BT-Drucksache 17/3204

Serbiens Beitrittsgesuch an die Europäische Kommission weiterleiten - Gesamte Region im Blick behalten

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3204
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Serbiens Beitrittsgesuch an die Europäische Kommission weiterleiten –
Gesamte Region im Blick behalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Republik Serbien hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte bei der
Annäherung an die Europäische Union erreicht. Nachdem 2008 ein Stabilisie-
rungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) der Europäischen Union (EU) mit
Serbien unterzeichnet werden konnte, wurde das damit verbundene Interimsab-
kommen im Dezember 2009 in Kraft gesetzt. Im gleichen Monat wurde den
serbischen Bürgerinnen und Bürgern die Abschaffung der Visumspflicht für die
Schengen-Staaten gewährt. Im Juni 2010 entschied der Rat der europäischen
Außenminister aufgrund einer positiven Auslegung der Bewertung des Chefan-
klägers der Zusammenarbeit Serbiens mit dem Haager Tribunal die Ratifizie-
rung des 2008 unterzeichneten SAA mit Serbien in Gang zu setzen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt den uneingeschränkt europäischen Kurs der
serbischen Regierung und den mit dem Beitrittsgesuch vom 22. Dezember
2009 geäußerten Wunsch des Landes, Mitglied der Europäischen Union wer-
den zu wollen.

Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis, dass der Chefankläger des Inter-
nationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Serge Brammertz,
in seinem Bericht im Juni dieses Jahres vor dem Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen eine gemischte Bilanz der Zusammenarbeit Serbiens mit dem Haager
Tribunal gezogen hat. So sei die Kooperation der serbischen Behörden mit dem
Haager Tribunal im täglichen Geschäft als gut zu bewerten. Allerdings seien
die Bemühungen Serbiens zur Auffindung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher
Ratko Mladic´ und Goran Hadz¬ic´ nicht befriedigend. Serge Brammertz er-
klärte, „dass Serbiens derzeitige Strategie einer Überprüfung bedarf. Wir haben
die serbische Regierung kürzlich gebeten, ihre Suchbemühungen zu erhöhen
durch Ausweitung der Ermittlungen, Intensivierung der Suchaktionen und
Erhöhung der Ermittlungskapazitäten. Entschiedenes und verstärktes Handeln
der Behörden und politischen Führung sind entscheidend, um die Festnahme
der beiden Flüchtigen zu erreichen.“ Öffentlichen Äußerungen von Serge
Brammertz zufolge haben die Bemühungen Belgrads zur Auffindung der mut-
maßlichen Kriegsverbrecher nachgelassen.

Dennoch unterstützt der Deutsche Bundestag den Beitrittswunsch Serbiens zur
EU. Der Deutsche Bundestag macht sich zugleich die Forderung des Chefan-

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klägers des Haager Tribunals an die EU zu eigen, wonach Erfolge bei der Auf-
findung und Auslieferung der gesuchten Angeklagten der nötigen politischen
Unterstützung durch die EU bedürfen.

Der Deutsche Bundestag nimmt mit Sorge die Situation des Kosovo und Bos-
nien und Herzegowinas zur Kenntnis. Diese beiden Nachbarstaaten Serbiens
haben in der Folge der jugoslawischen Zerfallskriege, für die Serbien eine we-
sentliche Verantwortung trägt, mit einer Fülle daraus resultierender Schwierig-
keiten zu kämpfen. Die für den angestrebten EU-Beitritt nötigen Reformen
werden dadurch erschwert. Aus der Verantwortung Europas für die Verfasstheit
Bosnien und Herzegowina auf Grundlage der Daytoner Friedensvertrags und
für die Unterstützung der Unabhängigkeit des Kosovo erwächst die europäi-
sche Mitverantwortung für den Annäherungsprozess beider Länder an die EU.
Sie dürfen im Vergleich zu ihren Nachbarn nicht ins Hintertreffen geraten. Dies
könnte zu neuerlichen Spannungen in der Region und weiteren Blockaden bei
der Integration in die EU führen. Kosovo und Bosnien und Herzegowina bedür-
fen deshalb eines besonderen Engagements der EU in ihrem Annäherungspro-
zess.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– im Ministerrat der Europäischen Union die Weiterleitung des Beitritts-
gesuchs der Republik Serbien an die Europäische Kommission zu unter-
stützen;

– die Republik Serbien weiterhin unvermindert zu einer uneingeschränkten
Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal aufzufordern;

– alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um den Chefankläger des
Haager Tribunals in seiner Forderung nach Auffindung und Auslieferung
der gesuchten Angeklagten Ratko Mladic´ und Goran Hadz¬ic´ zu unterstüt-
zen;

– im Beitrittsprozess der Republik Serbiens zur EU auf die strikte Einhaltung
der hierfür nötigen Voraussetzungen zu achten;

– sicherzustellen, dass mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen die Re-
publik Serbien verbindliche Regelungen zur Lösung aller noch offenen
Grenzfragen einschließlich derer zum Kosovo einvernehmlich mit den
betroffenen Nachbarn beschlossen hat, dass sie ihre Verantwortung für die
regionale Stabilität aktiv wahrnimmt, gutnachbarschaftliche Beziehungen
pflegt und die grenzüberschreitende und regionale Zusammenarbeit fördert;

– innerhalb der EU auf eine Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovos
durch alle Mitgliedstaaten zu drängen, um die europäische Mission EULEX
bei ihrem Beitrag zum Aufbau rechtstaatlicher Institutionen stärken und
rasche Verhandlungen über EU-Assoziierung und Visafreiheit beginnen zu
können;

– Bosnien und Herzegowina bei seinen Bemühungen zur Schaffung eines
funktionierenden politischen Systems, insbesondere bei einer Verfassungs-
reform, zu unterstützen;

– im gesamten Beitrittsprozess darauf zu drängen, dass die Instrumente und
Maßnahmen der EU wie die Gewährung der Visafreiheit für alle Länder des
westlichen Balkans die regionale Kooperation und Entwicklung der betrof-
fenen Länder derart fördern, dass gleichzeitige Fortschritte und Beitritte der
Länder möglich sind.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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