BT-Drucksache 17/3397

Private Akteure und Kommerzialisierung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Wasser- und Sanitärversorgung

Vom 25. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3397
17. Wahlperiode 25. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken,
Katja Keul, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Private Akteure und Kommerzialisierung in der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Wasser- und Sanitärversorgung

Weltweit haben 884 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trink-
wasser und 2,6 Milliarden Menschen fehlt eine grundlegende Sanitärversor-
gung. Die Halbierung der Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trink-
wasser und grundlegenden sanitären Einrichtungen bis 2015 ist Teil der im Jahr
2000 von den Vereinten Nationen (VN) definierten Millenniumsentwicklungs-
ziele. Zudem ist eine ausreichende Wasser- und Sanitärversorgung essentiell
zur Erreichung mehrerer anderer Millenniumsentwicklungsziele. Dazu gehören
zum Beispiel Verringerung der Mütter- und Kindersterblichkeit, aber auch die
Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung, wenn Mädchen nicht
mehr durch fehlende sanitäre Anlagen am Schulbesuch gehindert werden, und
die Gleichstellung der Geschlechter.

Deutschland hat in der Entwicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt auf
den Wassersektor gelegt und ist der weltweit zweitgrößte bilaterale Geber im
Wassersektor mit einem jährlichen Fördervolumen von rund 350 Mio. Euro für
bilaterale Maßnahmen in insgesamt 28 Schwerpunktländern. In den Bemühun-
gen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in der Wasser- und Sanitärver-
sorgung gilt sowohl ein menschenrechtsbasierter Ansatz als auch der Grundsatz
des Integrierten Wasserressourcen-Managements (IWRM), das darauf basiert,
lokale ökologische, ökonomische und soziale Faktoren zu berücksichtigen.
Gleichzeitig wird in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die Einbezie-
hung privatwirtschaftlicher Akteure, besonders in Public Private Partnerships,
befürwortet.

Immer wieder werden aber durch die Medien Privatisierungsbestrebungen in der
Wasserversorgung thematisiert. Besonders hervorgehoben werden dabei die
potentiellen negativen Folgen für Mensch und Umwelt, wenn die Wasserversor-
gung auf Profitstreben basiert. Privatisierung des Wassers kann dazu führen,

dass die Wasserversorger ihre Produktionskosten niedrig halten und ihren Profit
erhöhen wollen. Dies führt ohne soziale Mindeststandards zu einer verschärften
Armut in Entwicklungsländern. Die Gemeinwohlorientierung und das Men-
schenrecht auf sauberes Wasser muss oberste Priorität bleiben in der Ausgestal-
tung der Wasserversorgung.

Die Unabhängige Expertin der Vereinten Nationen für das Menschenrecht auf
sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung der Vereinten Nationen, Catarina

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de Albuquerque, hat sich in ihrem Bericht vom 29. Juni 2010 an den Menschen-
rechtsrat der Rolle nichtstaatlicher Dienstleister im Wasser- und Sanitärsektor
gewidmet. Sie kommt zu dem Schluss, dass weder private noch öffentliche
Dienstleister per se vorzuziehen sind, dass allerdings in jedem Fall der Staat die
Verantwortung trägt, über entsprechende Regulierung einen effektiven Zugang
auch für marginalisierte Gruppen sicherzustellen.

Wenn privatwirtschaftliche Akteure in die Wasser- und Sanitärversorgung ein-
bezogen werden, ist daher die Art und Weise, in der dies geschieht, entschei-
dend dafür, ob die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele und das Men-
schenrecht auf sauberes Wasser dadurch gefördert oder behindert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie definiert die Bundesregierung die zentralen Ergebnisse des Berichts vom
20. Juni 2010 der Unabhängigen Expertin der Vereinten Nationen für das
Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung, Catarina de
Albuquerque?

Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen?

2. Wie definiert die Bundesregierung

a) Privatisierung im Wassersektor,

b) Kommerzialisierung im Wassersektor?

3. Welche Formen von Beteiligung von privaten Akteuren in der Wasserversor-
gung kennt die Bundesregierung?

Welche werden in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit genutzt?

Wie bewertet die Bundesregierung diese (bitte einzeln aufführen)?

