BT-Drucksache 17/4068

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -17/3692, 17/4049- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation "ALTHEA" zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1575 (2004) und Folgeresolutionen

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4068
17. Wahlperiode 01. 12. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von
Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 17/3692, 17/4049 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Operation „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien
und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der Annexe 1-A und 2
der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo
und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen 1575 (2004) und Folgeresolutionen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag würdigt das Engagement der Bundeswehr im Rahmen
der Operation ALTHEA in Bosnien und Herzegowina. Der Einsatz bewaffneter
Streitkräfte ist auch 15 Jahre nach Beendigung des Kriegs zur Stabilisierung
des Friedensprozesses weiterhin notwendig. Eine anhaltende Blockade admi-
nistrativer und ökonomischer Reformen erhält die Eskalationsgefahr aufrecht.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Überzeugung, dass Bosnien und Her-
zegowina wie alle Nachfolgestaaten Jugoslawiens baldmöglich Mitglied der
Europäischen Union werden soll. Bei den hierfür notwendigen Reformen sind
in den vergangenen Monaten nur äußerst geringe Fortschritte erreicht worden.
Die Reformen zur Schaffung einer den Marktkräften der Europäischen Union
gewachsenen Wirtschaft und eines funktionsfähigen einheitlichen Wirtschafts-
raums sind kaum vorangekommen. Entsprechend kritisch wertet die Europäi-
sche Union in ihrem Fortschrittsbericht vom 9. November dieses Jahres das
Funktionieren der bosnischen Institutionen. Sie stellt fest, dass das Fehlen einer

gemeinsamen Vision der politischen Entscheidungsträger hinsichtlich der Ent-
wicklung des Landes ein Hindernis für zentrale EU-bezogene Reformen und
die weitere Annäherung an die EU darstellt. Einzig die für die Befreiung von
der Visumspflicht für Schengen-Staaten notwendigen Reformen sind erfolg-
reich durchgeführt worden.

Drucksache 17/4068 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Amtsträger und Gremien auf Ebene der Entitäten, insbesondere der Republika
Srpska und des Gesamtstaats, versuchten durch einseitige Akte und wiederholte
Androhungen die territoriale Integrität des Gesamtstaats von Bosnien und
Herzegowina in Frage zu stellen und Reformen der vergangenen Jahre wieder
rückgängig zu machen. Zwar konnten bei den Parlamentswahlen im Oktober
2010 die nichtnationalistischen Kräfte Stimmengewinne verzeichnen. Eine Re-
gierungsbildung steht jedoch aus.

Ursache für die ausbleibenden Fortschritte ist neben dem fehlenden politischen
Willen der politisch Verantwortlichen die aus dem Vertrag von Dayton resultie-
rende Verfasstheit Bosnien und Herzegowinas mit ihrer komplexen institutio-
nellen Struktur und der Förderung partikularer Interessen ethnischer Gruppen
und Parteien. Die im Vertrag von Dayton festgeschriebene Besetzung wichtiger
Ämter nach ethnischen Gesichtspunkten widerspricht der für die Europäische
Union verpflichtenden Menschenrechtskonvention des Europarats. Der Deut-
sche Bundestag ist überzeugt, dass ohne eine tiefgreifende Verfassungsreform
die institutionellen Standards der Europäischen Unionen und die für den EU-
Beitritt notwendige wirtschaftliche Dynamik nicht erreicht werden können.
Eine besondere Unterstützung Bosnien und Herzegowinas durch die Europäi-
sche Union bei der Umsetzung der notwendigen Reformen bleibt deshalb auch
weiterhin notwendig.

Der Deutsche Bundestag befürwortet ausdrücklich die weitestgehende Übertra-
gung von Kompetenzen auf die demokratisch gewählten Institutionen in Bos-
nien und Herzegowina. Nur so kann Eigenverantwortlichkeit gestärkt werden.
Bis zur Verabschiedung einer multiethnischen Verfassung entsprechend der
Standards des Europarats bleibt das Amt des Hohe Repräsentanten mit seinen
weitgehenden Vollmachten zur Eindämmung der zentrifugalen Kräfte und Bei-
legung innerbosnischer Konflikte weiterhin notwendig.

Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, dass die andauernde Diskussion
um die Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten der Arbeitsfähigkeit
der Institution und seiner Autorität geschadet hat. Zudem ging die Europäische
Union nicht konsequent genug bei der Einforderung der Erfüllung der von ihr
geforderten Reformen vor. Schädliche Folgen nationalistischer Politik in Bos-
nien und Herzegowina sind dadurch nicht im ausreichenden Maße eingedämmt
worden.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Unterstützung für den Hohen Reprä-
sentanten und ermutigt ihn, die von ihm für nötig befundenen konsequenten
Entscheidungen zum Schutz der Integrität und der Institutionen Bosnien und
Herzegowinas sowie zur Unterstützung der Reformbemühungen zu treffen.

Die Präsenz der EUFOR-Truppen im Rahmen der Operation ALTHEA bleibt
nach Auffassung des Deutschen Bundestags als integraler Bestandteil der inter-
nationalen Präsenz bis zur Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten
notwendig. Dies gilt solange, bis die vom dafür zuständigen internationalen
Peace Implementation Council festgelegten Bedingungen für die Schließung
des Büros des Hohen Repräsentanten erfüllt, eine Verfassungsreform erfolg-
reich in die Wege geleitet und das Wahlrecht reformiert sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich innerhalb der Europäischen Union und bilateral einzusetzen für

– die konsequente Aufrechterhaltung der Forderung nach Erfüllung der
Kopenhagener Kriterien und ihrer spezifischen Anwendung auf Bosnien und
Herzegowina als Maßstab für die Beitrittsfähigkeit zur Europäischen Union;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4068

– die Aufrechterhaltung des Amts des Hohen Repräsentanten einschließlich
seiner weitgehenden Vollmachten ohne formale zeitliche Begrenzung bis zur
Erfüllung der vom Friedensimplementierungsrat gesetzten zwei Bedingun-
gen und fünf Ziele sowie einer erfolgten Verfassungsreform;

– eine deutliche und sichtbare Unterstützung des Hohen Repräsentanten und
seiner Entscheidungen;

– eine mit der Europäischen Union, den USA und dem Hohen Repräsentanten
abgestimmte und konsequente Strategie zur Durchführung einer von der
Mehrheit der Bevölkerung getragenen Reform für eine multiethnische Ver-
fassung nach den Standards des Europarats;

– die zügige und umfassende Umsetzung des Interimsabkommens und Stabili-
sierungs- und Assoziierungsabkommens in allen politischen und wirtschaft-
lichen Bereichen;

– gegenüber Amtsträgern und Gremien in Bosnien und Herzegowina die Be-
kräftigung, dass Versuche, die territoriale Integrität des Landes infrage zu
stellen, die Aussicht auf einen EU-Beitritt gefährden;

– gegenüber seinen Nachbarstaaten die Bekräftigung, dass von ihnen die Un-
terstützung der staatlichen Stabilisierung Bosnien und Herzegowinas und
insbesondere einer Verfassungsreform erwartet wird.

Berlin, den 30. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.