf Jahre angeben)?

b) Wie hoch ist die Zahl der in den genannten Berufsfeldern offenen Stellen
(bitte die letzten verfügbaren Monatsdaten sowie die Vergleichsmonate
der letzten fünf Jahre angeben)?

c) Wie hoch ist in den genannten Berufsfeldern die Zahl der über 60- bis
64- jährigen Beschäftigten, und wie hoch die Zahl der Arbeitslosen bzw.
Unterbeschäftigten dieser Altersgruppe, die zuvor in diesem Berufsfeld
gearbeitet haben (bitte aufgliedern nach den einzelnen Jahren)?

d) Wie lange bleiben die in den genannten Berufsfeldern offenen Stellen
unbesetzt, wie ist dieser Wert im gesamtwirtschaftlichen Vergleich zu
bewerten, und welche Gründe sieht die Bundesregierung dafür, dass
Stellen für eine längere Zeit nicht besetzt werden können?

e) Wie hoch ist die Zahl der Arbeitsuchenden in den genannten Berufs-
feldern?

f) Welche Merkmale haben die in den genannten Berufsfeldern Arbeit-
suchenden hinsichtlich Alter, Migrationshintergrund, Staatsangehörig-
keit, Geschlecht und Dauer der Arbeitslosigkeit?

g) Welche Gründe sieht die Bundesregierung dafür, dass es trotz offener

Stellen weiterhin eine größere Zahl von Arbeitsuchenden gibt?

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Inwiefern liegt dies daran, dass sich Arbeitgeber weigern, ältere Be-
schäftigte einzustellen und erforderliche Fortbildungen einzugehen?

h) Wie hat sich seit 2005 in den genannten Berufsfeldern die Zahl und
Quote der Auszubildenden entwickelt (bitte unterscheiden nach Berufs-
ausbildung und Hochschulausbildung)?
Wie hat sich insbesondere die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze
seit 2005 entwickelt?

i) Wie hat sich seit 2005 in den genannten Berufsfeldern die absolute und
relative Zahl der Ausbildungsabbrüche entwickelt?

j) Wie hoch ist in den genannten Berufsfeldern die Zahl und der Anteil
derjenigen, die nach der Ausbildung in ein reguläres Beschäftigungs-
verhältnis übernommen werden (bitte jährlich seit 2005 benennen)?

12. Wie gestalten sich die Arbeitsbedingungen in den von der Bundesregierung
ausgemachten Berufsfeldern mit Fachkräftemangel im Vergleich zu den üb-
rigen Berufsfeldern (bitte die Unterfragen 12a bis 12d für die einzelnen Be-
rufsfelder gesondert beantworten)?

a) Wie stellen sich im Vergleich zur gesamten Volkswirtschaft die Entgelt-
bedingungen (Stunden- und Monatslöhne) dar?

b) Wie haben sich die Bruttolöhne in den betroffenen Berufsfeldern seit
dem Jahr 2000 im Vergleich zur gesamten Volkswirtschaft entwickelt?

c) Wie stellt sich im Vergleich zur gesamten Volkswirtschaft die Zusam-
mensetzung nach Beschäftigungsform dar, also der Anteil der Normal-
arbeitsverhältnisse und der einzelnen Formen atypischer Beschäftigung
(befristet, Teilzeit, geringfügig, Leiharbeit)?
Welches Ausmaß haben dabei jeweils Niedriglöhne eingenommen?

d) Wie häufig kommen im Vergleich zur gesamten Volkswirtschaft atypi-
sche Arbeitszeiten vor?

13. Wie gestalten sich die Arbeitsbedingungen in den von der Bundesregierung
ausgemachten Berufsfeldern mit Fachkräftemangel in Deutschland im Ver-
gleich zu den in anderen europäischen Ländern (Frankreich, Großbritannien,
Dänemark und Schweden – bitte die Unterfragen 13a bis 13f für die ein-
zelnen Berufsfelder und Länder, soweit Daten vorliegen, gesondert beant-
worten)?

a) Wie stellen sich im Vergleich zu den anderen Ländern die Entgeltbedin-
gungen (Stunden- und Monatslöhne) dar?

b) Wie haben sich die Bruttolöhne in den betroffenen Berufsfeldern seit
dem Jahr 2000 im Vergleich zur Gesamtwirtschaft entwickelt?

c) Wie stark sind die Bruttolöhne je Arbeitnehmer in den betroffenen Bran-
chen (bzw. Wirtschaftszweigen) seit dem Jahr 2000 real (preisbereinigt)
in Deutschland und den anderen Ländern gestiegen?

d) Wie stark ist die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität in den o. g.
Ländern und in Deutschland seit 2000 gestiegen?

e) Wie stellt sich in den betroffenen Berufsfeldern in Deutschland im Ver-
gleich zu den anderen Ländern die Zusammensetzung nach Beschäf-
tigungsformen dar, also der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse und
der einzelnen Formen atypischer Beschäftigung (befristet, Teilzeit, ge-
ringfügig, Leiharbeit)?

f) Wie häufig kommen in den betroffenen Berufsfeldern im Vergleich zu

anderen Ländern atypische Arbeitszeiten vor?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4072

14. Falls die Bundesregierung die Frage 9 nicht beantworten kann, wie beant-
wortet sie die Fragen 11 bis 13 für die von dem BIBB und IAB benannten
Berufsfelder (vgl. Frage 10)?