4. Wie beraten die deutschen Durchführungsorganisationen Partnerländer im
Hinblick auf Kommerzialisierung und die Einbindung privater Akteure im
Wassersektor?

a) Wann raten sie zu Kommerzialisierung?

b) Wann raten sie zur Einbindung privater Akteure?

c) Verfolgt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit dabei unterschied-
liche Ansätze für städtische und ländliche Gebiete?

5. Was versteht die Bundesregierung – bezugnehmend auf das Sektorkonzept
Wasser aus dem Jahr 2006 – unter sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit?

a) Welche Indikatoren für soziale und ökologische Nachhaltigkeit im Was-
sersektor werden in der Entwicklungszusammenarbeit genutzt?

b) Welche Wertigkeit haben diese?

6. Wie lässt sich die soziale und ökologische Nachhaltigkeit mit den unter-
schiedlichen Konzepten von Privatisierung und Kommerzialisierung im Be-
reich Wasser- und Sanitärversorgung vereinbaren?

a) Welche möglichen Probleme kennt die Bundesregierung?

b) Mit welchen Problemen war die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
im Verlauf von Projekten konfrontiert?

c) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus für derzeitige
Projekte und für die Beratung von Partnerregierungen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3397

7. Welche Maßnahmen sind bekannt, um die Versorgung der ärmsten Bevöl-
kerungsgruppen, die Wasser auf dem freien Markt kaum bezahlen können,
sicherzustellen?

a) Welche dieser Maßnahmen unterstützt die deutsche Entwicklungszu-
sammenarbeit?

b) Rät die deutsche Entwicklungszusammenarbeit diesbezüglich zu mone-
tären Leistungen an einzelne Haushalte in den Partnerländern?

Wenn ja, in welchen Fällen?

8. Wie schätzt die Bundesregierung strukturelle Veränderungen ein, die durch
Kommerzialisierungsbestrebungen oder Einbindung privatwirtschaftlicher
Akteure im Wassersektor ausgelöst werden?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einbindung ausländischer privat-
wirtschaftlicher Akteure in die Bereitstellung von Wasser- und Sanitärleis-
tungen hinsichtlich eines möglichen Spannungsverhältnisses zu lokalen
Strukturen?

Welche Maßnahmen treffen die deutschen Durchführungsorganisationen,
um dieses zu verringern?

10. Wie bewertet die Bundesregierung den informellen Sektor im Wasser- und
Sanitärbereich in Entwicklungsländern?

a) Wie wird er im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
eingebunden?

b) Nach welchen Kriterien wird hier bei der Vergabe von Mikrokrediten
entschieden?

11. Auf welche Art und Weise wird durch die deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit der Technologietransfer im Bereich der Wasser- und Sanitärver-
sorgung vorangetrieben?

12. Wie häufig und auf welche Weise arbeiten in von der Bundesregierung ge-
förderten Projekten deutsche oder internationale private Unternehmen mit
lokalen Partnern zusammen (bitte aufschlüsseln nach privaten und öffent-
lichen Partnern aus den Partnerländern)?

13. Welche Stakeholder erachtet die deutsche Bundesregierung als relevant im
Bereich des Wasser- und Sanitärsektors?

14. Wird die direkt betroffene Bevölkerung bei der Entscheidung, welche
Form der Beteiligung von privatwirtschaftlichen Akteuren in von der Bun-
desregierung geförderten Programmen gewählt wird, einbezogen?

Wenn ja, auf welche Art und Weise?

Wenn nein, warum nicht?

15. Wie viele private Unternehmen sind an Public Private Partnerships der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor beteiligt?

Um welche Unternehmen handelt es sich (bitte nach Unternehmensnamen
aufschlüsseln), und mit welchen Durchführungsorganisationen (bitte eben-
falls aufschlüsseln) wird die Umsetzung betrieben?

16. Nach welchen Kriterien werden die an von der Bundesregierung unter-
stützten Public Private Partnerships beteiligten Firmen ausgewählt?

a) Welchen Einfluss haben das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung und die deutschen Durchführungsorga-
nisationen auf die Auswahl der beteiligten Firmen?
b) Welchen Einfluss haben die lokalen Partner bei der Auswahl?

