BT-Drucksache 17/3281

Kenntnisstand der Bundesregierung über den Einsatz von und den Schutz vor DU-Munition

Vom 11. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3281
17. Wahlperiode 11. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Agnes Malczak, Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo
Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kenntnisstand der Bundesregierung über den Einsatz von und den Schutz
vor DU-Munition

Rund 20 Staaten besitzen DU-Munition (DU = depleted uranium, zu deutsch:
abgereichertes Uran). Geschosse aus abgereichertem Uran wurden in verschie-
denen Konflikten als Munition gegen sog. harte Ziele sowie in gehärteten Ab-
wehrschilden gegen Raketen- und Artillerieangriffe eingesetzt. So geschehen
u. a. im Golfkrieg (1991), den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien (1994 bis
1995, 1999) sowie im Irak (2003), wie Studien des Umweltprogramms der Ver-
einten Nationen bestätigten.

Seit Jahren werden die langfristigen Risiken und gesundheitlichen Folgen des
Einsatzes von Munition aus abgereichertem Uran diskutiert. Studien und Gut-
achten, wie beispielsweise im Auftrag der IAEO (Internationale Atomenergie
Organisation), UNEP (United Nations Environment Programme), WHO (World
Health Organization) oder von einzelnen Ländern, Streitkräften und Instituten,
kommen zu unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Ergebnissen bezüglich
der toxischen und radiologischen Auswirkungen der beim Aufprall entstehen-
den Uranpartikel und Uranoxide. Primäre Gefahr ist vor allem die chemotoxi-
sche Wirkung von Uran als Schwermetall, die bei höheren Dosen zu einer
Schwermetallvergiftung und bei niedrigen u. U. zu Nierenschädigungen führen
kann. Über die weitere chemische und radiologische Toxizität und damit die ge-
sundheitlichen und ökologischen Auswirkungen feiner Uranpartikel herrscht je-
doch aufgrund fehlender verlässlicher wissenschaftlicher Langzeitstudien nach
wie vor Unklarheit. Während einige Studien schwere toxische Schädigungen so-
wie ein erhöhtes Risiko von Leukämie- bzw. Krebserkrankungen und geneti-
schen Veränderungen bestätigen, verneinen andere einen kausalen Zusammen-
hang.

Während öffentlich von vielen Staaten eine gesundheitliche Gefahr ausge-
schlossen wird, weisen interne militärische Handbücher und Leitfäden auf eine

Gefährdung durch DU-Munition hin und empfehlen Schutzmaßnahmen. Zum
Schutz von Mensch und Umwelt ist es an der Zeit, Gewissheit über die Gefahren
von DU-Munition zu erhalten und Transparenz herzustellen.

Drucksache 17/3281 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Gibt es seit der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. aus dem Jahr 2008
(Bundestagsdrucksache 16/8735) neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu
den Langzeitwirkungen von DU-Munition, die der Bundesregierung vorlie-
gen?

Wenn ja, welche sind das?

2. Hat die Bundesregierung, wie in ihrer Antwort zu Frage 17 (Bundestags-
drucksache 16/8992) der genannten Kleinen Anfrage angegeben, bei Bedarf
weitere wissenschaftliche Untersuchungen angeordnet?

Wenn ja, in welchem Rahmen?

Wenn nein, warum wurde kein Bedarf erkannt?

3. Sieht die Bundesregierung nach Auswertung aller verfügbaren wissenschaft-
lichen Studien die Möglichkeit, DU-Munition als unbedenklich einzustufen?

4. Welche Maßnahmen zum Schutz von Menschen hat die Bundesregierung in
vergangenen bewaffneten Konflikten vorgenommen, in denen Verbündete
DU-Munition eingesetzt haben (im Speziellen bitte unterscheiden zwischen
Schutzmaßnahmen für:

a) die Zivilbevölkerung,

b) deutsche Soldatinnen und Soldaten,

c) verbündete Soldatinnen und Soldaten,

d) die Umwelt)?

5. Wie wurden bei multilateralen Einsätzen mit deutscher Beteiligung die Ein-
satzorte von DU-Munition bestimmt, z. B. im Kosovo (bitte differenzieren
nach Einsätzen)?

6. Wie kommt die Bundesregierung in Afghanistan ihrer Fürsorgepflicht gegen-
über den Soldaten und Soldatinnen nach?

a) Ermittelt die Bundeswehr Informationen über die Verwendung von DU-
Munition durch Verbündete?

aa) Falls ja, welche Informationen liegen vor?

bb) Falls nein, wie kommt die Bundeswehr dann ihrer Fürsorgepflicht
nach?

b) Haben die Soldaten und Soldatinnen bestimmte Anweisungen, wie sie
beim Verdacht des Einsatzes von DU-Munition vorzugehen haben?

Wenn ja, wie sehen diese aus?

Wenn nein, warum gibt es keine?

7. Inwiefern gehört es nach Ansicht der Bundesregierung zur Fürsorgepflicht,
dass die Bundeswehr Informationen über die Verwendung von DU-Munition
bei verbündeten Streitkräften einholt?

8. Welche Streitkräfte anderer Nationen verfügen nach Kenntnis der Bundes-
regierung über Uranmunition?

9. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung insbesondere inner-
halb der Europäischen Union, der NATO und der OSZE zum Schutz verbün-
deter sowie deutscher Soldatinnen und Soldaten und des Zivilpersonals in
gewaltförmigen Konflikten, in denen es zum Einsatz von Uranmunition
kommen könnte?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3281

10. Wie vereinbart die Bundesregierung ihre Angaben über das Nichtvor-
handensein von Erkenntnissen zur Verwendung von Uranmunition in
Afghanistan (siehe Bundestagsdrucksache 16/8992, Antwort zu Frage 3 der
Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. sowie der Mündlichen Frage 25
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele auf Bundestagsdrucksache
17/2059 vom 16. Juni 2010) mit dem „Leitfaden für Bundeswehrkontin-
gente in Afghanistan“ der Bundeswehr, in dem explizit darauf verwiesen
wird, dass die US-Streitkräfte im Rahmen der Luftunterstützung für die
Nordallianz während der Operation Enduring Freedom DU-Munition im
Jahr 2001 verwendet haben?

