BT-Drucksache 17/343

Arbeitsbedingungen in der Zeitarbeitsbranche

Vom 18. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/343
17. Wahlperiode 18. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Markus
Kurth, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Birgitt Bender, Sven Kindler,
Maria Klein-Schmeink, Lisa Paus, Dr. Harald Terpe und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeitsbedingungen in der Zeitarbeitsbranche

Zeitarbeit wurde lange als ein wirkungsvolles Instrument zum Abbau der Ar-
beitslosigkeit angesehen. Ziel war es, Einstellungsbarrieren zu überwinden und
Arbeitslose durch den erhofften „Klebeeffekt“ in den ersten Arbeitsmarkt zu in-
tegrieren. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sich diese Hoffnungen
leider nicht bewahrheitet haben.

Die Liberalisierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) im Jahr
2002 hat zu einem starken Zuwachs der Zeitarbeit geführt. Im Aufschwung bis
zum Sommer 2008 hat die Bedeutung der Zeitarbeit stark zugenommen. Die
Zahl der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer stieg ständig an und er-
reichte im Jahr 2008 fast die Millionengrenze. In der darauffolgenden und bis
heute anhaltenden Krise wurde die Zeitarbeit wieder stark um fast die Hälfte re-
duziert.

Arbeitnehmerüberlassung wurde lange Zeit ausschließlich dazu benutzt, Auf-
tragsspitzen abzufangen und kurzfristige Ausfälle von Beschäftigten zu kom-
pensieren. Dies ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Es häufen sich die Fälle, in
denen Stammbelegschaften durch Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitneh-
mer ersetzt werden. Zudem wird Zeitarbeit zum Zwecke des Lohndumpings
missbraucht. Dies trägt zur Erosion des Normalarbeitsverhältnisses bei und
führt zur Verunsicherung und zu Abstiegsängsten in den Stammbelegschaften.

Aktuelle Fälle des Missbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung durch Unterneh-
men weisen auf den dringenden Reformbedarf im AÜG zum besseren Schutz
der Arbeitnehmerrechte hin. Ein Beispiel ist die Drogeriekette Schlecker. Sie
gründete Anfang 2009 die Zeitarbeitsfirma MENIAR, die Leiharbeitnehmerin-
nen und Leiharbeitnehmer in neu eröffnete Filialen der Schleckerkette ver-
mittelt. Bei den Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern der Firma
MENIAR handelt es sich offenbar regelmäßig um vormalige Angestellte von
Schlecker, die im Zuge der Schließung von bestehenden Schlecker-Filialen ent-
lassen wurden. Laut Informationen von Ver.di beträgt der Stundenlohn der von

MENIAR überlassenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 6,78 Euro pro
Stunde. Es werden weder Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld noch Sparförderleistun-
gen gezahlt. Zudem gibt es weniger Urlaubstage.

De facto handelt es sich bei der Zeitarbeitsfirma MENIAR um einen Teil des
Schlecker-Konzerns, die im Rahmen der „konzerninternen Arbeitnehmerüber-
lassung“ Beschäftigte an andere Konzerntöchter verleiht. Schlecker bedient
sich der Arbeitnehmerüberlassung, um die Arbeitsbedingungen von bisherigen

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Beschäftigten krass zu verschlechtern und das bisherige Filialnetz durch
Märkte mit deutlich geringeren Personalkosten zu ersetzen. So werden die
Tariflöhne unterlaufen, ein Unterbietungswettbewerb innerhalb der Branche
ausgelöst und den Beschäftigten der Bestandsschutz genommen.