Drucksache 17/3397 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

c) Wann werden deutsche und europäische Firmen bevorzugt?

Wann werden lokale Unternehmen bevorzugt?

d) Findet ein internationales Ausschreibungsverfahren statt?

e) Wird Corporate Governance hier berücksichtigt?

17. Wie werden Public Private Partnerships der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit im Bereich Wasser- und Sanitärversorgung evaluiert?

a) Wie wird die Beteiligung der Firmen, die in Public Private Partnerships
involviert sind, im Verlauf eines Projekts evaluiert?

b) Welche Indikatoren spielen hierbei eine Rolle?

18. Wie viele der privaten Unternehmen in Public Private Partnerships der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Wasser- und Sanitärsektor
sind

a) lokale Unternehmen,

b) aus Deutschland,

c) Tochterunternehmen deutscher Unternehmen,

d) aus anderen Ländern?

19. Wie hoch ist dabei jeweils der Anteil kleiner und mittelständischer Unter-
nehmen (KMU)?

20. Auf welche Art werden deutsche Firmen an diesen Public Private Partner-
ships beteiligt?

a) Welche Aufgaben übernehmen sie?

b) Gibt es Fälle, in denen deutsche Unternehmen im Rahmen einer Public
Private Partnership dauerhaft als Anbieter von Versorgungsleistungen
involviert werden?

21. Auf welche Art werden lokale Firmen an diesen Public Private Partner-
ships beteiligt?

Welche Aufgaben übernehmen sie?

22. In wie vielen Fällen werden kommerzielle oder nichtkommerzielle private
Akteure im Rahmen von Public Private Partnerships der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit langfristig, d. h. als dauerhafte Anbieter von
Versorgungsleistungen, im Wassersektor in Partnerländern involviert?

a) Wie viele davon sind lokale kommerzielle oder nichtkommerzielle pri-
vate Akteure?

b) Wie viele sind deutsche und europäische Akteure?

23. Auf welche Art und Weise werden deutsche private Unternehmen in Public
Private Partnerships im Wassersektor durch die Entwicklungszusammen-
arbeit unterstützt?

Werden die Unternehmen durch öffentliche Mittel finanziell unterstützt?

24. In welchen Bereichen werden im Rahmen der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit im Wasser- und Sanitärsektor Aufträge an private Unterneh-
men vergeben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3397

25. Wie viele der privaten Unternehmen, die im Wasser- und Sanitärsektor
Aufträge der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erhalten, sind

a) lokale Unternehmen,

b) aus Deutschland,

c) Tochterunternehmen deutscher Unternehmen,

d) aus anderen Ländern?

26. Wie hoch ist dabei jeweils der Anteil kleiner und mittelständischer Unter-
nehmen (KMU)?

27. In wie vielen Fällen werden kommerzielle oder nichtkommerzielle private
Akteure im Auftrag der Bundesregierung langfristig, d. h. als dauerhafte
Anbieter von Versorgungsleistungen, im Wassersektor in Partnerländern
involviert?

a) Wie viele davon sind lokale kommerzielle oder nichtkommerzielle pri-
vate Akteure?

b) Wie viele sind deutsche und europäische Akteure?

28. Nach welchen Kriterien werden die von der Bundesregierung im Vergabe-
verfahren beauftragten Firmen ausgewählt?

a) Welchen Einfluss haben die lokalen Partner bei der Auswahl?

b) Wann werden deutsche und europäische Firmen bevorzugt?

Wann werden lokale Unternehmen bevorzugt?

c) Findet ein internationales Ausschreibungsverfahren statt?

d) Wird Corporate Governance hier berücksichtigt?

29. Wie bewertet die Bundesregierung die German Water Partnership e. V.?

a) Wie viele Firmen aus der German Water Partnership e. V. erhalten Auf-
träge durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (bitte prozentual
zum Gesamtvolumen der Aufträge der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit im Wasser- und Sanitärbereich aufschlüsseln)?

b) Um welche Art von Aufträgen handelt es sich dabei, und in welcher
Höhe jährlich werden diese vergeben (bitte aufschlüsseln)?

Berlin, den 25. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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