15. Wie viele Fachkräfte arbeiten unterhalb ihres Qualifikationsniveaus in
Niedriglöhnen (jeweils differenziert nach Berufen bzw. Branchen)?

16. Inwiefern lässt sich der von den Arbeitgebern in der Pflegebranche beklagte
Fachkräftemangel auf die dort herrschenden schlechten Arbeitsbedingun-
gen und schlechte Bezahlung zurückführen?

Wie hoch ist der Anteil der Arbeitskräfte, die dort nach wenigen Jahren we-
gen dieser Arbeitsbedingungen aus dem Beruf wieder ausscheiden, die ge-
sundheitliche Beeinträchtigungen erfahren, die in Erwerbsminderungsren-
ten gehen müssen?

17. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Wissenschaftlern des BIBB
und IAB, dass gemachte Vorhersagen bezüglich eines drohenden Fachkräf-
temangels nur dann „eintreffen, wenn bestimmte, genau benannte Bedin-
gungen gelten und über den Projektionszeitraum Bestand haben“ und dass es
„in der Realität zwangsläufig Reaktionen der Bedarfsseite und/oder der An-
gebotsseite“ gibt, also die Bedingungen, auf denen die Prognosen aufbauen,
sich verändern und damit ganz andere Entwicklungen stattfinden können?

Wie begründet die Bundesregierung ihre Antwort, und welchen Wert misst
sie vor diesem Hintergrund Prognosen über einen drohenden Fachkräfte-
mangel bei?

18. Inwieweit besteht im Ingenieurwesen allgemein und bezogen auf Maschi-
nenbau-, Fahrzeugbau-, Elektro- und Wirtschaftsingenieurwesen konkret
ein Fachkräftemangel, und seit wann wird dieser prognostiziert?

19. Wie hat sich seit 2005 im Maschinenbau-, Fahrzeugbau-, Elektro- und Wirt-
schaftsingenieurwesen die Zahl und Quote der Auszubildenden entwickelt
(bitte unterscheiden nach Berufsausbildung und Hochschulausbildung)?

Wie hat sich insbesondere die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze seit
2005 entwickelt?

20. Wie viele Fachkräfte befinden sich in der „Stillen Reserve“ (jeweils diffe-
renziert nach Berufen bzw. Branchen)?

Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Personen ausfin-
dig zu machen, anzusprechen und für eine adäquate Erwerbstätigkeit zu
werben?

Welche Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung werden gezielt angebo-
ten und gefördert?

21. Wie viele Fachkräfte befinden sich in Maßnahmen oder werden als über
58- Jährige nicht mehr als arbeitslos erfasst (jeweils differenziert nach Beru-
fen bzw. Branchen)?

Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Personen anzu-
sprechen und für eine adäquate Erwerbstätigkeit zu motivieren?

Welche Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung werden gezielt angebo-
ten und gefördert?

22. Auf welche Berechnungen stützt sich die Aussage des Bundesministers für
Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle, fehlende Fachkräfte hätten
bereits im Krisenjahr 2009 zu Wohlstandsverlusten von etwa 15 Mrd. Euro
geführt (ZEIT ONLINE vom 18. Oktober 2010)?
23. Teilt die Bundesregierung die Meinung des Präsidenten des Deutschen Ins-
tituts für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW), Klaus Zimmermann, und des

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Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Ulrich
Blum, wonach ein möglicher Fachkräftemangel längere Wochenarbeitszei-
ten nach sich ziehen müsse (SPIEGEL ONLINE vom 23. Oktober 2010),
und wie begründet die Bundesregierung ihre Antwort?

24. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass je mehr Bewerber
auf dem Markt sind, desto weniger müssen sich Unternehmen Gedanken
machen, wie attraktiv ihre ausgeschriebene Stelle ist?

