BT-Drucksache 17/3764

Korruptionsvorwürfe gegen das Entwicklungshilfe-Unternehmen AGEF

Vom 11. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3764
17. Wahlperiode 11. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), Ute Koczy, Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Omid
Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Korruptionsvorwürfe gegen das Entwicklungshilfe-Unternehmen AGEF

Afghanistan und Irak gelten als zwei der am stärksten von Korruption befallenen
Länder. Sie stehen im Korruptions-Wahrnehmungs-Index von Transparency In-
ternational auf dem drittletzten (176.) und viertletzten (175.) Platz. Deutschland
steht auf Platz 15 dieser Liste und die Bundesregierung hat gute Regierungsfüh-
rung und Korruptionsbekämpfung zu wichtigen Punkten ihrer Afghanistan-Stra-
tegie erklärt.

Am 1. November 2010 berichtet die „Neue Osnabrücker Zeitung“ darüber, dass
das Berliner Entwicklungshilfe-Unternehmen AGEF (Arbeitsgruppe Entwick-
lung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammen-
arbeit) in Afghanistan mindestens 1 Mio. Euro aus Mitteln des Bundesministe-
riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und anderer
öffentlicher Geldgeber unterschlagen haben soll. AGEF ist seit vielen Jahren
Durchführungsorganisation für Weiterbildungs- und Reintegrationsprogramme
der Bundesregierung und anderer europäischer Regierungen. Die Schwerpunkt-
gebiete der Projekte liegen in Afghanistan, im Irak und im Kosovo. Insgesamt
soll AGEF nach Angaben der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ allein im vergan-
genen Jahr 3,7 Mio. Euro für Projekte in Afghanistan bekommen haben, wovon
rund 1 Mio. Euro nicht in die Projekte geflossen und auch nicht zurückbezahlt
worden seien. Im Falle eines Programms zur beruflichen Reintegration von
Rückkehrern aus Deutschland „Return to Employment in Afghanistan“ seien
gar Empfängeridentitäten gefälscht worden. Während in Kabul tatsächlich
34 Deutschland-Heimkehrer eine Förderung bekommen hätten und dafür rund
39 000 Euro ausbezahlt worden seien, habe die Gesellschaft für Technische Zu-
sammenarbeit (GTZ) nach Angaben der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ 361 050
Euro für 278 Rückkehrer an AGEF überwiesen. Nach Angaben der „Neuen
Osnabrücker Zeitung“ werden von AGEF keine separaten Länder- oder Projekt-
konten geführt, Verwendungsnachweise für die Mittelverwendung seien ge-
fälscht worden.
Neben der Rückkehrerintegration ist AGEF auch im Bereich einkommensschaf-
fender Maßnahmen für junge Erwachsene in ehemaligen Mohnanbaugebieten
der Provinzen Badakhshan, Balkh und Takhar mit einem Ausbildungsprogramm
im Landwirtschaftssektor (Volumen: 1,1 Mio. Euro im Jahr 2010) aktiv.

Drucksache 17/3764 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Bundesregierung stützt sich auch bei der Projektdurchführung im Irak zum
großen Teil auf die Dienste des Entwicklungshilfe-Unternehmens AGEF. So
werden auch dort seit mehreren Jahren Rückkehrerprogramme unter dem Titel
„Return to Employment in Iraq“ durchgeführt. Im Jahr 2009 wurde AGEF damit
beauftragt, Büros zur Vertretung deutscher Wirtschaftinteressen im Irak aufzu-
bauen. Mittlerweile existieren drei Vertretungen des „Servicebüro Wirtschaft“
(Deutsches Wirtschaftsbüro Irak). Nach Angaben des Auswärtigen Amts (www.
auswaertiges-amt.de) wurde im Februar 2009 in Bagdad ein „Servicebüro Wirt-
schaft“ eröffnet, das „deutschen und irakischen Firmen ermöglichen soll, in
einem nach wie vor schwierigen Umfeld gemeinsame Geschäftsinteressen zu
entwickeln und Möglichkeiten der Kooperation zu eruieren. Seit Februar 2010
steht ein weiteres Büro im Norden Iraks, in Erbil, für Interessenten zur Verfü-
gung.“ Außerdem wurde kürzlich ein Büro in Basra eröffnet. Laut einem Artikel
„DIE ZEIT“ vom 28. Oktober 2010 soll das deutsche Wirtschaftsbüro mittel-
ständischen Unternehmen helfen, Geschäfte im Irak einzufädeln. Effektive Kon-
taktaufnahme zwischen Unternehmen hat es laut dem Leiter des Wirtschafts-
büros nicht gegeben. Das größte Hindernis sei, so ein am Wirtschaftsbüro
ansässiger Unternehmensvertreter im Artikel „DIE ZEIT“, nicht die fehlende
Sicherheit, sondern die Korruption.