11. In welchen Gebieten Afghanistans haben die US-Streitkräfte bei Unterstüt-
zung der Nordallianz DU-Munition eingesetzt, und in welchem Umfang?

12. Inwiefern lagen diese Gebiete im heutigen Verantwortungsbereich der Bun-
deswehr?

13. Welche Untersuchungen zu Verstrahlung hat die Bundeswehr seit Über-
nahme der Verantwortung für solche Gebiete durchgeführt, und mit wel-
chem Ergebnis und welchen Maßnahmen zum Schutze der Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr und der Zivilbevölkerung?

14. Sofern keine Untersuchungen stattgefunden haben, aus welchen Gründen?

15. Auf welche Informationen stützt sich die Bundesregierung bei der Antwort
des Parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Kossendey vom 3. August
2009 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Norman Paech, wo-
nach „die Pflicht zur Fürsorge“ dazu geführt habe, „eine auch nur mögliche
Gefahrenlage als reale Bedrohung darzustellen“, und lässt dies den Schluss
zu, dass die Bundesregierung die genannte Verwendung von DU-Munition
in Afghanistan ausschließen kann, weil es sich herausstellte, dass es sich
nur um eine mögliche Gefahrenlage handelte?

16. Inwiefern wurden von deutscher Seite Gespräche mit US-Stellen geführt,
um die mögliche Gefahrenlage durch DU-Munition im Norden Afghanis-
tans zu überprüfen?

17. Inwiefern wurde die möglicherweise betroffene Zivilbevölkerung im Nor-
den Afghanistans vor der möglichen Gefahrenlage durch die oder im Auf-
trag der Bundeswehr informiert?

18. Inwieweit enthält der „Leitfaden für Bundeswehrkontingente in Afghanis-
tan“, den die Soldaten und Soldatinnen zur Vorbereitung auf den Einsatz be-
kommen, auch heute noch Hinweise und Informationen zur Gefährdung
durch DU-Munition?

19. Wie definiert die Bundesregierung geteilte Verantwortung im Rahmen von
multilateralen militärischen Operationen?

20. Inwieweit holt die Bundesregierung regelmäßig Informationen über das
Vorgehen und die Verwendung von Kampfmitteln der Verbündeten ein, und
durch welche Stelle(n) werden diese Informationen eingeholt?

21. Inwiefern gibt es einen Austausch zwischen den verschiedenen nationalen
Befehlshaber und Befehlshaberinnen über die Art der Einsatzführung und
die verwendeten militärischen Mittel?

22. Inwiefern gibt es einen Austausch mit den Verbündeten, die den Schutz der
eigenen Soldaten und Soldatinnen gewährleisten?

23. Welche Informationen hat die Bundeswehr zu den Kampfmitteln und der
Munition, die bei Militäroperationen der US-Streitkräfte im Norden Afgha-

nistans seit der Übernahme der Verantwortung der Bundeswehr für diesen
Bereich eingesetzt wurden?

Drucksache 17/3281 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
24. Welche Informationen hat die Bundeswehr insbesondere zu den von den
US-Streitkräften eingesetzten Kampfmitteln und der Munition bei der
Militäraktion „Wadi-e-Kauka“ vom 1. bis 6. November 2009 in der Nähe
von Kundus in Sichtweite des Provincial Reconstruction Teams der Bun-
deswehr?

25. Inwiefern wendet die Bundesregierung das Prinzip Nr. 15 der Rio-Deklara-
tion von 1992 – das Vorsorgeprinzip bei multilateralen Einsätzen – an, be-
zogen auch auf die Einsatzdurchführung der Verbündeten?

26. Unterstützt die Bundesregierung die Forderungen des Europaparlaments,
zunächst ein Moratorium für die Verwendung von Waffen mit abgereicher-
tem Uran herbeizuführen und sich im Folgenden für ein weltweites Verbot
einzusetzen?

Falls nein, warum nicht?

27. Inwieweit hat es in den letzten zwei Jahren neue Anträge von aktiven und
ehemaligen Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten auf Dienstbeschädigung
im Zusammenhang mit DU-Munition gegeben?

Falls ja, wie viele?

Wie viele davon wurden bewilligt bzw. abgelehnt?

Aus welchen Einsatzorten kamen diese?

28. Welche Bemühungen werden von Seiten der Bundesregierung unternom-
men, um zu einem völkerrechtlich verbindlichen Verbot von Uranmunition
zu kommen?

Falls keine, warum nicht?

29. Inwieweit setzt sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene für die
Schaffung von effektiven Mechanismen zur Entschädigung von Opfern von
DU-Munition ein?

30. Inwiefern gibt es seitens der Bundesregierung Planungen für eine nationale
Gesetzgebung bezüglich DU-Munition, so wie in Belgien geschehen, wo in
Anerkennung des Prinzips der Vorsorge die Herstellung, der Einsatz, die
Lagerung, der Verkauf, die Anschaffung, die Lieferung und der Transit von
DU-Munition durch das Parlament verboten wurden?

31. Wieso wendet sich die Bundesregierung gegen ein Moratorium, ein Verbot
der Produktion, der Lagerung und des Einsatzes von Uranmunition?

32. Welches Interesse hat die Bundesregierung an der weiteren Verwendung
von DU-Munition durch verbündete Einheiten?

Berlin, den 7. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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