BT-Drucksache 17/3678

zu der vereinbarten Debatte zum neuen Strategischen Konzept der NATO

Vom 10. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3678
17. Wahlperiode 10. 11. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Matthias W. Birkwald,
Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch,
Niema Movassat, Thomas Nord, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion
DIE LINKE.

zu der vereinbarten Debatte zum neuen Strategischen Konzept der NATO

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auf dem Lissaboner Gipfel wollen die NATO-Staaten mit der Verabschiedung
des neuen Strategischen Konzepts ihre Rolle als globale Ordnungsmacht und
ihr Recht auf unilaterale weltweite militärische Interventionen festschreiben.
Bereits mit dem 1999 verabschiedeten und derzeit noch gültigen Strategischen
Konzept hat sich die NATO über das Völkerrecht gestellt und die Autorität
der Vereinten Nationen untergraben. Der völkerrechtswidrige Angriff auf
Jugoslawien 1999, die Beteiligung am US-amerikanischen „Krieg gegen den
Terrorismus“ sowie die Unterstützung des völkerrechtswidrigen Angriffs der
USA auf den Irak 2003 waren die logische Konsequenz. Insgesamt haben die
letzten zehn Jahre deutlich gezeigt, dass dieser Kurs keinen Beitrag zur Ver-
besserung der Sicherheit und zur Förderung des Friedens in Europa und welt-
weit leistet.

Angesichts der ungebrochenen Eskalation der Gewaltspirale in Afghanistan
unter maßgeblicher Beteiligung der NATO gehört es zu den vordringlichen
Aufgaben der NATO-Mitgliedstaaten auf dem Gipfel in Lissabon, die Ent-
scheidung für eine Beendigung der ISAF-Militärintervention zu treffen. Der
Krieg in Afghanistan ist nicht zu gewinnen und verlängert nur die Leiden der
Bevölkerung und führt auch zu vermeidbaren Verwundungen und Tötungen
von NATO-Soldaten. Von dem Lissabon-Gipfel muss ein klares und deutliches
Zeichen ausgehen, dass auch die NATO Waffenstillstandsgespräche zwischen
den Konfliktparteien vorbehaltlos unterstützt. Der immer noch aufrechterhal-
tene Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages, der auch Grundlage für
die Operation Enduring Freedom ist, muss aufgehoben werden.

Das Festhalten der NATO am Einsatz von Atomwaffen untergräbt die laufenden
Bemühungen um weltweite nukleare Abrüstung. Das Beharren der NATO auf
das Recht zu einem atomaren Erstschlag und auf das System der nuklearen Teil-

habe, das die Stationierung von US-Atomwaffen in Europa legitimiert und durch
das Nichtatomwaffenstaaten entgegen den Bestimmungen des Nichtverbrei-
tungsvertrages für Atomwaffen (NVV) de facto Einfluss auf Atomwaffen erhal-
ten, droht die zaghaften Fortschritte, die bei der NVV-Überprüfungskonferenz
im Juni 2010 erzielt werden konnten, zunichte zu machen.

Drucksache 17/3678 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Neugewichtung der Europäischen Union im Rahmen des neuen Strate-
gischen Konzepts, insbesondere im Hinblick auf das „burden sharing“, bereitet
den Boden für die weitere Militarisierung Europas und den ungebremsten Rüs-
tungswettlauf der NATO mit sich selbst. Bereits jetzt sind die NATO-Staaten
mit 620 Mrd. Euro für etwa zwei Drittel der weltweiten Rüstungsausgaben ver-
antwortlich. Nun soll mit der Beteiligung der europäischen NATO-Staaten an
dem milliardenteuren US-Raketenabwehrschirm auch im Bereich der strate-
gischen Waffensysteme ein neuer Rüstungswettlauf begonnen werden. Diese
zunehmende Militarisierung Europas verhindert den Erfolg der dringend not-
wendigen vertrauensbildenden Maßnahmen mit den Nachbarstaaten, wie sich
bereits im Scheitern des wichtigsten europäischen Rüstungskontrollvertrages,
dem KSE-Vertrag, gezeigt hat. Die NATO sollte stattdessen ein deutliches
Zeichen für weltweite Abrüstung setzen und eine Initiative für die Reduzierung
ihrer konventionellen Waffenarsenale vorlegen.