Neben der Förderung von wirtschaftlicher Entwicklung sieht die Bundesregie-
rung einen Schwerpunkt ihrer Arbeit im Irak im Aufbau rechtsstaatlicher Struk-
turen und guter Regierungsführung. Auch hier ist AGEF ein zentraler Akteur bei
der Durchführung der Projekte. So ist AGEF unter anderem damit beauftragt, im
Namen der Bundesregierung die Ausbildung von Richtern sowie von Regie-
rungs- und Verwaltungsbeamten im Rahmen eines „Leadership Training Pro-
gram“ durchzuführen. Nach eigenen Angaben von AGEF (www.agef.net) sollen
„Durch Trainings- und Weiterbildungen für Führungskräfte der irakischen
Ministerien und Behörden sowie der regionalen Verwaltungen, z. B. in Irakisch-
Kurdistan […] deren Fähigkeiten dahingehend verbessert werden, dass sie den
verschiedenen fachlichen Anforderungen besser gewachsen sind, Funktion und
Mandat verantwortungsbewusst ausfüllen im Sinne einer Good Governance und
sowohl nach innen als auch nach außen sicher und souverän agieren können.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“
erhobenen Vorwürfe der Unterschlagung gegen das Entwicklungshilfe-
Unternehmen AGEF?

2. Geht die Bundesregierung davon aus, dass das Finanzgebahren des Entwick-
lungshilfe-Unternehmens AGEF, insbesondere des Geschäftsführers, bezüg-
lich Transparenz und Nachprüfbarkeit tadellos ist?

Wenn ja, welche Anhaltspunkte gibt es dafür?

3. Welche Projekte des Berliner Entwicklungshilfe-Unternehmens AGEF wer-
den bzw. wurden in Afghanistan, im Irak und in anderen Ländern in jeweils
welcher Höhe derzeit und in der Vergangenheit durch die Bundesregierung
direkt oder indirekt mit deutschen Steuergeldern finanziert?

Aus welchen Titeln des Bundeshaushaltes stammen die Zuwendungen je-
weils?

4. Was hat die Bundesregierung getan, um der mutmaßlichen Unterschlagung
von Steuergeldern durch das Entwicklungshilfe-Unternehmen AGEF in
Afghanistan vorzubeugen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3764

5. Welchen Bedarf hat die Bundesregierung im Jahr 2009 im Bereich Rück-
kehrerintegration in Afghanistan und im Irak erhoben?

Welche Institution hat den Bedarf erhoben und die Umsetzung der Reinte-
grationsprogramme verifiziert?

6. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Vorwürfe, wie sie von der
„Neuen Osnabrücker Zeitung“ gegenüber dem Entwicklungshilfe-Unter-
nehmen AGEF für das Rückkehrerprojekt in Afghanistan erhoben werden,
für andere Projekte in Afghanistan, für die Projekte im Irak und in anderen
Ländern zutreffen?

Wenn nicht, warum?

Wenn ja, warum?

7. Welche Evaluationsmaßnahmen hat die Bundesregierung für die Projekte
von dem Entwicklungshilfe-Unternehmen AGEF unternommen, nachdem
sich europäische Partner, namentlich Dänemark im Irak, aus den Projekt-
finanzierungen von Rückkehrerprogrammen zurückgezogen haben, weil
Zweifel an der Qualität und Vertrauenswürdigkeit des Projektpartners Ent-
wicklungshilfe-Unternehmen AGEF aufgekommen waren?

8. Welchen Evaluations- und Kontrollverfahren der Bundesregierung musste
sich das Entwicklungshilfe-Unternehmen AGEF unterziehen, und welchen
Kompetenznachweis musste das Unternehmen beibringen, bevor man es
mit der Ausbildung von Richtern und Regierungsbeamten und mit dem
Betrieb von Wirtschaftsbüros betraute?

9. Aus welchem Grund wurde ein Entwicklungshilfe-Unternehmen wie
AGEF mit dem Betrieb von Büros betraut, die deutsche Wirtschaftsinteres-
sen vertreten sollen?

Welche Leistungen haben die Wirtschaftsbüros im Irak bisher effektiv er-
bracht?

10. Hat die Bundesregierung seit Bekanntwerden der mutmaßlichen Unter-
schlagung von Projektmitteln noch Gelder an das Entwicklungshilfe-Unter-
nehmen AGEF ausbezahlt?

Wenn ja, aus welchem Titel, für welche Projekte, und in welcher Höhe?

11. Gedenkt die Bundesregierung, zukünftig weiter mit dem Entwicklungs-
hilfe-Unternehmen AGEF zusammenzuarbeiten?

Wenn ja, in welchen Bereichen?

12. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung sonst aus den Korrup-
tionsvorwürfen gegen das Entwicklungshilfe-Unternehmen AGEF?

Berlin, den 11. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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