25. Teilt die Bundesregierung die Aussagen des DIW-Wochenberichtes 46/
2010, wonach die These eines Fachkräftemangels in Frage zu stellen ist und
es für ein generell knappes Arbeitskräfteangebot keine Belege gebe, da

a) die Löhne der Fachkräfte kaum gestiegen sind,

b) zudem die Zahl qualifizierter Arbeitsloser größer als die Zahl der offe-
nen Stellen sei,

c) in der Industrie immer noch weniger Fachkräfte beschäftigt sind als vor
der Krise,

d) angesichts der vielen Ingenieursstudierenden nicht mit einem Mangel zu
rechnen, eher eine Fachkräfteschwemme möglich sei?

Wie begründet die Bundesregierung ihre Antwort (bitte die Unterfragen
einzeln beantworten)?

26. Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung das vom Institut der deutschen
Wirtschaft Köln e. V. (IW) verwandte Verfahren zur Ermittlung eines Fach-
kräftemangels zu bewerten, bei dem die bei den Arbeitsagenturen gemel-
dete Zahl der offenen Stellen für Ingenieure mit einem bestimmten Faktor
hochgerechnet wird, und das so ermittelte Stellenangebot den arbeitslos ge-
meldeten Ingenieuren gegenübergestellt und die Differenz als Ingenieur-
mangel ausgegeben wird?

Wie beurteilt die Bundesregierung die Methode des IW, auf der Klagen der
Arbeitgeberverbände über einen Ingenieurmangel gründen?

Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass man einem – auf welche
Weise auch immer ermittelten – Jobangebot auch alle Jobsuchenden gegen-
überstellen muss, um zu einer realistischen Relation von Nachfrage und An-
gebot zu kommen?

Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass zu den Jobsuchenden neben den
Arbeitslosen etwa auch Studienabsolventen, Berufsrückkehrer und insbe-
sondere Ingenieure zu zählen sind, die von einem Unternehmen zum ande-
ren wechseln wollen?

27. Sind für die Arbeitgeberinitiative „MINT Zukunft schaffen“ Bundesmittel
zur Verfügung gestellt worden, und wenn ja, in welcher Höhe, wann, und
für welche Zwecke?

Gab es sonstige Unterstützungs- oder Hilfeleistungen der Bundesregierung?

28. Wie viele Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren sind in den vergan-
genen Jahren aus Deutschland emigriert?

Welches waren die Zielländer dieser Emigrantinnen bzw. Emigranten?

Über welche beruflichen Qualifikationen verfügen diese Personen?

Aus welchen Branchen und Berufen kommen diese Personen?

Wie schätzt die Bundesregierung das Emigrationsverhalten der Personen im
Alter zwischen 18 und 64 Jahren für die nächsten fünf Jahre ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/4072

Was tut die Bundesregierung, um derartige Fachkräfte zu motivieren, weiter-
hin in Deutschland zu bleiben?

29. Welche Positionen und Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den bishe-
rigen und derzeit diskutierten Einwanderungsregelungen, wonach der Zu-
zug von Fachkräften zunächst auf dem Verordnungswege geregelt wurde
(z. B. die so genannte Greencard-Initiative), es seit 2005 besondere gesetz-
liche Regelungen gibt, die z. B. die Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts
unter verschiedenen Bedingungen vorsehen, unter anderem hierfür ein Min-
desteinkommen von derzeit 66 000 Euro nachgewiesen werden muss und
jetzt über eine Absenkung dieser Einkommensgrenze diskutiert wird?

a) Wie viele Fachkräfte sind seit 2000 nach Deutschland eingewandert
(bitte nach Berufsfeld und Jahr aufschlüsseln sowie ab 2005 auch nach
den §§ 18 bzw. 19 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – differenzieren)?

b) Wie viele Fachkräfte sind seit 2000 aus Deutschland ausgewandert (bitte
nach Berufsfeld und Jahr aufschlüsseln sowie ab 2005 auch nach den
§§ 18 bzw. 19 AufenthG differenzieren)?

c) Geht die Bundesregierung davon aus, dass Unternehmen nicht in der
Lage sind, dringend benötigten Spezialisten Jahresgehälter von min-
destens 66 000 Euro im Jahr zu bezahlen, und wie bewertet sie in diesem
Zusammenhang Überlegungen, diese Grenze weiter abzusenken?

d) Hat eine Absenkung der Einkommensgrenze für einwanderungswillige
Fachkräfte von derzeit 66 000 Euro aus Sicht der Bundesregierung die
Wirkung, die Gehaltshöhe in den betroffenen Bereichen zu erhöhen oder
zu senken, und wie begründet sie ihre Einschätzung?

e) Welche Folgen hatte die Absenkung der Gehaltsgrenze auf 66 000 Euro,
welche empirischen Angaben und Erfahrungswerte liegen hierzu vor,
und wie bewertet die Bundesregierung diese?

30. Welche Gehaltshöhe als Grenze für die Erteilung einer Niederlassungs-
erlaubnis für Fachkräfte sieht die Bundesregierung als notwendig an, und ab
welcher Höhe sieht sie die Gefahr eines Lohndumpings im Bereich der
Anstellung von Fachkräften?

Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass eine Herabsenkung der Ein-
kommensgrenze für Zuwanderer aus Drittländern auf 40 000 Euro brutto
pro Jahr Einfluss auf die Entlohnung der derzeit Beschäftigten in der Bun-
desrepublik Deutschland haben könnte, da reichlich die Hälfte der Vollzeit-
beschäftigten Löhne oberhalb dieser Grenze bekommen?

31. Wie viele Fachkräfte mit Migrationshintergrund, die einen Berufs- oder
Studienabschluss in Deutschland haben, sind unter ihrer Qualifikation be-
schäftigt?

Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Personen und
potenzielle Arbeitgeber ausfindig zu machen, anzusprechen und für eine
adäquate Erwerbstätigkeit zu werben?

32. Wie viele Fachkräfte mit Migrationshintergrund, die einen Berufs- oder
Studienabschluss im EU-/EWR-Ausland haben, sind unter ihrer Qualifika-
tion beschäftigt?

Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Personen und
potenzielle Arbeitgeber ausfindig zu machen, anzusprechen und für eine
adäquate Erwerbstätigkeit zu werben?

33. Wie bewertet die Bundesregierung Stimmen aus dem Mittelstand, wonach

die Ursache für einen drohenden Fachkräftemangel nicht unzureichende
Einwanderungsregelungen, sondern eine verfehlte Bildungspolitik sei bzw.

Drucksache 17/4072 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
wonach die Einwanderung von Fachkräften in der Praxis weniger an gesetz-
lichen Regelungen scheitere, sondern daran, dass Deutschland keinen guten
Ruf als „Heimat gebendes Land“ habe (FAZ vom 19. November 2010), und
welche Schlussfolgerungen zieht sie gegebenenfalls hieraus?

34. Inwieweit sieht die Bundesregierung Rassismus in Deutschland bzw. die
Gefahr gewalttätiger, fremdenfeindlicher Übergriffe als ein Hindernis
bezüglich der von ihr gewünschten Einwanderung von Fachkräften, und
welche Schlussfolgerungen zieht sie gegebenenfalls hieraus?

35. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Kritik, wonach die Einteilung in
„erwünschte“ und „unnütze“ Zuwanderer ein Teil des Problems ist, weil
eine solche Sichtweise eine gesellschaftliche „Verhärtung, Abschottung
oder sogar ausländerfeindlichen Ausfällen Vorschub“ leiste und dadurch
potenzielle Einwanderer insgesamt entmutige (vgl. FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND vom 14. Juli 2010, „Integration für Inländer“)?

36. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik, z. B. des Sachverständigen-
rates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH, wo-
nach es in Deutschland ein „von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenes
hochkompliziertes, kleinteiliges, für In- und Ausländer unübersichtliches
System zur indirekten Steuerung der Arbeitskräftezuwanderung“ gebe (Jah-
resgutachten 2010, S. 10 ff.)?

37. Wird sich das rechtliche Instrumentarium für Arbeitskräfteeinwanderung in
Deutschland durch die Regelungen der so genannten EU-blue-card weiter
verkomplizieren (bitte ausführen)?

a) Wie ist das künftige Nebeneinander von nationalen und auf EU-Recht
zurückzuführenden Regelungen zu bewerten?

b) Für welche Fachkräfte wird künftig eine Einwanderung nach den EU-
blue-card-Regelungen attraktiver sein, und aus welchen Gründen?

38. Wie hoch ist die Anzahl der Studienabgänger aus Drittstaaten, die nach gel-
tendem Recht bis zu einem Jahr nach Beendigung ihres Studiums ein Be-
schäftigungsverhältnis eingehen können, die sich für eine Arbeitsaufnahme
entscheiden?

a) Wie hoch ist die Anzahl aus diesem Personenkreis, die ein Beschäfti-
gungsverhältnis anstreben, aber keine Stelle finden und ausreisen?

b) Gibt es Zahlen nach Fachrichtungen der Studienabschlüsse für diesen
Personenkreis?
Wenn ja, bitte genaue Aufstellung.

39. Inwieweit ist nach den bislang geltenden nationalen Regelungen zur Ar-
beitskräfteeinwanderung bzw. auch nach der künftigen EU-blue-card-Rege-
lung sichergestellt, dass es zu keinem „brain drain“ kommt, d. h., dass die
angeworbenen Fachkräfte nicht in den Herkunftsregionen, in denen sie
langjährig ausgebildet wurden, fehlen?

40. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die deutsche Entwicklungs-
politik durch eine Anwerbung von Fachkräften aus wenig entwickelten
Staaten konterkariert werden könnte?

Berlin, den 29. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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