Eine einfache Fortschreibung und Ergänzung des Strategischen Konzepts der
NATO wird weder den sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht noch
eröffnet es Wege zu einer konstruktiven Friedens- und Sicherheitspolitik. Die
Antwort auf die dringendsten Zukunftsfragen wie Klimawandel, Energieversor-
gung, Frauen- und Menschenrechte, Unterentwicklung und Massenvernichtungs-
waffen kann nur in einem friedlichen Miteinander gegeben werden. Umso ge-
fährlicher ist es, wenn die NATO zur öffentlichen Rechtfertigung ihrer Fort-
existenz ein breites Spektrum an potentiellen nichtmilitärischen Bedrohungen
und Risiken, wie den „internationalen Terrorismus“, „cyber attacks“ oder gar die
wirtschaftliche Gefährdung der Mitgliedstaaten bemüht. Der Einsatz Ocean
Shield am Horn von Afrika zum Schutz der Handelswege der NATO-Mitglied-
staaten ist bereits ein bedenklicher Vorgeschmack darauf, wie die NATO in Zu-
kunft ihre Rolle als globale Militärmacht zur Durchsetzung der wirtschaftlichen
Interessen ihrer Mitgliedstaaten benutzen will. Mit den „globalen Partnerschaf-
ten“ werden die Voraussetzungen geschaffen, ad hoc gemeinsam mit anderen
Staaten auch in entlegenen Regionen zu intervenieren – jenseits den Organisa-
tionen der Vereinten Nationen. Dieser Ausweitung und Neudefinition des Auf-
trags muss die Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel eine klare Absage er-
teilen und klarstellen, dass die Bundeswehr hierfür nicht zur Verfügung steht.

Das neue Strategische Konzept der NATO ist ein weiterer Schritt in die falsche
Richtung und muss deshalb abgelehnt werden. Die NATO unterstreicht mit
dem neuen Strategischen Konzept, dass sie auch in Zukunft vor allem eigene
Machtinteressen mit militärischen Mitteln durchsetzen und ihren Gestaltungs-
spielraum durch die Bekämpfung weltweit identifizierter nichtmilitärischer
Bedrohungen weiter ausbauen will. Damit ist die NATO ein Hindernis für die
Förderung von Frieden und globaler Sicherheit und muss ersetzt werden durch
ein System kollektiver Sicherheit, das auf Zusammenarbeit, Vertrauensbildung
und Abrüstung aufbaut.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das neue Strategische Konzept im NATO-Rat abzulehnen;

2. die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abzuziehen und im NATO-Rat die
Beendigung des ISAF-Einsatzes zu fordern;

3. der Vorbereitung und Durchführung von Out-of-area-Einsätzen der NATO
im NATO-Rat eine klare Absage zu erteilen, insbesondere indem

– die Bundeswehr aus allen laufenden NATO-out-of-area-Einsätzen zu-
rückgezogen wird,

– im Bündnis auf die Beendigung aller laufenden Out-of-area-Einsätze
(Operation Enduring Freedom, Operation Active Endeavour, Operation

Ocean Shield) gedrängt wird,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3678

– die Bereitstellung von Personal und die Finanzierung für die NATO-In-
terventionsstrukturen, wie z. B. die NATO Response Force, beendet wird
und die Auflösung dieser Interventionskapazitäten eingefordert wird;

4. in der NATO darauf zu drängen, die nukleare Erstschlagsdoktrin aufzuheben
und konkrete nukleare Abrüstungsschritte einzuleiten, bei der die Bundes-
regierung mit der Aufkündigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands die
Initiative ergreift;

5. die Beteiligung der NATO an dem US-Raketenabwehrschild abzulehnen.

Berlin, den 9. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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