Dieses Beispiel ist nur eines von vielen. Es zeigt, dass die Arbeitnehmerüber-
lassung unbedingt re-reguliert werden muss, dass Missbrauch und das Unter-
laufen von Tarifverträgen und Mitbestimmungsrechten der Beschäftigten in Zu-
kunft verhindert wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Substitution von Stammbelegschaf-
ten durch Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer, wie sie im Moment
exemplarisch bei Schlecker zu beobachten ist, insbesondere angesichts des
dadurch ausgelösten Drucks auf die zunehmend prekären Löhne und Ar-
beitsbedingungen der Beschäftigten, der dadurch praktizierten Flucht aus
Tarifbindung und Mitbestimmung und des dadurch ausgelösten zerstöreri-
schen Unterbietungswettbewerbs zwischen Firmen innerhalb einer Branche?

2. Hat die Bundesregierung Kenntnis von weiteren Fällen, in denen Unterneh-
men seit Inkrafttreten des reformierten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
im Jahr 2003 Beschäftigte der Stammbelegschaft entlassen und zeitgleich
oder zeitnah Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in denselben
oder anderen Unternehmensteilen eingesetzt haben?

3. Hält es die Bundesregierung angesichts der Vorgänge bei Schlecker und in
vergleichbaren Fällen für notwendig, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
so zu überarbeiten, dass eine Substitution von Stammbelegschaften durch
Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer mit der Folge einer Ver-
schlechterung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in Zukunft aus-
geschlossen wird?

Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung?

4. Wie bewertet die Bundesregierung – angesichts des im Vergleich zum Ein-
satzbetrieb regelmäßig niedrigeren Lohnniveaus und der schlechteren Ar-
beitsbedingungen für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer – die
geltenden Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitnehmer-
überlassungsgesetz?

Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus ihrer Bewertung?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Entscheidung
des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, der Tarifgemeinschaft
Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen
(CGZP) die Tariffähigkeit abzuerkennen, die Missbrauchsanfälligkeit der
geltenden Bezugnahmeklausel im AÜG?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit von Arbeitsverträgen,
die wie im Falle von MENIAR auf Tarifverträge der CGZP verweisen, in-
folge der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg?

7. Welchen Änderungsbedarf am Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sieht die
Bundesregierung infolge der reformierten EU-Leiharbeitsrichtlinie 2008/
104/EG vom 19. November 2008?

Wann plant die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag entsprechende
Reformvorschläge zur Beratung vorzulegen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/343

8. Beabsichtigt die Bundesregierung die Aufnahme der Zeitarbeit in das Ar-
beitnehmerentsendegesetz, um auf diesem Wege den tariflichen Mindest-
lohn zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Bun-
desverband Zeitarbeit (BZA) bzw. Interessenverband Deutscher Zeitar-
beitsunternehmen e. V. (iGZ) für allgemeinverbindlich zu erklären?

Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung?

9. Beabsichtigt die Bundesregierung die Einführung einer Genehmigungs-
pflicht für die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Häufigkeit der ergänzen-
den Erbringung von Arbeitslosengeld II für Leiharbeitnehmerinnen und
Leiharbeitnehmer?

Welche finanziellen Belastungen entstehen dadurch dem Bundeshaushalt?

11. Beabsichtigt die Bundesregierung in Zukunft mittels geeigneter Maßnah-
men zu verhindern, dass Beschäftigte in Zeitarbeitsfirmen nur über ergän-
zendes Arbeitslosengeld II ihr Existenzminimum sichern können?

Wenn ja, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung hierfür?

12. Erachtet die Bundesregierung eine Begrenzung der Überlassungsdauer an
Entleihbetriebe für sinnvoll, um die Zeitarbeit auf diese Weise wieder auf
ihre Ursprungsfunktion zur Abfederung von Auftragsspitzen zurückzufüh-
ren?

Wenn ja, auf wie viel Monate soll die maximale Überlassungsdauer festge-
setzt werden?

13. Hält die Bundesregierung das Synchronisationsverbot für ein geeignetes
Instrument, um für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer Dauer-
beschäftigungsverhältnisse zu ermöglichen und die Befristung der Be-
schäftigung für die Dauer eines akquirierten Einsatzes in einem Entleihbe-
trieb in Zukunft zu verhindern?

Berlin, den 18. Dezember 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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